Don Winslow
Grundsätzlich gilt natürlich: Die Schönen und Reichen langweilen mich zu Tode.
11.2012 Redakteur Tim König traf den Autor in Hannover und erfuhr mehr über seine Inspiration und Leidenschaft fürs Schreiben und seine politischen Ansichten.
Krimi-Couch: Herr Winslow, können Sie sich daran erinnern, wann sie angefangen haben ernsthaft zu schreiben?
Don Winslow: Ich habe Jahre darüber geredet, viel darüber nachgedacht, es aber nie ernsthaft verfolgt. Ein guter Freund sagte mir dann einmal: »Warum hältst Du nicht mal die Klappe und tust es einfach?« Ein paar Wochen später saß ich um fünf Uhr morgens in einem Canyon in Südafrika, es war dunkel und es gab nur das Feuer und mich. Da dachte ich: Ich fange besser schnell an.
Krimi-Couch: Und wie haben Sie es dann begonnen?
Don Winslow: Ich habe Joseph Wambaugh, der seitdem ein guter Freund geworden ist, damals in einem Radiointerview gehört, in dem er erzählte, wie er als Cop in LA Krimiautor werden wollte und sich dann dazu entschloss, 10 Seiten am Tag zu schreiben – egal, was passiert. Ich dachte mir: »10 Seiten schaffe ich nicht, aber vielleicht 5«. So entschied ich mich dazu, 5 Seiten am Tag zu schreiben – egal, was passiert.
Es hat dann 3 Jahre gedauert, bis ich ein Buch fertig war.
Krimi-Couch: Bei 5 Seiten am Tag braucht man eine Menge Inspiration. Wo bekommen Sie die her?
Don Winslow: Unterschiedlich. Manchmal aus den Zeitungen, manchmal aus dem Alltag – einfach das Zeug, das in deiner Nähe passiert. Manchmal kommt es auch aus Gesprächen mit Leuten an den Orten, an denen ich lebe. Ich nehme diese Geschichten auf, wie Folklore und nutze sie dann.
Manchmal ist es aber auch einfach nur pure Imagination. Da ist dann so ein Charakter in deinem Hirn, wie es ein paar Jahre vor meinem Buch The Winter of Frankie Machine war, und dieser Charakter ist ein alternder Mafiosi an der Westküste, und ich wusste überhaupt nichts über die Mafia an der Westküste, aber ich dachte mir: Wäre es nicht spannend, ein Buch über die Westküste, über das Ende des Tages, über das Ende der Dinge zu schreiben? Denn die Westküste ist traditionell der Ort, an dem die Dinge sterben oder sich verändern. Sonnenuntergang statt Sonnenaufgang.
Krimi-Couch: In Kings of Cool gibt es zwei Erzählstränge, wobei einer in den 60ern spielt und sich bis in die Gegenwart hineinspielt. Wie recherchieren Sie, nachdem sie z.B. einen Charakter im Kopf haben?
Don Winslow: Du kannst in eine Auto steigen oder in ein Flugzeug, aber du wirst niemals eine Zeitmaschine betreten. Wenn ich also über eine bestimmte Zeit schreibe, sagen wir die 50er oder die 60er, selbst, wenn es nur um einen Abschnitt des Buches geht, kann ich nicht dort hin. Selbst wenn ich zu den Orten des Geschehens gehe, werde ich nur wenig sehen. Und was ich sehen werde, könnte trügerisch sein. Also schaue ich in Archive, in Bücher, alte Fotos, alte Filme. Und das liebe ich.
Krimi-Couch: Und wie recherchieren Sie für die Abschnitte der Gegenwart?
Don Winslow: Natürlich kann ich meistens mit Leuten sprechen, wenn ich über die Gegenwart schreibe. Das erste bleibt natürlich der Blick in die Geschichte, damit ich fundiert arbeiten kann. Dann schaue ich in Dokumente: Gefängnis-, Polizei-, FBI- und CIA-Berichte – so viele Primärdokumente, wie ich in meine kleinen gierigen Hände bekommen kann. Wenn ich dann praktisch alles aufgesaugt habe, fühle ich mich, als würde ich nicht nur Leute von der Seite anquatschen, ihre Zeit verschwenden und dabei möglicherweise Leute verlieren, weil ich der Sache gegenüber ignorant war. Irgendwann komme ich also zu dem Punkt, an dem ich rausgehen will und mit einem Cop, einem Dealer, Anwalt oder was auch immer sich ergibt spreche. Doch dabei brauche soviel Hintergrundwissen wie möglich.
Krimi-Couch: Kings of Cool handelt von Coolness. Ist der Typ in der Bibliothek, der Hintergrundfakten recherchiert wirklich cool?
