Online wartet der Tod

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2011
  • 1
  • New York: Henry Holt, 2007, Titel: 'Dead connection', Seiten: 319, Originalsprache
  • München: dtv, 2011, Seiten: 458, Übersetzt: Susanne Wallbaum
Online wartet der Tod
Online wartet der Tod
Wertung wird geladen
Jürgen Priester
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2011

Wie der Vater, so die Tochter

Alafair und James Lee - beide heißen Burke mit Nachnamen, aber Burke ist im englischsprachigen Raum ein landläufiger Familienname. Beide schreiben exzellente Kriminalromane. Wer die Dave-Robicheaux-Reihe von James Lee Burke gelesen hat, ahnt schon, in welchem Verwandtschaftsverhältnis James Lee und Alafair stehen, denn dort hat der "Grand Old Man" der amerikanischen Kriminalliteratur die Ziehtochter seines Helden nach seiner leiblichen Tochter Alafair genannt. Die Tochter in den Fußstapfen des Vaters? Krimitechnisch gesehen ja, aber stilistisch sind die beiden grundverschieden. Während der Vater den Leser mit seiner bildreichen Sprache in die schwüle Hitze der amerikanischen Südstaaten eintauchen lässt und mit Dave Robicheaux einen hartgesottenen, vom Leben gezeichneten Helden präsentiert, setzt die nächste Generation der Burkes konsequent auf eine moderne selbstbewusste Ermittlerin, die sich im Großstadtdschungel des "Big Apple" ihre ersten Meriten verdient. Wie der Vater, so stattet auch Alafair Burke ihre Heldin mit autobiographischen Zügen aus, was in beiden Fällen zu einer intensiven Ausstrahlung führt.

Online wartet der Tod ist nicht gerade ein zugkräftiger Titel und kann zudem missverstanden werden. Man könnte meinen, man habe es hier nur mit einem der gerade in Mode kommenden Online-Killer-Thriller zu tun. "Dead Connection" - Tote Verbindung - heißt es im Original, was mindestens so vieldeutig ist wie die Handlung vielschichtig. Alafair Burkes Debüt hat Pageturner-Qualitäten mit Thriller-Anleihen, ist aber eindeutig ein "Police Procedural", denn die Ermittlungsarbeit der Mordkommission des NYPD steht im Vordergrund. An diese wird Ellie Hatcher, frischgebackene Detektivin im Betrugs- und Diebstahldezernat, ausgeliehen.

"FirstDate.com" ist eine Internet-Kontaktbörse. Für zwei ihrer weiblichen Mitglieder endete das erste Date tödlich. Detective Flann McIllroy von der Mordkommission geht von ein und demselben Täter aus, nicht nur, weil beide Frauen bei FirstDate waren, sondern auch weil der zweite Mord genau am ersten Jahrestag des ersten geschah. Detective McIllroy steht mit seiner Einschätzung so ziemlich allein da, besitzt aber gute Kontakte nach "oben". So hat der stellvertretende Polizeipräsident ihn zum Sonderermittler berufen und gewährt ihm in seinen Nachforschungen freie Hand. Nicht ohne Hintergedanken holt McIllroy eine attraktive Detektivin aus dem benachbarten Revier mit ins Boot. Ellie Hatcher ist sowohl von ihrem Alter als auch von ihrem Äußeren her den beiden Ermordeten ähnlich und damit geradezu prädestiniert, den "Lockvogel" zu spielen. Doch McIllroy hat die Fähigkeiten seines neuen "Partners" unterschätzt. Ellie ist aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Dank ihres analytischen Verstandes und ihrer erstaunlichen Kombinationsgabe nimmt sie schnell das Heft in die Hand.

Anfänglich sieht es wirklich so aus, als ob die Polizei es hier mit einem Serienmörder zu tun bekäme, der seine Opfer über die Kontaktbörse ausforscht und sich ihnen dann physisch nähert. Deshalb richten sich die Ermittlungen gegen die Firma FirstDate, deren Chef sich strikt weigert, irgendwelche Daten preiszugeben. Hatcher und McIllroy sehen sich gezwungen, andere Wege einzuschlagen.Sie stoßen dabei auf eine länger zurückliegende Straftat, die sich zwar über eine Tatwaffe mit den Frauenmorden in Verbindung bringen lässt, nicht aber vom Motiv her. Müssen die Karten jetzt neu gemischt werden? Der Fall, wenn es denn einer ist, ist weitaus komplizierter als erwartet.

