Feindberührung
- Knaus
- Erschienen: Januar 2011
- 3
- München: Knaus, 2011, Seiten: 383, Originalsprache
Fehlendes Timing
Wäre man gleichermaßen zynisch wie an der Hebung des deutschen Kriminiveaus interessiert, müsste man die weltweiten Kampfeinsätze der Bundeswehr begrüßen. Ein neues, großes Thema tut sich da auf, abseits von kulinarischen Morden in Hintertupfung und leichendekorierenden Serienkillern mit viel Humor wartet ab sofort die brutale Wirklichkeit des Krieges (früher auch als "Entwicklungshilfe mit Waffen" bekannt) auf deutsche Krimischaffende und –konsumenten. Und damit völlig neue Personentypen, Menschen mit "posttraumatischen Belastungsstörungen" (PTBS) zum Beispiel. Das Fernsehen hat dieses Potential schon entdeckt, jetzt zieht die Kriminalliteratur langsam nach – und in Person von Gregor Weber, Kommissar-Darsteller der saarländischen Tatort-Beiträge, vereint sich das auf's Schönste. Auf's Schönste? Leider nicht ganz.
Erzählt wird die Geschichte des Afghanistan-Veteranen Lars "Bomber" Rems, der bei seinem letzten Einsatz in eine perfide Sprengfalle geriet und beide Beine einbüßte. Er trennt sich von Frau und Kind, zieht in ein übelbeleumundetes Wohnghetto und handelt fortan mit Rauschgift, wobei ihm seine früheren Kontakte zur Rockergang "Skulls" zugute kommen. Dann wird Rems, der einstige harte Hund, erstochen und die Polizei macht sich an die Aufklärungsarbeit.
Jetzt kommt das Ermittlerpärchen Grewe / Therese Svoboda ins Spiel. Sie vermuten das Tatmotiv in Rems' krummen Geschäften mit den "Skulls", was nahe liegt, aber – der erfahrene Krimileser ahnt es sogleich – eine falsche Spur ist. Bis man auf die richtige stößt, dauert es eine Weile. Zu lange, muss man sagen. Womit wir bei etwas Grundsätzlichem wären, dem Timing und der Erzählgeschwindigkeit. Da macht Weber zunächst einiges richtig. Die Situation in Afghanistan, das Entdecken der Sprengfalle, ihre Entschärfung und die böse Überraschung am Ende, das zieht sich wie ein roter Faden durch den Text, wird minutiös geschildert, steigert die Spannung. Leider behält Weber dieses Erzähltempo auch sonst bei. Wenn sich Grewe rasiert, dauert das fast eine ganze Druckseite lang. Schön für pubertierende Erstrasierer, die hier ausführlich über die Kunst der Bartentfernung informiert werden, eher langweilig für alle anderen.
Auch hat sich Weber, was zu loben ist, gründlich über die Polizeiarbeit informiert und breitet seine Kenntnisse en détail aus. Das erinnert bisweilen an die alten Stahlnetz-Krimis mit ihrem halbdokumentarischen Anspruch und kommt eine Spur zu dozierend daher. Eine gute Idee war es gewiss auch, die Figur des Ermittlers Grewe in Kontrast zu den sonstigen problembeladenen Typen aufzubauen. Grewe ist glücklich verheiratet, hat wohlgeratene Kinder – nur wird uns das einige Male zu oft und zu ausführlich geschildert. Dass er am Ende denn doch sein "persönliches Trauma" offenbart, versteht sich. Auch seine Kollegin Svoboda hat mit einem solchen Trauma zu kämpfen – und so schließt sich der Kreis. Es geht um das, was wir aus der Kriminalliteratur bis zum Überdruss kennen, um die "inneren Dämonen". Auch das wäre in Ordnung, ginge es denn tatsächlich darum. Doch die zentrale Figur des "Bomber" Rems bleibt im Dunkeln, ebenso die des Täters und seiner Situation. Selbst dagegen ließe sich nichts einwenden, denn so bleibt uns viel Psychologie für Anfänger erspart. Nur, was ist die Alternative? Wir lernen ein paar Rocker kennen, die genau dem Rockerklischee entsprechen, ein paar Bundeswehrsoldaten, wie man sie sich ebenfalls vorstellt, dazu einem Ermittlerteam, dessen Beteiligte irgendwie "markant" sein sollen, es aber nicht sind. Thema verfehlt? Irgendwie schon. Und das ist sehr schade, denn gute Ansätze finden sich durchaus beim Romandebütanten Weber.
So aber liegen die möglichen Erzählstränge reichlich unter viel Erzählschutt begraben. Nichts gegen Präzision, aber hier macht sie keinen Sinn. Nichts gegen ein wenig Menscheln, ein wenig Alltag, doch hier bleibt der eigentlich Kern des Romans, der Konflikt des bewaffneten Einsatzes in Kriegsgebieten nämlich, auf der Strecke. Man hätte Weber ein konsequenteres Lektorat gewünscht, auch wenn es den Text möglicherweise auf dichte 250 Seiten eingedampft hätte. Neue Themen verlangen auch nach neuen Formen der Bearbeitung. Die hat Weber leider nicht für sich gewählt. Schade ist das schon und letztlich auch kein Beinbruch. Weber hat Talent und wird seine nächste Chance bekommen.
Gregor Weber, Knaus
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