Rainer Wittkamp
Simenon und Tarantino
04.2014 Lars Schafft sprach mit dem Wahlberliner Rainer Wittkamp über seinen zweiten Kriminalroman Kalter Hund, »beinharte Realität« in der Hauptstadt und bewusste Stilbrüche.
Krimi-Couch: Herr Wittkamp, Sie kommen gerade von einem Autorenstipendium von der Insel Juist zurück. Wie kommt man da heran und was macht man da?
Rainer Wittkamp: Man muss sich dafür bewerben. Voraussetzung ist mindestens eine Romanveröffentlichung bzw. mehrere Kurzgeschichten. Man bewirbt sich mit einem Romanexposé und wenn man Glück hat …Man soll während des zweiwöchigen Aufenthaltes auf Juist an dem Roman schreiben. Man hat sonst keine Verpflichtung, außer zu einer Lesung, die von Thomas Koch, dem örtlichen Ansprechpartner organisiert wird.
Krimi-Couch: Und? Wie sind Sie mit Ihrem Text vorangekommen? Tat die Einsamkeit der Insel gut?
Rainer Wittkamp: Ja, sehr gut. Ich habe auf Juist an meinen dritten Roman mit Martin Nettelbeck gearbeitet, habe die Privatstränge meines Stammpersonal entwickelt. Nach dem Juistaufenthalt habe ich jetzt alles zusammen, um den Roman in sechs, acht Wochen fertig zu schreiben.
Krimi-Couch: Sie sind ja ursprünglich Münsteraner und wohnen in Berlin – wie ist Ihr aktueller Roman Kalter Hund im Vergleich dazu entstanden?
Rainer Wittkamp: Ich schreibe ja keine Regionalkrimis, sondern versuche Großstadtkrimis zu schreiben. Die Schwierigkeit beim ersten Buch bestand darin, Figuren (also mein Stammpersonal) zu entwickeln, die genügend Potential für eine Reihe besitzen. Das Problem hatte ich beim zweiten Buch Kalter Hund nicht, da war alles einfacher. Ich hatte eine Grundidee, die ich nur entsprechend ausbauen musste. Und ich konnte jederzeit in die S-Bahn steigen und mir Handlungsorte anschauen. Auf Juist ein Ding der Unmöglichkeit.
Krimi-Couch: Stichwort »Großstadtkrimi«: Das steht sogar auf dem Buchrücken. Und ist aus meiner Sicht eine ganz bewusste Abgrenzung zum Regio-Krimi. Reicht das Setting Berlin dafür aus?
Rainer Wittkamp: Ja. Unbedingt. Obwohl ich Berlin, zumal den ehemaligen Westteil der Stadt, aus meiner Zeit als Regieassistent sehr gut kenne, stoße ich immer wieder auf mir unbekannte Orte und Strukturen, die sich für »Großstadtkrimis« geradezu anbieten. Und Berlin ist immer noch sehr stark im Wandel begriffen und sicherlich die einzige deutsche Stadt, in der man einigermaßen glaubhaft »Großstadt« erzählen kann.
Krimi-Couch: Was ist denn aus Autorensicht der Unterschied beim Schreiben über Großstadt und Provinz?
Rainer Wittkamp: Ich finde, die Art des Konfliktpotential ist in einer Großstadt von einer ganz anderen Dimension. Natürlich kann mam Morde überall erzählen, aber Dinge wie z.B. die kriminellen Geschäfte der libanesischen Clans ereigenen sich eben nur in großen Ballungsgebieten, wie Berlin oder dem Ruhrgebiet. Unvorstellbar, das in der baden-württembergischen Idylle anzusiedeln. Und der Umgang der Protagonisten eines Kriminalromans hat in Berlin natürlich eine viel brutalere Dimension.
Krimi-Couch: Damit sind wir direkt beim Inhalt vom Kalten Hund. Libanesische Clans, die abseits jeglicher Legalität und Moral ihre Nische gefunden haben. Alles Phantasie des Autors oder Realität?
Rainer Wittkamp: Das ist in Berlin beinharte Realität. Es gibt in Berlin Straßenzüge, in denen die Polizei fast machtlos ist, in den Clanfamilien einschließlich ihrer »Angestellten« quasi die Macht haben. Sie herrschen mit den uns aus den Mafiafilmen bekannten Mitteln: Einschüchterung, Bestechung, Brutalität. Das geht so weit, dass Polizeibeamte vor Gericht ihre Aussage zurückziehen, da ihnen »private« Konsequenzen angerdroht wurden. Die Polizei ist also machtlos, die eigenen Kollegen zu schützen. Man kann diese Clanmitglieder auch nicht abschieben, da sie zumeist staatenlos sind und kein Land sie aufnehmen will.
Krimi-Couch: Wie konkret ist Ihr Einblick in diese Szene? Wie recherchieren Sie? Das Milieu ist ja wohl doch eher abgeschottet.
