Selbstauslöser

  • Hoffmann & Campe
  • Erschienen: Januar 2011
  • 3
  • Madison: Tyrus, 2009, Titel: 'Double exposure', Seiten: 204, Originalsprache
  • Hamburg: Hoffmann & Campe, 2011, Seiten: 4, Übersetzt: Stephan Benson
Selbstauslöser
Selbstauslöser
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Jürgen Priester
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2011

MM - Memento mori

MM – diese beiden Buchstaben, die für "Memento moriendum esse" - "Bedenke, dass du sterblich bist" stehen, ritzt der Held von Michael Listers Deutschland-Debüt kurz vor dem Ende einer nächtlichen Verfolgungsjagd in den Stamm einer Zypresse. Eine Schar von Verbrechern hetzte ihn wie ein Tier durch die sumpfige Wildnis Floridas, konfrontierte ihn so unvorbereitet mit seiner eigenen Sterblichkeit.

Selbstauslöser – im amerikanischen Original Double Exposure (Doppelbelichtung) – ist einer von Michael Listers zahlreichen Romanen, aber der erste, der ins Deutsche übertragen wurde. Entsprechend unbekannt ist der Autor hier bei uns, während er in seinem Heimatstaat Florida eine feste Größe ist. Das verdankt er sicherlich seiner Vielseitigkeit. Der studierte Theologe ist nicht nur Romancier, sondern betätigt sich zudem als Drehbuch- und Bühnenautor, Kolumnist und nicht zuletzt als aktiver Umweltschützer. Lister bezeichnet sich selbst als Regional-Schriftsteller, dessen Zuneigung und Engagement dem Landstrich gilt, in dem er geboren und aufgewachsen ist, in dem er heute noch lebt und arbeitet.

Rein äußerlich betrachtet, macht das Buch einen unscheinbaren Eindruck. Der Titel Selbstauslöser mag vielleicht neugierig machen, aber der stolze Preis von 20 Euro bei gerade mal 240 Seiten (wenn man in diesen Kategorien denkt) bewirkt erfahrungsgemäß eine Kaufzurückhaltung. So ist es schon erstaunlich, dass man bei einem bekannten Online-Anbieter auf mehr als 40 Kommentare stößt. Anhand der divergenten "Sterne"-Verteilung kann man feststellen, dass es einerseits viel Zustimmung gegeben hat aber andere - von was auch immer zum Kauf verleitet - in ihren Erwartungen enttäuscht wurden und ihren Unmut ziemlich drastisch kundtun. Wer in Selbstauslöser einen einfach gestrickten Thriller vermutete, der hat aufs falsche Pferd gesetzt. Wer indes ein Faible für Ernest Hemingway, Graham Greene, John Updike, Cormac McCarthy, James Lee Burke oder Ron Hansen hat, denn diese illustre Schar nennt Lister als Quelle seiner Inspiration, der wird an Selbstauslöser seine helle Freude haben.

Ungewöhnlich und deshalb schon gewöhnungsbedürftig ist allein Listers freizügige Syntax. Er arbeitet mit Satzfragmenten, Phrasen, der Aneinanderreihung einzelner Worte: Substantive, Adjektive, Verben und/oder Adverbien. Das schafft Freiräume, die der geneigte Leser mit eigener Fantasie und nach Gusto füllen kann.

 

Realistisch. Praktisch.
Ausbildung. Arbeit. Aufgaben.
Hochzeit. Hypothek.

 

So führt Lister beispielsweise seinen Helden, den Werbefachmann und verhinderten Fotografen Remington James ein. Ein Leben auf den Punkt gebracht. Erst später erfährt der Leser Näheres, wenn der Protagonist ganz gegen seinen Willen gezwungen ist, eine Bestandsaufnahme seines Lebens zu machen.

Remington James´ Krise beginnt, als der plötzliche Tod seines Vaters ihn wieder in seine Heimat verschlägt. Die kranke Mutter muss betreut werden und Vaters Waffengeschäft mit angeschlossener Pfandleihe muss weiter geführt werden. Bis dato hatte er eher lustlos in einer Werbeagentur gearbeitet und in seiner Ehe mit Heather stand es auch nicht zum Besten. So ist ihm die Abwechslung ganz willkommen, kann er jetzt auch wieder seiner alten Leidenschaft, der Outdoor- Fotografie frönen. In seiner Freizeit ist er in der Wildnis des Apalachicola-Rivers unterwegs, hat dort einige Kamerafallen installiert, um menschenscheue Tiere abzulichten. Bei einer seiner regelmäßigen Kontrollen muss er feststellen, dass eine seiner Kameras Zeuge eines Mordes geworden ist. Die digitale Zeiteinblendung auf den Bildern verrät ihm, dass die Tat erst kürzlich begangen wurde. Und richtig, der mutmaßliche Mörder treibt sich noch in der Gegend herum. Remington gelingt es, ihn zu fotografieren, wird dabei aber von seinem Gegenüber entdeckt. Nach einem Wortwechsel kann Remington nur noch seine Beine in die Hand nehmen und fliehen, da der Mörder Jagd auf ihn machen wird. Ein nächtliches Katz- und Mausspiel auf Leben und Tod nimmt seinen Lauf.

Michael Lister inszeniert das nächtliche Drama in einem atemraubenden Tempo. Der Protagonist von mehreren Männern gehetzt, im Angesicht des Todes, der hinter jedem Baum, Strauch oder Fels lauern kann. Wie in der sprichwörtlichen Nahtoderfahrung spult sich sein ganzes Leben vor seinem inneren Auge ab. Keiner Chronologie folgend entstehen Bilder aus der Kindheit, Jugend und späteren Jahren. Erinnerungsfetzen von Erlebnissen mit seinem Vater, die weisen Worte seiner Mutter, verpasste Gelegenheiten und falsche Entscheidungen – Gedanken, die in keinem kausalen Zusammenhang mit seiner akut brenzligen Situation stehen, in der es primär gilt, die eigene Haut zu retten.

Je wilder die Hatz auf Remington James wird, desto bedrohlicher wird das Pulsieren von Listers Satzakrobatik. Frequenz und Rhythmus steigern sich zu einem stakkatoartigen Hämmern, das eine unwiderstehliche Sogwirkung auf den Leser entfaltet. Erst im Licht des neuen Morgens gibt der Strudel den Helden und den Leser wieder frei. Remington James hat seine Bestimmung gefunden. Wir sehen ihn am Ufer des lang herbeigesehnten Flusses stehen, auf dem sich das rettende Kanu nähert. Aber das Leben ist selten so gnädig, wie man es sich wünscht.

Der Leser bleibt zurück mit der Erkenntnis, dass es nicht mehr als 240 Seiten und eine Nacht bedarf, um eine hochdramatische Geschichte zu erzählen, wenn der Autor die richtigen Worte findet und sie auf eine ganz besondere Art zu setzen versteht. Selbstauslöser ist ein kleines Highlight, an dem man nicht vorbeischauen sollte.

Selbstauslöser

Michael Lister, Hoffmann & Campe

Selbstauslöser

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