Little Caesar
- Amsel
- Erschienen: Januar 1955
- 1
- Garden City, N.Y.: Doubleday, 1929, Titel: 'Little Caesar', Originalsprache
- München; Wien; Basel: Desch, 1963, Titel: 'Kleiner Cäsar', Seiten: 174, Übersetzt: Georg Kahn-Ackermann
- Berlin: Amsel, 1955, Seiten: 220, Übersetzt: Günter Stephan
- München: Heyne, 1976, Titel: 'Der kleine Cäsar', Seiten: 143, Übersetzt: Georg Kahn-Ackermann
- Zürich: Diogenes, 1983, Seiten: 223, Übersetzt: Georg Kahn-Ackermann
Hüte dich vor den Iden des März! – und vor Chicagos Polizei
Die Prohibition hat in den 1920er Jahren das organisierte Verbrechen in den USA aufblühen lassen. Vor allem in den Großstädten haben sich mächtige Gangsterbanden gebildet, die ganze Wirtschaftszweige kontrollieren, Polizei und Justiz schmieren und zu Lieblingen der Zeitungen aufgestiegen sind. Wer hier rücksichtslos und brutal genug ist, kann auch als armer Einwanderer oder gesellschaftlich anderweitig deklassierter Außenseiter eine Art Aufstieg schaffen.
Der junge Cesare Bandello, genannt Rico, brennt vor Ehrgeiz, es zu Reichtum und Ruhm zu bringen. Bisher diente er unter Sam Vettori, der eine der kleineren Banden in Chicago führt. Vettori ist vor- aber zu nachsichtig; er plant Überfälle lieber ohne Schießereien und kann Rico nicht unter Kontrolle halten. Eines Nachts wird ein Raubzug zum Desaster. Ausgerechnet ein hochrangiger Polizist zieht die Waffe und wird von Rico erschossen.
Damit ist ein stillschweigender Waffenstillstand zwischen der Polizei und den Banden gebrochen. Den Mord an einem der ihren werden auch korrupte Gesetzesmänner nicht dulden. Vettori verliert die Nerven. Rico setzt ihn mit Einverständnis der ´großen´ Bosse, denen die kleinen Banden tributpflichtig sind, ab und übernimmt Vettoris Leute. Als ein von Gewissensbissen geplagtes Bandenmitglied sich einem Priester anvertrauen möchte, bringt Rico auch dieses um.
In Chicago gilt er nun als kommender Mann: berechnend, hart, furchtlos. Aber Ricos Ehrgeiz hat eine gefährliche Seite. Er beginnt den Ruhm zu genießen, wird zu gut Freund mit Reportern, lässt sich von den Reichen & Schönen umschmeicheln. Außerdem wird er unvorsichtig, seine Kumpane werden unruhig, seine Feinde rühren sich. Im Hintergrund lauert geduldig die Polizei. Sie hat Rico längst im Visier und wartet auf den Fehler, den er eines Tages machen und der seinen Untergang bringen wird …
Kleiner Caesar auf den Spuren seines Vorbilds?
Er trägt zwar seinen Namen, gleicht dem antiken Caesar jedoch auf den ersten Blick wenig. Rico ist alles andere als der vielversprechende Sprössling einer vornehmen Familie. Seine Träume von Größe bzw. Ansehen sind vage, und Rico ist sich dunkel bewusst, dass sie sich nicht wirklich erfüllen werden. Geld ist nicht alles in dieser Welt. Als Rico es hat, weiß er nichts Besseres damit anzufangen, als sich mit teurer Kleidung und anderen Attributen der Macht zu schmücken, die er aus Zeitungen und Filmen kennt. Aber Rico fehlen Klasse und Stil; nur Seinesgleichen bewundern ihn. Er ist ein Gockel, über den jene, die er beeindrucken will, nur lachen, wüssten sie überhaupt von seiner Existenz.