Rainer Wittkamp: Ich habe seit zwanzig Jahren einen Fachberater, einen ehemaligen Polizisten, der inzwischen als Jurist tätig ist und mich schon bei vielen Drehbüchern beraten hat. Durch ihn bekomme ich Einblicke in Strukturen und Abläufe, die ich sonst sicher nicht hätte. Ansonsten hilft auch der tägliche Blick in die Berliner Zeitungen. Das Stichwort Bushido sagt ja wohl alles.
Krimi-Couch: Kann man sich da in Berlin eigentlich wohl fühlen?
Rainer Wittkamp: Natürlich, sehr gut sogar. Das Leben ist dadurch immer spannend. Außerdem wohne ich in Charlottenburg, das ist fast so was wie heile Welt.
Krimi-Couch: Trotz »heiler Welt« macht Sie Ihr Verlag zu einem Quentin Tarantino. Marketing oder ticken Sie ähnlich?
Rainer Wittkamp: Der Vertrieb und Verkauf eines Buches muß von den Verlagsleuten gemacht werden. Ich versuche es zwar mit meinen Mitteln zu fördern, aber letzendlich müssen sie es bewältigen. Wenn ich Ihnen sagen würde, wie mein Buchtitel lautete und welche Coverideen ich hatte, würden Sie lauthals lachen. Da haben die Verlags- und Vertriebsleute schon einen direkteren Zugriff und damit kann ich gut leben. Und »Quentin Tarantino« …Ein großer Name, da muß jeder Autor – zumal ein deutscher – wohl erstmal schlucken, wenn er in so einen Zusammenhang gestellt wird. Aber es ist wohl so, dass Tarantions Inspirationsquellen, ohne die sein Werk gar nicht denkbar wäre, beim breiten Publikum wenig bekannt sind. Eben Schriftsteller wie George V. Higgins oder Elmore Leonard, auf die ich mich eher berufen würde.
Krimi-Couch: Daraus leite ich ab, dass Sie sich schon seit geraumer Zeit mit der Thematik »Kriminalroman« beschäftigen, obwohl »Kalter Hund« erst Ihr zweiter ist. Darf man »Spätzünder« sagen?
Rainer Wittkamp: Ich bin seit meiner Kindheit ein leidenschaftlicher Leser, habe auch immer gerne Kriminalromane gelesen. Die ersten waren von Sjöwall und Wahlöö, die berühmte zehnbändige Reihe, die ich als Schüler gelesen habe. In den 80er Jahren dann die Klassiker wie Chandler, Hammett und Ross Macdonald, die großen Europäer Glauser und Simenon. Schriftsteller wie Ambler und Highsmith. Ich wollte eigentlich immer Prosa schreiben, aber im Film- und Fernsehgeschäft war schlichtweg keine Zeit dafür. Bis ich mir ein halbes Jahr freigenommen und mich ausschließlich auf ein Romanprojekt konzentriert habe. Das Resultat ist der Roman Schneckenkönig. Insofern mag »Spätzünder« zutreffen.
Krimi-Couch: Was ist das für ein Gefühl, dann Autor zweier eigenständiger Romane zu sein?
Rainer Wittkamp: Ein ganz wunderbares! Ich schreibe seit über zwanzig Jahren Drehbücher. Viele Geschichten, die ich entwickelt habe, erblickten nie das Licht der Welt, wurden aus welchen Gründen auch immer nicht verfilmt. Das ist Drehbuchautorenalltag, das geht jedem meiner Kollegen so. Ein Drehbuch ist zwar ein wichtiger Teil des großen Ganzen, aber eben nur ein Teil. Um seine Existenz zu erfüllen, muss es verfilmt werden. Bei einem Roman ist das anders. Selbst wenn er nicht veröffentlich wird, ist er doch ein abgeschlossenen Werk. Und als Prosaautor hat man eine Freiheit, die ein Drehbuchautor nicht kennt. Nur die finanzielle Seite …
Krimi-Couch: Zurück zu Tarantino/Hard Boiled: Als Kontrastpunkt setzen Sie Ihren Protagonisten, Martin Nettelbeck, mit seiner sehr liebenswürdigen Art und Weise und seiner Vorliebe für Posaunenmusik und Jazz.
Rainer Wittkamp: Ja, wobei das Anfangs ein großes Problem war. Als ich an eine Reihe um einen Berliner LKA-Beamten dachte und Revue passieren ließ, was es schon alles an »Kommissarstypen« gegeben hat: mit Alkoholproblem, mit Frauenproblemen, mit einem Gewaltproblem, mit was weiß ich für Komplexen, wurde mir schnell klar, dass ich so einen Weg nicht beschreiten wollte. Eine Reihenfigur, die mich vielleicht lange begleiten wird, sollte mir schon einigermaßen symphatisch sein. Außerdem lauern die Klischees sonst hinter jeder Ecke.
Ich bevorzuge eher einen Kommissartyp wie Maigret, der nur selten gewalttätig geworden ist. Und die Figur Maigret fand ich immer spannend, vom ersten bis zum letzten Buch der Reihe. Das Faible für Posaunenmusik ist autobiografisch. Genau wie Martin Nettelbeck bin ich als Posaunist gescheitert, meine hochfliegenden Pläne als junger Posaunenschül
Krimi-Couch: Da wird's jetzt aber schwierig, Simenon mit Tarantino zu kombinieren, oder?
