Zu viele Köche
- Nest
- Erschienen: Januar 1957
- 3
- New York; Toronto: Farrar & Rinehart, 1938, Titel: 'Too many cooks', Seiten: 303, Originalsprache
- Frankfurt am Main: Nest, 1957, Seiten: 335, Übersetzt: Carl Brinitzer
- Frankfurt am Main: Ullstein, 1959, Seiten: 190
- München; Wollerau: Goldmann, 1967, Seiten: 208
- Stuttgart: Klett-Cotta, 2017, Seiten: 248, Übersetzt: Gunter Blank
Spitzen-Koch endet mit Messer im Rücken
Normalerweise verlässt Privatdetektiv Nero Wolfe seine luxuriöse Unterkunft (und seinen Orchideengarten) nicht. Es muss schon etwas Besonderes geschehen, um ihn aus New York zu locken. In der Regel hat es mit gutem Essen zu tun, denn Wolfe ist ein Feinschmecker. Obwohl er die Reise fürchtet, folgt er deshalb einer Einladung der "Quinze Maítres": Fünfzehn grandiose Küchenmagier treffen sich alle fünf Jahre, um zu fachsimpeln, füreinander zu kochen - und zu streiten, denn sie sind Exzentriker, die ihre Rezepte eifersüchtig hüten und (kulinarische) Niederlagen weder vergessen noch vergeben.
Dieses Mal findet die Zusammenkunft im US-Staat West Virginia und dort im vornehmen Kanawha Spa statt. Nur zehn Köche konnten kommen, was die Harmonie keineswegs fördert. Vor allem Phillip Laszio steht im Kreuzfeuer seiner kritischen Kollegen, die ihn für einen Hochstapler halten, der die hehre Kochkunst für den schnöden Mammon verrät. Koch (und Wolfe-Freund) Marco Vukcic hegt einen besonderen Groll gegen Laszio, der ihm die Gattin ausgespannt und geheiratet hat.
Dina Laszio ist es, die Wolfe um Hilfe bittet: Man habe den Koch-Zucker des Ehemanns gegen Arsen ausgetauscht, was nur zufällig entdeckt wurde. Wolfe lehnt ab, da er nicht an einen Anschlag, sondern an Wichtigtuerei glaubt. Das rächt sich, denn als sich die Köche kurz darauf in einem Wettbewerb messen, entdeckt ausgerechnet Wolfe Laszio, der mit einem Messer im Rücken tot hinter einem Paravent liegt.
Die örtliche Polizei ist erfreut über die Anwesenheit des berühmten Detektivs und will ihn unbedingt in die Ermittlungen einschalten. Wolfe sträubt sich; er will essen und so rasch wie möglich nach New York zurück. Als er erkennt, dass man ihn erst ziehen lassen wird, wenn der Fall geklärt ist, macht er sich widerwillig an die Arbeit ...
Raus aus dem Sessel!
Zwar überlässt er die Laufarbeit wie üblich seinem ebenso fähigen wie geplagten Assistenten Archie Godwin, aber trotzdem fühlt sich Wolfe in seinem fünften Fall wie ein Fisch auf dem Trockenen. Rex Stout, sein geistiger Vater, schuf mit Nero Wolfe beinahe die Karikatur des klassischen "armchair detective", jenes Typs von Ermittler, der einen Fall mit reiner Geisteskraft angeht, sich Indizien und Fallberichte ins Haus bringen und in seinem Lehnstuhl sitzend Fakten und Fehler so lange durch sein Hirn laufen lässt, bis dieses die Wahrheit über Tathergang und Täter herausgefiltert hat.
So "arbeitet" normalerweise auch Wolfe, wenn er sich nicht in seinen berühmten Orchideengarten zurückzieht bzw. sich von seinem Leibkoch Schlemmereien in möglichst vielen Gängen servieren lässt. So wundert es nicht, dass Wolfe auch deshalb sein Heim ungern verlässt, weil ihm dies im Laufe vieler guter Jahre einen beachtlichen Leibesumfang beschert hat. Der dicke Detektiv hasst Bewegung, sie strengt ihn an. Deshalb bestellt er Klienten - die er angeblich nur duldet, weil er sein schönes Leben finanzieren muss - sowie Zeugen, Verdächtige, Polizisten etc. in sein Refugium.
Dennoch liebt Wolfe wie jeder Detektiv der Kriminalliteratur sein Handwerk. Er beherrscht es vorzüglich und hat kein Problem damit, dies stets und überall kundzutun. Deshalb muss man ihn auch dieses Mal nicht lange bitten, obwohl Wolfe sich vordergründig darüber beklagt, zur Ermittlung quasi erpresst zu werden. Von der Polizei hält er prinzipiell wenig; in New York bereitet es ihm großes Vergnügen, vor allem seine Intimfeinde Inspektor Cramer und Sergeant Stebbins dumm aussehen zu lassen. Dieser Linie bleibt er auch in West Virginia treu.
Wolfe in Bewegung
Die erzwungene Betriebsamkeit mag gegen die liebgewonnene Routine des "typischen" Nero-Wolfe-Romans verstoßen. Dem Verfasser bietet sie jedoch die willkommene Möglichkeit, die normalerweise kleine Welt seiner Hauptfigur zu verlassen, um Wolfe aktiver als sonst in die Handlung zu bringen. In der Regel verschwindet Wolfe, sobald sich die Ereignisse außerhalb der Mauern seines Hauses verlagern. Archie Goodwin, der Wolfe Arme und Beine ersetzt, übernimmt und trägt zusammen, was sein Chef auf die weiter oben beschriebene Weise auswertet und im Rahmen eines großen Finales dramatisch präsentiert.
