Krimi-Hörspiele:
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"Das mit de Zoe"
Ein Highlight in trister Hörspielwelt
Die Hörspielredaktion des SRF ist bekannt für ihre herausragende Arbeit. Insbesondere die Krimis werden gehegt und gepflegt. Alte Schätze werden geborgen und gespielt, neue wagemutige Produktionen auf den Weg gebracht. Die Redaktion führt in die Krimis ein und begleitet den Hörer mitunter mit ergänzenden Reflexionen. Ja und es gibt immer engen Kontakt zu den Hörern.
Eins dieser Highlights ist ein neuer 10-teiliger Podcast: Das mit de Zoe. Auch wenn Jugendliche die eigentliche Zielgruppe sind, ist es für alle höchst hörenswert. Die Krimiredaktion hat den Podcast und drei einstündigen Episoden zusammengebastelt. Für deutsche Hörer gibt es einen Wermutstropfen: Gesprochen wird Schwytzerdütsch (Zürich). Aber wer Glaser oder Hunkeler liebt, wird auch diese Herausforderung bewältigen.
Inhalt
Die junge Gymnasiastin Zoe wird an einem Morgen besinnungslos in der Nähe ihrer Schule vorgefunden. Sie wurde vergewaltigt, kann sich aber an Nichts erinnern. Am Abend vorher hatte in der Turnhalle eine Fete stattgefunden, die zu später Stunde von Alkohol und Drogen beherrscht wurde.
So beginnt der 10-teilige Podcast. Polizei, Schule und vor allem die Schüler selbst machen sich auf die Suche nach dem Täter. Die Lehrer sind fassungslos. Klar, einige der Schüler sind schwierig, lassen sich auf Drogen und Alkohol ein. Aber eine Vergewaltigung? Die Polizei tut sich schwer zu erkunden, was an dem Abend wirklich geschehen ist. Die Schüler blocken, lassen sich nicht in die Karten schauen. Die beste Freundin von Zoe, die Sophie, lässt aber nicht locker. Immer wieder fragt sie in der Klasse nach: Was ist geschehen? Grübelt über Motive nach. Viele geraten in Verdacht. Der in Zoe verliebte, aber abgewiesene Ben. Der zurückhaltende von Zoe gemobbte Alex. Oder Luca, der Freund von Sofie, der auf seinem Computer Fotos von der vergewaltigten Zoe hat. In einem Gewirr von Gerüchten, Verdächtigungen und Lügen gelingt es Sophie den Täter zu entlarven.
Zur Produktion
Das Hörspiel basiert auf einer Vorlage der Drehbuchautorin Julie Budtz Sørensen, die 2018 im dänischen Rundfunk gesendet wurde. Der in Kopenhagen lebende Schweizer Theatermacher Andres Liebermann adaptierte die Vorlage und übertrug sie ins „Züritütsch“.
Der SRF entschied sich, die jugendliche Clique von Schauspielschülern sprechen zu lassen, um möglichst authentisch zu wirken. Aufgenommen wurde nicht nur im Studio, sondern auch an vielen „realen“ Orten mit allen ihren Nebengeräuschen.
(Bild)
Das Hörspiel
Das Hörstück wird in zehn halbstündigen Episoden erzählt mit Titeln wie Party, Grücht, Porno, Bitch. Allerdings sind die Episoden nicht unabhängig voneinander zu hören. Jede Episode beginnt mit einem Einspieler von der zweifelhaften Party und endet mit einer langen, wunderschönen Musikpassage. Die Handlung entwickelt sich entlang der immer tiefergreifenden Neugier der nachfragenden Sofie. Protagonisten sind die Clique, die Schule, die Polizei und ein wenig die Eltern.
Der Titel „Das mit de Zoe“ sagt schon etwas über die männliche Sichtweise: Ja da war irgendwas, aber wir wollen möglichst nichts damit zu tun haben. Sofie gerät mit ihrem Nachfassen in ein Dickicht von Verdächtigungen, Sex, Mobbing, Hass, Drogen. Jedenfalls in unendlich viele Emotionen von Halbwüchsigen. Bei der Suche nach der Wahrheit stellt sich heraus, dass es nicht eine Wahrheit gibt, sondern viele. Was heute noch richtig schien, ist morgen schon falsch. Damit gelingt es dem Podcast ein tief berührendes Bild dieser Heranwachsenden zu malen. Zugleich ist es auch Mahnung: Seid vorsichtig Vertrautes öffentlich zu machen und Hass und Neid zu streuen. Am Ende gibt es einen Täter, aber viele die durch ihr Verhalten zu solchen Taten beitragen.
Das Hörspiel ist spannend, weil es durch neue Wahrheit immer wieder Überraschungen gibt. Kriminalistisch ist dies leider nicht Spitzengruppe, weil die Spannung nur entsteht, indem die Jugendlichen Schweigen oder Lügen.
Die Schauspielschüler machen einen tollen Job. Der Hörer bekommt das Gefühl mittendrin in der Gruppe zu stecken. Leider braucht es ein paar Episoden um die Personen den Stimmen zuzuordnen, weil diese Stimmen jung sind, aber wenig einprägsam.
Es fällt auf, dass Leben außerhalb dieser Clique und Szene nicht vorkommt. Keine Politik, kein Alltagsgeschehen, kaum Familie. Nur der Mikrokosmos.
Die Musik
Musik scheint im Hörspiel wieder eine größere Rolle zu spielen. In diesem Podcast ist die Musik des jungen Noah Ferrari ein absolutes Highlight. Das Hörspiel nimmt sich immer wieder viel Zeit für Musik, zum Ende einer Episode mehrere Minuten. Diese moderne Musik, sparsam instrumentiert, sehr melodisch hilft dem Hörer die Bilder im Kopf mit vielen bunten Farben zu versehen. Schöner kann Kopfkino nicht klingen.
