Derek Nikitas
Mit einer Kuhweide als Hinterhof
12.2010 Derek Nikitas ist mit seinem atmosphärischen Krimi-Debüt Scheiterhaufen ein Achtungserfolg geglückt. Von Kritikern hochgelobt, für den amerikanischen »Edgar« nominiert, war Nikitas` Erstling bei uns auf der Krimi-Couch der Volltreffer im Oktober. Jürgen Priester erzählte Derek Nikitas ein wenig über sich und sein Werk.
Krimi-Couch: Derek, die deutschen Leser wissen nicht viel über Sie, bis auf das, was auf Ihrer Homepage oder in diversen Kurzbiographien zu lesen ist. Was macht der Privatmann Derek Nikitas denn so?
Derek Nikitas: Zur Zeit lebe ich in einer ländlichen Gegend im Osten von Kentucky – »wie ein Fisch auf dem Trockenen«, ehrlich gesagt, denn eigentlich fühle ich mich in der Stadt wohler, oder jedenfalls in Neu-England. Doch wie Flaubert einst sagte: Wenn man ein ruhiges Leben führt, kann man in seinen Geschichten das Chaos beschreiben. So sitze ich also hier mit einer Kuhweide als Hinterhof. So oft ich kann, verrreise ich, ansonsten lenke ich mich mit Filmen und Büchern ab. Zu meinen Lieblingsautoren, die mich auch inspiriert haben, zählen: James Ellroy, Joyce Carol Oates, Kafka, Nabokow, Thomas Hardy, Dennis Lehane, Denis Johnson, Cormac McCarthy … und viele andere.
Krimi-Couch: Ihr Nachname lässt auf einen griechischen Ursprung schließen, während in Ihrem Roman schwedische Mythen und Märchen einfließen. Haben Sie schwedische Vorfahren oder haben Ihre Eltern Ihnen schwedische Geschichten vorgelesen, wie es Oscar Moberg im Roman für seine Tochter Luc tut?
Derek Nikitas: Der griechische Name ist ein wenig irreführend, denn es ist der Nachname meines Stiefvaters, den ich im Alter von elf Jahren annahm. Ich bin also gar kein Grieche, sondern hauptsächlich Franco-Kanadier – zu einem »Viertel« Schwedisch. Meine schwedischen Vorfahren sind allerdings erst in jüngster Zeit in die USA eingewandert, daher haben wir noch engen Kontakt zu unserer schwedischen Familie. Durch diese Verbindung zum Heimatland entwickelte ich mein Interesse an der schwedischen Kultur, studierte sie und reiste schließlich auch nach Schweden.
Krimi-Couch: In Deutschland hat es ein Newcomer schwer, auf den Buchmarkt Fuß zu fassen. Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Hinsicht in den USA gemacht?
Derek Nikitas: In den USA bestehen die gleichen Schwierigkeiten. Das Können eines Schriftstellers und eine geschickte Vermarktungsstrategie des Verlegers sind nur ein Teil der Gleichung – der Rest ist einfach Glück (und ein Schnellschreiber zu sein, was ich nicht bin). Meine Leserschaft hier in den USA ist noch nicht sehr zahlreich. Den größten Schwung an Aufmerksamkeit verschafften mir die Edgar-Nominierung und einzelne gute Kritiken in den Zeitungen.
Krimi-Couch: Derek, Sie erwähnen den Edgar-Award. Welchen Stellenwert hat diese Auszeichnung für einen Autor?
Derek Nikitas: Der Edgar ist ein enorm wichtiger Preis im Nischenmarkt der Kriminalliteratur, und es ist fantastisch, wie viel Aufmerksamkeit einem durch die Nominierung innerhalb der Krimi-Gemeinde zuteil wird. Einige Monate lang erfuhr Scheiterhaufen dadurch einen riesigen Schub an Interesse. Diese gesteigerte Aufmerksamkeit ist äußerst wertvoll, besonders für einen Debütanten, da es anderweitig kaum Möglichkeiten gibt, wahrgenommen zu werden. Die Nominierung steigerte auch das Interesse der Rezensenten, sich mit meinem zweiten Roman auseinanderzusetzen, und natürlich das Interesse der Überseemärkte.