Don Winslow: Bei Kings of Cool war das ein bisschen anders; ich lebe in der Gegend, über die ich schreibe, also habe ich die Geschichten, die das Rückenmark des Buchs bilden, aus der ersten Hand. Ich musste nicht rausgehen und Ben, Chon und O finden oder gar recherchieren – sie sind alle da und hängen ab, surfen, machen Kampfsport: Ich sitze auf einer Bank und sehe sie Volleyball spielen mit all den Protagonisten.
Ich musste die biochemikalische Zusammensetzung von Marihuana recherchieren und was du brauchst, um es anzubauen – wie ein Gewächshaus funktioniert, einfach, wie die Wissenschaft hinter dem Grasanbau ist. Für den Rest allerdings musste ich nicht rausgehen.
Krimi-Couch: Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass Sie nicht über die Schönen und Reichen schreiben wollten. Ben, Chon und O sind Könige – und sie sind Surfer in Laguna Beach – könnten sie schöner sein?
Don Winslow: Ich erinnere mich daran, das gesagt zu haben, aber es galt nicht grundsätzlich: Ich wollte nie über die Schönen und Reichen sprechen, außer in einem kritischen und investigativem Sinn. Auf jeden Fall schreibe ich in Savages und Kings of Cool über die Wohlhabenden aus Newport Beach und Laguna – was wir ja sogar die Goldküste nennen. Aber – was ich meinte, ist, dass ich nicht über ihre Cocktailparties, ihre Klamotten, ihre Autos und ihre Häuser schreiben. Ich wollte über die Bens, Chons und Os schreiben, die subversiv sind, die die Situation umkehren und umdeuten. In Kings of Cool gehe ich 30 Jahre zurück und sehe, dass die Schönen ihre Wurzeln in Trailer Parks haben.
Grundsätzlich gilt natürlich: Die Schönen und Reichen langweilen mich zu Tode.
Krimi-Couch: Das meiste, was wir in Deutschland über Surfer wissen, wissen wir von Jack Johnson. Diese Lockerheit und Coolness hat aber auch etwas sehr Unwirkliches an sich. Wie wirklich ist das Bild, das Sie von den Surfern zeichnen?
Don Winslow: Ich habe natürlich auch Jack Johnson gehört und eine menge Surfvideos und -filme gesehen. Ich gehe raus. Und all das ist real. Wenn du diese Coolness siehst, weißt du, dass das wirklich existiert. Ales, was ich sage, ist: Das mag wirklich sein, aber so ist kann es auch. Du kannst surfen gehen, wie die Leute in Beach Blanket Bingo sein oder was auch immer du mit diesem Bild machen möchtest. Aber da gibt es auch diese andere Sache und ich will, dass die Leute auch dorthin schauen.
Ich beschreibe es mal mit einer Surf-Metapher: Es ist wie eine Welle. Du schaust auf den Ozean und was du siehst, ist wirklich. Diese Welle ist wirklich, aber: Da ist immer etwas unter der Oberfläche, das die Dinge, die du siehst, verursacht. Wenn du also ein Surfer oder ein Krimi-Autor bist, ist es besser, wenn du weißt, was unter der Oberfläche ist. Denn wenn du im Wasser bist, ist es genau die Sache, die dich tötet. Und wenn du schreibst, wird die Unterströmung wirklich.
Krimi-Couch: Das mag vielleicht ein zynische Frage sein, aber wo wir gerade bei Unterströmungen sind: Was sind heute die größten Verbrechen?
Don Winslow: Die größten Verbrechen, die gerade jetzt passieren, werden von Bankern, Börsenspekulanten und Politikern begangen. Die Mafia kann nur davon träumen, soviel Geld zu stehlen. In Frankie Machine lasse ich den alternden Mafiosi sagen, dass es nur einen Unterschied zwischen organisiertem Verbrechen und dem Staatswesen gibt: Der Staat ist besser organisiert. So fühlt es sich an für mich, wenn ich mir die letzte große Wirtschaftskrise Amerikas anschaue. Das ist ein ziemlich großes Verbrechen.
Aber die Verbrechen, über die ich schreibe, fühlen sich kleiner an und ich würde lieber einen ehrlichen Bankräuber kennen, der dich mit einer Pistole anstatt eines Stifts beklaut. Für den Bankräuber habe ich mehr Respekt. Es gibt mehr Verbrechen, die in Kongressen begangen werden, als auf der Straße. Das ist eine ziemliche zynische Sichtweise.
Krimi-Couch: In Kings of Cool geht es auch um den mexikanischen Drogenkrieg. Glauben Sie da noch an Gerechtigkeit?