Eine Liedzeile von Steiner & Madleina trifft wohl die Ambivalenz dieser Jugendlichen:
„Wenn du mich wie eine Frau berührst,
mich mit Humor verführst
will ich heute dir gehören
ich habe Lust mich zu zerstören“
Fazit
So klingt Hörspielkunst. Spannend, realistisch, nachdenklich, träumerisch. Was will man mehr? Ein absolutes Muss für jeden Hörspielfreund, trotz Dialekt und derber Sprache.
Couch-Wertung: 90°
Auf der Homepage des SRF Hörspiels oder auf Spotify mit eigener Playlist
"Das Zittern des Fälschers"
Ein Hörspiel von Patricia Highsmith
Patricia Highsmith (1921-1995) war eine amerikanische Schriftstellerin, die auch durch ihre psychologisch tiefgründigen Kriminalromane berühmt wurde. Legendär ist ihre populärste Figur Tom Ripley. Ein Krimineller, der frei von jeglichen Skrupeln ist.
Für das Radio wurden im Zeitraum von 1973 – 2006 21 z.T. mehrteilige Kriminalhörspiele produziert. Das bereits 2006 von SWF und HR produzierte Hörspiel „Das Zittern des Fälschers“ wird nun im Juli 2022 auch im Radio gespielt. Bisher war es nur in einer Highsmith-Box auf CD verfügbar.
Inhalt
Der amerikanische Buchautor Howard Ingham ist nach Tunesien gereist, um ein Buch zu vollenden. Er genießt die Ruhe, erwartet aber noch einen Regisseur und seine Verlobte, die nachkommen wollen. Doch er wartet vergeblich auf Briefe der Beiden. Ingham freundet sich in diesen Tagen in seinem Hotel mit dem dänischen Maler Jensen und dem amerikanischen Journalisten Adams an. Jensen ist ein lebensfroher, deutlich fremdenfeindlicher Mensch. Adams verbreitet von Hammamet aus antikommunistische Propaganda im Osten. Eines Abends ertappt Ingham einen Araber bei einem Einbruchsversuch in seinem Hotelbungalow. Er verletzt den Araber stark, als er seine Schreibmaschine nach ihm wirft. Statt zu helfen, legt er sich schlafen. Am nächsten Morgen ist der Araber verschwunden und Ingham entscheidet, nichts weiter zu machen. Er wartet weiter auf Post und verbringt seine Abende zunehmend mit Jensen, der ihm sexuellen Avancen macht. Ingham muss aus der Post erfahren, dass der Regisseur Selbstmord begangen hat und vorher eine Affäre mit Inghams Verlobter hatte. Auch Jensen trifft ein Schicksalsschlag: Sein geliebter Hund Hasso verschwindet spurlos. Beide machen einen mehrtägigen Ausflug, um sich abzulenken. Einige Tage nach der Rückkehr deutet Adams an, dass er mehr über den Einbruch weiß und fragt Ingham aus. Inghams gerät in eine moralische Zwangslage, die sich nicht ändert, als seine Verlobte auch noch anreist.
Das Hörspiel
Über das widersprüchliche Verhalten von Menschen zu schreiben ist spannend, aber nicht zwangsläufig ein kriminalistisches Drama. Das zweiteilige Hörspiel ist gewöhnungsbedürftig. Es gibt eine allwissende Erzählerin, die die Handlung begleitet, gelegentlich aber auch die Gedanken des Protagonisten vorträgt. Viele Dialoge, gelegentlich werden Briefe vorgelesen. Dies alles in kleinen Häppchen und angemessenem Tempo. Sprachlich auf höchstem literarischem Niveau. Die Darstellung von Gefühlen und Gedanken geht zu Lasten einer spannenden Handlung. Erst in min. 32 des ersten Teils deutet sich eine kriminalistische Handlung an. Wenn die dämonischen Bilder des Malers beschrieben werden oder die Magenschmerzen nach dem Essen, bleibt wenig Spielraum für eigene Bilder. Der filmreife Spielort Tunesien mit seinen Oasen wird von der Regie nicht genutzt. Gelegentlich leise Hintergrundgeräusche und etwas orientalische Musik. Dennoch lädt das Hörspiel immer wieder zum Nachdenken ein. Über Homosexualität, moderne Malerei, Fremdenfeindlichkeit, Beziehungen und letztlich den Sinn des Lebens und sehr viel über moralische Last. Das macht die Gesamtspielzeit von 2 Stunden nachvollziehbar.
Insgesamt wirkt das Hörspiel etwas angestaubt. Viele von Highsmiths Themen haben im Jahr 2022 ihre Attraktivität verloren. Zugleich erkennt man die Autorin als Kind ihrer Zeit mit ihren vielen Vorurteilen. Das Hörspiel schildert das moralische Dilemma von Ingham, der falsch Zeugnis ablegt und letztlich doch zittert wie der Protagonist seines Buches. Aber es gelingt dem Hörspiel nicht, die Wirkung der orientalischen Welt auf Ingham zu vermitteln, noch seine innere Entwicklung.
Fazit
Kein Krimi, aber ein psychologisch bedenkenswertes Kammerspiel. Es gibt jedenfalls deutlich bessere Hörspieladaptionen von Highsmith, auf die der Hörer sich freuen sollte.
Couch-Wertung: 70°
In der Box bei Amazon, als Lesung bei Audible oder in der ARD Audiothek.
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 15" von Malte Stamer, 09.2022
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Fotos: istock.com / tolgart
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