Mittsommermord

  • Zsolnay
  • Erschienen: Januar 2000
  • 101
  • Stockholm: Ordfront, 1997, Titel: 'Steget efter', Seiten: 537, Originalsprache
  • Wien: Zsolnay, 2000, Seiten: 602, Übersetzt: Wolfgang Butt, Bemerkung: Deutscher Krimi-Preis 2001, 3.Platz international
  • München: dtv, 2002, Seiten: 604
  • München: dtv, 2005, Seiten: 604
  • Hamburg: Der Hörverlag, 2010, Seiten: 6, Übersetzt: Ulrich Pleitgen, Bemerkung: gekürzt
Mittsommermord
Mittsommermord
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2003

Von der ersten bis zur letzten Seite: Spannung, Logik, Dramatik

Drei junge Menschen aus der schwedischen Kleinstadt Ystad begehen das Mittsommerfest (21. Juni). Sie kleiden sich in die Gewänder des 18. Jahrhunderts und veranstalten in einem abgelegenen Waldstück ein nächtliches Picknick. Dabei werden sie von einem Mann ermordet, der es anschließend geschickt versteht, seine Tat zu verschleiern: Er sendet gefälschte Postkarten an die Angehörigen, um ihnen vorzugaukeln, dass sich die jungen Leute auf eine ausgedehnten Europa-Reise begeben haben.

Erst allmählich beginnt sich die Mutter einer der Ermordeten zu sorgen. Sie fordert die Polizei auf, nach ihrem Sohn zu suchen. Kommissar Kurt Wallander lässt sich von ihrer Besorgnis anstecken und ist dabei, Ermittlungen in die Wege zu leiten, als plötzlich sein Kollege und langjähriger Mitarbeiter Svedberg mit einer Schrotflinte erschossen in seiner Wohnung aufgefunden wird.

Die geschockten Polizisten von der Kriminalpolizei beginnen mit der Suche nach Svedbergs Mörder. Überraschenderweise stellt sich bald heraus, dass es zwischen diesem Fall und dem Verschwinden der drei jungen Leute eine Verbindung zu geben scheint: In Svedbergs Wohnung findet Wallander ein Foto von ihnen. Svedberg wusste also vor seinen Kollegen von dem Verbrechen; der Mörder hat dies erfahren und konsequent seinen Verfolger ausgeschaltet.

Drei Leichen im Wald

Kaum einen Schritt ist die Polizei weiter gekommen, als die Leichen der drei Vermissten im Wald gefunden werden. Der Mörder hat sie in ihren Kostümen zu einem grausigen Panoptikum arrangiert.

Wallander entdeckt, dass zu der Gruppe ein viertes Mitglied gehört - eine junge Frau, die kurz vor dem Mittsommerfest erkrankt ist und an dem Kostümfest nicht teilnehmen konnte; dies hat ihr das Leben gerettet. Nun treibt sie die Angst vor dem Mörder in die Flucht. Mühsam nimmt Wallander ihre Spur auf. Als er die Frau finden kann, muss er feststellen, dass sie ihm nicht helfen kann. Schlimmer noch: Der Mörder sucht ebenfalls nach der Frau. Getrieben von dem krankhaften Drang, auch noch das letzte Mitglied der Gruppe zu töten, folgt er ihr und bringt sie praktisch unter Wallanders Augen um.

Wieder steht die Polizei mit leeren Händen da. Die Unberechenbarkeit des Mörders macht es schwer, auf seine Fährte zu kommen. Immerhin stellt sich heraus, dass man es mit jemandem zu tun hat, den sein Hass auf glückliche Menschen zu seinen Taten treibt. Diese Theorie wird auf schreckliche Weise bestätigt, als der Mörder ein gerade getrautes Brautpaar und ihren Fotografen erschießt.

Gleichermaßen bedrängt von ungeduldigen Vorgesetzten, verängstigten Bürgern und der Presse, ausgelaugt durch die permanente Jagd auf den Mörder rund um die Uhr, gelingt es Wallander und seinen Kolleginnen und Kollegen endlich der ersehnte Durchbruch. Sie stellen den Täter in seiner Wohnung, doch er kann in letzter Sekunde entkommen. Nun, da er weiß, dass seine Festnahme nur noch eine Frage der Zeit ist, plant der geisteskranke Mann sein "Werk" mit einem letzten Mord zu krönen: Sein neuntes Opfer soll Kurt Wallander werden...

