Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 45
"Weltentrunk"
Ein bayerisches Bier-Panoptikum
Der BR veröffentlichte im Sommer 24 mit den 191. Radiotatort nun doch noch ein Hörspiel des Autors Su Turhan. Wichtiger als der Autor ist der Redaktion das Team: Die darbende Privatdetektivin Yanina Adler und ihr Papagei Levy sowie der Polizeikommissar Ünal Teki. Ort der Handlung ist die Großstadt München, Stadtteil Giesing. Wie der Titel andeutet, spielt Bier eine große Rolle. Die Textredaktion der Audiothek hört offenbar nicht einmal die publizierten Hörspiele. Es handelt sich mitnichten um ein Craftbeer (Untertitel). Sondern um ein bayerisches Bier nach dem Reinheitsgebot.
Inhalt
So etwas kommt nicht alle Tage vor. Im geruhsamen Stadtteil Giesing wird in den frühen Morgenstunden ein Leichnam in der Nähe der Heiligkreuz-Kirche gefunden. Nass von Bier, gebrochenes Genick. Und das auch noch 200 Meter von der Wohnung Yanina Adlers entfernt. Kein Wunder, dass sie beim Lärm der Einsatzfahrzeuge neugierig wird und in aller Herrgottsfrühe mit Levy zum Tatort marschiert. Sie ist voller Neugier, aber ohne Auftrag. Der Tote erweist sich als der Marketing-Chef der Giesinger Traditionsbrauerei. Diese ist in den Händen eines kanadischen Konzerns, der mit dem „Weltentrunk“ ins ganz große Geschäft einsteigen will. Das Bier folgt dem deutschen Reinheitsgebot und soll biologisch, modern und schmackhaft sein. Bernadette Baumeister, die verantwortliche Brauerin und Hubert Denkrath, der Bier-Sommelier sind entsetzt: Die Marktpräsentation droht zu platzen. Kommissar Ünal kommt nicht weiter. Niemand hat etwas gesehen oder mitbekommen. Doch es gibt Yanina. Sie hat inzwischen von Hubert einen Ermittlungsauftrag bekommen, weil er selbst mal schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht hat. Yanina, die nichts an die Polizei weitergibt, erhält Hinweise: Von der Kneipenwirtin, die zur Tatzeit, ein Lastenfahrrad gesehen hat, vom Urgestein Edmund, der von eben dem Fahrrad verletzt wurde und es dann geklaut hat. Zwischen Weltkonzern und bayerischen Penner entwickelt sich ein spannendes, unerwartetes Ende.
Das Hörspiel
Hauptperson ist die sympathische, überzeugende Yanina, die auch in der Subkultur zu Hause ist. Ihren Handlungen folgt das Hörspiel, gelegentlich von ihr im inneren Monolog kommentiert. Kommissar Ünal ist eher der Sidekick. Der Autor bietet ein buntes Spektrum von Spielorten, schrägen Figuren und immer wieder unerwarteten Ideen. Das alles tief verwurzelt im Touristen-Bayrisch. Da wird leider eine Marketing-Aktion zu einer plumpen Szene. Eisi Gulp spricht charakterstark den Penner Edmund. Die Interpretation der Rolle erinnert stark an den kiffenden Vater aus den Eberhofer-Filmen. Schade. Der Autor erweist sich insgesamt als Kenner der Werke seiner Kollegen. Seine Sprache ist modern und stimmig, manchmal mit ironischem Unterton. Was Logik und Schlüssigkeit angeht, sollte der Hörer nicht allzu kleinlich sein. Regie und Autor führen ihn in ein hörenswertes bayerisches Panoptikum mit reichlich Nebenthemen und einer Vielfalt von menschlichen Charakteren. Es gibt immer wieder neue Pfade und neue Spuren und es bleibt bis zum Schluss spannend. Das Ende ist unerwartet und gruseliger als erwartet. Das Hörspiel ist kein Seidensticken und der Autor entscheidet sich nicht, ob es ein ernsthafter Krimi ist oder eine Kriminalgroteske.
Fazit
Inhaltlich kein Highlight, aber ein unterhaltsames Hörspiel mit starkem regionalem Bezug. Zu genießen, wenn man es nicht bierernst nimmt.
Couch-Wertung: 75°
ARD Audiothek
"Die van Dusen-Reihe"
Eine Erinnerung an Michael Koser
Im Februar 2024 ist Michael Koser 85-jährig verstorben. Er hat mehr als 150 Hörspiele geschrieben, darunter die Reihen „Prof. van Dusen“ mit 79 Folgen, die SCI-Fi Krimireihe „Der letzte Detektiv“ mit 40 Folgen sowie die Reihe „Cocktail für zwei“ mit 8 Folgen.
