Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 41

"Hitze"

Ein Psycho-Pubertätskrimi

Das Buch Hitze (La Chaleur) des 25-jährigen Franzosen Victor Jestin hat 2021 Furore gemacht. Da schreibt doch ein junger Mensch einen Roman über die hippe, weltoffene Generation nach Z (zur Erinnerung Z=1995-2010) und es kommen lauter schwer-und wankelmütige Szenen über das Leben in der Pubertät vor. Das alles auch noch spannend. Da werden Leser jeden Alters neugierig. Das Schauspiel Stuttgart hat bereits eine Theaterversion im Angebot. Der NDR hat sich im Feb. 2024 an eine Hörspielbearbeitung dieses kurzen Romans (160 S.) gewagt und sich dabei die Mitarbeit von Sven Stricker gesichert.

Inhalt

Frankreich, Atlantikküste. Nicht nur Franzosen kennen diese riesigen Campingplätze am Meer mit viel Remmidemmi, tosenden Wellen, endlosen Stränden und überhaupt Abenteuer. Der 17-jährige Léonard ist mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester dort in den Ferien. Er setzt sich ab und tummelt sich von morgens bis abends bei den Gleichaltrigen, immer auf der Suche nach einem Abenteuer mit oder ohne Sex. Verkatert findet er sich eines Morgens in der Nähe des Kettenkarussells. Dort sieht er Oscar. Gestern Abend hat Oscar noch mit Luce rumgemacht, auf die auch Leonard scharf ist. Jetzt hängt Oscar betrunken in den Seilen des Kettenkarussells und kämpft mit dem Leben. Léonard schaut zu. Hilft nicht. Er sieht Oscar beim Sterben zu. Verdrängt und begibt sich wieder in den üblichen Tagesablauf. Redet mit Luis, der endlich seinen ersten echten Sex haben will. Nähert sich zaghaft Luce an. Hatte sie was mit Oscar? Sie ist lieb und zärtlich zu ihm, mehr aber auch nicht. Sein Gewissen meldet sich mehr und mehr. Und das alles in einer atemberaubenden Hitze, die jede Energie nimmt. Für den Abend ist ein reinigendes Gewitter angesagt. Am nächsten Morgen reist seine Familie wieder in den Alltag nach Hause. Aber es kommt alles anders.

Das Hörspiel

Buch und Hörspiel verraten den Plot gleich zu Beginn: “Oscar ist tot“. Mit diesem Satz von Léonard folgt der Hörer ihm und seinen inneren Monologen einen Tag und eine Nacht hindurch. Es ist ein eher leises, ruhiges Kammerspiel. Die Jugendlichen, die ihm begegnen, haben so gar nichts gemein mit den hippen, coolen Typen aus der Instagram- und Tiktok-Welt. Sie sind auf der Suche nach sich selbst, nach Abenteuer, Sex oder Zärtlichkeit. Voller innerer Hitze. Luce, die zärtlich distanziert zu Léonard ist, ohne zu ahnen, was mit Oscar geschehen ist. Luis, der endlich mal „richtigen“ Sex haben möchte und Zoe, die Sphinx, die irritiert. Und dann gibt es das weite unendliche Meer als Symbol und die Hitze, von der Léonard nicht weiß, ob die innere stärker als die äußere ist.

Die Textvorlage ist sorgfältig austariert, ohne platten Jargon. Dieses Hörspiel passt in kein Schema. Die Spannung entsteht, weil der Hörer eine Stunde lang immer neugieriger wird, wie es ausgeht, weil wir ja den Tod schon kennen. Und es kommt völlig anders als erwartet, das darf ruhig verraten werden. Es ist ein eher düsteres Bild dieser adoleszenten Jugend. Aber nachvollziehbar und wunderbar inszeniert.

Jeder Hörer weiß aus Erfahrung, wie schwer es ist, junge Stimmen zu besetzen. Hier ist dem Team ein Geniestreich gelungen. Die Stimmen sind sicher und selbstbewusst, sie können sarkastisch sein und liebevoll. Jede Figur ist glaubhaft, für manchen Hörer eine Reise in die eigene Vergangenheit. Die Geräuschkulisse ist vorsichtig eingesetzt. Wind, Wellen, Partylärm oder Lautsprecheransagen bleiben leise im Hintergrund. Die Musik ist sparsam instrumentiert. Wenige, melodiöse Tonfolgen, die sich sanft wiederholen und den Weg in innere Welten weisen.

Manch Rezensent des Buches fühlte sich an den „Fänger im Roggen“ von Salinger erinnert. Das Hörspiel wird sicher polarisieren, weil es nicht klar Stellung bezieht, sondern sehr neutral berichtet und eben auch eigenwillig inszeniert ist. Ein überzeugender Blick in die Innenwelt eines Jugendlichen, der an einen Satz von Ernst Bloch erinnert: „Ich bin, aber ich habe mich nicht. Darum werde ich erst.“

Die Einordnung der Audiothek in die Rubrik „Politthriller“ ist ein absoluter Fehlgriff. Immerhin taucht es auch bei „Coming of Age“ auf.

Fazit

Keine leichte Kost. Viel Monolog, viel Dialoge, überschaubare Handlung. Eigenwillige Spannung. Aber meisterhaft inszeniert lädt das Hörspiel zum „Nach“-Denken ein. Sven Stricker kann deutlich mehr als nur Sörensen.