Wallanders schwerster Fall

Mittsommermord ist Kommissar Wallanders siebter Fall - und sein bisher schwerster. Die Jagd auf einen geisteskranken Serienmörder, der wahllos und ohne erkennbares Muster tötet, gehört zu den Alpträumen jedes Polizisten. So kann sich Autor Mankell über weite Strecken darauf beschränken, minuziös die mühsame und lange erfolglose Fahndungsarbeit der Ystädter Kriminalbeamten zu schildern, während der Täter praktisch unbehelligt seine Anschläge plant und durchführt. Erst man seine Identität aufdeckt, kann sich der Polizei-Apparat zielgerichtet in Gang setzen, doch auch jetzt geht noch schief, was schief gehen kann, wenn erschöpfte Männer und Frauen mit letzter Kraft eine gefährliche Aufgabe erfüllen sollen. Zu guter Letzt muss sich Kommissar Wallander dem Mörder im Alleingang und unter Lebensgefahr entgegen stellen.

Auch sonst gönnt Mankell seinem ohnehin nicht mit einem sonnigen Gemüt geschlagenen Helden kaum einen Lichtblick in seinem Leben. Die Polizeiarbeit erscheint Wallander als Kampf gegen Windmühlenflügel, seine Freundin hat ihn verlassen, er kann den Tod seines Vaters nicht verwinden, und dann erkrankt er auch noch an Diabetes und muss eine strenge Diät einhalten, was ihm aber nicht gelingt.

Durchweg ist der Grundton von Mittsommermord düster. Wie immer legt Mankell keinen "einfachen" Kriminalroman vor, sondern verknüpft seine Geschichte von der Jagd auf einen bizarren Serienmörder mit einem Blick auf den Zustand der modernen Gesellschaft, deren Zukunft an der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend wenig vielversprechend erscheint. Mankell ist pessimistisch und beschreibt den Untergang traditioneller Werte, die ersetzt werden durch Gleichgültigkeit, Profitgier und Gewalt, während sich eine immer tiefer werdende Kluft auftut zwischen denen, die sich mit den neuen Verhältnissen arrangieren können, und denen, die dabei auf der Strecke bleiben.

Da seine Kritik nicht als jammervolles Lamento daher kommt, sondern nüchtern und sachlich vorgetragen wird, ist ihre Wirkung um so nachhaltiger. Insofern ist das Ende nicht happy, aber konsequent: Während sich Wallander nur mühsam von den Strapazen der Ermittlung erholt, bevor er an seine ständig schwieriger werdende Arbeit zurück kehrt, beginnt der Mörder in seiner Gefängniszelle damit, seine Taten in einem Buch festzuhalten, das ihm Ruhm und viel Geld einbringen wird - er hat seine Lektion gelernt und einen Weg gefunden, der ihn, ein Niemand, heutzutage ins Rampenlicht der Öffentlichkeit bringt.

Mittsommermord ist ein Roman mit mehr als sechshundert Seiten, und obwohl acht Menschen zu Tode kommen, wird man liebevoll ausgestaltete Blutbäder, spektakuläre Verfolgungsjagden und ähnliche, scheinbar unverzichtbare Zutaten eines modernen Bestseller-Thrillers vergeblich suchen (aber auch nicht vermissen). Selbst das Finale, das Wallander zwingt, sich dem Mörder allein zu stellen, macht in dieser Hinsicht keine Zugeständnisse. Wenig heldenhaft stolpert der ausgepumpte Kommissar, der Pistole und Handy im Revier vergessen hat, mit einer aufgeklaubten Holzlatte "bewaffnet" seinem Gegner hinterher, und sein "Sieg" ist das Ergebnis von Verzweiflung und purem Zufall.

Niemand ist sicher

Trotz aller Düsternis hält Mittsommermord seine Leser mit betörenden Mühelosigkeit bei der Stange. Mankell schafft es, Figuren mit wenigen Worten - es sind halt die richtigen - zum Leben zu erwecken. Kurt Wallander und die Frauen und Männer der Polizei von Ystadt, jener Kleinstadt, die sich der Autor als Bühne für sein Panorama der modernen (schwedischen) Gesellschaft geschaffen hat, sind in sieben Romanen zu vertrauten Gestalten geworden. Da ist der Schock natürlich um so grösser, wenn sich herausstellt, dass in Henning Mankells Welt niemand "sicher" ist - dieses Mal trifft es Svedberg, der in den früheren Wallander-Romanen dem Kommissar so manches Mal zur Seite stand.

Das Talent Henning Mankells als Schriftsteller lässt sich auch daran ermessen, dass er die Qualität der Wallander-Romane offenbar mühelos von Mal zu Mal steigern kann. Mittsommermord ist wie gesagt der siebte Band, und ganz gewiss einer der Besten. Der anhaltende und stetig wachsende Erfolg beeinträchtigt die Qualität in keiner Weise. Erfreulicherweise ist der Autor seiner Figur auch noch längst nicht müde. Er behält das erstaunliche Tempo der letzten Jahre bei und hat nach Mittsommermord bereits zwei neue Wallander-Geschichten veröffentlicht - auch hier ist der Siegeszug durch die Bestseller-Listen vorprogrammiert.

Mittsommermord

Henning Mankell, Zsolnay

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