Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 45
"Zu heiß gewaschen"
Im Waschsalon für Geld
Passend zum EM-Spiel England – Türkei ist die 6. Episode mit der türkisch-stämmigen Yelda Üncan und dem englisch-stämmigen Jeremy Brooks erschienen. Radio Bremen betont immer sehr stark den lokalen Charakter, die Krimis spielen am Meer, an der Weser oder im typischer Hafenmilieu und sind eher „hart“. Die Kult-Hörer freuen sich über eine Rolle mit Jens Wawrczeck.
Inhalt
In der Weser wird eine Leiche geborgen. Sie befand sich in einer Stahlblechkiste. Sie sollte also gefunden werden, denn die enthaltene Luft hält die Kiste oben. Die Brutalität und die Methode sprechen für Clan-Kriminalität. Sonst gibt es keinerlei Hinweise. Also wird Jeremy Brooks gebeten, seinen Bruder Markus anzusprechen. Markus ist krimineller Drogenhändler, gibt aber der Polizei gelegentlich Hinweise. Und ist clever, denn er lebt immer noch. Aber dieses Mal ist auch Markus verschwunden.
Doch dann erscheinen im Netz Videos von der Tötung. Nachforschungen über einen Hashtag führen zu einer Telegram-Gruppe und letztlich zu einer WG, in der der Tote gelebt hat. Die Mitbewohnerin vermisst auch den zweiten aus der Gruppe: Chris. Hat das Alles was mit Markus zu tun? Der tote Lukas hat offenbar versucht, dringend notwendiges Geld bei Markus zu erbetteln. Aber wieso muss Markus dringend extrem viel Geld aus dem Notfall-Fond überweisen? Die Situation bleibt unübersichtlich und wird immer gefährlicher.
Das Hörspiel
Das Hörspiel ist ausgesprochen spannend und zügig inszeniert. Immer wieder hochbrisante Polizeieinsätze und schwierige Situationen. Es geht um Leben und Tod in nur wenigen Stunden. Es ist nicht ganz einfach, den Überblick zu behalten, wer zu wem gehört.
Die Szenen sind kurz und abwechslungsreich: Befragungen, Handytelefonate, Durchsuchungen, Drohneneinsatz, Dialoge voller Angst und Verzweiflung. Das volle Programm.
Das Thema Geldwäsche wird hier von einer ganz anderen Seite beleuchtet: Netzaffine junge Leute waschen, für wenig Kohle und riesige Gefahr, Geld für die ganz großen Haie. Safier und Lüttmann erzählen dies ohne erhobenen Zeigefinger. Die Sprache ist sehr jugendaffin, was ja zur Zielgruppe passt. Bei allem Tempo nimmt sich die Regie Zeit, die verzweifelte Lage der lebensbedrohlich eingesperrten Markus und Chris im Dialog hörbar und spürbar zu machen.
Die entscheidenden Schwächen der vorhergehenden Episoden sind aber weiterhin vorhanden. Den Personen fehlt die Tiefe, ihr Charakter. Sie sind wenig glaubwürdig. Der clevere Drogenboss, Markus, wird plötzlich von einem Kleinkriminellen entführt?! Wie auch wieder die Handlung, die über weite Strecken an den Haaren herbeigezogen ist. Die beiden Ermittler durchsuchen allein das Haus, in dem sie den Clan-Boss vermuten. Ein Kleinkrimineller wird als Befrager in eine Zelle eingeschleust. Na ja, getreu dem Motto „Alles was man sich ausdenken kann, kommt in Wirklichkeit auch vor“, kann man es durchgehen lassen. Aber als Hörer möchte man doch gerne der Spur folgen können.
Der Hintergrund
With a little help of KI lässt sich schnell erkennen, dass diese Form der Geldwäsche ein ernst zu nehmendes Problem ist und viele Jugendliche ins Unglück stürzt. Die Clans haben längst die jugendaffinen Medien zu nutzen gelernt. Tiktok oder selbst honorige Streaming-Dienste werden zur Geldwäsche genutzt. Es darf halt nicht zu heiß gewaschen werden.
Fazit
Radio Bremen sendet den einzigen Tatort, der sich in Form und Inhalt an junge Menschen richtet. Vielleicht findet er für diese Gruppe den richtigen Ton. Für alte weiße Männer ist es eher unterhaltsame Durchschnittsware und die abstruse Handlung ärgerlich.
