Schuldspruch
- Fischer
- Erschienen: Januar 2011
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- London: Avon, 2009, Titel: 'Dishonour', Seiten: 392, Originalsprache
- Frankfurt am Main: Fischer, 2011, Seiten: 384, Übersetzt: Christine Strüh
Eher schwacher Krimi mit starkem Thema
Schuldspruch (der englische Originaltitel Dishonour passt sehr viel besser) ist der dritte Krimi der Reihe um die couragierte Anwältin Lilly Valentine. Die englische Autorin Helen Black bleibt bei dem, was auch in den vorhergehenden Bänden der Valentine-Reihe gut funktioniert hat. Sie schreibt über gesellschaftlich brisante Themen und straffällig gewordene Jugendliche. Der zweite Band der Reihe Rechenschaft konnte als Krimi nicht überzeugen. Wie sieht es diesbezüglich mit Schuldspruch aus?
Ehrenmord
Lilly Valentine, mit ihrem zweiten Kind schwanger, eröffnet eine eigene Anwaltskanzlei – sehr zum Verdruss ihres Partners, dem Polizisten Jack. Der möchte lieber das sie zu Hause bleibt und sich pflegt, aber Lilly fühlt sich den benachteiligten Kids in Luton verpflichtet. Aber auch sie sieht ein, dass sie von Fällen, die sie emotional überfordern könnten, besser die Finger lassen sollte – bis Anwar Khan die noch nicht einmal eröffnete Kanzlei betritt. Seine Schwester Yasmeen hat Selbstmord begangen, aber die Polizei weigert sich, der Familie die Leiche zu übergeben. Anwar bittet Lilly zu intervenieren und die findet heraus, dass die Polizei nicht an eine Selbsttötung glaubt. Ausgerechnet in dem Moment als Lilly der pakistanischen Familie die Situation näher erläutert, platzt Detective Inspector Bell in die Szene und verhaftet Yasmeens jüngeren Bruder Raffique Khan wegen des Verdachts, einen Ehrenmord begangen zu haben.
Die junge Aasha und Ryan, ein englischer Junge aus einem der übelsten Ghetto-Viertel, verknallen sich ineinander. Der sonst so schüchternen Muslimin tut Ryans Aufmerksamkeit gut. Ihren Brüdern missfällt ihr gestärktes Selbstbewusstsein und sie ersinnen eine heikle Methode, um Aasha auf den rechten Weg zurückzuführen.
Ausgewogene Balance zwischen Islam-Kritik und Toleranz
Helen Black versteht sich darauf, gesellschaftliche Konflikte vorurteilsfrei und engagiert aufzuzeigen. Dafür beweist sie gerade in Schuldspruch ein glückliches Händchen, trotzdem oder weil sie sich mit so einem so vorbelastetem Thema wie dem Islam in der westlichen Welt befasst.
Sicherlich nicht klischeefrei, aber trotzdem eindrucksvoll skizziert die Autorin die Situation der pakistanisch stämmigen, muslimischen Familien in England. Ein Handlungsstrang des Krimis schildert rückblickend Yasmeens Leben, wie sie an "Free Palestine" Demonstration teilnimmt und als Begleitung des großen Unbekannten einem Iman lauscht, der lehrt, dass die Moslems eine 'Aufgabe' hätten. Eine der beiden Gegenwartshandlungen beschreibt Raffy, der in U-Haft sitzt und seine Anwältin und sich selbst mit radikal islamischen Pamphleten in Schwierigkeiten bringt. Die andere ein Teenager-Mädchen, das sich gegen die ständige Bevormundung und Kontrolle auflehnt. An Lillys Seite finden wir wiederum in ihrer Assistentin Taslima eine Vorzeigemuslimin, die strikt die islamischen Regeln einhält und sich couragiert für Raffy und Aasha einsetzt. Hierin liegt eine Stärke des Romans Schuldspruch, die Gesellschaftskonflikte der Moslems in der christlich geprägten Gesellschaft werden mit allen Facetten und wertfrei beschrieben.
Positiv ist außerdem zu vermerken, dass Helen Black die Geschichte stetig vorantreibt und sich der Anteil vom Privatleben der Hauptfigur in angemessenen Grenzen hält. Lilly Valentine hält sich nicht mit persönlichen Eitelkeiten auf und wirkt im Vergleich zum Vorgängerband Rechenschaft etwas gereifter, bleibt aber emotional und bis zur Leichtsinnsgrenze impulsiv.
Formale und inhaltliche Schwächen
Leider muss man bei der Plotführung und Strukturierung der Story einige Abstriche machen.
Prinzipiell ist es hilfreich, dass man, wenn auf verschiedenen zeitlichen Ebenen erzählt wird, Datumsangaben an den Kapitelanfang setzt. Doch hier verwirren diese Angaben zunächst. So wird eine Textpassage von einer Seite Länge mit einem Datum der Vergangenheit markiert, worauf dann fast übergangslos ein seitenlanges Kapitel in der Gegenwart folgt. Irgendwann kapiert man zwar, dass lediglich Passagen in der Vergangenheit mit einem Datum versehen sind, aber eine kleine weitere Markierung zwischen den Zeitebenen, ein Sternchen oder was auch immer, hätte hier mehr Klarheit geschaffen.
Dafür kann allerdings die Autorin nichts. Ob sie für einen spontanen Haarfarbenwechsel ihrer Hauptdarstellerin verantwortlich ist, sei dahingestellt. Was man Helen Black jedoch anlasten muss, sind einige erzählerische Unstimmigkeiten; am gravierendsten in der Handlung mit dem Privatdetektiv festzustellen, die am Ende wirklich gar keinen Sinn ergibt.
Nicht zu Ende erzählte Einschübe, bei denen man sich im Nachhinein fragt "Was sollte das?" gibt es einige. Dazu kommt, dass die Autorin in ihrem Bestreben ein möglichst knalliges Finale zu entwerfen, entsprechende Effekte aus dem Hut zaubert. Dazu zählen das unsäglich dämliche Verhalten eines Detective Inspektors und auch der Show-Down im Gerichtssaal, wo dann doch noch ein Klischee zu viel hervorgezerrt wird. Das alles wäre absolut nicht nötig gewesen, denn die Auflösung an sich ist durchaus stimmig, wird aber mit hanebüchener Action verdorben. Schade. Abschließend bleibt festzustellen, dass Helen Black das sozialkritische Thema beherrscht, die Storyführung allerdings ausbaufähig bleibt. Immerhin ist in Schuldspruch im Vergleich zu Rechenschaft ein deutlicher Aufwärtstrend erkennbar.
Helen Black, Fischer
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