Krimi-Hörspiele:
Mediatheken / 12
"Freiheit"
Viel Nachdenkliches, weniger Spannung
Mit „Freiheit“ stellt das RBB die 4.Folge seines Radio Tatorts mit dem psychisch belasteten Christian Wonder und seiner trinkfesten Chefin Ariane Krause ins Netz. Der Autor Tom Peukert ist ein Hörspielroutinier und hat mit seinem Helden Doberschütz viele Fans gewonnen. Regie führt wie zuletzt in dieser Tatortminireihe Kai Grehn. Diese Konstanz findet sich auch in den Inhalten. So wird immer wieder die Spurensuche von Wonder zu seiner Herkunft aufgegriffen.
Inhalt
In einem Berliner Park wird am frühen Morgen eine weibliche Leiche gefunden. Sie wurde offenbar durch mehrere Messerstiche getötet. Es fehlen jegliche Hinweise auf ihre Identität. Auch gibt es keine verfolgbaren Täterspuren. Dank einer Vermisstenanzeige stellt sich heraus, dass die junge Frau im nördlichen Brandenburg in einer Aussteigerkolonie in einem Bauwagen gemeinsam mit ihrem Sohn gelebt und dort ihre persönliche Freiheit gesucht hat. Was hat sie in das kommerzielle Sündenbabel Berlin geführt, in dem ihre Schwester und ihr Vater leben? Die Tote hatte schon vor vielen Jahren eine solide wirtschaftliche Basis für ein Leben in Freiheit und Unabhängigkeit aufgegeben und den Kontakt zur Familie eingeschränkt. Gibt es hier dunkle Motive? Die Familienverhältnisse waren voller Konflikte, aber werden dadurch Vater oder Schwester zum Mörder?
Die Ermittlungen in der Aussteigerszene zeigen, dass die Tote zuletzt Probleme hatte, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Um ihren Sohn hat sie sich wenig gekümmert, eine Liebe hat sich zerschlagen. Aber bringt ein Bio-Bauer seine Verflossene gleich um?
Wonder begibt sich in vielen Verhören und mühsamen Ermittlungen auf Tätersuche, löst den Fall aber nur, weil technische Überwachungsmöglichkeiten ihm den entscheidenden Hinweis geben.
Das Team
Wonder ist psychisch angeschlagen und kann nur begrenzt arbeiten, er denkt an Frühverrentung. Er ist auf der Suche nach seiner Herkunftsfamilie, die ihn in Tagträumen immer wieder aus der Bahn wirft. Auch die regelmäßigen Sitzungen bei einer Psychologin helfen ihm nicht. Die illegal verabreichten Rauschmittel wirken nur kurzzeitig.
Seiner russischstämmigen Chefin geht es nicht viel besser, sie ertränkt ihre Sorgen in Alkohol. Dennoch bilden die beiden ein effektives Paar, das sich gut ergänzt. Glänzend gesprochen von Felix Kramer und Margarita Breitkreiz. Allerdings ist es gelegentlich der Suffstimme zu viel des Guten. Am Ende des Hörspiels hat man den Eindruck, dass es dieses Team nicht mehr lange geben wird.
Freiheit
Freiheit ist das Einzige was zählt, sang Marius Müller-Westernhagen bereits 1987. Das Thema Freiheit zieht sich in vielfältigen Zusammenhängen durch das Hörspiel. Hat das Austeigerleben die ersehnte Freiheit gebracht? Macht der Wunsch nach Freiheit den Rückhalt in einer Familie kaputt? Liebe ist immer auch Rücksicht auf den/die Andere/n. Welche Freiheit darf ein Kind erleben, ohne Sicherheit zu verlieren? Welche Freiheit lässt der Polizeiapparat seinen Kommissaren?
Peukert gibt keine Antworten, sondern viele Denkanstöße zu diesem wichtigen Thema. Der Hörer sollte sich nach dem Zuhören, auf das Nachdenken einlassen und über die dramaturgischen Schwächen hinweggehen.
