Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 49

"Treue Seele"

Lucian Wing ist zurück

Manch Hörer wird Lucian in der Erzählung „Mann mit vielen Talenten“ vermisst haben. Nun ist er im neuesten Hörspiel von Castle Freeman zurück. Treue Seele ist als Buch 2023 erschienen, offenbar zuerst auf Deutsch. Das Hörspiel (Herbst 2024) stammt aus der Hohen Hörspielschule des SWR mit der Dramaturgin Uta-Maria Heim und der Regisseurin Irene Schuck. Die Hauptsprecher haben gewechselt, ohne das einen nennenswerter Verlust entsteht.

Inhalt

Vermont, ein waldreicher Bundesstaat an der Grenze zu Kanada. Die Entfernung zum Nachbarn ist groß, der Besitz einer Waffe wichtiger als der Schutz durch die Polizei. Aber es gibt sie noch die Zentralgewalt aus Washington. Alle zehn Jahre führt sie eine Zählung durch. So kommt Port Conway 1990 zum Gehöft des alten Arthur Bennett. Und wird von Hund und Gewehr und junger Tochter vertrieben. Genau wie 10 Jahre später, und nochmal zehn Jahre später. Allerdings wird die Tochter immer hübscher. Es stellt sich heraus, dass sie mit der Frau von Ports Buddy, Cliff, verwandt ist. So bleibt Port informiert. Er bekommt mit, dass Lucy sich mit dem kriminellen Kurt eingelassen hat. Der hat sein Diebesgut in der Scheune von Cliff eingelagert. Lucian Wing rät zur Ruhe. Lucy zieht vorsichtshalber in eine alte Hütte, die Cliff gehört. Als die Hütte anfängt zu brennen, kann Cliff sie in letzter Minute retten. Wird aber dabei verletzt. Im Krankenhaus kommt es zu einem ungewöhnlichen Showdown.

Das Hörspiel

Treue Seele ist nur sehr entfernt ein Krimi. Es ist ein road-radio play und eine zarte Liebesgeschichte. Auf jeden Fall eine Liebeserklärung an Land und Leute, die keine Hinterwäldler sind, sondern vielschrötig und vielschichtig, auf jeden Fall liebenswert.

Das Hörspiel ist keine leichte Kost: Es gibt eine Sprecherin, einen Erzähler und dann immer wieder Monologe der anderen Figuren. Hinzu kommen die Kurznamen und die verschiedenen Zeitebenen. Die im Buch bereits vorhandene Einteilung in Teile und weitere Zwischenüberschriften machen es nicht einfacher. Aber es lohnt, sich zu konzentrieren. Niemand schreibt so wunderbare Dialoge wie Freeman. Diese Dialoge können schon mal länger dauern. Dabei entstehen Szenen, die beim Hörer zwangsläufig Bilder entstehen lassen: Cliff 1990 am Tor zur Volkszählung, Cliff sieht der nackten (längst erwachsenen) Lucy beim Baden zu. Diese Bilder können entstehen, weil die Sprecher ihre Rollen unprätentiös und lebensnah spielen. Alle zusammen: Erste Sahne. Und der Profi Freeman hat seine running gags: Wo befindet sich Lucys Tattoo, das noch nie jemand gesehen hat? Wann hört er auf, Miss Bennet zu ihr zu sagen?

Eine komplexe Soundchoreografie begleitet den Szenenwechsel von himmelhochjauchzend und zarter Liebe bis hin zur Feuersbrunst und Krankenhaus. Wie immer erzählt Freeman seine Geschichte mit Lakonie und leichter Ironie.

Fazit

Ein Muss für den Liebhaber anspruchsvoller Hörspiele, hoher Dialog-und Sprechkunst. Aber auch eine schöne Urlaubsvorbereitung für den Indian Summer in den USA.

Couch-Wertung: 90°

ARD-Audiothek

"Rabenkinder"

Schwarze Pädagogik als Krimi

Der NDR ist stets für Überraschungen gut und hat das 2022 als Erstlingskrimi erschienene Buch in zwei Teilen für das Hörspiel bearbeitet. Grit Poppe wurde 1964 in der DDR geboren und ist heute durch vielseitige schriftstellerische Arbeit und zeitkritische Studien bekannt. Zum 35. Jahrestag des Falls der Mauer hat der NDR ihr Buch als Hörspiel bearbeitet.

