Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 40
"Toxisches Karma"
Ein Krimi in der Esoterik-Szene
Das Autorenehepaar Hübner/Nemetz gehört zu den erfolgreichsten Theaterautoren der Gegenwart. Einer Öffentlichkeit sind sie durch die Verfilmung von: „Frau Müller muss weg“ bekannt geworden. Allerdings haben die Beiden bereits 2019 ein erstes Kriminalhörspiel veröffentlicht. „Furor“ basierte auf dem gleichnamigen Theaterstück. Im Jan. 24 ist nun ihr neuestes Werk vom Deutschlandradio vorgestellt worden. Regie führt der Routinier Ulrich Lampen.
Inhalt
Tobias gerät in Panik. Seit Stunden wartet er auf seinen schwer asthmakranken Sohn Finn. Keiner geht ans Handy. Finn durfte heute bei seiner Mutter Annika und ihrem neuen Lebenspartner Mike sein. Am späten Abend dann der Anruf. Annika und Mike haben Finn zu einem Heiler gebracht. Während einer Kur soll den wahren Ursachen seiner Krankheit auf den Grund gegangen werden. Tobias ist skeptisch, aber um das gemeinsame Sorgerecht nicht zu gefährden, lässt er die Beiden gewähren, ohne zu wissen, wo sich Finn aufhält. Ein Telefonat mit Finn bricht dieser nach kurzer Zeit ab, weil die Strahlen zu gefährlich seien. Annika klagt über die Gefahr von Big Pharma und schwört auf Klangschalen und Selbstheilung. Tobias recherchiert den „Kurort“ und reist hin. Dort kommt es beinahe zu einer handfesten Auseinandersetzung mit Mike. Der lässt ihn nicht zu Finn. Tobias schaltet die Polizei und das Jugendamt ein. Die wiegeln ab. Wird schon nichts Schlimmes sein. „Warten sie ab“. Doch die Horrorvorstellung wird Wahrheit. Mike und Annika setzen sich mit Finn nach Lateinamerika ab. Gegen jeden Rat begibt sich Tobias dorthin, um Finn zurückzuholen, denn am Ende wird ja alles gut. Nichts wird am gefährlichen, filmreifen Ende gut.
Das Hörspiel
Das Hörspiel braucht eine Weile, um Tempo aufzunehmen. Die ersten 30 Minuten sind Telefonate zwischen Tobias und Annika, seiner Mutter, Finn. Der Hörer hat Zeit, sich an die Hauptpersonen klanglich zu gewöhnen, bevor neue Figuren und neue Spielorte, die Handlung vorantreiben. Seine Mutter bietet Tobias Rat. Den braucht er, aber nicht von ihr. Sein Fußballkumpan Winfried ist da besser geeignet.
Das brandaktuelle Thema Kindesentführung durch enge Verwandtschaft wird hier unterhaltsam, eigentlich filmreif, umgesetzt. Den Dialogen hört man an, dass die Autoren vom Theater kommen, aber immer auch einen Film vor Augen haben. Die Figuren wirken und sprechen lebensecht. Sie haben Schwächen und Macken. Das Behörden wenig hilfreich sind, wird nicht verschwiegen. Tempo und Spielorte garantieren fortgesetzte Spannung. Da gibt es esoterische Klangschalen, ein unheilvolles Video auf TV-Online und eine Kindesübergabe in der argentinischen Pampa.
Auch wenn der Hörer von Beginn an auf Tobias Seite steht, behält das Hörspiel eher eine neutral erzählende Position bei. Den Autoren ist es offensichtlich ein Anliegen darzustellen, wie schwierig das Reden der Menschen untereinander ist. Wünschen und Wahrheiten auseinanderzuhalten. Das Hörspiel hat am Ende zwei dramatische Situationen. Die Spannende ist nicht gelungen und hoffnungslos überzogen. Zu viel Fernsehen. Die zweite Situation ist kurz und nüchtern, aber herzzerreißend.
Fazit
Den Autoren wird häufig vorgehalten, sie seien old-fashioned. Aber dies erklärt auch ihren Erfolg. Ein spannendes, unterhaltsames Hörspiel voller aktueller Bezüge mit brillanten Dialogen und viel Pep. Da muss nicht jede Hauptfigur tiefenpsychologisch charakterisiert werden.