Don Winslow: Das grundlegende Problem dabei ist, dass wir vom mexikanischen Drogenproblem sprechen, es aber in Wirklichkeit das amerikanische Drogenproblem ist. Das Thema darf nicht in Mexiko angesiedelt werden. Es muss auf der anderen Seite de Grenze betrachtet werden: Wir sind die Verbraucher, wir sind die Leute, die das Zeug kaufen, wir bezahlen alles, was da gerade passiert.
In Bezug auf Mexiko über Gerechtigkeit zu sprechen, ist extrem schwierig.
Denn dieses gigantische Land wird abgezäunt und mit einer irrationalen Einstellung zu Drogen abgegrenzt. Die Lösung muss also auf der US-Amerikanischen Seite gefunden werden. Was Mexiko tun könnte, wäre, in seiner Drogenpolitik nicht so stark Washington entgegenzukommen.
Es könnte im anderen Fall also nicht unbedingt zu Gerechtigkeit kommen, aber zu einem zeitweiligen friedlichen Leben mit den Kartellen. Auf diese Weise könnte man das Blutvergießen aussetzen. Darin aber die langfristigen Lösungen zu suchen, ist unmöglich.
Krimi-Couch: Glauben Sie, dass jede Droge legalisiert werden sollte?
Don Winslow: Persönlich, ja! Ich glaube nicht, dass jede Droge legalisiert wird, aber jede Droge sollte legalisiert werden. Wir verursachen so viel unbeabsichtigtes Leid, indem wir Drogen verbieten. Dabei sind die größten Killer unter den Drogen vollkommen legal: Die allergrößten Killer sind Zigaretten. Jede jemals geschehene Überdosis ist unbedeutend im Vergleich zu einem Monat tödlichem Krebs. Der nächste große Killer ist Alkohol. Wirklich. Die nächsten großen Killer sind verschreibungspflichtige Medikamente, die nichts Anderes als Opiate sind. Das sind legale Versionen von Heroin. Die Definition einer legalen Droge ist vollkommen willkürlich.
Krimi-Couch: Da muss man ja zynisch werden.
Don Winslow: Nicht unbedingt: Mein Standpunkt ist nicht zynisch im Gegensatz zu ihrem. Dadurch, dass sie auf der einen Seite der Grenze Drogen verbieten, steigert man den Wert einer illegalen Droge enorm. Das macht Drogenschmuggel zu einer Angelegenheit, für die man tötet. Ich bin deshalb der Idealist und sie sind Zyniker, weil ich das Geld, das wir zur Drogenbekämpfung nehmen, in Drogenberatung, Pflege von Süchtigen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Erziehung und Schulen stecken würde, um auf lange Sicht die Grundlage der Drogen zu bekämpfen anstatt wie jetzt die nächste Generation an Süchtigen und Dealern heranzuziehen.
Krimi-Couch: Um wieder zu etwas netteren Themen zu kommen: Sie haben nahezu jedem Kapitel in Kings of Cool ein Songzitat vorangestellt. Was hören Sie für Musik?
Don Winslow: Das kann ich dir kaum verübeln! Was Musik betrifft, bin ich ziemlich umtriebig; einerseits bin ich ein großer Springsteen-Fan, andererseits höre ich seltsamen Jazz aus den 50ern. Die Leute sind oft verwundert, wenn ich sage, dass ich oft Eminem und anderen Hiphop und Rap höre.
Für Kings of Cool habe ich mir die Musik aus der jeweiligen Ära ausgesucht und gehört.
Krimi-Couch: Medien haben aber auch Ihren Stil beeinflusst. So kann man Ihr Buch zwar einmal als Gedicht bezeichnen, aber auch als stilistische Auseinandersetzung mit dem Sprachwandel in einer medial beschleunigten Welt verstehen.
Don Winslow: Architekten nennen das »form follows function«. Wenn ich über Charaktere wie Ben, Chon und O schreibe, will ich eine Geschichte in ihrer Sprache erzählen, nicht in meiner etwas schlichten Art, die Dinge zu benennen. Ich wollte die zersplitterte Wahrnehmung in allen Arten der Medien reflektieren und habe das mit einem Stil getan, der sich an der Sprache auf Facebook, Skype, Twitter oder welche Technologie auch immer gerade viel genutzt wird, orientiert. Denn auf diese Weise kommen die Leute zu den meisten Informationen; das kann man nicht vernachlässigen.
Krimi-Couch: Rainer Maria Rilke schrieb einmal, dass man verbrennt, wenn man geliebt wird, aber mit unendlicher Flamme brennt, wenn mal liebt. Wenn wir auf die Rezeption Ihrer Bücher in den Medien schauen, müssten Sie im Moment verbrennen.