Dabei taugt Wolfe durchaus als "richtiger" Detektiv; schließlich erwähnt er selbst seine Vergangenheit als Geheimagent, die ihn vor dem Ersten Weltkrieg durch die ganze Welt trieb. Was er dabei lernte, hat Wolfe keineswegs verlernt. Er mag faul geworden sein, aber wird sein Interesse geweckt, läuft er zu großer Form auf. Dieses Mal wird er sogar angeschossen, was seinen Zorn weckt - ein kapitaler Fehler des Täters, den Wolfe bisher nur halbherzig verfolgt hatte. Nun wirft er sein Hirn an und macht sich voller Entschlossenheit auf die Täterjagd. Zwar ist Goodwin Kummer (und Überraschungen) gewohnt, aber auch er lernt neue Seiten an seinem Chef kennen, der durchaus seinen Schlaf oder seine Völlerei vergessen kann, wenn sein Ehrgeiz (oder sein Zorn) geweckt ist. Für den Leser bedeutet dies eine vergnügliche und rasante Ermittlung, die britische Whodunit-Regeln mit US-amerikanischer Hemdsärmeligkeit kombiniert.
Vergleichsweise früh lässt Wolfe im genretypischen Finale die Katze aus dem Sack. Üblicherweise wird die Demaskierung des Übeltäters dramaturgisch in die Länge gezogen. Stout ist es wichtiger, die Hintergründe der Tat zu schildern. Man muss seinem schriftstellerischen Geschick und Schwung zugutehalten, dass der Leser nicht merkt bzw. verzeiht, wie überkompliziert das aufgedeckte Mord-Komplott eigentlich ist.
Ganz neue Seiten
Der dicke Detektiv und sein taffer Gehilfe retten hübsche Frauen bzw. "Mädchen" und düpieren die dickfellige Polizei mit Geistesblitzen und schlauen Tricks: Auf diese Formel brach man hierzulande (nicht nur) die Nero-Wolfe-Serie herunter. "Krimis" waren lange Romane, in denen Fälle gelöst = Strolche überführt wurden, während Politisches bzw. Systemkritisches außen vor zu bleiben hatte. Wenn sich fremdsprachige Autoren daran nicht hielten, sprang gern der deutsche "Übersetzer" ein, der im Einklang mit dem Verlag strich, was Anstoß erregen oder den deutschen Krimi-Michel eventuell aus seinem Vergnügen reißen konnte. Auf diese Weise ließen sich Romane zudem einfacher in das genormte Schema (128 oder 144 oder 160 oder 192 Seiten) pressen, das deutsche Verlage bis hoch in die 1980er-Jahre schätzten, weil es ihnen half, die jeweils erforderlichen Papier- und Druckkosten zu kalkulieren.
Im 21. Jahrhundert werden die Klassiker zwar viel zu selten wiederentdeckt. Geschieht es aber, kommen sie endlich ungefiltert an ihre Leser. Selbst Rex Stout, der über Jahrzehnte von diversen deutschen Verlagen in eindrucksvollen Auflagen gedruckt wurde, gewinnt plötzlich eine Dimension, die ihn über die Simpel-Übersetzungen der Vergangenheit hebt. Stout war ein Autor, der oft nicht gerade genial verzwickte Plots präsentierte, sondern lieber Wolfes Exzentrik und seine Ermittlungstricks in den Mittelpunkt stellte. Andererseits war er kein Mann, der die Augen vor zeitgenössischen Problemen verschloss, sondern sie in seine Kriminalromane einfließen ließ, um sie quasi spielerisch seinem Publikum vorzustellen.
In "Zu viele Köche" thematisiert Stout jene Diskriminierung, die in den 1930er Jahren US-Alltag war. Schwarze Männer und Frauen wurden vom weißen Establishment am liebsten in Dienstboten-Stellungen und politisch, sozial oder kulturell "unauffällig" und untertänig gesehen. Sheriff Pettigrew übernimmt stellvertretend die Rolle des Rassisten - "In West Virginia siezen wir keine Nigger" -, während Wolfe auf einem Dialog in Augenhöhe mit den farbigen Mitarbeitern des Kanawha Spa besteht und deshalb Informationen erhält, die einer Ordnungsmacht, die schwarze = grundsätzlich verdächtige "Mitbürger" erst einmal einsperrt und im Verhör möglichst grob anfasst, vorenthalten wurden.
Dass Wolfe als Vertreter von Rassengleichheit recht didaktisch (jedoch nicht gönnerhaft-herablassend) wirkt, liegt daran, dass er in dieser Eigenschaft als Sprachrohr des Verfassers dienen muss. Stout verabscheute Diskriminierung, und für das Jahr 1938 fand er erstaunlich offene Worte. Sie haben endlich ihren Weg in eine neue deutsche Übersetzung gefunden, die auch sonst ein Paradebeispiel dafür ist, wie sich tüchtig angejahrter "Verbrauchsliteratur" in ein nostalgisches aber spannendes und vergnügliches Krimi-Vergnügen verwandeln kann. Ein kundiges Nachwort, das solche u. a. Hintergründe erläutert, rundet es ab.
Rex Stout, Nest
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