Arne Dahl
»Ich habe keine Geduld für langweilige Literatur.«
04.2013 Arne Dahl verriet unserem Redakteur Andreas Kurth, warum ein Pseudonym wichtig sein kann, dass es schon zu viele einsame, alkoholisierte Polizisten gibt und was seine Leser in Zukunft noch von ihm erwarten können.
Krimi-Couch: Jan Arnald, viele Autoren schreiben unter einem Pseudonym. Warum ist das so beliebt, und woher stammt Ihr Pseudonym Arne Dahl?
Arne Dahl: Es gibt wirklich verschiedene Ursachen. Manchmal macht es nur Spaß, in England und Amerika ist es nicht ungewöhnlich. Viele, die wir kennen als Ruth Rendell oder Jack Higgins, das sind nur Pseudonyme. In Schweden ist das auch gerade wie eine Mode, eine Marketingstrategie. Es gibt solche Beispiele. Für mich war es anders. Als Jan Arnald habe ich 1990 zu schreiben begonnen, und habe fünf »seriöse« Bücher geschrieben, ziemlich introspektiv, ziemlich lyrische und experimentelle Literatur. Dann hatte ich genug davon. Ich bin Literaturwissenschaftler, und hatte genug von solchen »Kopfbüchern«. Stattdessen wollte ich mehr Körper und mehr Spannung und mehr Leser haben. Ich fühlte, dass ich ein anderer Mensch war, und ich wollte mehr über meine Umwelt schreiben. Es war ziemlich einfach zu sagen: Jetzt beginnen wir noch einmal. Es ist nur ein »Reset«. Es war eine neue Geburt, ich schrieb neue Bücher und brauchte einen neuen Namen. Ich schreibe auch noch diese anderen Bücher unter meinem richtigen Namen, aber langsamer, wie seriöse Autoren es tun.
Krimi-Couch: In Ihren früheren Romanen ging es immer um die A-Gruppe. Das Finale dieser Reihe erscheint jetzt bald, aber zuvor haben Sie bereits eine neue Reihe angefangen. Nun geht es um Polizisten, die in ganz Europa ermitteln. Ist es dort spannender, oder warum dieser Ortswechsel?
»Arne Dahl durfte nicht sterben.«
Arne Dahl: Ich habe diese Bücher über die A-Gruppe in etwa zehn Jahren geschrieben, und wollte wirklich eine Pause haben, und vielleicht nicht mehr als Arne Dahl schreiben. Das war wirklich eine Möglichkeit für mich vor drei bis vier Jahren. Aber dann habe ich gedacht: »Nein, ich liebe wirklich dieses Genre. Ich liebe Spannungsliteratur.« Denn ich habe keine Geduld für langweilige Literatur. Arne Dahl durfte nicht sterben. Also habe ich mir gedacht, ich muss etwas anderes schreiben, nicht immer wieder die gleichen Bücher. Was ist geschehen mit den Verbrechen in Europa und der Welt? Die große Kriminalität ist heute irgendwie international, und es ist ein wenig merkwürdig, dass es keine internationale Polizei gibt, und dass es immer Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit von verschiedenen Polizei-Einheiten in Europa gibt. Warum sollte ich also nicht probieren, eine operationelle europäische Polizei-Einheit zu erschaffen? Es ist nicht unlogisch, und es ist auch nicht unrealistisch, glaube ich.
Krimi-Couch: Einige Kritiker meinen, die Mitglieder der Opcop-Gruppe seinen eine Art »Super-Polizisten«, die völlig unglaubwürdig durch die ganze Welt jetten. Was sagen sie zu dieser Kritik?
Arne Dahl: Eigentlich ist das nicht unglaubwürdig. Die Polizeiarbeit hat sich technologisch wirklich verändert. Man kann heute so viele verschiedene Techniken nutzen. Was als »Super-Cops« wirkt, bedeutet vielleicht nur die gute Nutzung verschiedener technologischer Möglichkeiten in der gegenwärtigen Polizeiarbeit.
Krimi-Couch: Sie haben jetzt die zweite Roman-Reihe begonnen. Reizt es Sie auch, mal einen einzelnen Krimi zu schreiben?
Arne Dahl: Ja. Ich habe gesagt, dass die neue Reihe vier Romane umfassen wird, es ist ein Quartett. Vielleicht wird es auch kein absolutes Ende geben, aber dann schreibe ich mindestens zwei Stand-Alones. Das ist mein Plan.
Krimi-Couch: Viele Ihrer Kollegen haben einen Haupt-Protagonisten, den zentralen Ermittler. Bei Ihnen sind es Gruppen, die im Zentrum der Handlung stehen. Warum bevorzugen sie diese Konstellation?
Arne Dahl: Als ich begann Krimis zu schreiben, hatte ich zu viele Bücher mit einsamen, alkoholisierten Polizisten gelesen. Das wollte ich nicht. Ich wusste von Anfang an, dass ich zehn Bücher schreiben wollte. Eine Hauptperson hätte da nicht genug Energie gehabt. Ich war immer fasziniert von Henning Mankell, aber sein Protagonist Wallander war nichts für mich, weil er zu allein ist. Ich wollte eine andere Dynamik zwischen verschiedenen Polizisten. Sie arbeiten gleichzeitig an verschiedenen Stellen, und erzielen so schneller ein Ergebnis. Man kann dann wechseln, und mal den einen oder anderen Protagonisten in den Vordergrund stellen.
