Sebastian Fitzek
»Mich reizen keine Trends, sondern immer nur Ideen.«
03.2014 Kurz vor Weihnachten letzten Jahres hat Thriller-Autor Sebastian Fitzek seinem stets erwartungsfreudigen Publikum mit seinem neusten Output eine Überraschung beschert. »Noah ist anders« – konstatierten dann Leser und Kritiker nach der Lektüre unisono. Diese Worte benutzt auch der Autor in einem kurzem Statement auf seiner Homepage. Was an Noah so anders ist, dazu haben wir Sebastian Fitzek befragt. Trotz akuten privaten Umzugsstresses hat er sich die Zeit genommen, der Krimi-Couch Rede und Antwort zu stehen.
Krimi-Couch: Sebastian, auch wenn wir Kategorisierungen nicht so mögen, kann man Noah als Verschwörungs-Thriller bezeichnen, der sich mit der realen Welt beschäftigt. Damit steht er in einem gewissen Gegensatz zu Deinen bisherigen Werken, die in eher fiktiven Räumen angesiedelt sind. Wie (und wann) bist Du auf die Idee gekommen, einen Verschwörungs-Thriller zu schreiben?
Sebastian Fitzek: Den ersten Impuls dazu hatte ich bereits vor vier Jahren, als ich eine Naturdokumentation über Parasiten im Fernsehen sah, in der es hieß, ein Parasit würde manchmal den von ihm befallenen Wirt so lange aussaugen, bis er gemeinsam mit ihm stirbt. Und ich dachte mir: »Ist das nicht vielleicht auch eine ganz gute Definition für den Menschen? Saugen wir nicht ebenfalls den Wirt, also den Planeten auf dem wir leben, immer mehr aus, bis wir irgendwann gemeinsam mit ihm zu Grunde gehen?« Als mir dieser Gedanke durch den Kopf schoss, hatte ich allerdings nicht den Plan einen Verschwörungs-Thriller zu schreiben; ebenso wenig, wie es zuvor mein Plan gewesen war, Psychothriller zu verfassen. Wenn mich eine Idee elektrisiert, versuche ich nur einen Roman zu schreiben, den ich selbst gerne lesen würde. Ganz egal, zu welchem Genre er am Ende zählt.
Krimi-Couch: Du benennst im Roman viele Fakten. Das setzt umfangreiche Recherchen voraus. Auf welche Quellen hast Du zurückgegriffen, um die Fakten zu verifizieren? Im Sinne von: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast?
»Fakt ist: das ist nicht gesund, weder für uns noch für die Umwelt.«
Sebastian Fitzek: Offen gestanden: Es ist völlig unmöglich, jeden Fakt bis auf die Kommastelle genau zu verifizieren. Leben 7,2 oder vielleicht doch »nur« 6,9 Milliarden Menschen aktuell auf unserem Planeten? Werden wir jede Sekunde 2,6 oder 3 Menschen mehr? Hier musste ich auf Quellen (wie zum Beispiel den Club of Rome oder die Berichte der Vereinten Nationen) vertrauen. Und das ist für mich als Autor fiktionaler Literatur auch legitim, da ich ja keine wissenschaftliche Forschungsarbeit schreibe, sondern von fiktiven Personen erzähle, die ihr Verhalten mit eben jenen Fakten begründen, die auch mir zugänglich sind. Wenn Zaphire (eine Romanfigur in Noah) in seiner Brandrede den Zustand unserer Welt geißelt, unterschlägt er selbstverständlich auch einige Fakten, die seiner Ansicht zuwider laufen. Das ist nur logisch, denn er ist ja kein unabhängiger Sachverständiger sondern ein populistischer Weltretter.
Doch selbst wenn mein Buch den Anspruch erheben würde, den Zustand unserer Welt mit unwiderlegbaren Beweisen untermauert zu haben (was es nicht tut und was selbst den erfahrensten Wissenschaftlern kaum gelingen dürfte), ist es in meinen Augen völlig unerheblich, ob wir das Öl, das in 250 Millionen Jahren entstanden ist, nun in 250 oder in 300 Jahren durchgebracht haben. Fakt ist, wir verschwenden es zu oft für Blödsinn. Es ist egal, ob eine Milliarde Menschen an Hunger leiden, oder »nur« 780 Millionen. Fakt ist, es ist ein Skandal, dass es in einer Welt des Überflusses überhaupt solche Zustände gibt. Und es ist egal, ob wir jährlich 60 Kilogramm Fleisch pro Kopf in Deutschland essen, oder sogar noch mehr. Fakt ist: das ist nicht gesund, weder für uns noch für die Umwelt.
Krimi-Couch: »Fakten, Fakten, Fakten« – posaunte einst ein grau-gelockter Medienmann, um sein Wochenblatt in den Focus zu rücken. Daran gehalten hat er sich so wenig wie viele Verschwörungs-Thriller-Autoren, die tief in die Mottenkiste der Weltgeschichte tauchten, irgendwelche obskuren Papyri ausgraben ließen oder geheime Botschaften berühmter Zeitzeugen präsentierten, deren Wahrheitsgehalt schon auf einen Blick zweifelhaft erscheint. Du bist einen anderen Weg gegangen. Noah kann als eine Variation der Wirklichkeit, als Dystopie, die gestern schon begonnen hat, bezeichnet werden. Würdest Du mir da zustimmen?
