Krimi-Hörspiele:
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"Das Zentrum der Grenze"
Ein Landkommunenkrimi
Im Sommer 2024 veröffentlicht der SWR einen neuen Krimi des Autors Lars Werner. Werner hat auch am Mehrteiler „Am Schlick“ mitgewirkt. Er greift aktuelle Themen auf und kann hochspannend sein.
Inhalt
Die Journalistin Maren Kowalczyk begibt sich für Recherchen zu einem Radio Feature in die Eifel. Dort haben im Tomorrow-Retreat fünf Menschen kurz hintereinander Selbstmord begangen. Alle haben sich dazu in ihrem Zimmer eingeschlossen. Es ist auch eine Reise in Marens Innenwelt, denn Maren hat als junge Journalisten genau an diesem Ort, einen Artikel über das damals ansässige Chemieunternehmen geschrieben. Und einer der Toten ist ihr Sohn Eric.
Das Retreat schottet sich ab und ist schlecht zu erreichen. Die Dorfbewohner nennen es nur: Das Zentrum. Aber Maren wird offen empfangen, kann sich ein Bild machen. Sie sieht Ecofitness: Junge Menschen reißen Schilf mit bloßen Händen aus einem See. Oder lauscht bei der amorphen Transformationstherapie: Die Teilnehmer sollen sich in das Leben von Tieren versetzen, um deren Leid zu spüren.
Die sympathische Trainerin Nico zeigt Maren die Räume der Toten und lässt sie alle „Überbleibsel“ in Ruhe betrachten. Maren hört sich die Audio-Journals der Toten an. Auch das Journal von Eric. Die Guru-ähnliche Chefin Vanessa erläutert Maren geduldig den Heilsansatz. Die Kommune will die Schuld der Menschen abbauen, weil sie die Natur zerstört haben. Diese Chemiebrache sei daher symbolhaft ausgewählt worden. Die Toten werden zu Erde und vor Ort bestattet. Damit bauen sie die Sünden an der Natur ab.
Und dann bricht die Geschichte ab. Maren ist verschwunden und es gibt keinen Kontakt zu ihr. Ihr Kollege Sidney Rahmani macht sich nun auf die Suche nach Maren und lässt die Hörer an seiner Recherche per Podcast teilnehmen.
Das Hörspiel
Keine leichte Kost. Vor allem weil das Hörspiel permanent mit einer nervigen, düsteren Musik-und Soundkulisse untermalt ist. Auch die Erzählkonstruktion ist schwierig. Die Gliederung in Kapitel hilft da nicht unbedingt. Maren spricht selbst, gibt ihre (nicht immer autorisierten) Interviews wieder.
Sidney wendet sich später in seinem Podcast direkt an die Hörer und gibt eigene, sowie Aufnahmen von Maren wieder. Auch gelegentlich Rückblenden und Zeitsprünge. Aber man hört sich ein. Dem Autor gelingt es mit dieser Konstruktion zwei verschiedene Blickwinkel auf den gleichen Vorgang einzunehmen. Die selbst betroffene Maren und der distanzierte Sidney. Beide Sprecher klingen überzeugend und sind allen anderen Rollen deutlich überlegen.
Das Retreat selbst wirkt etwas aus der Zeit gefallen und eher wie eine Parodie. Eine Straßensperre, die zum Totalschaden führt, ist auch auf einer Privatstrasse nicht vorstellbar. Der amerikanische Akzent eines Aktivisten klingt nur lächerlich. Manches wird sehr zurechtgebogen: Keine sorgfältigen Ermittlungen durch die Polizei. Und Sidney ruft mal so am Telefon das SEK hinzu, als es brenzlig wird. Die hörtechnischen Raffinessen wie Ton-Aufnahmen, Podcast, Telefonate etc. sind jugendaffin und einfallsreich, tragen aber inhaltlich nichts bei.
Aber diese Schwächen werden durch einen ausgesprochen spannenden, völlig unerwarteten Plot ausgeglichen. Zudem ist das Hörspiel durch die Spurensuche von Sidney ein Krimi im Krimi. Das Anliegen des Hörspiels ist unüberhörbar und wird auch wörtlich genannt:
„Alle Menschen haben einen Punkt, wo man sie kriegen kann.“ Für Manipulation und Abhängigkeit. Und dann sind Indoktrination, Drogen und Machtmissbrauch Tür und Tor geöffnet. Es ist nichts so, wie es auf den ersten Blick aussieht. Also das Ohr bis zum Ende wachhalten. Der Autor hat eine gute Vorlage geliefert, die eine differenziertere Inszenierung verdient hätte. Irgendwas muss ja immer auch anziehend sein, dass sich Menschen auf Gurus einlassen. Es ist vermutlich nicht nur düster.