Krimi-Couch: In »Hela harvet stormar«, auf deutsch heisst der Roman Zorn, geht es um den Stalinismus und den Missbrauch der Gen-Forschung. Hätte man aus diesen beiden wichtigen und interessanten Themen nicht lieber zwei Romane machen sollen? Warum haben Sie daraus eine so eng erzählte Geschichte gemacht?
Arne Dahl: Es geht dabei um verschiedene Methoden, die Menschen zu kontrollieren. Am Beginn der Entwicklung der Gen-Technik gab es noch nicht so viele moralische und ethische Begrenzungen. Das war ein Augenblick, in dem man glaubte, der Mensch könne besser sein, und man könne bessere Menschen machen. Und das ist gleichartig mit dem Stalinismus, auch dort hat man geglaubt, den Menschen besser machen zu können. In Gier ging es um die Finanzkrise und den Kapitalismus, und die Gier der handelnden Akteure. Aber es gibt andere Begrenzungen der menschlichen Freiheit. Bei Gier geht es um ein kriminelles Netz, um verschiedene Verbrechen. In Zorn geht es um zwei Verbrechen, die sich plötzlich kreuzen. Das ist natürlich nicht realistisch, aber es ist wirklich spannend, und das ist für mich viel wichtiger. Realismus kann begrenzend sein.
Krimi-Couch: Wie hat man sich den Arbeitstag von Arne Dahl vorzustellen? Schreiben sie streng nach Plan – oder zuweilen auch chaotisch?
»Schreiben ist chaotisch.«
Arne Dahl: Ich plane sehr präzise, aber ich bin auch chaotisch. Erst wenn der Plan da ist, kann ich chaotisch sein. Schreiben ist chaotisch. Ich kann 18 Stunden am Stück schreiben, das ist Power-Schreiben. Aber das Planen, das Plotten, die ganze Recherche, das ist ein bisschen langweilig. Aber es muss sein.
Krimi-Couch: Recherchen für Ihre in Schweden spielenden Romane waren ja recht einfach. Fahren sie jetzt an alle Schauplätze der neuen Reihe? Und was bedeutet Ihnen die Recherche überhaupt, ist das der schönste Teil der Arbeit an einem neuen Buch, oder notwendiges Übel?
Arne Dahl: Nein, ich versuche, alle Stellen in der Welt, die ich schon besucht habe, in meine Bücher einzubauen. Aber nicht an allen Schauplätzen bin ich schon gewesen.
Krimi-Couch: Auf der sowjetischen Gefängnis-Insel sind Sie also noch nicht gewesen?
Arne Dahl: Nein, aber das ist eine Idee, die beim Schreiben geboren wurde. Wenn ich sitze und schreibe, blicke ich auf Longholmen, die schwedische Gefängnis-Insel. Und so habe ich mir gesagt, einmal werde ich Longholmen brauchen. Dann hatte ich die Idee von einem schrecklichen Gefängnis in der Vergangenheit, und ich habe die Insel Nasino gefunden, und das war dann der Anfang der Geschichte. Diese Insel ist überhaupt nicht bekannt, und das ist natürlich ein Schock für die Leser, dieser Kannibalismus. Dadurch versteht man den Zorn, der später den Täter antreibt.
Krimi-Couch: Aber auch beim zweiten Täter versteht man den Zorn?
Arne Dahl: Ja, denn es gibt zwei Arten, die menschliche Freiheit zu begrenzen, die menschliche Natur zu verändern. Ich glaubte, das gehöre zusammen. Ich wusste natürlich, dass es eigentlich zwei Bücher sind, aber warum sollte ich nicht versuchen, das zu einem Buch zu machen? Für mich ist das so besser.
Krimi-Couch: Wie wichtig sind für Sie Lesereisen nach Deutschland und der Kontakt zum deutschen Publikum?
»Deutschland ist eigentlich mein zweites Land.«
Arne Dahl: Sehr wichtig. Deutschland ist eigentlich mein zweites Land, und dann andere nordeuropäische Länder. Es ist nicht wirklich gelungen, Leser in Frankreich zu finden. Und es ist auch wichtig für mich, mein Deutsch zu trainieren. Die deutschen Leser sind auch sehr anspruchsvoll und schätzen verschiedene Arten von Komplexität.
Krimi-Couch: Wann dürfen sich Ihre Fans auf das nächste Buch über die »Opcop-Gruppe« freuen und mögen Sie schon etwas darüber verraten?
Arne Dahl: Das Buch ist in diesen Tagen fertig geworden und geht in Schweden gerade in Druck. Ich glaube, in Deutschland wird es in einem Jahr erscheinen. Es ist das dritte von vieren, und es geht darin um Menschenhandel. Ich habe früher schon viel über osteuropäische Prostituierte geschrieben, und über Bettler. Vielleicht gibt es eine große Bettler-Mafia, in der Sinti und Roma eine Rolle spielen. Und es gibt vielleicht so etwas wie Sklaven-Handel, und unter Umständen gibt es da Verbindungen.
Krimi-Couch: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Andreas Kurth im April 2013, er traf den Autor während seiner Lesereise in Hannover.
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