Inhalt

Mitten in den Tagen der Öffnung der Mauer, lassen sich für drei Insassen des DDR-Jugendwerkhofes Torgau, ca. 50 km entfernt von Leipzig, nachts völlig unerwartet die Türen der Einzelzellen öffnen. Der Werkhof ist eine gefängnisähnliche Besserungsanstalt. Alle anderen Zöglinge sind schon seit einigen Tagen weg. Als Andreas vorsichtig seine Zelle verlässt, sieht er den Direktor baumelnd im Flur hängen. Und einen Mann mit Sturmmaske, der sofort wegrennt. Die, noch, DDR-Kripo ermittelt. Ist es Selbstmord? Ein gefüllter Kühlschrank und die gute Laune am Tag vor dem Tod sprechen dagegen. Mord? Beliebt konnte er nicht sein. Aber wer hätte ein Motiv? Jedenfalls nutzen die drei Jugendlichen, Andreas, Tanja und Maik die Gelegenheit und büchsen aus. Die junge DDR-Kommissarin Beate Vogt stellt Fragen, studiert die Lebensläufe des Personals, der Verwandtschaft und die Stimmung und erschrickt. Maik schickt eine Postkarte aus Spanien, Tanja geht zu ihren Eltern. Aber Andreas bleibt verschwunden. Beate Vogt fürchtet um sein Leben.

Das Hörspiel

Das Hörspiel erzählt mehrere Geschichten, ohne dass es zuviel wird. Die grauenhafte Realität eines Jugendwerkhofs, die Jugendszene der DDR zur Wendezeit und ein wenig die Realität der Kripo in dieser Periode. Dennoch ist es ein extrem spannender

Krimi. Die Autorin hat gut recherchiert und die Ereignisse sind vielleicht zugespitzt aber historisch belegt. Die Innen-und Außenwelt des Jugendwerkhofes werden detailliert geschildert. Der Hörer mag es kaum glauben. Allerdings gab es auch in West-Deutschland so etwas wie Schwarze Pädagogik. Aber es ist auch eine Geschichte über die Verlorenheit von Jugendlichen, die freigelassen werden und keine Orientierung haben. Wie die DDR. Diese Erzählung findet sich intensiv im 2.Teil des Hörspiels. Und es ist ein spannender Krimi. Begleitet von einer allwissenden Erzählerin mäandert die Story von einem Spielort zum Nächsten. Mal auf dem richtigen Pfad, mal auf einem Irrweg. Die mit Nina Gummich bestens besetzte Kommissarin hat eine ruhige Art mit schlichtem, nachfragendem Blick auf alles, was sie hört und gibt keine Ruhe. In ihrem Team erlebt sie den Umbruch, weil Kollegen verschwinden und ein neuer Wessi etwas vorlaut ist.  Man hört jede Minute, dass es sich gelohnt hat, auch die Jugendlichen mit Profis zu besetzen. Die Autorin wühlt tief in den Lebensgeschichten der Beschäftigten und Verwandten. Mit einem nüchternen Blick, der an die Brecht´sche Darstellung der Wirklichkeit erinnert. Der Hörer kann jederzeit gut folgen und eigene Überlegungen entwickeln. Die Sätze sind kurz und prägnant, bestens beobachtet. Einer der schönsten Dialoge handelt von der vor kurzem erlaubten Reisefreiheit. Beate Vogt hat davon gar nichts mitbekommen. Sie hat keinen Fernseher. Die langwierigen polizeilichen Ermittlungen benötigen mehrere Monate. Am Ende kommt es aber doch völlig anders als erwartet. Sound und Musik (es gibt einen eigenen Song) sind elektronisch modern und fangen die Jugendwelt bestens ein.

Fazit

Der NDR zeigt, dass der ÖRR immer noch in der Lage ist, erstklassige Hörspiele zu produzieren, die politisch sind, ohne zu belehren und spannend, ohne abwegige Einfälle.

Couch-Wertung: 90°

ARD-Audiothek

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 49" von Malte Stamer, 02.2025
Hier findest Du noch mehr Tipps zu Krimi-Hörspiele: Mediatheken

Fotos: istock.com / tolgart

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