Fazit
Wer den Sound bis zum Ende aushält, wird mit einem spannenden Hörspiel belohnt, dass trotz Düsternis und Gruselsound ein bedenkenswertes Hörvergnügen ist.
Couch-Wertung: 80°
ARD Audiothek
"SHIKImicki"
Outlog meets Zürich, der SRF Tatort
Dies ist nun die dritte Episode, die um 2056 in der Schweiz spielt. Laura Martini hat sich bisher in ihrem Outlog hoch in den Bergen gegen den Überwachungsstaat gewehrt. Im Outlog gibt es keine implantierten Chips, keine Überwachung. Ihr persönlicher Feind ist der Leiter des Gesundheitssystems SHI (Swiss Health Institut) Luzi. Ihr Chef als sie noch bei der Kripo gearbeitet hat.
Inhalt
Laura begibt sich nach Zürich. Dort hat das SHI seinen Sitz und nutzt zur Überwachung selbstverständlich die neueste KI (SHI KI). Sie sucht Klaus Lidwetzky. In den Albedo-Files wurde behauptet, es gebe in der Schweiz noch Morde. Was vom SHI immer bestritten wurde. Nun soll Klaus über Belege für 12 Mordfälle verfügen. Klaus hat sich in der verarmten Nebenwelt Zürichs versteckt. Aber Laura kommt zu spät. Vor ihren Augen wird Klaus von einer herabfallenden Klimaanlage getötet. Das kann kein Zufall sein. Eine Rettungsdrohne ist unverzüglich zur Stelle und nimmt den Toten auf. Laura schmuggelt sich in letzter Sekunde noch hinein und landet im SHI! Luzi will sie virtopsieren und ihre Gedanken auslesen. Dies geschieht durch die vom SHI entwickelte KI. Wenn´s nicht klappt, gibt es eben Shikimicki.
Doch Regine kann sie rechtzeitig mit Hilfe der Androiden-Maschine Hanna befreien. Aber wie kommt Regine in das SHI-Reich? Sie bewegt sich selbstsicher in der Welt der Schönen und Reichen, behauptet aber auf Lauras Seite zu stehen. Unterstützung hat Laura auch von ihrem soliden, vorsichtigen Helfer Emil, der vom Outlog aus, ihre Aktivitäten kommentiert. Wenn er kann. Das Outlog ist hoffnungslos überbucht und der Strom ist ausgefallen. Luzi und das SHI setzen alle Waffen ein: Angriffe von Pizzadrohnen, Hackerangriffe, Robocops. Hat Laura eine Chance zu überleben und noch an die entlarvenden Informationen zu gelangen?
Das Hörspiel
Wie gewohnt braucht kein deutsch-sprachiger Hörer Angst haben, etwas nicht zu verstehen. Auch wenn es eine eigenständige Episode ist, erschließen sich Sprach-und Spielwitz allerdings nur, wenn man die vorhergehenden Folgen gehört hat.
Spielort ist nun das überhitzte Zürich und statt röhrender Elefanten, hört man Ungeziefer und Großstadtlärm. Der Autor Dominik Bernet und das Team des SRF legen erneut ein Hörvergnügen vor, das kaum übertroffen werden kann. Bernet sprengt auch das Genre: Ein wenig Sci-Fi, ein wenig Grusel, auf jeden Fall ein Krimi, in dem alles irgendwie doch ganz nahe wirkt und damit dem Hörer auch gehörig auf den Pelz rückt. Immer sehr neutral erzählt und glaubwürdig gesprochen. Selbst dem Schurken Luzi kann man noch etwas abgewinnen.
Neben dem zentralen Thema der KI-Bedrohung greift Bernet noch andere Themen auf: Mietwucher, streunende Wohnnomaden, Vertrauen und Ehrlichkeit. Whistle-Blower. Der Rezensent muss gestehen, dass er bei den vielen Wendungen und den überbordenden Einfällen des Autors gelegentlich den Faden der Handlung verloren hat. Da hat nicht jeder die Lust, ein zweites Mal zu lauschen. Auch kann man Sprachwitz übertreiben. In der Summe ein packendes Angebot an den Hörer, zu reflektieren, was da noch auf uns zukommen kann. Und nicht nur in der Schweiz.
Fazit
Keine leichte Kost, aber ein anregendes Hörvergnügen eines gewieften Autors und des gut gelaunten Regie-Teams. Die SRF-Tatorte sind immer eigenwillig. Darum kann man ihnen hörig werden oder von Grund auf ablehnen.
Couch-Wertung: 80°
ARD Audiothek und beim SFR
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 44" von Malte Stamer, 10.2024
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Fotos: istock.com / tolgart
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