Insbesondere der Erfolg der van Dusen-Reihe ist beachtlich: Erstmals im Jahr 1978 im damalige RIAS (Rundfunk Im Amerikanischen Sektor) erschienen, gibt es bis heute regelmäßig Neuauflagen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und bei den kommerziellen Anbietern.
Prof. August van Dusen
Mit der Hauptfigur griff Michael Koser anfangs auf den amerikanischen Autor Jaques Futrelle (1875 – 1912) und dessen Kurzgeschichten zurück. Van Dusen, die Denkmaschine, repräsentiert einen umfassenden gebildeten Wissenschaftler der Zeit um 1900, der ein Interesse an verzwickten Kriminalfällen hat. Sein Watson ist Hutchinson Hatch, der Begleiter Chronist und Erzähler ist. Die beiden reisen um die Welt und finden immer wieder obskure Kriminalfälle, die es zu lösen gilt. Alles erzählt mit leichter Ironie und feiner Sherlock-Holmes-Andeutung.
Die 77/79 Episoden
Die Titel der Episoden deuten schon die Vielseitigkeit dieser klassischen Detektivgeschichten an. Zentrales Thema ist immer ein kniffliger Kriminalfall, gelöst mit viel Nachdenken, Wissenschaftsbackground, Sprachwitz und humorvollen Dialogen. Die handelnden Personen sind eigenwillige Typen, nie charakterlich glaubwürdig beschrieben. Sehr früh zeichnete sich ab, dass die Serie Kultcharakter entwickelt. Der Autor bastelte umgehend Bezüge und Verweise zu anderen Episoden, die die Fans bis heute nachvollziehen und erweiterte das Tätigkeitsgebiet der beiden Hauptfiguren auf die gesamte Welt. Die Hörspiele waren eher schlicht produziert, bestehend aus spitzfindigen Dialogen und etwas Atmo. Völlig neu war der Einsatz von klassischer Musik, zum Teil Madrigale, in einer Zeit, in der Krimis mit orchestralem Sound und mitreißenden Motiven begleitet wurden. Treue Fans bewundern die historische Genauigkeit des Autors. Sprecher in allen Folgen war Friedrich W. Bauschulte als van Dusen und Klaus Herm als Hatch. Es kamen bald Gastauftritte berühmter Sprecher hinzu. Nach Angaben des Dauerregisseurs Michael Clute war jede Produktion durch viel Improvisation gekennzeichnet. Insofern hört man heute die Folgen auch als Abbild der 1970/80-er Jahre. Die Produktion eines einzelnen Hörspiels dauerte bisweilen nur 2-3 Tage. 1999 wurde die Produktion eingestellt und die Fangemeinde war immer auf der Suche nach Mitschnitten bis der DLR ab Dez 2020 monatlich bis heute je eine Folge ins Netz stellt. Eigentlich hat der WDR 1982 ebenfalls einen van Dusen produziert. Das Manuskript wurde von RIAS abgelehnt und Koser gab den Hauptfiguren einfach andere Namen und wandte sich erfolgreich an den WDR.
Kommerzielle Nutzung
Der brillante Autor Koser musste lange überzeugt werden, um seine Kultfigur vielseitig zu nutzen. Inzwischen gibt es Buchfassungen, seit mehr als zwanzig Jahren Comics und kommerzielle Nutzungen der Figuren in neuen Folgen mit anderen Autoren. Seit einiger Zeit bietet Winterzeit Audiobooks überarbeitete Fassungen der Originale auf CD und den gängigen Streaming-Diensten an. Interessanter Weise sind die beliebten Cover von dem Hobby-Grafiker Lars Vollbrecht für jede Folge privat erstellt worden und erst später an Maritim zur kommerziellen Nutzung verkauft worden. Allscore/Highscore Music bieten bereits 37 Neue Fälle an, anfänglich mit dem Segen von Koster. Die Reihe Sherlock Holmes und Co. von Romantruhe enthält 26 Geschichten mit van Dusen. Bis März 2026 will der rührige Holysoft-Verlag 56 neue Van Dusen Fälle produzieren. Holysoft versetzt van Dusen mutig in die Gegenwart.
Der Kosmos
Ähnlich wie bei Sherlock Holmes hat sich sehr schnell ein eigener Kosmos entwickelt. Gestaltet von Liebhabern und fleißigen Hörspielforschers. Es gibt Episodenlisten mit Details, ein Kompendium und jede Menge Informatives im Netz, das weit über Wikipedia hinaus geht.
Fazit
Für Nostalgiker und Serienfans ein absolutes Muss. Für alle Neugierigen kann es eine hörenswerte, spannende Entdeckung werden, die süchtig macht.
Couch-Wertung: 85°
Auf YouTube als kostenlose, werbefinanzierte Version und in der ARD Audiothek
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 46" von Malte Stamer, 11.2024
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Fotos: istock.com / tolgart
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