Rainer Wittkamp: Nein, ich finde gerade in der Kombination von unterschiedlichen Stimmungen, Figurenanlagen, Milieus etc. kann man erzählerisch einiges bewirken. Und mir persönlich macht so etwas großen Spaß. Ich versuche auch gezielt, den Leser durch gegensätzliche gefärbte Szenen zu überraschen. Meiner Meinung nach kann man so manchen verkrampften Plotpoint vermeiden.
Krimi-Couch: Wo wir gerade beim Stil sind: Den finde ich in Kalter Hund schwer auf einen Punkt festzuzurren. Gangster-Roman, Polizeiroman, actionreich, mal beschaulich und nicht zuletzt auch eine gewisse Portion Komik Richtung Slapstick. Ist diese Kombination »typisch Wittkamp«?
Rainer Wittkamp: Ja, das war genau die Richtung, in die ich gehen wollte. Ich hoffe, dass ich auch Leser finde, denen diese Stilmischung zusagt.
Krimi-Couch: Ich stelle mir das nicht gerade unkompliziert vor, insbesondere bei Humor und Spannung die Balance zu finden und zu halten.
Rainer Wittkamp: Das ist völlig richtig. Das Spannungslevel zu halten, war beim Schreiben eines der größten Probleme.
Krimi-Couch: Wie sind Sie konkret mit dieser Herausforderung umgegangen?
Rainer Wittkamp: Ich habe immer wieder Szenen umgestellt, bzw. szenische Abläufe mit anderen Szenen unterbrochen, um so das Spannungslevel hoch zu halten. Und gegen Ende des Romans habe ich die Komik etwas dosiert.
Krimi-Couch: Dafür hat es der Anfang ja in sich. Dass ein Kleinkrimineller in Geldnöten ist, ist ja ein altes Motiv. Aber dass er Geld für die Beerdigung seines Haustieres braucht, um daraus einen Diamanten formen zu lassen, ist schon recht skurril. Wie sind Sie darauf gekommen?
Rainer Wittkamp: Ich wollte unbedingt eine Figur kreieren, die von Beginn an etwas Schräges hat, gleichzeitig sollte auch der Tod eine Rolle spielen. Über die Idee, am Anfang offen zu halten, ob Bilals Toter ein Mensch oder ein Tier ist, habe ich mich für einen Hund entschieden. Bei der Recherche nach Tierfriedhöfen, stieß ich auf das Angebot einer niederländischen Firma, die Trauerdiamenten für Menschen anbieten. Der Rest war Fantasie.
Krimi-Couch: Zufall, dass der von Erektionsstörungen geplagte Playboy Rohloff einen klassischen Hundenamen hat (Hasso)?
Rainer Wittkamp: Schön, dass Sie die Assoziation bemerkt haben. Ich will es nicht überinterpretieren, aber Hasso sollte schon eine Art von Nachfolger für den toten Diego bei dem Einzelgänger Bilal sein.
Krimi-Couch: Eingangs hatten wir erwähnt, dass Kalter Hund der zweite Band einer Reihe um LKA-Ermittler Martin Nettelbeck ist. Der spielt aus meiner Sicht aber gar keine sonderlich große Rolle – im Vergleich zu vielen anderen Serienermittlern. Wenn man bei Kalter Hund überhaupt von einem Protagonisten sprechen möchte, dann doch von Bilal Gösemann. Ich hatte teilweise den Eindruck, dass Sie diese Figur richtig ins Herz geschlossen haben.
Rainer Wittkamp: Ja ich überlege momentan, einen Spin-off mit Bilal Gösemann zu entwickeln, der quasi seinen Aufstieg zum Berliner Gangsterkönig erzählt. Die Figur – noch dazu gemeinsam mit der Figur Fatima – hätte das Potential dazu. Aber ich mache das vom Erfolg des Buches abhängig.
Krimi-Couch: Das Schlusswort von Kalter Hund ist in dieser Hinsicht wenig für Interpretationen geeignet: Es lautet schlicht »Scheiße.« Gibt das den Ton vom Nachfolgerroman vor? Können Sie schon grob umreißen, wovon er handelt?
Rainer Wittkamp: Nein, der nächste Roman, der bereits ausgearbeitet vorliegt, wird einen ganz anderen Ton haben. Es geht darin um eine Gruppe von hohen Polizeidirektoren aus verschiedenen Bundesländern, von denen einer ermordet wird. Nettelbeck muß also nicht nur gegen Kollegen ermitteln, sondern auch gegen Personen, die sehr viel größeren Einfluß haben als er selbst.
Krimi-Couch: Wir sind gespannt! Herr Wittkamp, herzlichen Dank fürs Gespräch und viel Erfolg mit Ihrem Kalten Hund!
Rainer Wittkamp: Ich danke ebenfalls.
Das Interview führte Lars Schafft im April 2014.
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