Wilsberg und die Wiedertäufer
- Grafit
- Erschienen: Januar 1994
- 2
- Dortmund: Grafit, 1994, Seiten: 179, Originalsprache
Ein klitzekleiner Kirchenkrimi
Man stelle sich vor, der liebe Onkel von nebenan begibt sich auf Ermittlung. Georg Wilsberg, der Held in den Kriminalromanen von Jürgen Kehrer ist Inbegriff eines Homo Sympathicus. Ständig abgebrannt, mit leeren Taschen, ohne geregelten Job und ein regelmäßiges Einkommen. Abends geht es in die Kneipe, die sinniger Weise auch noch "Alcatraz" heißt. Und natürlich zahlt er sein Bier ebenso wenig, wie die Miete für seine Wohnung.
Da kommt ihm der Anruf von Monsignore Kratz gerade recht. Für DM 20.000 soll er einen Geldboten spielen, da das Bistum von einem "Kommando Jan van Leiden" erpresst wird. Wilsberg wurde sogar namentlich von den Erpressern als Bote gefordert. Das weckt natürlich sein Interesse. Wer aus diesen verbrecherischen Kreisen kennt ihn und will ihm so viel Gutes tun? Er beginnt zu ermitteln und stellt bald Kontakt zu jenem Kommando her, dessen Aktionen in kleinen Sachbeschädigungen ausarten, die der Kirche schaden sollen. Von einigen Mitgliedern hört er Gründe für deren Mitarbeit im Kommando, die durchweg mit Unrechtshandlungen zu tun haben. Er lernt Marion-Tori-Mareike kennen, in die er sich schnell verliebt und die fortan seine ganz private Mission darstellt: Er will sie vor einer Strafe bewahren.
Ein Krimi, der lange Zeit ohne einen Toten auskommt und der in besonderem Maße vom starken Typen Georg Wilsberg geprägt wird. Andere Charaktere treten nicht in den Vordergrund. Wenn man liest, wie sich dieser ehemalige Jurist, Briefmarkenhändler und Privatdetektiv schweigsam durch den Roman bewegt, dann beginnt man fast unweigerlich zu schmunzeln. Die Stadt Münster ist wirklich eine passende Kulisse für diesen Ermittler, der sehr westfälisch daher kommt. Langsam, behäbig, ruhig, gemütlich. Eine treue Seele, ein echter Münsteraner, ein wahrhaftiger Westfale.
Das besondere an diesem Roman ist die Aufarbeitung des Themas Wiedertäufer. Im 16. Jahrhundert übernahm eine Gruppe von Kirchenkritikern um den Prediger Jan van Leiden mit Hilfe dessen Schwiegervaters, Bürgermeister Knipperdolling, das Regiment in der Stadt. Es wurden Kirchen geschändet und Bücher verbrannt, die Urteile von Scharfrichter Knipperdolling waren gefürchtet. Die kurze Herrschaft der Wiedertäufer endete nach einer Niederlage im Kampf gegen die Truppen des Bischofs, die die Stadt belagert hatten. Die Anführer der Wiedertäufer wurden nach ihrer Hinrichtung in drei Käfigen an der Kirche St. Lamberti aufgehängt. Noch heute hängen die Käfige am Turm dieser Kirche.
Durch viele Querverbindungen schafft es der Autor, Interesse für die Geschichte seiner Wahlheimat Münster zu wecken. Der Krimi erschien 1994, nachdem eine ZDF-Verfilmung des historischen Wiedertäufer-Materials 1993 die Münsteraner Geschichte für kurze Zeit auch in einer breiteren deutschen Öffentlichkeit populär machte. Jürgen Kehrer benutzt Fußnoten, um auf die wichtigsten Werke zum Thema hinzuweisen und neugierig zu machen.
Die eigentliche Story plätschert ein wenig vor sich her. Kehrer pflegt eine klare Sprache, die immer wieder seinen Humor und seine Gemütlichkeit aufblitzen lässt. Die 180 Seiten lange Geschichte ist ideal für eine längere Zugfahrt, schnell und flüssig zu lesen, aber es fehlt irgendwie die gewisse Würze. Münsteraner werden es zudem einfach haben, ihre Stadt wiederzuerkennen. Wegen der Story allein muss man diesen Krimi nicht lesen, aber wer Wilsberg mag, wird die Wiedertäufer lieben.
Jürgen Kehrer, Grafit
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