Rico ist clever aber ungebildet. Er gehört zur ersten Generation europäischer Auswanderer, die bereits in den USA geboren wurde, und steht zwischen den Welten: Den Immigranten, die nie wirklich in Amerika angekommen sind, sondern sich dort eine Kopie der ´alten Heimat´ eingerichtet haben, fühlt er sich nicht zugehörig; er verachtet sie für ihre Bereitschaft, sich ehrbar zu Tode zu schuften, für ihre mangelhafte Bildung und ihre in seinen Augen altmodischen Sitten und Normen. Doch für die "richtigen" Amerikaner wird auch ein reicher und berühmter Rico immer ein Prolet aus der Unterschicht bleiben.
Burnett stellt uns einen Mann vor, der vor Ehrgeiz schier vergeht und skrupellos aus dem Weg räumt, was ihn am Aufstieg hindert. Dabei vernachlässigt er zwei grundsätzliche Weisheiten, die ein kluger Herrscher berücksichtigen würde: Du kannst nicht alle Gegner ausschalten, und du musst dir den Rücken freihalten. Als Rico vom Duft der großen, weiten Welt abgelenkt ist, formieren sich hinter seinem Rücken die Verschwörer. Anders als bei Shakespeare heißen diese nicht Brutus, Cassius oder Casca, aber auch sie rekrutieren sich aus dem Kreise derer, die Caesar Rico für seine Gefolgsleute hält.
Ein Drama in der Unterwelt
Das Wort "Unterwelt" besitzt bei Burnett eine Doppelbedeutung. Es bezeichnet einerseits das Milieu, in dem Rico und seine Kumpane sich bewegen, während es andererseits andeutet, dass Rico ein Verdammter ist, der in einer Hölle gefangen sitzt, der er niemals wird entfliehen können.
Diese Unterwelt wird als gänzlich selbstverständlicher aber gefährlicher Ort dargestellt. In den 1920er Jahren ist das organisierte Verbrechen noch keine Parallel-Gesellschaft, deren Mitglieder sich möglichst unauffällig verhalten, um mit dem Establishment nahtlos zu verschmelzen. Gewalt und Geld sind die Instrumente, mit denen man offen arbeitet. In diesen Jahren und noch im Bund mit den irischen Banden, die zuerst da waren, legt die Mafia, die mit den Einwanderern aus Südeuropa kam, ihr US-Fundament, auf dem sie noch heute solide ruht.
Burnett lässt diesen Aspekt der zeitgenössischen Kriminalität beiläufig in die Handlung einfließen. Er konnte die Verzahnung von Politik, Polizei und Verbrechen nicht gar zu offen beim Namen nennen. Nicht nur die Zensur, sondern auch die Gangster hätten ihm dies gesundheitsschädlich übel nehmen können: Burnett lebte in Chicago und verkehrte mit den Vettoris, Killer Pepis und Ricos dieser Stadt. Er musste die Dinge auch nicht so präzise beim Wort nennen, da seine Leser entsprechende Andeutungen verstanden und entschlüsseln konnten: Sie wussten, wer der "Big Boy" war bzw. wer gemeint sein konnte. (William "Big Bill" Thompson, der bis auf die Knochen korrupte Bürgermeister von Chicago.). Wohl auch deshalb zeichnete Burnett Rico nicht nach dem Vorbild des sehr präsenten Al Capone, sondern orientierte sich am Gangster Sam Cardinelli, der bereits 1921 sein Ende am Galgen gefunden hatte.
Kein Traktat, sondern eine spannende Geschichte
Wer auf den Subtext verzichten möchte, kann sich problemlos einer harten, spannenden, in trügerisch simplen Worten erzählten Geschichte erfreuen. Little Caesar ist ein Paradebeispiel für ökonomische Unterhaltungsliteratur: Jedes Wort sitzt, wenn es gilt, einen Schauplatz, eine Situation, eine Figur zu beschreiben. Die Dialoge sind knapp und messerscharf; sie lassen die unausgesprochenen Drohungen problemlos mitschwingen. Es gibt kein Geschwafel, kein Zeilenschinden. Schon mit der ersten Zeile sind wir mitten im Geschehen, aus dem wir schließlich geworfen werden, als geschehen ist, was Burnett uns mitteilen wollte. (Diese deutsche Übersetzung entstand 1963; sie ist so gut geraten, dass sie sogar für die Neuausgabe des edlen Diogenes-Verlags übernommen wurde.)
