Thomas Willmann
Once Upon A Time …in den Alpen
12.2010 Während der Frankfurter Buchmesse ergab sich für Jochen König die Gelegenheit, Thomas Willmann zu interviewen, dessen Debüt »Das finstere Tal« sowohl auf der Krimi-Couch wie der Histo-Couch die Kritiker wie viele Leser zu Recht begeisterte.
Krimi-Couch: Herr Willmann, Sie sind ja nicht nur Autor, sondern auch Filmkritiker. Hat dieser filmische Hintergrund eine entscheidende Rolle beim Schreiben ihres Romans gespielt?
Thomas Willmann: Film ist natürlich eine große Inspirationsquelle für das Ganze – Tarantino, der Italo Western usw. Obwohl ich beim Schreiben bis auf wenige Szenen, nicht an konkrete, einzelne Filme gedacht habe. Ich habe natürlich ein Reservoir im Hinterkopf, an Sachen, die ich mag, und das habe ich auch nicht ausgeblendet. Dazu kommt noch der Einfluss Ludwig Ganghofers, den ich für einen unterschätzten Autoren halte.
Krimi-Couch: Das heißt, Sie haben seine Bücher gelesen und nicht nur die Verfilmungen gesehen?
Thomas Willmann: Nein, es bezieht sich tatsächlich auf die Bücher. Ich habe irgendwann mal ein paar seiner Bücher in einer Kaufhaus-Wühlkiste entdeckt und dachte, die nehme ich mal mit. Könnte ein Spaß werden. Er war früher auch für mich einer dieser Autoren, über die man genug zu wissen glaubt, ohne je was von ihnen gelesen zu haben. Tja, denkste!
Ich hatte das Glück, zufällig mit Waldrausch anzufangen – was ein einziges Delirium von Buch ist. Wie vieles von Ganghofer sehr Freudianisch. Und der Roman ist auch in allerlei Hinsicht wie für ein Strukturalismus-Seminar als idealer Übungstext gemacht. Aber eben: Es hat Kraft! Gibt wenige Bücher, die ich so verschlungen habe. Das Ungerechte ist, dass der andere große Bestsellerautor seiner Zeit, nämlich Karl May, nach wie vor so eine große Lobby hat (dank u.a. Arno Schmidt auch unter intellektuellsten Literaturfreunden). Während Ganghofer, der gewiss nicht schlechter ist, fast nur ungekannterweise müde belächelt wird.
Krimi-Couch: In einem Artikel über Ihr Buch wurde vermutet, dass ein anderer Verweisgeber Adalbert Stifter sei, etwas, worauf ich nicht unbedingt gekommen wäre.
Thomas Willmann: Ich finde solche Aussagen interessant, da ich von Adalbert Stifter fast nichts gelesen habe. Aber es zeigt, dass es eine Art kulturellen Zusammenschluss gibt, der vielfältige Interpretationen zulässt – auch mit Verweisen, die keinen konkreten Zusammenhang mit meinem Roman haben.
Krimi-Couch: Das finstere Tal bietet sich ja auch geradezu an, es auf den eigenen Background hin abzuchecken.
Thomas Willmann: Stimmt. Mir gefällt es, wenn Leser ein Werk um neue, eigene Horizonte erweitern!
Krimi-Couch: Dafür bietet Das finstere Tal ja auch massig Gelegenheiten. Vom ruhigen, sanft fließenden Beginn bis zu Greiders exzessivem »Rachefeldzug«. Der wird lange vorbereitet, d.h. Sie lassen Greider viel Zeit auf dem beschränkten Raum, bevor er zur Tat schreitet. Die Hochzeit der Tochter seiner Wirtin ist natürlich ein passender Moment für den stilistischen Wechsel, der trotzdem sehr abrupt kommt. War diese ausführliche Erzeugung einer nahezu kontemplativen Stimmung eine stilistische Notwendigkeit?
Thomas Willmann: Es gibt eine einfache »mechanische« Erklärung: Das ganze Buch funktioniert nicht, wenn er einfach reinkommt und sofort seine Rache durchzieht. Aber das ist schon eine wirklich interessante Frage, warum er sich so lange quasi einsperren lässt, bevor er aktiv wird. Das hat auch damit zu tun, dass er das Dorf und seine Bewohner erst zeichnend, skizzierend erfassen will. Greider will auch überprüfen, ob die Geschichte so stimmt, wie er sie gehört hat und ob es ein »Warum« zu ergründen gibt. Dann gibt es noch ein letztes Zurückschrecken vor der Gewalt, die er ausüben muss. Das kann man auch gut an jener Schlüsselstelle erkennen, an der Greider sich vor dem, was er geworden ist, und dem was er tut, für einen kurzen Augenblick selbst ekelt.
Krimi-Couch: Der Ort im finsteren Tal ist ja eine sehr abgeschlossene, repressive Gesellschaft, in der sich scheinbar alle Bewohner in ihr aufoktroyiertes Schicksal fügen. Mit Greider kommt jemand von außen, der die alten Verhältnisse explosiv verändert. Warum hat niemand aus dem »Inneren« das Heft in die Hand genommen?