Krimi-Couch: Hier bei uns bestimmen die großen Verlagshäuser, was gelesen wird. Kleinere Verlage wie der von Jens Seeling haben selten eine Chance, einen Autor durchzusetzen. Was hat Sie veranlasst, es dennoch mit ihm zu versuchen?
Derek Nikitas: Tatsächlich habe ich keinerlei Einfluss auf die Vergabe der Übersetzungsrechte für meine Romane. Aber ich bin sehr zufrieden damit, wie Jens Seeling die Übersetzung und die Veröffentlichung meines Romans gehandhabt hat. Es war von Anfang an ersichtlich, dass Jens sich leidenschaftlich für das Projekt einsetzen und dem Buch gerecht werden würde. Was er bewirkt hat, übertrifft meine Erwartungen bei Weitem. Ich bin ihm außerordentlich dankbar.
Krimi-Couch: Bei der Lektüre von Scheiterhaufen fiel mir ein Detail sofort auf: Ihre Heldin Luc ist am gleichen Tag geboren wie Sie, am 13.Dezember. War das eine der Inspirationen für diese Figur?
Derek Nikitas: Einige Jahre bevor ich mit diesem Roman begann, beschäftigte ich mich, wie schon erwähnt, mit der schwedischen Kultur. Dabei stolperte ich über die überraschende Tatsache, dass der St. Lucia-Tag, mein Geburtstag, in Schweden ein bedeutender Feiertag ist. Auch faszinierte mich das Morbide an der Legende der Heiligen Lucia (der man nachsagt, sie habe ihre Augen geopfert), sodass sich diese spezielle Heilige als Metapher für Lucs Charakter anbot. Die Heilige Lucia ist die Heilige des Lichts und des Augenlichts, was beides dazu befähigt, die Wahrheit zu erkennen.
Krimi-Couch: Die vier Hauptcharaktere in Scheiterhaufen sind weiblich – sehr unterschiedlich im Alter, in ihrer Herkunft und ihrer Lebenserfahrung. Wie kommt ein männlicher Autor dazu, sich auf solch unsicheres Terrain zu begeben? Hatten Sie Vorbilder aus dem wirklichen Leben?
Derek Nikitas: Ich lasse mich weniger von meiner eigenen Lebenserfahrung inspirieren als von dem, was Milan Kundera als »experimentelle Charaktere« bezeichnet. Ich entwickle bewusst Charaktere, die ganz anders sind als ich selbst und ganz unterschiedlich voneinander, um die Erforschung ihrer Psyche als Wunder erleben zu können. Wie die Leser, so möchte auch ich mir selbst entfliehen. Ebenso interessiert mich die Idee, vielschichtige Protagonisten in einen ironischen Gegensatz zueinander zu stellen, wie es, um zwei brillante Beispiele zu nennen, James Ellroy in L.A. Confidential oder Dennis Lehane in Mystic River tun. Es hat keine tieferen oder persönlichen Gründe, dass alle meine Protagonisten (in diesem Roman) weiblich sind. Es erschien mir nur als die beste Möglichkeit, sie einander gegenüberzustellen, wenn sie zumindest eine Grundvoraussetzung gemeinsam haben – ihr Geschlecht.
Krimi-Couch: Einige deutsche Kritiker sprechen von einem »Coming-of-Age«-Roman, was ja in Bezug auf Luc auch stimmt. Aber alle Frauen machen einen Wandel durch. Für mich ist Luc eine »prima inter pares«. Stimmen Sie mir da zu?
Derek Nikitas: Ich neige eher dazu, Scheiterhaufen als einen Mehr-Protagonisten-Roman anzusehen, aber für die Leser ist Luc natürlich der Dreh- und Angelpunkt des Interesses. Sie ist die Person, die den zentralen Handlungsbogen durchläuft und auch diejenige, die den deutlichsten und nachhaltigsten Wandel erfährt. Sicherlich verändert sich auch Greta (Greta Hurd, die Ermittlerin) durch die Ereignisse, doch sind ihre Erfahrungen nur Reflexionen und Erweiterungen dessen, was Luc erlebt. Aus meiner Sicht ist Luc eine sehr ungewöhnliche und unberechenbare Heldin in einer Geschichte wie dieser und die, deren Psyche ich am besten verstehe. Viele Leser meinten, für sie sei Tanya (Tanya Yasbeck, eine Rockerbraut) der lebhafteste und aufregendste Charakter, was ich nachvollziehen kann, denn sie ist mit Sicherheit die Extremste und emotional Getriebenste von allen.
