Dror Mishani
»Traue keinem Ermittler!«
08.2013 Der israelische Autor und Literaturwissenschaftler Dror Mishani sprach mit Lars Schafft über seinen Debütroman Vermisst, den ersten in der Avraham-Avraham-Reihe, gute und schlechte Kriminalliteratur, und warum man nichts alles, was man liest, für gegeben halten solle.
Krimi-Couch: Herr Mishani, Vermisst ist Ihr Debut-Roman. Mehr als ein Mal lesen wir in ihm, dass es gar keine hebräischen Krimis gebe. Nun gibt es sie, dank Ihrem Buch. War es Ihre Aufgabe, dieses Problem zu beheben?
Dror Mishani: Das bin nicht ich, der das behauptet. Das ist Avi. Wir wissen ja, dass er nicht immer Recht hat. Er übertreibt da ein bisschen, es gab schließlich einige gute hebräische Krimis (insbesondere natürlich Batya Gur), aber eben nur ein paar wenige. Ich hoffe wirklich, dass die Avraham-Reihe eine literarische Krimi-Serie wird, die dem Genre in Israel etwas gibt, überall etwas gibt.
Krimi-Couch: Können Sie bitte »literarische Krimi-Serie« erläutern? Was bedeutet hier »literarisch«?
Dror Mishani: Gute Frage. Ich glaube, dass hat etwas mit dem Ziel des Schreibens zu tun. Ich habe nicht versucht, einen Page-Turner zu schreiben. Ich habe versucht, Literatur zu schreiben und dabei das Genre Krimi benutzt. So viel zu mir. Ein literarischer Krimi ist ein Roman über Verbrechen, aber nicht nur über Verbrechen (auch über die Gesellschaft, über Sprache, über Literatur, über das Genre an sich).
Krimi-Couch: Für mich ist Vermisst eine Art postmoderner Kriminalroman. In manchen Kapitel dreht sich alles um Literatur an sich, gerade da, wo Seev und Michael aufeinandertreffen. Sie sagen, dass Sie »versuchen, Literatur zu schreiben«, wohin gegen Michael, Seevs Dozent in seinem Schreibkurs, immer wieder betont: »Schreibt keine Literatur, erzählt Geschichten!« Wie passt das zusammen?
Dror Mishani: Wie ich schon sagte: Ich stimme nicht mit allem überein, was meine Charaktere sagen oder tun (insbesondere bei den Mördern!). Einen Krimi zu schreiben ist Literatur zu schreiben, freilich nach einem bestimmten Schema. Michael wäre auch dagegen. Er ist ein arroganter Autor und ich bin sicher, dass er keine Krimis liest! Er ist also definitv nicht wie ich. Was Ihre Definition eines postmodernen Kriminalromans angeht – das müssen Sie selber entscheiden. Wo ich Ihnen Recht geben kann: Es ist ein Kriminalroman, in dem es auch um Kriminalromane geht.
»Ich habe schon als Kind Krimis gelesen.«
Krimi-Couch: Manche Stellen haben mich ans »Golgen Age« erinnert, was diese Anspielungen und das »Spiel« mit dem Genre angeht. Hätte eigentlich nur noch John Dickson Carr's Satz »Weil [...] wir uns in einer Kriminalgeschichte befinden; und wir können keinen Leser damit täuschen, indem wir so tun, als wäre das nicht so.« (Der verschlossene Raum, 1935) gefehlt. Worauf ich hinaus will: Sie haben einen ganz besonderen Hintergrund in Bezug auf Kriminalromane.
Dror Mishani: Wie die meisten Krimiautoren fing auch ich als begeisterter Leser an, schon sehr früh mit Doyle und Christie. Als Kind konnte mich davon nur abhalten, wenn es zu schwierig war, Nachschub in der örtlichen Bibliothek zu bekommen, da es nur sehr wenig auf Hebräisch gab. Später als Student wollte ich meine Doktorarbeit darüber schreiben. Aber das war alles nur eine Vorbereitung auf mein jetziges Schreiben meiner Krimireihe und Vermisst. Das mag ich an dem Genre: Man ist nicht auf sich allein gestellt. Avi ist erst gerade dabei, in der wunderbaren Gallerie von Ermittlern aus aller Welt einen Platz zu finden.
Krimi-Couch: Worum ging es in Ihrer Dissertation genau?
Dror Mishani: Was mein akademisches Schreiben angeht: Ich habe meine Magisterarbeit über etwas anderes geschrieben, nämlich über die Entwickklung der Mizrahi (orientalische Juden) als ein Thema in israelischer Literatur. Meine Doktorarbeit sollte sich um die Geschichte des Kriminalromans beschäftigen – aber ich werde sie nie zu Ende schreiben. Momentan leite ich ein Seminar darüber an der Universität von Tel Aviv (und noch einige Workshops zum Thema Schreiben).
Krimi-Couch: Avi Avraham ist für mich eine ganz besondere Figur in dieser Galerie: Er trägt Uniform, raucht wie ein Schlot, leidet mehr oder weniger unter der Kombination des gleichen Vor- und Nachnamens und vor allem ist er keiner dieser Genies des Genres. Wie haben Sie diesen Charakter entwickelt?
Dror A. Mishani ist Lektor für israelische Literatur und international Krimis (z. B. Henning Mankell) bei Keter Books in Jerusalem und Literaturprofessor, spezialisiert auf die Geschichte der Kriminalliteratur. [Quelle: Hanser Verlag]
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