"Relax" vs. "Extrem" -
Gegensätzlicher können Krimis nicht sein.

von Michael Drewniok

Polizei im Dienst gegen Polizei unter Druck

Früher war alles besser … Die oft missbrauchte Binsenweisheit sei an dieser Stelle ausnahmsweise als Tatsache zitiert, weil sie hilft, zwei Kriminalromane wertend gegenüberzustellen, zwischen deren Entstehung sieben Jahrzehnte liegen, wobei inhaltlich in beiden Fällen zwei Polizeibeamte aus der (englischen) Großstadt einen Mord klären sollen.

  • Krimi "Relax"

    Cyril Hare

    Ruhige Wohnung mit eigener Leiche

    In seiner Mietwohnung im Südwesten Londons wird „Colin James“ ermordet, der eigentlich Lionel Ballantine hieß und im Ruf stand an der Börse zu betrügen. Überführen konnte man ihn nie, aber die Schar derer, die er schädigte und die ihn hassen, ist groß. Inspektor Mallett von Scotland Yard, der den Fall übernimmt, muss sich mit ihnen beschäftigen.

    Da ist John Fanshare, einst angesehener Banker, bis Ballatine ihn in krumme Geschäfte verwickelte, für die Fanshare im Gefängnis landete. Ebenfalls unter die Lupe genommen wird Frank Harper, dessen Familie ihr Vermögen durch Ballantine verlor. Der junge Mann will mit seiner Braut nach Afrika auswandern, was Mallett nicht davon abhält, langsam und methodisch den Tathergang, das Motiv und natürlich den Mörder zu ermitteln.

    „Ruhige Wohnung …“ führt in die Gefilde der Hochfinanz, in der es vor dem Zweiten Weltkrieg vergleichsweise (bzw. rührend) ruhig zugeht, Geld ist unter Gentlemen kein Thema. Wichtiger ist der gesellschaftliche Stand, weshalb Skandale buchstäblich töten können. Die Polizei ist Teil eines Systems, das Diskretion trotz gründlicher Ermittlung garantiert.

    Mallet weiß sich allen Schichten anzupassen, was Hare als besondere Fähigkeit herausstellt. Ansonsten ist er ein diensteifriger Ermittler, dessen einzige Schwäche ein Hang zu ausgiebigen Mittagsmahlzeiten darstellt. Der „Fall“ steht im Mittelpunkt, Mallets Privatleben bleibt unwichtig. Hare hat sich einen ebenso komplizierten wie logischen Plot ausgedacht, der zur vollen Zufriedenheit des lesenden Publikums aufgelöst wird. Der Weg dorthin ist lang und langsam, so wie die Räder des Gesetzes mahlen. Die Fahndung endet mit der Überführung des Täters. Niemand setzt Mallet unter Druck, er hat alle Zeit der Welt.

    Das aufzuklärende Verbrechen ist mit der eigentlichen Tat abgeschlossen. Folgen = kriminelle Konsequenzen, die sich aus dem Schneckentempo der Ermittlung ergeben, bleiben aus. Selbstverständlich bleibt auch die handlungsauslösende ‚Bluttat‘ eine diskrete Andeutung.

    zur Rezension auf Krimi-Couch.de

  • Krimi "Extrem"

    Stuart MacBride

    Die Stunde des Mörders

    Nach einer katastrophal fehlgeschlagenen Razzia wird Detective Sergeant Logan McRae in den „Versagerclub“ der Grampian Police im schottischen Aberdeen versetzt. Dort landen Beamte, die bestraft werden sollen oder schlicht dämlich sind.

    Während die ehemaligen Kollegen medienwirksam einen Serienmörder jagen, der sechs Menschen - darunter ein Kleinkind - lebendig verbrannt hat, muss sich McRae mit dem Tod der alternden Prostituierte Rosie Williams beschäftigen, die auf offener Straße zu Tode geprügelt wurde. Dabei beschließt er einen Alleingang, der ihn und einige weitere Pechvögel in die Gewalt zweier Killer bringt, die im ‚Verhör‘ für den Einsatz einer Geflügelschere berüchtigt sind.

    Serien-Brandstifter, Serien-Totschläger, vertierte Mafia-Killer, Kinderschänder und rachsüchtige Eheleute: Dies sind längst nicht alle Finsterlinge, die uns in diesem Werk begegnen. Die Freunde des explizit Ekelhaften werden reichlich bedient, wenn Autor MacBride McRae über rauchende Feuerleichen oder in Auflösung begriffene Hundekadaver stolpern lässt. Gefoltert wird mit ungetrübter Sicht auf Täter und Opfer, und natürlich werden auch im Bereich der Pathologie neue Maßstäbe gesetzt.

    Doch nicht Blut und Schmerz allein treiben die Geschichte voran. Das menschliche Elend im Zeitalter der Globalisierung ist ein wichtiger Bestandteil der McRae-Romane. MacBride nimmt die unheilige Dreieinigkeit des 21. Jahrhunderts aufs Korn: Politik, Wirtschaft und (organisiertes) Verbrechen. Straßenkriminalität, Drogensucht, Prostitution, Frauenhandel: Endlos ist die Liste des Üblen, das ihr folgt.

    Die brutale Wucht wird durch schwarzen Humor und markant überzeichnete Figuren gemildert. McRaes Welt ist ein Irrenhaus, und Autor MacBride sieht die Situationskomik, die auch dem Traurigen und Tragischen innewohnt Soll es uns wirklich an Herz und Nieren gehen, wird der Verfasser ernst, was die Ernüchterung umso stärker wirken lässt. Das Böse ist nicht komisch, seine Bekämpfung laugt aus und hinterlässt Spuren.

    Die Polizei ist steht unter Dauer-Druck, ist überlastet und schlecht ausgerüstet. Das System ist marode. Absurde ‚Umstrukturierungen‘ vertuschen nur vorhandene Mängel, statt sie zu beheben. Anti-Helden wie Logan McRae halten längst beiseitegeschobene Ermittlertugenden hoch, aber sie zahlen ihren Preis dafür.

    zur Rezension auf Krimi-Couch.de

 

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Fotos: istock.com / teekid

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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