Eisnächte

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 2011
  • 1
  • Kopenhagen: Gyldendal, 2009, Titel: 'U 233', Seiten: 298, Originalsprache
  • Berlin: Ullstein, 2011, Seiten: 299, Übersetzt: Gabriele Haefs
Eisnächte
Eisnächte
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Andreas Kurth
83°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2011

Polit-Thriller mit Potenzial zur Desillusionierung

Privatdetektivin Kit Sorel wird von einem besorgten Ehepaar um Hilfe gebeten. Deren Tochter, eine junge Journalistin, hat sich seit einiger Zeit nicht mehr bei den Eltern gemeldet. Diese sind wegen des ungewöhnlichen Verhaltens der jungen Frau besorgt, zumal die dänische Polizei den Fall nicht ernst nimmt. Man geht davon aus, dass die Vermisste zu Recherchen im Ausland unterwegs ist. Kit beginnt ihre Suche, und stößt auf zahlreiche Rätsel rund um die junge Frau und ihre journalistische Arbeit. Als sie mit Hilfe des Journalisten David, in den sie sich während der Nachforschungen auch noch verliebt, zu tief gräbt, wird es für alle Beteiligten lebensgefährlich.

Skandinavische Krimis kann und sollte man nun wirklich nicht über einen "Kamm scheren". Ich gebe reumütig zu, dass ich genau diese Sünde lange Zeit begangen habe. Nach der Lektüre einiger isländischer und dänischer Autoren habe ich zunächst keine Skandinavier mehr in die Hand genommen. Glücklicherweise haben mich dann Jo Nesbø und Arne Dahl wieder für den skandinavischen Kriminalroman begeistern können. Nun gehört Emma Høgh sicher nicht in diese Liga, aber ihr außerordentlich spannender Polit-Thriller Eisnächte hat mich beim Lesen schnell gefesselt – und mit dem dynamischen und überraschenden Ende geradezu begeistert. Dabei beginnt das Buch eher beschaulich. Die Heldin ist eine recht spezielle Ermittlerin, eigentlich eine Privatdetektivin wider Willen. In ihren erlernten Berufen arbeitet sie nur sporadisch, wenn ihr Job als "Schnüfflerin" die Kasse nicht genügend füllt. Und sie lebt in ihrem Wohnmobil auf einem Campingplatz. Ziemlich verschroben, mit einem ebenso verschrobenen Nachbarn – aber irgendwie liebenswert. So eine Detektivin kann doch eigentlich nicht viel beschicken, meint man als außenstehender Beobachter. Und täuscht sich gewaltig. Emma Høgh schafft es perfekt, den Leser mit ihrer gefälligen Erzählung ein wenig "einzulullen" - um dann richtig "Gas" zu geben.

Die Geschichte gewinnt spätestens mit dem Auftreten des Journalisten David ungeheuer an Dynamik, und in Kombination mit der sympathisch-schlampigen Heldin führt das dazu, dass man das Buch kaum noch weg legen mag. Der Plot, von dem ich hier nun wirklich nicht mehr verraten kann, mag manchem Leser dick aufgetragen erscheinen. Aber politische Seilschaften sind eigentlich nichts wirklich neues, höchsten in Bereichen, die man blauäugig als positiv besetzt eingeordnet hat. Und da sticht die Autorin in ein richtiges Wespennest, und das auch noch im eher beschaulich wirkenden Dänemark. Wie so oft bei Polit-Thrillern denkt man ständig: "Das kann doch hoffentlich nicht wahr sein!" Und ahnt schon, dass die Autorin gut recherchiert hat und ziemlich dicht an der Realität schreibt – trotz aller Hinweise am Ende des Buches, das alles nur ausgedacht ist.

Bei den Akteuren in Politik und Wirtschaft wird zwar das eine oder andere Klischee bemüht, aber die Personen wirken dadurch keineswegs unecht oder zu sehr konstruiert. Vielmehr passen sie – leider – recht gut ins Bild. Die Autorin verzichtet auf verschiedene Erzählperspektiven, der Leser bleibt ständig an der Seite der zeitweise rastlosen Protagonistin beteiligt. Man entwickelt schnell Sympathie für die durchaus chaotisch wirkende Detektivin, die allerdings immer in der Lage ist, ihre zu Recht vorhandenen Ängste und Bedenken zu überwinden, um den nächsten wichtigen Schritt bei ihren Ermittlungen zu machen. Die "Schnitzeljagd" quer durch die dänische Politik- und Umweltschutz-Szene wird irgendwann zur Wanderung auf der Rasierklinge, weil die Drohgebärden der lange Zeit unsichtbaren Bösewichter immer handfester werden.

Die Autorin mutet ihrer Protagonistin so einiges zu, und lässt die Leser kräftig mitfiebern. Ihr Schreibstil ist dabei weder blumig noch minimalistisch, sondern eher eine gesunde Mischung. Das Liebesleben der eigenwilligen Detektivin wird nur beschrieben, soweit es dem Fortgang der Handlung dient – in meinen Augen ein dicker Pluspunkt für diesen Roman. Ein echtes Manko, das allerdings nicht der Schriftstellerin anzulasten ist, stellt der Titel des Buches dar. Zwar gibt es so einige eisige Nächte in der Geschichte, aber warum das als Titel ausgewählt wurde, bleibt nach der Lektüre doch ein Geheimnis. Vielleicht wurde der Original-Titel U233 als zu unspektakulär eingestuft, oder Eisnächte klang geheimnisvoller – wie auch immer. Und auch die Auswahl des Cover-Bildes ist eher unglücklich: ein rotes Holzhaus in einem verschneiten Wald. Wer aufmerksam liest, wird feststellen, dass im ganzen Buch kein solcher Ort beschrieben wird. Skandinavische Krimis "müssen" offenbar immer mal wieder mit diesen berühmt-berüchtigten Holzhäusern bebildert werden. In diesem Fall war es nicht nur einfallslos, sondern es hätte auch reichlich Alternativen gegeben. Der Lesegenuss wird dadurch glücklicherweise nicht gemindert – ein gelungenes und wirklich lesenswertes Buch mit viel Politik-kritischem Tiefgang.

Eisnächte

Ditte Birkemose, Ullstein

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