Manhattan
- Piper
- Erschienen: Januar 1997
- 3
- London: Arrow, 1996, Titel: 'Isle of joy', Seiten: 304, Originalsprache
- München; Zürich: Piper, 1997, Titel: 'Manhattan Blues', Seiten: 375, Übersetzt: Hans-Joachim Maass
- Berlin: Suhrkamp, 2013, Seiten: 380
Der Makel Amerikas
Keine Frage, die USA sind ein schönes Land.
»Und es gibt schöne Menschen dort, die ein angenehmes Leben führen. Aber es gibt auch etwas unter dieser Oberfläche. Von Balzac stammt der Satz: Hinter jedem großen Vermögen steckt ein großes Verbrechen.«
Sagt Don Winslow. Wer die Krimis des kalifornischen Autors gelesen hat, der weiß: Es liegt einiges im argen in Amerika. Nicht erst seit gestern.
»Ich erinnere mich noch lebhaft an die Ermordung von Robert Kennedy und Martin Luther King. Als Kind wurden mir bestimmte Dinge über Amerika beigebracht – und dann kamen die Rassenunruhen und Vietnam. Das war wie der Verlust der Unschuld, auch wenn man das für naiv halten kann.«
Sagt Don Winslow. Wenig überraschend daher (und noch weniger naiv), dass er bereits in einem seiner ersten Romane, die verlegt wurden, genau diesem Verlust auf den Grund ging.
»Nicht weil ich die Firma weniger liebe, sondern weil ich Manhattan mehr liebe.«
Mit diesen Worten kündigt Walter Withers seinen Job bei der CIA in Schweden und kehrt mitsamt seiner Freundin, der hinreißenden Sängerin Anne Blanchard, zurück nach New York. Hier jobbt er fortan als Privatermittler, aber das tut vorerst nicht zur Sache, stattdessen stromert das verliebte Pärchen in den Vortagen zum Weihnachtsfest 1958 durch die Hotels und Bars, Clubs und Kneipen, Konzerte und Museen.
Mit einer Detailfreude, die an Pendanterie grenzt, zugleich jedoch auch Geist und Glanz einer längst vergangenen Ära einfängt, erweckt Don Winslow den Big Apple zum Leben, die Menschen, Musiker und Künstler, die sich und ihre Stadt schon immer für den Nabel der Welt hielten - und für die Trendsetter schlechthin.
Und tatsächlich, in jenen winterlichen Tagen 1958 treibt ein Wind of Change über die Straßen Manhattans. Der Jazz hat ausgedient, der Beat erobert die Kellerclubs, die neue Musik der Swinging Sixties – und natürlich freie Liebe.
Ein großes Thema auch für Joe Keneally, demokratischer Senator und angehender US-Präsident, unverkennbar das literarische Alter Ego John F. Kennedys. Der war bekannt für seine Affären, noch heute ranken sich Gerüchte darum, wie sehr sich die US-Geheimdienste das Wissen um Kennedys, pardon, Keneallys Libido zunutze machten.
Manhattan ist anders als Winslows jüngste Krimis, beispielsweise Tage der Toten, Zeit des Zorns oder Kings of Cool, in denen der Autor mit kurzen Kapiteln und noch knapperen Sätzen nicht nur das Tempo der Geschichte bis fast zur Unerträglichkeit hochschraubt, sondern auch die brutale, düstere Seite Amerikas beschreibt.
Manhattan ist wie eingangs erwähnt ein Frühwerk Winslows, 1997 als Manhattan Blues erstmalig ins Deutsche übertragen und nahezu unbeachtet geblieben, jetzt von Suhrkamp im Zuge der Vervollständigung des Winslow'schen Gesamtwerks erneut verlegt.
Nicht, dass Manhattan jeglicher Spannung entbehrt. Man muss nur bereit sein, dem Autor über mehr als die Hälfte des Buches hinweg durch ein bis ins Detail gezeichnete Sittengemälde der späten 50-er Jahre in New York zu folgen - bis Walter Withers abrupt in das Spiel der Spione um Joe Keneally gerät. Eigentlich sollte Withers nur für einen Abend den Bodyguard für Keneallys Gattin geben. Doch dann liegt eine von Keneallys Liebschaften tot auf Withers Hotelzimmer.
Mit einem Mal, nach mehr als 200 Seiten, kommt die eigentliche Geschichte in Fahrt. Plötzlich fügt sich alles, was anfangs nur wie ein großes, glanzvolles Stimmungsbild erschien - die Clubs, die Musik, die Atmosphäre, die Menschen -, zu einem großen Ganzen zusammen.
Schon in Manhattan ließ Winslow also das Talent erkennen, das er in seinen aktuellen Werken zur Perfektion treibt: das Entwickeln und Entfalten komplexer Geschichten, mit denen er schonungslos die Makel Amerikas enthüllt.
Insofern ist Manhattan nicht minder düster und brutal, in Zeiten eigenmächtiger Geheimdienste, NSA und deren Abhörprogrammen beängstigend realitätsnah, vor allem aber aktuell.
Wie sagt Senator Joe Keneally an einer Stelle:
»Ein Mann sollte ein hohes politisches Amt nicht um des Amts willen ansteben, sondern um dessentwillen, was es leisten kann. Ebenso wenig sollten die Menschen einen Kandidaten danach beurteilen, was er ist, sondern nach dem, was er bewirken kann. Und dieser Kandidat sollte sein Land nicht nur so betrachten, wie es ist, sondern erkennen, was es zu leisten vermag. Und es gibt eine Menge, was wir gemeinsam tun können, um aus dieser Nation das Land zu machen, das es sein könnte. Eine Nation, die allen ihren Bürgern unbegrenzte Möglichkeiten bietet, ein Land der Gerechtigkeit. Eine Nation, die als Leuchtfeucher der Freiheit dasteht, und zwar nicht nur für seine eigene Bevölkerung, sondern für alle Völker der Welt.«
Nie waren die Mächtigen Amerikas dieser Haltung ferner denn heute.
Don Winslow, Piper
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