Don Winslow: Das glaube ich nicht. Ich bin keine zwanzig mehr und schon ein bisschen rum gekommen. Ich mag es, populär zu sein. Aber es beeinflusst mich nicht als Autor. Ich mache immer noch dasselbe, was ich tat, auch bevor diese Bücher herauskamen. Ich stehe früh auf, ich gehe arbeiten und versuche so gut zu schreiben, wie ich nur kann. Am nächsten Tag dasselbe. Schreiben war mir schon immer eine Leidenschaft.
Krimi-Couch: Wenn man den eigenen Wörtern leidenschaftlich verbunden ist, kann das auch für Probleme sorgen. Sind Sie zufrieden mit Oliver Stones Verfilmung von Savages?
Don Winslow: Ja, sehr. Es ist ein ziemlich guter Film. Ich finde zwar nicht alles gut, will Ihnen aber auch keine Einkaufsliste an Dingen geben, die mir nicht gefallen haben. Ich habe irgendwann verstanden, dass ein Buch und ein Film verschiedene Leben führen können. Und es ist okay.
Es ist genau dasselbe mit meinen Lesern: Ich kenne zwar nicht sehr viele, aber die, die ich kenne haben verschiedene Reaktionen und Interpretationen meiner Bücher. Auch das ist okay. Das hängt mit der persönlichen Erfahrung zusammen. Und ich komme nicht als Der Autor herein und sage: ,Das habe ich gemeint und das ist, was du denken musst.'
Die Erfahrung, die jemand mit dem Buch macht, ist die Erfahrung, die er mit dem Buch macht. Mit einem Film verhält es sich genauso. Es ist jemand Anderes’ Interpretation.
Krimi-Couch: Ganz wie Roland Barthes sagt: Der Autor ist tot.
Don Winslow: Damit bin ich einverstanden! Man schreibt ein Buch und lässt es dann gehen. Es bekommt Reaktionen und das ist schön.
Krimi-Couch: Sie haben mit Kings of Cool und Savages das Krimigenre stilistisch entscheidend abgewandelt. Hatten Sie Probleme mit einem traditionellerem Weg, einen Kriminalroman zu schreiben?
Don Winslow: Ich war mit dem älteren Stil nicht unglücklich und vielleicht werde ich irgendwann zurückkehren, aber das hängt von der Geschichte ab. Aber ich lese die alten Krimis und liebe sie. Niemand von uns wird jemals wieder so gut schreiben wie Raymond Chandler. Es wäre schön, wenn, aber es wird nie passieren. Ich respektiere die älteren Krimis, wollte aber ein bisschen mehr spielen. Wie ich eben schon sagte: Ich schreibe über eine chaotische Welt. Also schreibe ich chaotisch.
Krimi-Couch: James Ellroy z.B. lebt auch in dieser Welt.
Don Winslow: Und ich liebe seine Bücher, ja.
Krimi-Couch: Und doch schreibt er eher traditionell, bleibt in seiner Linie. Und er sagt, dass er ein »guter Republikaner« ist.
Don Winslow: Politisch und philosophisch unterscheiden wir und radikal. Aber ich habe seine Texte immer geliebt und werde sie immer lieben. Es ist eine große Welt und wir müssen uns nicht auf einen Stil einigen, auf eine Grenze – außer die Grenzen, die wir uns selbst setzen. Ich möchte in zwanzig Jahren nicht derselbe Autor sein, der ich heute bin. Wir verändern uns ständig. Vielleicht schreibe ich ja demnächst in der dritten Person im Präteritum – das ist für mich eine Frage der Freiheit. Ellroys Stil ist ganz anders, aber ich mag ihn.
Krimi-Couch: Zum Abschluss noch eine einfache Frage: Warum sollte man Kings of Cool gelesen haben?
Don Winslow: Ich werde niemals einen anderen Autoren schlecht machen. Man sollte mich nicht an Stelle von Anderen lesen. Da ist so viel gute Lektüre auf dem Markt, da muss jeder für sich entscheiden. Das Einzige, was ich sagen kann, ist, dass Kings of Cool interessant ist und beim Lesen unterhält.
Dafür liebe ich auch das Krimi-Genre: Es ist soviel kollegialer als die anderen Genres. Wenn du zu einer Konferenz von Krimi-Autoren gehst, sind wir wie gute Freunde, zwar auch Konkurrenten, aber das nimmt nicht überhand. Wir tendieren dazu, uns gegenseitig zu mögen, ja, zu bewundern. Ich glaube, dass das daran liegt, das wir gewöhnt sind, dass man auf uns herabschaut. Wir haben diese Mentalität: Wir schützen unsere Nachbarschaft, unser kleines Ghetto. Es ist eine gute Frage, aber du solltest Kings of Cool einfach lesen, wenn du dich für das Thema interessierst.
Krimi-Couch: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Winslow.
Das Interview führte Tim König im Rahmen einer Lesung in Hannover im November 2012.
Neue Kommentare