Einen erhobenen Zeigefinger gibt es nicht. Selbst dem verbohrtesten Moralisten fiele es schwer, Burnett einer "Verherrlichun"´ des Gangsterlebens zu bezichtigen. Der Autor urteilt nicht, sondern beschränkt sich auf die Rolle des Beobachters. Als solcher beschreibt er eine kalte, freudlose Gaunerwelt. Männer und Frauen sind gleichermaßen vulgär und berechnend. Ricos einziges Ventil für Gefühle ist die Gewalt. Solidarität wird nicht verdient, sondern unter Androhung von Mord eingefordert. Skrupel gilt als Schwäche, Brutalität sorgt für Bewunderung, Verrat ist an der Tagesordnung. In dieser Welt erregt Rico mit seinen Ausbrüchen kein Missfallen.
Die Polizei gleicht sich dem problemlos an. Sergeant Flaherty ist nicht auf Gerechtigkeit aus. Er will Rico in Handschellen demütigen oder – noch besser – über den Haufen schießen. Bis es so weit ist, bringt er sich ihm immer wieder in Erinnerung, reizt Rico, um ihn zu einer Unvorsichtigkeit zu verleiten. Unverhohlene Drohungen und rassistische Beschimpfungen werden ausgetauscht, denn dieser Zwist ist bald persönlich.
Es endet, wie es enden muss – zwar nicht im Senat, sondern in der Gosse einer Seitenstraße, aber ebenso gewalttätig. Rico geht konsequent seinen Weg. Erst als es wirklich keinen Ausweg mehr gibt, gelingt ihm so etwas wie eine Selbstreflexion: "Heilige Mutter Gottes, … ist das Ricos Ende?" Es ist der letzte, starke Satz eines ruppigen Gangster-Thrillers, der in vielen Jahrzehnten nichts von seiner Kraft verloren hat.
Little Caesar – der Film
In Hollywood wurde Little Caesar bereits zwei Jahre nach der erfolgreichen Buchveröffentlichung verfilmt. Unter der Regie des Regie-Neulings Mervyn LeRoy (1900-1987) entstand ein rauer Thriller, der inhaltlich und formal noch nicht vom rigiden Hays-Code (ab 1934) geprägt wurde. Ohne in ein allzu enges Zensur-Korsett geschnürt zu werden, wich die Story dennoch vom Original ab.
Während Frauen bei Burnett nur Randfiguren sind, musste für die große Leinwand eine weibliche Hauptrolle her. Glenda Farrell (1904-1971) spielte Olga Stassoff. Sie ist es, die Rico verrät, um ihren Liebhaber Joe Massara zu retten, der im Roman auf diese Rettung vergeblich wartet, der Polizei Ricos Bande ans Messer liefert und lebenslänglich hinter Gittern verschwindet.
Während Little Caesar, der Film, heute vor allem den Filmhistoriker begeistert, wundert sich der Zuschauer über eine Handlung, die trotz geringer Lauflänge oft statisch bleibt. 1931 kämpfte der junge Tonfilm noch mit technischen Schwierigkeiten, die Dreharbeiten außerhalb schallisolierter Kulissen fast unmöglich machte.
Immer noch eindrucksvoll ist die Ein-Mann-Show, die Edward G. Robinson (1893-1973) in der Titelrolle bietet. Er IST Rico, womit er sich selbst in eine Rollen-Schublade des Hollywood-Gangsters steckte, der er später kaum entkam. Auf der anderen Seite wurde Robinson so erfolgreich, dass er als Rico immer wieder imitiert und parodiert wurde.
W. R. Burnett, Amsel
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