Sebastian Fitzek: Eindeutig ja, obwohl ich hoffe, dass wir von den Optionen, die uns zur Verfügung stehen, um die gegenwärtigen Probleme zu lösen, eine gewaltfreie wählen.
Krimi-Couch: Ohne zu viel verraten zu wollen, das Horrorszenario in Noah ist eine von Menschen initiierte Pandemie. Würdest Du persönlich so etwas bestimmten Mitmenschen zutrauen?
Sebastian Fitzek: Ich traue einigen Menschen sehr wohl zu, aktuell über das Szenario nachzudenken, das ich in Noah skizziert habe. Und wie sagte schon Dürrenmatt in seinen Physikern: »Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.«
Krimi-Couch: Interessant in dem Zusammenhang fand ich, dass Dan Brown sich in seinem Inferno mit der gleichen Thematik beschäftigt wie Du in Noah. In beiden Romanen versucht eine sich selbst gekrönte »Elite« der Überbevölkerung der Erde mit einer brutalen Dezimierung zu begegnen. Im Gegensatz zu Dan Brown hast Du erkannt, dass nicht die schiere Zahl der Menschen das Problem ist.
Sebastian Fitzek: Neben Dan Brown und mir gab es noch einige Filme die das Thema zumindest streiften (z.B. Elysium) und Sachbücher (z.B. 10 Milliarden). Das Thema beschäftigt Kreative weltweit, ein Zeichen dafür, wie hochaktuell es ist. Ein Buchhändler meinte kürzlich, man könne Inferno und Noah eigentlich nur schwer vergleichen; wenn, dann sehe er bei Dan Brown die amerikanische Sichtweise auf das Problem und bei mir die europäische beschrieben. Das könnte hinkommen.
Krimi-Couch: Die Auftaktszene von Noah, die den Leser mit dem Schicksal einer philippinischen Familie, die im und vom Müll lebt, konfrontiert, hat sicher nicht nur mich, sondern auch Deine Stammleserschaft überrascht. Mein erster Impuls war: Nee, das will ich jetzt gar nicht! Du warst bis Ende Februar auf Lese-Tour. Wie war die Resonanz der Leser auf den »anderen« Fitzek?
Sebastian Fitzek: Ich dachte ja das Buch wird mir von den Stammlesern der ersten Stunde um die Ohren gehauen, weil die vielleicht nur einen reinen Psychothriller wollen. Aktuell entwickelt es sich jedoch zu dem bestbewerteten meiner Bücher, was mich sehr überrascht. Für mich ist das ein weiterer Beweis dafür, dass man die Reaktion des Lesers nie vorhersagen kann, was ja eigentlich sehr schön ist.
Krimi-Couch: Der Krimi-Kritiker Elmar Krekeler moniert in der Welt, dass Du viel zu dick aufgetragen hättest, dass Du andere Ambitionen hättest, als Deine Betroffenheit auszudrücken. Was sagst Du dazu?
Sebastian Fitzek: Das mit den anderen Ambitionen habe ich so nicht aus der Kritik herausgelesen. Wohl aber den Satz »Fitzek, geht’s nicht eine Nummer kleiner?« Meine klare Antwort ist: »Nein!« Wenn eine Milliarde Menschen Hunger leiden, obwohl wir aktuell so viele (genießbare!) Lebensmittel allein in Deutschland wegwerfen (weil sie z.B. nicht schön genug aussehen), dass wir mit ihnen genau diese Menschen ernähren könnten, dann geht es nicht eine Nummer kleiner.
Wenn täglich 150 Arten aussterben, wenn alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren an Mangelernährung stirbt, wenn wir allein in Europa so viele Ressourcen verbrauchen, dass wir drei Planeten im Keller bräuchten und wir im Gegenzug auf eine Weltbevölkerung von 9 Milliarden zusteuern, wieso sollte ich das dann eine Nummer kleiner machen? Der Kritiker übersieht vollkommen, dass dezente Unterhaltung bei diesem Thema völlig unangemessen wäre. Und er erwartet offenbar, dass ich immer im gleichen Stil schreibe, aber es wäre ja vollkommen hanebüchen, hätte ich das größte Thema der Menschheit zu einem Kammerspiel verarbeitet.
Übrigens habe ich bei einigen monierten Stellen nur die Wirklichkeit abgebildet. Mein Buch beginnt mit einer Szene in den Slums von Manila, in der eine Mutter Steine kocht, in der Hoffnung, dass der Sohn einschläft, bevor er bemerkt, dass es wieder nichts zu essen gibt. Diese Szene ist angelehnt an eine wahre Begebenheit, die Jean Ziegler in seinem Buch Das Imperium der Schande beschreibt. Hier ist nichts zu dick aufgetragen.
