Krimi-Hörspiele:
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"Loose the rich"
Ein hochklassige Kriminalsatire mit Tief-und Seegang
Der Deutschlandfunk Kultur geht immer mal wieder mutige Wege. Im Sommer 23 produziert er eine Kriminalsatire, die an sich schon selten und nicht ganz einfach sind. Und das auch noch mit weitgehend unbekannten Autoren und Regisseuren. Der Mut wurde unstrittig belohnt.
Inhalt
Der Shooting-Star Raya hat die rettende Idee. Raya ist reich geworden, weil sie eine App entwickelt hat, mit der der Lebensweg von Produkten ökologisch korrekt nachvollzogen werden kann. Das kommt bei den Reichen und Schönen und den ganz schön Reichen super an. Aktuell haben sie aber andere Sorgen. Sie werden akut von einem Virus bedroht, der nur Reiche befällt! Raya kauft eine einsam gelegene Insel im Norden Schottlands und lädt eine kleine Gruppe Gleichgesinnter ein. Sie dürfen sich auf Rayas Yacht in dieses Refugium begeben. Dort sind sie vor dem Virus sicher. Doch Sicherheit hat seinen Preis. Alle Reisenden müssen ihren Reichtum einer Stiftung übergeben, die dann den Aufenthalt auf der Insel sicherstellt.
Die Reise beginnt mit einem Drama. Stefan, der eng mit Raya zusammengearbeitet hat, wird brutal ermordet aufgefunden. Und dann wird auch noch Tessa entdeckt. Eine blinde Passagierin, die das Sicherheitskonzept gefährdet und als Täterin in Frage kommt. Claire, die ältere Finanzmanagerin von Raya, drängt darauf, die Reichtümer an die Stiftung zu überschreiben. Als sich dann rausstellt, dass Raya ihren Reichtum nur durch eine gefakte Software erworben hat, überschlagen sich die Ereignisse auf der Yacht. Aber niemand kann weg.
Das Hörspiel
Das Hörspiel ist ein Hörgenuss ersten Ranges. Es ist jeden Moment spannend und unerwartet, selbstironisch, ein wenig gruselig und witzig. Da fallen schon mal so schöne Sätze wie: „Wenn ich an dem Virus sterbe, bin ich echt sauer“. Da muss man erst mal draufkommen. Den Sprechern gelingt es, ihren Figuren so viel Leben einzuhauchen, dass der Hörer allmählich mitfühlt und sich Sorgen macht. Allen voran Hedi Kriegeskotte als gefährliche Finanzmanagerin. Kurze musikalische Pausen laden zum Mit-und Weiterdenken ein. Auf der Yacht kommen Spielorte wie Bar, Sauna oder Kühlraum zu Gehör.
Das Stück erzählt die Reisegeschichte von 8 Personen. Niemand kann die Yacht verlassen. Es gibt einen Toten. Eine klassische Krimisituation. Klar, dass die einzige Nicht-Stinkreiche die Mörderin sein muss. Aber das Hörspiel ist nicht nur eine Satire über das Leben der Reichen. Von denen Einige übrigens in Mar al Lago leben! Man hört, dass das Autorenteam gelauscht hat, wie Menschen miteinander reden. Dialoge, wie jeder sie kennt, tun weh. Ein Liebeszene ist reduziert auf den Satz: „Nimmst du mich mal in den Arm?“ Das Mädchen nimmt die Realität eher als beobachtende Podcasterin wahr.
Allein schon die Zusammensetzung der Typen macht neugierig: „Ein hypochondrischer Social-Media-Star, ein Schönheitschirurg mit Kapitäns-Ambitionen, ein Sterne-Koch und ein Bildhauer mit Herzschmerz und handysüchtiger Tochter.“(DLF)
Aber in erster Linie ist es ein Stück über Verschwörungsängste und die Bereitschaft, jeden Unsinn zu glauben und nicht zu hinterfragen.
Das Hörspiel stellt aber auch die Frage, wie weit Menschen gehen dürfen, die von ihren Ideen überzeugt sind. Also hat es auch eine aktuelle politische Dimension.
Fazit
Ein hörenswertes Kabinettstückchen, das vor allem durch seine Mischung aus Krimi und Satire beeindruckt. Das Autorenteam hat beim Text und Plot ein sehr hohes Level erreicht. Und als Regieteam noch eine Schippe draufgelegt. Was will der Hörer mehr?
Couch-Wertung: 90°
ARD Audiothek
"Die Nacht der vergessenen Sterne"
Großstadtautor verirrt sich in die Provinz
Nach dem Ende des Teams Brändle/Finkbeiner tut sich der SWR schwer mit seinem in Landau/Pfalz angesiedelten neuen Team. Nun entschied sich der Sender das Team beizubehalten, aber die erfolglose Autorin Monika Geier, durch den routinierten Friedrich Ani zu ersetzen. Ani lebt und schreibt in München und hat gerade so etwas wie einen Hörspiel-Lauf. Die zuletzt geschriebenen Originalhörspiele hatten durchweg gute Bewertungen, anders als seine langatmige Audible-Produktion. Er hat bereits 2009 einen Radio Tatort für den SWR geschrieben. Das Hörspiel ist die dritte Episode (Tatort 178) um das neue Team und erscheint im Juli 2023.
Inhalt
Bei einem Brand im Zentrum von Landau/Pfalz kommt ein zwölfjähriges unbekanntes Mädchen durch Rauchvergiftung ums Leben. Das Wirtshaus L-Klause steht seit mehr als 12 Monaten leer, es wurde wegen Hygienemängel stillgelegt. Ein Schelm, wer nicht an einen heißen Abbruch denkt. Aber riskiert der Täter dafür ein Menschenleben? Spuren deuten darauf hin, dass auch eine Katze im Haus war und eine zweite Person. Das Landauer Team mit Anima King, Piroso und Traminer sowie die übergeordnete Truppe um Ekkelsberg und den spottenden Dillinger nehmen zuerst den Pächter ins Visier. Er hat ein Alkoholproblem und seine Frau ist gerade wegen häuslicher Gewalt in ein Frauenhaus gezogen. Doch er hat gar kein Interesse mehr am Weiterbetrieb gehabt, weil er an die Investmentfirma Local Investment GmbH verkaufen wollte, um der Krise in der Gastronomie zu entgehen. Ist auch die lokale Sauna-Connection mit dem Bürgermeister und dem Anwalt Fuchs verwickelt?
Ein Frankfurter Ehepaar identifiziert das Mädchen als ihre Adoptivtochter Emily. Sie hat sich auf den Weg nach Landau gemacht, um ihre leibliche Mutter zu finden. Mit der Katze im Gepäck. Auf dem Landauer Bahnhof hat sie einen jungen Geistesbruder gefunden. Er war auf der Suche nach seinem leiblichen Vater. Kann er sagen, was geschehen ist?
Das Hörspiel
Es gehört für einen Autor Mut dazu, sich auf ein bestehendes Setting von Ermittlern einzulassen.
Ani ist es gelungen. Die vorgesetzte Kommissarin Ekkelsberg nimmt mehr Raum ein und mehr Charakter. Wie überhaupt die gesamte Teamarbeit mit ihren Nickligkeiten ein eigenständiges Thema wird. Anima hält weiterhin stille Kommunikation mit ihrem längst verstorbenen Chef.
Das Hörspiel ist spannend und hochprofessionell umgesetzt, es macht bis zum Ende Freude zuzuhören. Das Feuer knistert, die Sirenen heulen, die Katze mauzt, der Hörer hockt mitten im Geschehen und belauscht die immer wieder neuen Wendungen. Die spezielle Pfälzer Atmosphäre ist allerdings etwas verloren gegangen, obwohl hier gefühlt mehr Dialekt gesprochen wird als in den ersten Episoden. Es ist weniger das beschauliche Landau als eine Millionenstadt. Auch greift das Hörspiel zu viele Themen auf, die ja alle nur Ear-Catcher sind, aber zur Handlung wenig beitragen: Gaststättenkrise, Immobilienhaie, Femizide und Gewalt in der Ehe, Kinder auf der Suche nach ihren leiblichen Eltern. Der Hörer muss zudem aufpassen, die Familienbeziehungen im Überblick zu behalten.
Die grauenhafte Begleitmusik verdient eine besondere Erwähnung. Das Kammerflimmer Kollektief nutzt die kleinen Pausen für esoterisch-düstere Elektronikklänge, die dem Hörer keine Chance für Zwischentöne bieten. Es flirrt, flimmert und wabert. Selten so einfallslose Begleitung gehört. Das ist das Gegenteil von „Lunten in die Fantasie der Zuhörer“, die Ani in einem Interview dem Hörspiel zuschreibt. Der immerhin melodiöse Titelsong ist lediglich am Anfang und am Ende zu hören. Welch Widerspruch zu der jederzeit fein formulierten Sprache des Autors.
Wie oft bei Ani ein tief bewegender Titel, der sich nur dem Märchenkundigen erschließt. Emily, als Sterntaler-Mädchen hat gelitten und wird nicht mit herabfallenden Stern-Talern belohnt. Sie sucht, wie der junge Finn, sich selbst, sucht Halt und erleidet den Tod.
Fazit
Trotz Einschränkungen ein jede Minute hörenswerter Krimi. Aber im Sendegebiet des SWR gibt es sicher noch andere Autoren, die das spezielle Regionalkolorit treffen.
Couch-Wertung: 80°
ARD Audiothek
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 29" von Malte Stamer, 08.2023
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Fotos: istock.com / tolgart
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