Das Hörspiel
Wie gewohnt ist das Hörspiel sehr professionell inszeniert. Man hört die Erfahrung von Regie und Autor ganz deutlich. Viele bestens getimte Szenen in unterschiedlichen Umgebungen, die für ein gewisses Tempo sorgen, ohne den Hörer zu überfordern. Es gibt Glanzstücke wie das zähe, schwierige Gespräch Wonders mit dem kleinen Jungen der Toten; aber auch Fehlgriffe wie die absolut übergriffige Polizeiaktion Wonders Chefin bei seiner Therapeutin. Inhaltlich ergibt das keinen Sinn. Es ist nicht nachzuvollziehen, wie eine Redaktion dem Autor einen solchen Fehlgriff durchgehen lässt.
Auch die anderen Figuren haben einen erkennbaren Kopf und werden charakterstark gesprochen. Wonder ermittelt trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen konsequent, aber einfühlsam. So hat das Hörspiel immer neue Spannungsmomente, wenn sich mal wieder ein Verdacht zerschlägt.
Musik und Geräusche bilden nicht nur ab, sondern erzeugen auch Stimmungen. Damit entstehen häufig schöne Bilder im Kopf.
Eigentlich ein rundum gelungenes Hörspiel mit spannendem Thema, wenn da nicht die Überbetonungen um das Team wären: Wonder und seine Therapeutin, seine Suche nach der Herkunft und Ariane Krause, die im wirklichen Leben schon längst in Therapie oder entlassen wäre.
Fazit
Wieder ein schönes Beispiel dafür, dass das Reihenformat des Radio Tatorts an seine Grenzen stößt. Manche schöne Grundidee läuft mit der Zeit ins Leere, wird aber fortgesetzt, um nicht immer neue Teams einzuführen. Schade um dieses professionell und spannend inszenierte Hörspiel.
Couch-Wertung: 65°
In der ARD-Mediathek
"Jähnicke schmeckt´s"
Ein Krimi für Genießer
Viele Jahre haben die öffentlich-rechtlichen Sender ihre alten Produktionen brav und tapfer im Archiv gelagert und sie nur selten gezeigt wie der Opa die Briefmarken. Seitdem es die ARD Audiothek gibt, ändert sich dies und dank Vorreiter wie Radio Bremen mit „Kein Mucks“ oder neuerdings dem HR kommen auch alte Schätze zum Vorschein. Da erfahren auch ältere Kommissare und Ermittler wieder ihre Wertschätzung.
Seit April 2022 stehen in der ARD Audiothek nun die drei Krimis aus den Jahren 2012-15 um den Berliner Privatdetektiv Jähnicke von der verdienstvollen Autorin Eva Lia Reinegger zum Anhören bereit. Leider hat Frau Reinegger nach einem weiteren Krimi keine Hörspiele mehr veröffentlicht.
Jähnicke schmeckt´s ist der zweite Krimi in dieser Miniserie.
Inhalt
Jähnicke geht mit seiner Fast-Freundin, der Ärztin Dr. Chang, mal richtig fein in einem Sterne-Lokal essen. Natürlich für lau, weil ihm der Besitzer noch was schuldet. Während sie noch die Speisekarte studieren, bricht am Nebentisch ein Gast zusammen und ringt nach Luft. Auch der Luftröhrenschnitt von Dr. Chang kann ihn nicht retten. Ganz der routinierte Privatdetektiv sichert sich Jähnicke die Essensreste des Toten und lässt sie untersuchen: Todesursache ist das Nervengift Botox. Sollte der Gast ermordet werden, weil er ein unliebsamer Restauranttester war? Das wäre doch sehr auffällig. Andererseits hat der Eigentümer gerade gewaltigen Ärger mit seinem Chefkoch, der sich ausgenutzt fühlt und kündigt. Jähnicke begibt sich als Aushilfe im Restaurant auf Spurensuche und stochert im Nebel aus Sternerestaurant, gammeligem Biofleisch und Suppenküche. Mit guten Kontakten, Geduld und Eigensinn kommt es zu einer unerwarteten Lösung des Falles.