Krimi-Couch: Auf Deiner Homepage schreibst Du, dass Noah ein wichtiger, sehr persönlicher Roman sei, dass es Dir schwerfallen würde, in Deinem Leben noch einmal einen vergleichbaren Thriller zu schreiben. Könnte es nicht genauso schwer werden, den eingeschlagenen Weg (der Erkenntnis) wieder zu verlassen?
Sebastian Fitzek: Das sind ja zwei verschiedene Dinge. Nur, weil ich mich sehr lange und sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, muss ich mich in Zukunft ja nicht monothematisch damit beschäftigen. Mein nächstes Buch zum Beispiel wird wieder ein eher klassischer Psychothriller.
Krimi-Couch: Mit Noah sprichst Du auch ein anderes Publikum an. Der politische Kriminalroman aus deutschsprachiger Feder hat sich in den letzten Jahren etabliert. In Sachen politischer Thriller zu (inter)nationalen Themen gibt es noch Nachholbedarf und er wird ja goutiert, wie der grandiose Erfolg von Marc Elsbergs Blackout als Beispiel zeigt. Reizt Dich das nicht?
»Ich kann mir die Themen ja nicht aussuchen. Sie suchen mich.«
Sebastian Fitzek: Mich reizen keine Trends, sondern immer nur Ideen. Ich schreibe nie über etwas, was vermeintlich erfolgreich ist. Hätte ich das zu Beginn meiner Karriere getan, hätte ich niemals Psychothriller geschrieben, denn als Die Therapie fertig war, wurde sie mit dem Argument abgelehnt, es gäbe für deutsche Psychothriller keinen »Markt«, ich solle es lieber mit einem lustigen Buch versuchen. Aber ich kann mir die Themen ja nicht aussuchen. Sie suchen mich. Die Idee zu Noah hatte ich, weil sie so anders war als meine Vorgänger, lange vor mir hergeschoben, aber irgendwann konnte ich mich nicht mehr wehren. Ich hatte einfach unbändige Lust, dieses Buch zu schreiben. Sollte ich noch einmal eine Idee zu einem globalen Thriller haben, werde ich auch diesen verwirklichen. Es kann aber auch passieren, dass mich irgendetwas zu einer Komödie, einem historischen Roman oder zu einem Kinderbuch inspiriert, und dann werde ich auch das schreiben, selbst wenn es gerade nicht trendy ist. Ein Trend kann in wenigen Wochen schon vorbei sein. Ein Buch zu schreiben dauert (von der ersten Idee bis zum letzten Satz) oft Jahre. Allein das verbietet es einem vernünftigen Autor, irgendwelchen Trends hinterher zu hecheln.
Krimi-Couch: Am Ende des Nachwortes zu Noah zitierst Du den französischen Schriftsteller, Kritiker und Pazifisten Romain Rolland, der in schweren Zeiten lebte und sich vielfältig engagierte, frei mit: »Der Pessimismus im Kopf schließt den Optimismus des Wollens nicht aus.« In diesem Sinne bin ich mir sicher, dass das große Thema »Die Zukunft der Menschheit« Dich noch einmal einholen und fangen wird. Aber zunächst gibt es einen neuen Psychothriller, wie Du angedeutet hast. Kannst Du uns ein bisschen neugierig machen?
Sebastian Fitzek: Ja, das wird vermutlich wieder eher ein »klassischer« Fitzek, wenn es so etwas überhaupt gibt. 2008 las ich in einem Magazin folgende Sätze: »In den letzten vier Jahren sind 37 Menschen von Kreuzfahrtschiffen verschwunden. Die Dunkelziffer liegt höher. (...) Offiziell weiß niemand, ob die Vermissten ertrunken sind, ermordet wurden, sich umgebracht haben oder noch leben.« In meinem nächsten Psychothriller wird diese Frage zumindest teilweise beantwortet. Übrigens, auch die Zeitschrift ist mittlerweile spurlos vom Markt verschwunden. Es war die Park Avenue (ein Lifestyle-Magazin, Anm. d. Red.). Und die Zahl der unerklärlichen Vermisstenfälle auf hoher See steigt Jahr um Jahr …
Krimi-Couch: Mit Noah bist Du nach langjähriger Zusammenarbeit mit der Verlagsgruppe Droemer/Knaur zu Bastei-Lübbe gewechselt. Gab es da einen besonderen Grund?
Sebastian Fitzek: Ich bin nicht gewechselt, der nächste Thriller erscheint wieder bei Droemer Knaur. Gewechselt war Klaus Kluge, ein guter Freund von mir und hervorragender Verlagsmensch, der seinerzeit als Marketingchef bei Droemer viel für mich und meinen Erfolg getan hat. Wir hatten uns bei seinem Abschied gesagt, dass wir auf jeden Fall irgendwann wieder zusammenarbeiten wollten – und mit Noah haben wir das getan.
Krimi-Couch: Lieber Sebastian, wir danken Dir ganz herzlich, dass Du Dir Zeit für uns genommen hast. Wie wir erfuhren, steckst Du gerade zwischen Lesereise, privatem Umzug und Abgabetermin. Wir wünschen Dir weiterhin viel Erfolg und alles Gute für Dich und Deine Familie im neuen Heim.
Das Interview führte Jürgen Priester im Februar 2014.
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