Totenwinter
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2011
- 1
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011, Seiten: 343, Übersetzt: Thomas Merk
Der Mann gehört in Urlaub
Inspektor Kari Vaara freut sich eigentlich, als er endlich in einem Mordfall und damit in seinem alten Metier ermitteln kann. Aber hier ist die Freude nur von kurzer Dauer: Lassen die Umstände, durch die das Mordopfer zu Tode gequält wurde, Kari nicht nur an den Menschen an sich zweifeln, so widerstrebt ihm auch der Eifer seines Chefs. Der setzt nämlich alles daran, dass alsbald der Liebhaber der Ermordeten als Täter verurteilt wird. Nur hat die Sache einen Haken: Vaara ist davon überzeugt, dass bei diesem Urteil kein Recht gesprochen würde.
Bei der Lektüre von James Thompsons Totenwinter drängt sich dem Leser zur Person Kari Vaara’s ein Gedanke auf: Der Mann gehört einmal in Urlaub! Nicht nur, dass er infolge seines letzten Falles erhebliche körperliche Blessuren davon getragen hat. Nicht nur, dass ihn die Erinnerungen an eben diesen Fall immer wieder heimsuchen. Nicht nur, dass er sich mit der nervigen Verwandtschaft seiner Frau Kate herumschlagen muss. Diese Liste könnte noch um diverse weitere Baustellen erweitert werden und wäre damit noch immer nicht abgeschlossen. Kurzum – hier winkt ein Burnout- bzw. ein Tinnitus-Syndrom. Dennoch lässt James Thompson seinen Helden weiter rackern und ackern und stellt dabei die Geduld des Lesers auf so manche Probe. Warum zum Beispiel muss immer und immer wieder auf die dramatischen Entwicklungen des letzten Falls verwiesen werden? Natürlich ist es nachvollziehbar, dass auch ein Polizeibeamter schreckliche Erlebnisse nicht einfach abschütteln kann. Andererseits ist es aber auch nachvollziehbar, dass ein Autor noch einmal auf sein letztes Werk Eisengel hinweisen möchte….
Lässt man diese Punkte aber außen vor, so kann man dem Totenwinter auch durchaus interessante und angenehme Seiten abgewinnen. Anhand verschiedener Handlungsebenen werden so zum Beispiel die Mentalität und der Lifestyle der Finnen sympathisch aufbereitet. Das geschieht insbesondere in Diskussionen und Interaktionen mit Kates Geschwistern, die der Auffassung sind, dass Amerikaner sowieso die besseren Menschen sind und im Laufe ihres Aufenthaltes die eine oder andere Überraschung erleben. Bei diesen Kontakten gelingt es dem Autor auch schon fast anrührend die weiche Seite des sonst so harten Kari herauszulocken. Steht dieser sonst Gewalt nicht unbedingt ablehnend gegenüber, so versucht er unbedingt seine Frau allein vor der Einsicht zu schützen, dass ihr Bruder offensichtlich nicht mehr dem Idealbild entspricht, dass sie sich einst von ihm gefertigt hatte.
Diese zarte Seite schafft einen angenehmen Kontrast zu den sonstigen Darstellungen, die Vaara gern als "harten Hund" charakterisieren. Bei diesen Eigenschaften hat es Thompson mit seinem Helden mehr als gut gemeint. Wer kann schon, obwohl von schwerer Migräne und einhergehender Schlaflosigkeit geprägt und von Gesichtsnarben infolge einer Schussverletzung gezeichnet sich dennoch fröhlich immer sein Schnäppschen picheln? Aber auch hier muss der Eindruck entstehen, dass Thompson wieder so versessen ist, auf den letzten Fall des Helden hinzuweisen, dass die Logik in den Hintergrund tritt.
Leider muss diese Kritik auch zu der eigentlichen Auflösung des Mordfalls angebracht werden. Stellte sich im Totenwinter kurioserweise nicht die Frage nach dem Täter sondern vielmehr nach der Beweisbarkeit, ist es Thompson gelungen, eine relativ elegante Auflösung zu erschaffen. Die anschließenden zusätzlichen Verwicklungen zur Identität des Mordopfers, wären aber sicherlich entbehrlich gewesen, erscheinen sie doch mehr als phantastisch.
Insgesamt kann man Thompsons Helden eine ordentliche Arbeit bescheinigen. Aber bitte, jetzt sollte der Junge wirklich mal Urlaub machen.
James Thompson, Rowohlt
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