Couch-Wertung: 85°
ARD Audiothek
"Totbeten"
Kai Magnus Sting in Topform
Der unverwechselbare Kai Magnus Sting schlägt wieder zu. Im Jan. 2024 stellt der WDR die 2022 produzierte Sendung in der Audiothek zur Verfügung. Neu ist die wiederum hochkarätige Besetzung mit dem Tatort Kommissar Dietmar Bär, der Polt-Partnerin Gisela Schneeberger, dem charaktervollen Sprecher Felix von Manteuffel (Radio Tatort Hessen) sowie vielen anderen Prominenten. Neu ist die Hauptabteilung ABS des Kommissar Brahms: Abseitiges, Böses, Skurriles. Das sagt schon viel über die Handlung aus.
Inhalt
Ein offensichtlich ertrunkener Toter sitzt nackt auf einer Tanne. Kopflos. Klare Sache: Ein Fall für ABS. Genauer gesagt für Kommissar Brahms, denn er ist allein. Kein großes Ding für ihn: „Sowas löse ich zwischen Kakao mit Schuss und Zigarette in der Badewanne“. Allerdings hat auch Brahms seine Probleme. Die diskutiert er mit der Psychologin Frau Dr. Konstantin. Gemeinsam erörtern sie schon mal, warum und wie gemordet wird. Aber der Pathologe Mahler kann helfen. Auf dem Arm des Toten findet sich der Name Josefine als Tatoo. Bald darauf meldet sich dann auch die Ehefrau des Toten. Aber Mahler weiß noch mehr. Der Körper des Toten enthielt Chlor. Der Mann war baden. Und Mahler weiß auch schon wo. Er hat Überwachungskameras der Schwimmbäder analysiert und den Toten ins Schwimmbad hinein-aber nicht hinausgehen. sehen. Dafür 5 Menschen mit einem roten Jutebeutel!!
Kommt diesen Beuteln eine tragende Rolle zu? Die Befragung der Nachbarn ist nicht ergiebig. Der Tote war ein Kotzbrocken und alle wünschten ihm den Tod an den Hals. Offenbar liebte der Tote Frauenkleider und hielt sich gerne in entsprechenden Lokalitäten auf. Auch nichts. Aber in kurzer Zeit gibt es noch mehr absurde Morde. Keine Zusammenhänge, aber es waren alles Männer. Doch der unnachgiebige Brahms findet eine hoffnungsvolle Spur und es kommt im vornehmen Grand Hotel zu einem spannend-absurden Showdown.
Das Hörspiel
Kai Magnus Sting bietet vor allem das, was der Hörer erwartet. Überbordender Sprachwitz, geniale Formulierungen, reichlich Skurriles und Absurdes. Diesmal in einer zügig inszenierten, durchaus spannenden Handlung. Schließlich bleiben die Täter bis zum Schluss offen. Es ist also auch ein grundsolider Ermittlerkrimi.
Dass der Titel andeutet, es müssen 5 Täter sein, macht es nicht einfacher. Sting nimmt alles und jeden auf die Schippe, im Minutentakt. Der Pathologe Mahler betreibt auch die Kantine. Seine Chefin Dr. Curtius legt mitten in einer heißen Verfolgungsjagd Wert auf Mettbrötchen. Natürlich mit Zwiebeln. Und Sting schaut dem Menschen, vornehmlich dem Rheinländer aufs Maul, und der Hörer erkennt die vielen sprachlichen absurd-alltäglichen Ungereimtheiten. Und ihm gelingt es dennoch lehrreiche Weisheiten für jedermann zu vermitteln: „Die Leichtigkeit in der Schwere finden“. Wem hilft das nicht?
Das alles wird zügig, naturgemäß dialoglastig, erzählt, ergänzt durch innere Monologe des Kommissar Brahms. Die musikalische Begleit-und Hintergrundmusik ist eher jazzig, als Sound gelegentlich experimentell. Den vom Fernsehen bekannten Sprechern sind die Rollen wie auf den Leib geschrieben. Besser geht es kaum. Der Hörer wird das altbekannte Dreier-Team Friedrichsberg, Dahl, Straaten nicht vermissen. Bei allem Klamauk stecken aber doch ein paar Weisheiten in diesem Kunstwerk: Eine Mahnung mit Sprache präzise zu sein, das Undenkbare zu denken und sich Selber nichts so ernst zu nehmen.
Fazit
Eine Hörfreude ersten Ranges, über den sich Ohr und Hirn freuen. Auch für Sting-Skeptiker des Lauschens wert, weil es einfach ein guter Krimi ist.
Couch-Wertung: 90°
ARD Audiothek
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 40" von Malte Stamer, 06.2024
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Fotos: istock.com / tolgart
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