Jähnicke
Das Hörspiel lebt von dieser starken und liebenswerten Figur. Der ehemalige Polizist hat eine schwere Alkoholkrise hinter sich gebracht und schlägt sich mehr recht als schlecht als Privatermittler durch. Die Fälle kommen mehr zu ihm als er zu ihnen. Er arbeitet unorthodox, aber doch mit hohem, moralischem Anspruch und der Lebenserfahrung eines Gescheiterten. Ihm steht eine Assistentin zur Seite, die meist per Telefon die Fleißarbeiten erledigt. Allerdings denkt sie mit und weiter und ist damit eine ideale Ergänzung. Jähnicke spricht knapp und kurz mit Berliner Kodderschnauze. Ganz toll realisiert von Milan Peschel. Ein wenig erinnert die Figur an Kayankaya von dem früh verstorbenen Jacob Arjouni.
Das Hörspiel
Es ist nicht zu überhören, dass Jähnicke und die Autorin den Fall klären möchten, weil sie einen moralischen Anspruch haben und nicht nur den Fall klären möchten. Es macht den Krimi spannend, dass der Hörer bis zum Ende nicht weiß, warum es diesen Mord gab.
Die Szenerie mit Sterne-Restaurant, seinen Intrigen und hohem Arbeitsdruck, die Problematik von ehrenamtlichen Sozialunternehmen, aber doch vielen unterschiedlichen Charakteren macht den Krimi jede Minute hörenswert. Der Gegenpol zum Irrwisch Jähnicke ist seine Freundin Dr. Chang, die gebildet und ruhig die Tollheiten von Jähnicke duldet. Als sie sich langweilt, fragt der machoverdächtige Jähnicke ganz lieb: „Sollen wir etwas kuscheln?“ Sie hat keine Lust.
Musik und Geräusche passen zur Stimmung und Atmosphäre, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.
Gerne wird Privatermittlern ein eher schwieriges Verhältnis zur Polizei unterstellt. Der Autorin ist hier ein kleines Kunststück gelungen. Der Kommissar arbeitet eigenständig und distanziert, ohne sich aber über Jähnicke aufzuregen. Jähnicke hingegen geht seinen eigenen Weg als Ergänzung und nicht gegen die Polizei. Dieser gegenseitige Respekt ist in der Vergangenheit der beiden begründet.
Gegen Ende verliert das Hörspiel an Dynamik und Spannung, weil die Autorin kunstvolle Spuren legt, denen anzumerken ist, hier geht es nicht so sehr um den Fall, sondern um die zwielichtigen Szenen. Da wird es der Themen dann doch zu viel: Botox, Gammelfleisch, korruptes Ehrenamt, eifersüchtige Mitarbeiter, schwierige Familienverhältnisse.
Allerdings wird es noch einmal richtig spannend, als diese Spuren alle im Sand verlaufen.
Die charakterstarken Figuren und aktuelle Themen schreien geradezu nach weiteren Krimis mit Jähnicke. Schade, dass es bei drei Folgen geblieben ist.
Fazit
Reinegger schreibt eine spannende, charakterstarke Minireihe, die professionell von Sprechern und Regie umgesetzt wurden. Tempo, Themen, Typen: alles hörenswert. Ein guter Einstieg für Freunde von Serienkrimis. Und Berlin ist sowieso sehens- und hörenswert: Charakter meets City.
Couch-Wertung: 80°
In der ARD Audiothek
"Krimi-Hörspiele: Mediatheken / Tipps 12" von Malte Stamer, 07.2022
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Fotos: istock.com / tolgart
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