Thomas Willmann: Das ist ebenfalls eine der wirklich interessanten Fragen. Mit der man schnell bei der Welt- und Menschensicht des Buchs ist. Die Figuren und die Geschichte standen aber auch so früh erstaunlich komplett vor meinem inneren Auge, dass es nie eine wirkliche Option war, sie anders handeln zu lassen. Auch wenn ich zwischendurch mal kurzzeitig überlegt habe, am Ende noch etwas Überraschendes einzubauen, ähnlich wie am Schluss von »Leichen pflastern seinen Weg«.
Krimi-Couch: Wie ist eigentlich die Resonanz auf Ihren Roman, der ja gleichzeitig ihr Debüt ist. Gab es schon negative Kritiken – die ich kenne sind alle eher überschwänglich.
Thomas Willmann: Eigentlich waren die Kritiken bisher sehr angenehm zu lesen. Es gab ein paar einschränkende Worte, aber insgesamt war die Aufnahme sehr positiv, was mich glücklich macht. Aber ich bin mir sicher, dass negative Stimmen noch folgen werden. Man kann es nicht jedem Leser recht machen.
Krimi-Couch: D.h. einen Kritikpunkt habe ich behalten: Jemand bemängelte doch tatsächlich das Cover – das ich eigentlich recht passend finde, konterkariert es doch in seiner scheinbaren Idylle den Titel Das finstere Tal.
Thomas Willmann: Ich hatte keine Einfluss aufs Titeldesign, aber das Bild gefällt mir, es sieht friedlich aus, aber wenn man genau hinschaut, sieht man die Schatten in den Ecken. Insofern hat es einiges mit dem Inhalt zu tun. Außerdem kann man es sowohl als bewussten, ironischen Affront gegen heutigen Geschmack sehen, als auch eben tatsächlich als idyllische Genre-Malerei – woraufhin einen dann gleich die erste Seite dieser Illusion von Possierlichkeit berauben wird. Und es ist natürlich ein Bild aus der Zeit, in der der Roman spielt.
Krimi-Couch: Dem 19. Jahrhundert. Sie haben Ihre Sprache dieser Zeit angepasst. So was kann leicht schiefgehen und aufgesetzt wirken, in ihrem Buch passt es wie angegossen. War dieser Stil eine bewusste Entscheidung, mit der Sie kämpfen mussten oder ist es quasi geflossen?
Thomas Willmann: Diese Welt hat ihre Sprache mitgebracht. Es war keine Entscheidung, zu der ich mich durchringen musste, sondern die durch die Geschichte und das Umfeld, in dem sie spielt, getroffen wurde. Da war diese Atmosphäre, diese Schwere, die über dem Tal lastet, und da schien mir der Stil der einzig passende zu sein. Ich glaube, ich hätte es auch nicht schreiben können, wenn es zu artifiziell gewesen wäre. So hat sich diese sehr eigene Sprache entwickelt – und trotz der langen Pausen, die es beim Schreiben immer wieder gab, war es jedes Mal, wenn ich mich erneut drangesetzt habe als würde ich einen altvertrauten Mantel überstreifen.
Krimi-Couch: Das finstere Tal ist Ihr Debüt. Es ist gerade erst erschienen, und Sie stecken vermutlich noch mitten drin. Gibt es denn schon Pläne für ein neues Werk?
Thomas Willmann: Eigentlich habe ich sogar schon etwas Distanz zum Buch. Immerhin liegen zwischen dem Schreiben des letzten Satzes und der Veröffentlichung gut zwei Jahre. Und ja, ich habe schon seit längerem eine Idee für mein zweites Buch, aber wie die genau aussieht, möchte ich noch nicht verraten. Nur so viel: Es wird etwas ganz anderes sein als Das finstere Tal. Ob Greider irgendwann wiederkommt, weiß ich nicht. Vielleicht packt er eines Tages aber sein Gewehr noch einmal aus. Aber das muss er entscheiden.
Krimi-Couch: Aber sie sind ja auch ohne das Schreiben ein viel beschäftigter Mann. Sie geben an der Universität Seminare, schreiben Filmkritiken und fertigen Übersetzungen an.
Thomas Willmann: Die Seminare über Filmmusik, die ich an der Uni München gegeben habe, liegen nun schon eine Weile zurück; Film- und Konzertkritiken schreibe ich immer noch gerne, für Printmedien und im Netz; was das Übersetzen angeht, bin ich nicht im literarischen Bereich tätig, sondern für amerikanische Fernsehsendungen und vor allem -dokus.
Krimi-Couch: Herr Willmann, vielen Dank, dass sie sich für Krimi-Couch Zeit genommen haben.
Thomas Willmann: Ich bedanke mich ebenfalls. Auch für die Rezension!
Krimi-Couch: Sowohl das Lesen ihres Buches wie das Schreiben der Kritik war mir ein Vergnügen.
Das Interview führte Jochen König im Dezember 2010.
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