Die unheimliche Tafelrunde

  • Scherz
  • Erschienen: Januar 1948
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  • New York: Doubleday, 1940, Titel: 'Turns of the table', Seiten: 278, Originalsprache
  • Bern: Scherz, 1948, Seiten: 223, Übersetzt: Gertrud Müller
  • München; Wollerau: Goldmann, 1973, Seiten: 182
Die unheimliche Tafelrunde
Die unheimliche Tafelrunde
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2011

Gift und Irrsinn: keine gesunde Mischung

Die Bannisters gehören zur High Society der US-Kleinstadt Grovestown. Familienvorstand Bruce leitet eine Bank, unlängst hat sich der Witwer mit der schönen Sheila verheiratet, ein Kind ist unterwegs. Doch es gibt eine Schlange im Paradies: Eleanor Frame ist angeblich eine Nichte der verstorbenen ersten Mrs. Bannister. Nachbar Dr. Hugh Westlake, der einem verreisten Kollegen die Praxis führt, mag dies kaum glauben, zumal die Bannisters - die beide erwachsene Kinder in diese Ehe brachten - die junge Frau sichtlich hassen.

Sie macht sich zusätzlich unbeliebt, weil sie des Nachts gern mit dem Jenseits kommuniziert und vor allem "Tante" Grace dabei zu erscheinen pflegt, was dem herzkranken Bruce schlecht bekommt. Davon kann sich Dr. Westlake als Gast einer solchen Séance nachdrücklich vergewissern, denn Bruce erleidet einen Herzanfall. In der Eile greift Westlake auf das eigene Medikament des Kranken zurück, das jedoch wirkungslos bleibt. Bruce stirbt. Sohn Gregory, ein Medizinstudent, fordert eine Obduktion, die in der Tat eine Vergiftung belegt.

Westlake ist entsetzt, denn obwohl nicht einmal der mit dem Fall betraute Inspektor Cobb ihn für den Mörder hält, steht sein Ruf als Arzt auf dem Spiel: Unabsichtlich hat ausgerechnet er seinen Patienten umgebracht. Deshalb willigt Westlake ein, als Cobb ihn in die Ermittlung einbezieht.

Der Arzt kann lüftet unerfreuliche Geheimnisse. Stiefsohn Oliver unterschlug Kundengeld in der Familienbank, Gregory ist in den Diebstahl einer großen Menge gefährlichen Giftes verwickelt, Schwiegersohn in spe David Hanley wollte Bruce als Präsident seiner Bank verdrängen, und Bruce selbst hat Gattin Grace einst womöglich umgebracht, um frei für Sheila zu sein. Zu allem Überfluss schleicht ein Verrückter durch die Nacht, der seinen Opfern die Kehlen durchzubeißen versucht ...

Alles beim Alten?

Nach kurzem Blick auf die Zusammenfassung der Inhaltsangabe erwartet der Leser einen üblichen, d. h. soliden, angenehm altmodischen Rätsel-Krimi. Die dafür erforderlichen Elemente sind durchaus präsent. So spielen sich die Ereignisse beinahe ausschließlich in einem ländlich und abseits gelegenen Haus ab, unter dessen Dach sich sämtliche Tatverdächtige aufhalten werden. Autor Stagge hält sich fair an die Regeln, lässt also für das große Finale keine (bzw. nur scheinbar) bisher Unbekannten auf der Bildfläche erscheinen. Die Indizien werden dem Leser präsentiert; er könnte sogar früher als der Detektiv den Mörder ermitteln - theoretisch, denn selbstverständlich lässt sich ein guter "Whodunit"-Autor diese Butter nicht vom Brot nehmen. Verwirrung darf gestreut werden, faule Tricks sind verpönt.

Auch die Figuren passen ins Genre. Die Verdächtigen gehören einer vermögenden und gesellschaftlich arrivierten Familie an, die selbstverständlich ein Skelett im Schrank verbirgt. Der Detektiv ist nur nominell ein Amateur, denn Dr. Westlake wird ‚zufällig' bereits in seinen vierten Kriminalfall verwickelt und legt deshalb einige Ermittlungsroutine an den Tag.

Im Hintergrund waltet Inspektor Cobb, trotz gebotener Dienststrenge ein alter Freund des Doktors, dem er deshalb viel Spielraum lässt. Er ist daher sogar noch abwesender als Sherlock Holmes und überlässt seinem Watson Westlake das Feld, behält aber die Fäden in der Hand und übernimmt schließlich die Rolle des Schicksals, denn zu guter Letzt sorgt der Tod des Unholds dramaturgisch wirkungsvoll dafür, dass ein Skandal vermieden wird.

Mal etwas Neues: ein Turbo-Rätsel-Krimi

Der Schein verfliegt schnell und durchaus angenehm: Die unheimliche Tafelrunde ist nur unter dem deutschen Titel altmodisch. Tatsächlich bringt Autor Jonathan Stagge frischen Wind in das schon zu seinen Lebzeiten erstarrende Gattung "Whodunit". Er kreuzte es mit mehreren aktuell modernen und beliebten Genres.