Zum größten Bedauern aller Fans erschien der letzte Kriminalroman aus der Dave-Robicheaux-Reihe von Vater Jim in deutscher Übersetzung im Jahre 2002. Warum auch immer diese Reihe hier bei uns eingestellt wurde, es bleibt zu hoffen, dass es der Tochter nach ihrem vielversprechenden Deutschland-Debüt nicht ebenso ergeht.

In den USA hat Alafair Burke bisher sieben Romane in zwei Serien veröffentlicht. Presse und Kollegen sind des Lobes voll - "two power house series"- so die Sun-Sentinel oder Dennis Lehane: "Alafair Burke is one of the finest young crime writers working today".

Ihre erste Serie mit der Staatsanwältin Samantha Kincaid spielt in Portland, Oregon, wo Alafair ihre College-Jahre verbrachte. In New York, wo die Autorin zur Zeit lebt und arbeitet, ermittelt Ellie Hatcher, deren Einstand wir in Online wartet der Tod miterleben dürfen.

Ellie Hatcher macht bei ihrem ersten Auftritt einen herzerfrischenden, unkomplizierten Eindruck. Ihr forsches Auftreten den Kollegen, insbesondere dem brummigen, eigenbrötlerischen McIllroy gegenüber zeugt von Selbstbewusstsein. Sie weiß, was sie kann und ist gewillt, dies auch umzusetzen, ohne sich vom Imponiergehabe ihrer Kollegen beeindrucken zu lassen. Ganz unbelastet von früheren oder künftigen Beziehungen konzentriert sie sich ausschließlich auf ihre Arbeit, was ihr zwar den ständigen Spott ihres jüngeren Bruders einträgt, doch darüber geht sie mit einem Lächeln hinweg.

Das einzig belastende Ereignis in ihrer Vergangenheit ist der Tod ihres Vater, der in Ausübung seines Berufes – er war Detective in Wichita, Kansas, ihrer Heimat – umgebracht wurde, wie Ellie vermutet, oder - nach offizieller Lesart - Selbstmord beging. Eine Diskrepanz, die Ellie nicht ruhen lässt, jedoch keine traumatischen Schäden verursacht hat. Ellie versieht ihren Dienst recht unbeschwert. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt in der Datenanalyse und der Internet-Recherche, aber auch auf der Straße steht sie ihren "Mann".

Ellie Hatcher ist eine Romanfigur, die einem vom ersten Augenblick an sympathisch ist. Alafair Burke hat ihr eine Sprache in den Mund gelegt, die von Selbstvertrauen strotzt und einen feinsinnigen Humor durchschimmern lässt. Schon die lebendige Ausstrahlung der Heldin verleiht der Handlung den nötigen Pepp, um sie vom amerikanischen Einheitsbrei abzugrenzen. Man spürt als Leser die Zuneigung, die die Autorin mit ihrer Figur verbindet. Das kann von Vater Jim abgefärbt sein, denn dessen Herzblut pulsierte auch in den Adern seines Helden Robicheaux. An dieser Stelle sei auf eine nette Grußadresse von der Tochter zum Vater hingewiesen: Während der Ermittlungen muss sich Ellie Hatcher mit Detectives in Louisiana in Verbindung setzen und wen hat sie dort am Telefon? Dave Robicheaux!

In diesem Jahr wurde der Buchmarkt von einer Unzahl neuer Krimis und Thriller überschwemmt. In manchen Monaten waren es um die 200 Erstveröffentlichungen. Eine Menge, die selbst das aufmerksame Krimi-Couch-Team nicht gänzlich überschauen kann. Fast wäre uns dieses famose Deutschland-Debüt entgangen. Es ist doch von Vorteil, wenn man einen zumindest in Krimi-Kreisen bekannten Namen trägt.

So ist Online wartet der Tod ein gelungener erster Auftritt einer vielversprechenden jungen Autorin, der man auch für Deutschland die Aufmerksamkeit wünscht, die sie in den USA schon genießt.

Online wartet der Tod

Alafair Burke, dtv

Online wartet der Tod

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Online wartet der Tod«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren