Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 20
"Haus der aufgehenden Sonne"
Ani at it´s best
Der Autor, Friedrich Ani, dieses Originalhörspiels ist ein kriminalistisches Urgestein, der viele Bücher veröffentlichte und etliche Originalhörspiele für das Radio. Er ist eng mit München und seinen Kiezen verbandelt, schreibt aber eher mit feinem Stift und leicht melancholischem Klang. Wer einen der populärsten Songs der Musikgeschichte zum Titel wählt, tritt mit einem gewissen Selbstbewusstsein an. Der Autor nimmt sich die Zeit, sein Thema in drei einstündigen Teilen zu erzählen. Der Hörer trifft dabei auf zwei typische Ani-Figuren, erstmals zusammen in einem Hörspiel.
Inhalt
Der Ex-Kommissar Jakob Franck überbringt dem Gastronomen Klaus Nadich die Nachricht vom Tod seines jüngeren Bruders Dirk. Er wurde im Faringasee gefunden. Jakob Franck arbeitet ehrenamtlich für die Polizei als Überbringer schlechter Nachrichten! Der Fall wird von der Oberkommissarin Fariza Nasri und ihrem Team bearbeitet. Die klassischen Ermittlungen beginnen beim Bruder, der kein glaubwürdiges Alibi hat und häufig mit ihm in Streit geriet, weil die Kneipe nicht recht lief. Tatwaffe war ein russisches Militär-Messer, das nur ein Händler in München im Angebot hat. Dann gibt es den zweiten Toten. Mit dem identischen Messer ermordet. Die Polizei sucht fieberhaft nach einem Zusammenhang. Den gibt es. Beide waren regelmäßig Gast in der großzügigen Wohnung der „Trude“, einer älteren Dame, im Glockenbachviertel. Sie ist die Vermieterin der Gaststätte und hatte schon Polizeibesuch wegen Verdachts der Hehlerei. Es gab aber keine Verdachtsmomente wie der Kollege Steffen Behrend vom Drogendezernat bestätigt. Behrend ist aber auch kein Unschuldslamm. Er mobbt die Kollegin Nasri und schlägt sich gerade mit einem Verfahren wegen körperlicher Gewalt rum. Als Videoaufnahmen im Nachbarhaus der Trude sein Auto zeigen, gerät er selbst in Mordverdacht. Kurz darauf wird er ermordet aufgefunden. Sorgfältige Ermittlungsarbeit des Teams um Farisa Nasri und die geduldigen Gespräche des ehrenamtlichen Polizeihelfers führen zur überraschenden Lösung der Fälle. Grund genug, dass die Sonne aufgeht.
Das Hörspiel
Friedrich Ani ist ein Profi. Teil 1 beginnt und endet mit einem Mord. Teil 2 endet mit einem Mord und Teil 3 mit der Aufklärung. 3 Tote, mind. 5 Verdächtige und ein überraschendes Ende. Blitzsaubere Krimikonstruktion. Die Geschichte wird ohne Erzähler gesprochen, mit gelegentlichen persönlichen Kommentaren von Nasri. Wechselnde Spielorte machen den Hörer beständig neugierig: Das Verhörzimmer der Polizei, eine versiffte Kneipe, ein Etablissement der gehobenen Art, ein Waffenladen. Ein Nachtclub, in dem eine Zeugenbefragung stattfindet, wird somit zur Hörbar.
Das Hörspiel lebt von drei Gruppen. Die Polizei mit dem ehrlichen, bunten Team um Nasri und dem zweifelhaften Drogenpolizisten, den Opferfamilien und der Gruppe bunter Mitspieler. Alles von Herkunft, Tonfall und Charakter sehr eigen und überzeugend gesprochen. Kein Dialekt, aber deutliche landsmannschaftliche Färbungen, wie in einer Multi-Kulti-Großstadt eben. Absolut herausragende Sprecher sind Martin Feifel als Jakob Franck und die wunderbares Christiane Blumhoff als Waltraud Asimov. Insbesondere die Dialoge dieser beiden sind ein akustisches Kabinettstückchen wie man es selten hört. Die Redekunst des Überbringers schlechter Nachrichten kann gut und gerne in Gesprächskursen vorgeführt werden. Aber auch die Verhöre in der Polizeistation oder in der Kneipe. Jedes Mal ein anderer, erfolgreicher Weg.
Aber neben dem überaus geglückten kriminalistischen Plot erzählt das Hörspiel eine Geschichte von zerstörten Familien, von Menschen, die einsam sind oder ausgegrenzt und einen Ort der Ruhe suchen oder einfach nur einen Menschen, der ihnen zuhört. Es ist unüberhörbar eine Liebeserklärung an das touristisch überlaufene Glockenbachviertel in München, wo es noch diesen Raum gibt.
Kurz vor Schluss gibt es eine berührende Szene mit Jakob und Trudi, die einem im Kino Tränen in die Augen getrieben hätte Erst am Ende, wenn bereits der Morgen beginnt und die Sonne über München aufgeht, hört man dann den berühmten Song in einer ungewöhnlichen, harten, rockigen Form. Man muss genau hinhören, um ihn zu erkennen. Aber darum geht es Ani wohl auch: Hinhören
Nicht zufällig tickt häufig im Hintergrund eine Uhr, leise musikalische Untermalung umspielt die Sprecher.
Fazit
Ohne Frage ein kriminalistisches Kunstwerk, Friedrich Ani auf dem Höhepunkt seines Hörspielschaffens: Spannend, keine Minute langatmig und zudem noch bedenkenswert. Ani und das Produktionsteam führen vor, wie man Regionalkrimis modern, aktuell und hörenswert gestalten kann. Um ein schönes Wort von Ani zu verwenden: Das Hören wird zum „Zeitgenuss“.
Couch-Wertung: 95°
ARD Audiothek oder beim BR
"Sarah Jane"
Ein New-Noir-Krimi?
Die Hörspielbearbeitung basiert auf dem gleichnamigen Roman von James Sallis, der 2021 auf Deutsch erschien und nicht nur gute Kritiken erhielt. Der NDR hat im Oktober 22 diese Vorlage textgetreu auf ein zweiteiliges Hörspiel komprimiert.
Inhalt
Sarah Jane Pullman, schlicht Pretty, hat eine komplizierte, schwierige Vergangenheit. Aufgewachsen auf einer abseits gelegenen Hühnerfarm in der Mitte von no-where in den USA, ist sie früh von zu Hause geflohen und hat sich durchgeboxt. Statt in den Knast zu gehen, ging sie zur Army. Heiratete den falschen Mann, der irgendwann verschwand und sie freigab. Auf der Suche nach einem Job und einem neuen Leben landet sie auf einer kleinen Polizeistation in Farr und arbeitet fortan als Cop. Der diensthabende Sheriff Cal Philipps baut sie auf und wird zunehmend zu ihrem Mentor. Als auch Cal überraschend verschwindet, wird sie Chefin des kleinen Teams. Um dem Alltagstrott zu entgehen, versucht sie, den Sheriff zu finden und wühlt eine unerwartete, dunkle Vergangenheit auf, die sie an ihre eigenen Schattenseiten erinnert. Plötzlich taucht das FBI auf und ermittelt gegen Sarah Jane. Ein junger Polizist konfrontiert sie mit unklaren Ereignissen beim Verschwinden ihres Ehemannes. Unversehens wird der rentensichere Chief-Posten zu einem Feuereisen.
Das Hörspiel
Die Struktur ist kompliziert. Die Story wird weitgehend in der Ich-Form von Sarah Jane erzählt. Auch in den vielen Rückblenden wird deutlich, dass es im Hörspiel um das Leben von Sarah Jane geht. Ein Leben, das ein einziges Durchboxen ist und immer nur von Tag zu Tag bestimmt war. Das Hörspiel nimmt teil am Leben der Sarah Jane, aber es bleibt meist offen, was genau geschehen ist: Kindheit, Adoleszenz, erste eigene Existenz. Vermutlich führt die Schilderung dieses harten Lebens zur Einstufung als new-noir-Krimi. Aber die Szenen sind nicht explizit hart, kein Blut, kein Grauen. Diese Story erlaubt es, vielfältige hörenswerte Szenen und Spielorte aufzuführen. Der Hörer darf keinen klassischen Krimi-Plot erwarten. Tote gibt es genug, aber eben auch Unklarheiten zuhauf. Immer neue Wendungen machen das Hörspiel spannend: Gewalt in der Ehe, eiskalter Mord, Selbstmord? Man kann diese Kombinationen gekonnt nennen oder überladen. Es bleibt auch am Ende noch vieles offen.
Eine Reihe der Dialoge wird von einem Grundrauschen begleitet, als durchziehe jedes Leben ein gewisses Rauschen. Tolle Idee. Die begleitende Musik schwankt zwischen melodiösen Takten und nervigen elektronischen Tönen, die jedes Mit-und Vordenken verleiden.
Alice Dwyer als Sarah Jane, die manche Hörer schon aus den Kutscher-Hörspielen kennen, trifft den Ton eines geschundenen Lebens und nie endenden Lebenswillen brillant. Sie rettet die eher statisch besetzten Mitspieler. Natürlich muss der FBI-Agent eine tiefe, raue Stimme haben. Und der junge Polizist, der sie massiv in Schwierigkeiten bringt, klingt schwach und unsicher, was er überhaupt nicht ist. Daher ist es wohl kein Zufall, wenn der Sender keine Zuordnung der Sprecher zu den Personen veröffentlicht.
Die Hauptschwäche des Hörspiels ist aber, dass nahezu alle Dialoge eine Ansammlung von manchmal klugen, aber immer überflüssigen Lebensweisheiten sind, die auch selten zu den Charakteren passen. So reden Menschen nicht. Da hätte die Bearbeitung etwas mutiger streichen können. Bei aller Handlungsspannung fehlt dem Hörspiel ein Thema. Dass Leben hart und voller nicht auszuhaltender Widersprüche und Todesängste sein kann, haben andere Hörspiele überzeugender nahebringen können.
Fazit
Kein Hörspiel für klassische Krimiliebhaber oder hard-boiled Fans. Trotz vieler Mängel lohnt es sich hineinzuhören, weil die Form zwar anspruchsvoll, aber hörenswert ist.
Couch-Wertung: 65°
ARD Audiothek
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 20" von Malte Stamer, 01.2023
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Fotos: istock.com / tolgart
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