Couch-Wertung: 90°

ARD Audiothek

"Ein Mann mit vielen Talenten"

Castle Freeman nimmt Faust ins Visier

Der Amerikaner Castle Freeman wurde in Deutschland als Autor spät entdeckt. Der heute 80-Jährige bietet im gleichnamigen Roman (Engl: The devil in the valley, 2015) seine Interpretation des klassischen Faust-Themas an: Du darfst eine Zeit länger leben, und die Zeit in vollen Zügen genießen, dann gehörst du mir. Wer die bereits beim SWR erschienen Hörspiele von Freeman kennt, wird ahnen, dass es wohl nicht so einfach für den Teufel wird und vermisst Lucian Wing. Allerdings hat der SWR durch kluge Besetzung und Dramaturgie für Verbindendes gesorgt.

Inhalt

Die junge Polizistin Madison hält ein Fahrzeug an und will die Papiere sehen. Die sind seltsam. Doch dann sind Fahrzeug und Fahrer verschwunden. So wird ein Gehilfe des Teufels eingeführt, auf dem Weg zu Langdon Taft.

Alt und einsam, aber wohlhabend lebt der ehemalige Lehrer in einer baufälligen Hütte in Vermont, im Nordosten der USA. Taft liebt es, auf der Terrasse zu sitzen und seinen billigen Scotch zu genießen. Sein einziger Freund ist Eli Adams, ein Allrounder, der dort hilft, wo es Taft an Talent mangelt. Unerwartet bekommt Taft Besuch von Dangerfield, den niemand sonst sieht, aber hört. Dangerfield ist ein Abgesandter des Teufels. Er bietet Taft einen Deal an: Du darfst noch bis zum Columbus-Day (7 Monate) leben. Und was bekomme ich dafür? Du darfst in der Zeit alle meine Talente nutzen. Und davon habe ich viele. Taft willigt ein. Und dann beginnt eine Reihe von teuflischen Überraschungen.

Der todkranke Sean wird gesund und die Krankenhausrechnungen bezahlt ein Unbekannter. Der örtliche Schläger und Frauenhasser Wes verschwindet überraschend für immer. Eine junge Tote wird zum Leben erweckt, ein säumiger Hypothekenschuldner kann sich von den New Yorker Eliteanwälten befreien. Alles für das Gemeinwohl, nichts für Taft. Allerdings bringt Danger die junge Madison und Taft zusammen. Da Taft ständig redet, ohne jemanden zu sehen, halten ihn alle für verrückt. Bis auf Eli Adams und die im Hospiz lebende 98-jährige Calli.

Das Hörspiel

Es gibt ungewöhnliche Rollen in diesem Hörspiel. Wir hören den Teufel, seinen Beauftragten und Gehilfen, die sich gelegentlich in Ich-Form einmischen. Die Handlung umfasst ausgewählte Szenen innerhalb der 7 Monate. Alles spielt sich in einem kleinen Ort in Vermont ab. Und am Ende stirbt jemand.

Das Hörspiel ist weit entfernt von schwerer literarischer Kost wie bei Goethe oder Marlowe. Aber es ist auch bei wohlwollender Bewertung kein Krimi. Wenn es nicht an einem Ort spielte, würde man von einem Road-Audio sprechen. Es ist unterhaltsam bis hin zum lauten Lachen und vermittelt wunderbar die Atmosphäre von Land und Leute im ländlichen Nordamerika. Immer mit einem Augenzwinkern, bei dem auch die Ohren wackeln. Zwei Stunden sind auf keinen Fall zu lang, denn es sprudelt über von aberwitzigen Ideen und Geschehnissen. „Verweile doch du bist so schön“. Steht das nicht schon in Goethes Faust? Spannung wird also durch Neugier ersetzt.

Der Bearbeitung ist eine hörenswerte und eigenständige Interpretation der Vorlage gelungen. Die sprachlichen Spielchen des Autors Freeman werden glücklicherweise beibehalten: Taft verärgert zu Dangerfield: „Geh doch zum Teufel“. Da muss sogar Dangerfield lachen.  Neben der klugen Szenengliederung in Kapitel (die es im Buch nicht gibt), sind die Sprecher Garanten des Erfolgs. Den älteren Friedhelm Ptok als Langdon Taft sieht der Hörer förmlich auf der Terrasse sitzen. Hans Harzer als Dangerfield nutzt alle Tonregister für den tödlichen Verführer. Gelegentlich etwas Zuviel des Ganzen. Vielleicht die einzige Schwäche des Hörspiels. Durch manche Überzeichnung (Anwalt, Gehilfen von Danger) geht etwas von Freemans Anliegen verloren. Das Absurde ist Teil der Wirklichkeit und der Gegenwart. Steffen Scheunemann dagegen ist der ruhende Pol der Story und trifft immer den richtigen Ton.

Zum guten Ton gehört auch die passende Musik. Die stimmige, ungemein abwechslungsreiche Country-Musik verführt den Hörer in bekannte Filme und Melodien. Jede Szene hat ihre eigene, verführerische Klangwelt, die man laut mal, mal leise ist. Die Story ist vielleicht eine schlitzohrige Interpretation des Faust-Themas, aber eher eine Liebeserklärung an Land und Leute.

Fazit

Ein gelungener Ausflug des Krimiautors Freeman, der augenzwinkernd und sprachbegabt das Faustische im Menschen auf seine Weise beschreibt.

Couch-Wertung: 90°

ARD Audiothek

"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 41" von Malte Stamer, 07.2024
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Fotos: istock.com / tolgart

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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