Krimi-Couch: In Scheiterhaufen spielt eine Biker-Gang namens »Skeleton-Crew« eine entscheidende Rolle. Überhaupt tauchen Biker gerne in den Romanen amerikanischer Autoren auf, z.B. auch bei John Farrow. Repräsentieren sie tatsächlich einen Teil des amerikanischen Alltagsgeschehens oder dienen sie den Autoren mehr als Stilmittel?
Derek Nikitas: Biker-Gangs sind nicht annähernd so weit verbreitet, wie in amerikanischen Romanen und Filmen suggeriert wird, und sie bleiben im Allgemeinen unter sich. In Erzählungen dienen sie als interessante Metapher für einen gewissen amerikanischen Libertarianismus, der sich zu einem reaktionären Extrem entwickelt hat. Sie sind die albtraumhafte Übersteigerung des Cowboy-Outlaw-Mythos. In diesem Sinne sind sie wohl hauptsächlich Stilmittel oder Metapher. Dennoch, als ich mir die Bösewichte für meinen Roman ausdachte, fragte ich verschiedene Polizisten im Westen von New York State nach der schlimmsten Form von Bandenkriminalität, die sie je erlebt hätten, und die Antwort lautete immer: die Outlaw-Biker-Gangs. Sie sind kein übergroßes Phänomen, aber ein schockierendes. Selbstredend sind die meisten Biker nicht Mitglieder von Outlaw-Gangs. Die »Bösen Jungs« bezeichnen sich stolz als die »one-percenter«, im Gegensatz zu den 99 Prozent gesetzestreuer Biker.
Krimi-Couch: Auf Ihrer Homepage ist zu lesen, dass die Filmrechte zu Scheiterhaufen verkauft sind. Gibt es da Fortschritte? Ein Film ist ja meist mit einem deutlichen Anstieg an Publicity verbunden.
Derek Nikitas: Ich bin vorsichtig optimistisch bei der Filmversion von Scheiterhaufen. Die Rechte wurden an eine kleine, aber sehr erfolgreiche New Yorker Produktionsfirma namens Vox3 verkauft, die verantwortlich ist für Filme wie: Secretary, Fur: An Imaginary Portrait of DianeArbus, Rage, Broken English und Adam. Wir haben bereits einige Entwürfe für das Drehbuch erstellt; ich habe den größten Teil des Umschreibens übernommen. Ich hoffe, dass wir bald eine hochwertige Endfassung vorliegen haben, die großartige Schauspieler anlockt. Es ist schon eine spannende Zeit!
Krimi-Couch: Ihr letzter Roman The Long Division erschien im Jahr 2009 in den USA. Dürfen wir auf eine Veröffentlichung in Deutschland hoffen? Haben Sie Kontakte zu Verlegern?
Derek Nikitas: Der Seeling-Verlag hat sich bereits die Übersetzungsrechte gesichert. So weiß ich meinen Roman in guten Händen. Ich vermute, sie werden ihn im kommenden Jahr oder bald darauf veröffentlichen. Ich bin gespannt, wie das deutsche Publikum ihn aufnehmen wird. [Anm. d. Red.: Auf Anfrage teilte Verleger und Übersetzer Jens Seeling uns mit, dass wir leider bis zum Frühjahr 2012 auf Derek Nikitas’ neuen Roman warten müssen. Als kleiner Trost erscheint Scheiterhaufen 2011 in »normalem« Taschenbuch-Format.]
Krimi-Couch: Derek, wären Sie so freundlich, uns einen kurzen Ausblick auf den neuen Roman zu geben? Um was geht es da?
Derek Nikitas: Er handelt von vier Leuten, die geradewegs in große Schwierigkeiten hineinlaufen – und ineinander, als sie versuchen, ihrer Vergangenheit zu entfliehen: eine verzweifelte Hausangestellte, die Geld und ein Auto gestohlen hat, ein heimlich schwuler Teenager, der von zu Hause weggelaufen ist, ein Kleinstadt-Polizist, der ein schweres Dienstvergehen verheimlichen muss, und ein höchst unausgeglichenes Mathegenie.
Krimi-Couch: Derek, wir danken Ihnen ganz herzlich für dieses Interview!
Das Interview führte Jürgen Priester im November 2010 per E-Mail.
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