Couch-Wertung: 65°
ARD Audiothek
"Menschen fallen"
Norwegerpulli statt Seidensticken
Der Theater-und Hörspielautor Lars Werner hat im ersten Halbjahr 2024 eine produktive Phase. Er legt mit diesem Krimi des DLF seine 5. Hörspielstunde vor (Zentrum der Grenze, Am Schlick, Menschen fallen). Auch dieses Hörspiel ist eine Auseinandersetzung mit den neuen Medien.
Inhalte
Benedikt Groppler von den Grünen hat gute Chancen bei den anstehenden Wahlen Berliner Bürgermeister zu werden. Seine politische Laufbahn hat als Aktivist im stillgelegten Braunkohlebergbau Ostdeutschlands begonnen. Im Laufe der Jahre hat er sich erfolgreich zur „Realpolitik“ bewegt. Das ruft Bewunderer aber auch Enttäuschung hervor. Dieser Lebensweg ist eine Steilvorlage für die junge politische Insta-Journalistin Maral Bohrmann. Sie nutzt einen Wahlkampfauftritt in Berlin-Wedding, um ihn mit heiklen Fragen zu konfrontieren. Doch es kommt anders: Groppler wird vor ihren Augen und vor ihrer Live-Kamera entführt.
Durch diese Aufnahmen kann die Polizei das Fluchtfahrzeug der Entführer und eine grobe Fahrtrichtung erkennen. Die Polizeichefin Dombrowski erkennt kurz vor der Wahl (und einem möglichen eigenen Karrieresprung) die politische Brisanz. Sie aktiviert alle Ressourcen. Einsatzleiter wird ihr bester Mann: Flo Daschner. Schnell identifiziert die Polizei den Halter des Fahrzeugs. Ein arbeitsloser Lehrer. Aber das Fahrzeug wird von seiner geschiedenen Frau genutzt.
Doch das Netz ist schneller als die Polizei. Auch Maral Bohrmann wird entführt und mit der Pistole in der Hand gezwungen, ihr Interview mit Groppler zu führen. Alles Live vor der Kamera. Ein Kinderspiel für die Polizei, den Ort der Entführung zu identifizieren. Die ehrgeizige Dombrowski übernimmt persönlich die Verhandlungen. Und plötzlich wird die Szenerie sehr persönlich. Der Entführungsfall wird gelöst und Menschen fallen - tief.
Das Hörspiel
Mit 45 Minuten ein ungewöhnlich kurzes Hörstück, in hohem Tempo und mit viel Action erzählt, wie es sich für eine Entführung gehört, die ja in Hörspielen selten vorkommt Die Handlung umfasst nur wenige Stunden der Großstadtwelt Berlin, die hörenswert erfasst wird. Es gibt drei Akteursgruppen: die Polizei, die Influencerin und die Verdächtigen.
Die Story erlaubt einen Blick in die hierarchische Innenwelt der Polizei, die nicht frei von Ehrgeiz ist, in der man aber auch tief fallen kann. Vielleicht etwas zu ironisch gespielt. Die Influencerin Maral gerät unversehens in einen extremen Konflikt mit ihren eigenen Ansprüchen. Die Verdächtigen bleiben eher blass. Alle Personen werden überzeugend gesprochen, einige Rollen sind aber in ihren Charakterzügen wenig glaubwürdig gezeichnet, es fehlt die Tiefe. Die Sprache ist gegenwartsbezogen und realistisch. Sie setzt den Hörer keinen Lebensweisheiten aus, sondern allein die Geschehnisse geben zu denken, ohne dass der Autor mit dem moralischen Zeigefinger winkt.
Sound und Geräusche greifen die spannende Handlung auf und vertiefen sie. Wenngleich der Hörer frühzeitig zu ahnen glaubt, wer der oder die Entführer sind, endet das Hörspiel mit einem überraschenden Plot. Es hätte also ein richtig toller Krimi sein können. Aber der Autor hat sich gegen das Seidensticken entschieden und einen groben Norwegenpulli gestrickt. Vieles klingt überzogen und nicht überzeugend. Schuld daran, dass Menschen fallen, können auch Menschenfallen sein. Eine wichtige Erinnerung.
Fazit
Unüberhörbar, dass Autor und Regie ihren Job beherrschen. Genau das Richtige für eine 45-Minutenfahrt in der Bahn. Der Autor hat noch Luft nach oben.
Couch-Wertung: 75°
ARD Audiothek
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 45" von Malte Stamer, 10.2024
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Fotos: istock.com / tolgart
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