In erster Linie bediente sich Stagge der "Screwball"-Komödie. Sie prägte die klassischen Hollywood-Komödien der 1930er und 1940er Jahre: Würdige Herren werden in absurde Ereignisse verwickelt und gehen Stück für Stück ihrer vornehmen Zurückhaltung, ihrer Reputation und ihrer Ernsthaftigkeit verlustig. Stets ist eine unternehmungslustige Frau in der Nähe, die das Chaos absichtlich oder unfreiwillig schürt. Cary Grant und Katharine Hepburn füllen diese Formel 1938 in "Bringing up Baby" (dt. Leoparden küsst man nicht) exemplarisch mit ungestümem Leben.

Zum Chaos kommt das Tempo. Die Geschehnisse folgen rasant aufeinander, während sich die Figuren im Sekundentakt mit knochentrockenen One-Linern traktieren. Die Realität wird gegen den Strich gebürstet bzw. demontiert. Ganz so weit geht Stagge zwar nicht, doch die genannten Elemente schimmern durch. Zumindest das Finale ist gewollt übertrieben; dies betrifft die Auflösung ebenso wie das Geschehen. Stagge gelingt es, den Fall mit einem doppelten Donnerschlag zu beenden.

Landarzt mit Hang zum Kriminalistischen

Dass sich ein von Ausbildung und Charakter eigentlich ungeeigneter Durchschnittsmensch gezwungen sieht, sich einem Kriminalfall zu widmen, während die Polizei, die eigentlich dafür zuständig wäre, ihm oder ihr irrtümlich im Nacken sitzt, ist ein typischer Krimi-Plot. Der falsche Verdacht erzwingt die Ermittlung, die an Spannung gewinnt, weil das dafür erforderliche Rüstzeug fehlt und durch Versuch & Irrtum ersetzt werden muss. Daraus erwächst weitere Spannung, weil a) die Ordnungsmacht näher rückt, während b) die tatsächlich Schuldigen aus der Reserve gelockt werden und dem lästigen aber wider Erwarten erfolgreichen Schnüffler ein böses Ende bereiten wollen.

Dr. Hugh Westlake ist zwar nicht auf der Flucht und kann sogar auf die Schützenhilfe eine befreundeten Polizisten rechnen. Dennoch steckt er in der skizzierten Klemme. Als Mediziner ist er auf einen untadeligen Ruf angewiesen: Wer würde sich von einem Arzt behandeln lassen, der versehentlich - oder gar absichtlich - ein falsches Medikament zum Einsatz und den so be- (bzw. miss-) handelten Patienten zu Tode brachte? Darüber hinaus ist Westlake alleinerziehender Vater einer in den Augen der stets neugierigen Nachbarn und Mitbürger altklugen und allzu antiautoritär erzogenen Tochter.

Derartig vom Verfasser unter Druck gesetzt, muss Westlake zum wiederholten Male auf Mörderfang gehen. Fehlende kriminologische Sachkenntnis wird durch eine Mischung aus Intelligenz und gesundem Menschenverstand ergänzt. Der mit der Ermittlungspraxis in der Regel ebenfalls nur oberflächlich beleckte Leser findet in Westlake eine ideale Identifikationsfigur. Dass der Fall seine Lösung findet, wird durch den Status unseres Amateurdetektivs geschickt unterstrichen: Wie bei einem Polizisten oder Detektiv gehört es zum Arbeitsmethode eines Arztes, sein Gegenüber zu mustern und nach Spuren einer Krankheit zu fahnden.

Rätsellüftung mit Paukenschlägen

Obwohl Stagge wie gesagt die offensive Übertreibung meidet, verzichtet er nicht auf eindrucksvolle Effekte. Die Séance - einer der Höhepunkte der Ereignisse - und das dabei in Szene gesetzte Erscheinen der ersten Mrs. Bannister mag aus moderner Sicht zum allzu häufig eingesetzten Klischee heruntergekommen sein. Auch 1940 war der Einfall nicht neu aber deutlich frischer als heute. Stagge stellt ihn zudem mit der für ihn typischen Mischung aus Ernst und trockenem Humor dar.

Der übliche Rätselkrimi kam (und kommt) recht wortreich aber vergleichsweise actionarm daher. Die unheimliche Tafelrunde ist eine Ausnahme. Zwar wird in der Tat oft und viel geredet, doch gleichzeitig geht es im und um das Bannister-Haus erstaunlich turbulent und manchmal sogar hektisch zu. Dazu passen die exzentrischen, ganz und gar nicht schwindelfreien, auf den eigenen Vorteil bedachten und gefährliche Hobbys pflegenden Familienmitglieder, die einander spinnefeind und doch von einem verqueren Familiensinn beseelt sind.

Wie es sich gehört, sieht jede Hauptfigur zwischenzeitlich wie der Täter (oder die Täterin) aus. Die Auflösung ist wieder ein Stagge-Spiel mit den "Whodunit"-Regeln, das einer klassischen Auslegung nicht gewachsen wäre. Allerdings dürften dies selbst in dieser Hinsicht strenge (oder zumindest humorfähige) Kritiker einem Verfasser nachsehen, der Ernst und Spiel mit großer Eleganz und entsprechendem Unterhaltungserfolg zu verbinden wusste.

Die unheimliche Tafelrunde

Patrick Quentin, Scherz

Die unheimliche Tafelrunde

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