Gisbert Haefs

»Esprit ist aus gutem Grund im Deutschen ein Fremdwort.«

09.2012 Lars Schafft im Gespräch mit Gisbert Haefs über dreißig Jahre alte Serientypen, eine schräge, deutsche Sichtweise auf die Krimilandschaft und seine Motivation immer das Buch zu schreiben, das er selber gerne lesen möchte, aber nicht kaufen kann.

Krimi-Couch: Herr Haefs, jetzt kommen die Matzbach Romane wieder neu auf den Markt, was ich sehr bemerkenswert finde, da der erste schon 30 Jahre alt ist. Aber noch bemerkenswerter finde ich, dass es sogar einen neuen Teil gibt. Wie kam es dazu?

Gisbert Haefs: Das ist eigentlich ganz einfach. Etwa vor einem Jahr habe ich den guten Ralf Kramp – den Verleger des KBV-Verlags – gefragt, ob er nicht mal über Matzbach nachdenken mag. Daraufhin lächelte er und sagte, darüber denke er gerne nach. Wir haben dann darüber gesprochen, dass man die alten doch einfach nochmal neu machen könnte und er sagte, es wäre aber doch schön, wenn es zu Beginn einen neuen Fall gäbe. Und so bin ich ein wenig mit mir zurate gegangen und habe mir gedacht: Warum eigentlich nicht? Es hat mir immer viel Spaß gemacht, also dachte ich, es noch einmal zu versuchen und das war dann dieser Finale Rettungskuss. Auf diese Weise kam somit einer neuer Teil zustande, und nun hoffen wir mal, dass außer uns beiden – also Ralf Kramp und mir – sich noch jemand dafür interessiert.

Krimi-Couch: Da drücke ich Ihnen die Daumen. Aber wenn Sie sagen, vor einem Jahr darauf gekommen zu sein, lag Matzbach ja mehr oder weniger neun Jahre lang brach.

Gisbert Haefs: Naja, nicht komplett neun Jahre, es gab ja immer noch ein paar Restauflagen, die nur niemand abgerufen hat und die Verlage – zuletzt waren es Heyne und Goldmann – haben natürlich nichts mehr dafür getan, was völlig klar ist. Also haben wir uns Hoffnung gemacht, wenn man diese Teile alle noch einmal neu präsentiert, dass vielleicht doch ein paar Leute darauf aufmerksam werden und möglicherweise sogar ein Buch kaufen.

Krimi-Couch: Sie haben sich in der Zwischenzeit aber auch literarisch mit anderen Themen beschäftigt.

Gisbert Haefs: Ja, aber das hatte ich die ganzen Jahre über. Ich habe immer ein bisschen nach dem Motto gearbeitet: »Man muss die Gebiete, auf denen man versagen könnte, so weit streuen, dass außer einem selbst keiner sie überblicken kann.« Und außerdem gehöre ich zu den Leuten, die immer das Buch schreiben, das sie gerne lesen möchten, aber nicht kaufen können. Insofern habe ich dann zwischendurch natürlich die historischen Romane – die Familie muss ja mal etwas lesen –, dann aber auch den ein oder anderen Krimi, dazwischen gehabt oder mal ein Hörspiel geschrieben.

Krimi-Couch: War es dann schwierig sich wieder in die Figur Matzbach hineinzuversetzen beziehungsweise ihn weiterzuschreiben?

Gisbert Haefs: Nö, der kam eigentlich ganz von selbst. Plötzlich war er wieder da und sagte: »Hier bin ich, jetzt mach mal.« Ich musste natürlich die letzten zwei noch mal anlesen, um festzustellen, wer vom alten Personal noch verfügbar ist, wer ausgewandert oder tot ist und wen man noch verwenden kann. Aber ansonsten war er eigentlich sofort wieder präsent.

Krimi-Couch: Sie hätten es sich ja einfach machen und sagen können Matzbach wäre gar nicht gealtert, aber Sie haben ihn deutlich altern lassen.

Gisbert Haefs: Das ist die ganzen Jahre so gewesen. Als ich angefangen habe mit dem ersten Matzbach – der ist von 1981 mit einer Handlung im Jahr 1980 -, da hatte ich ihm eine Biografie gegeben, in der stand, er sei Jahrgang 1939, also wird er irgendwie mal älter werden, so wie es uns allen geht. Oder wie Matzbach sagte: »Früher oder später erwischt es uns alle, es sei denn, es erwischte uns vorher.« Ich habe ihn also die ganze Zeit altern und seine mehr oder minder schrägen Kommentare zu den aktuellen Zeiten abgeben lassen. Jetzt so zu tun, als befänden wir uns wieder im Jahre 1985, wäre unredlich gewesen, wie ich finde. Was nicht ausschließt, dass ich nicht nochmal einen Matzbach in einer seiner biografischen Lücken spielen lasse, da ist ja noch genug Luft. Dadurch, dass die Abstände zwischen den einzelnen Bänden teilweise zwei oder drei Jahre waren, kann man da theoretisch noch einmal zurückgehen.

Krimi-Couch: Wenn Sie jetzt sagen, der erste Matzbach spielte vor nunmehr 32 Jahren, meinen Sie, es ist schwierig die Leute damit noch erreichen zu können? Oder da Ihre Bücher doch recht klassisch aufgebaut sind und Ihre Figur des Matzbach sehr an die Klassiker des Kriminalromans erinnert – Nero Wolfe von Rex Stout zum Beispiel -, dass es eigentlich einfacher ist, so etwas wieder auf den Markt zu bringen?

Gisbert Haefs: Ich weiß es nicht, das müssen wir jetzt gucken, wie das geht. Im Moment schwanke ich zwischen den beiden Polen, einerseits zu sagen, dass es gelungene Geschichten sind, die man auch lesen kann, wenn man sich nicht mehr in der Zeit befindet, in der sie spielen. Andererseits weiß ich nicht inwieweit bei dem inzwischen doch sehr unüberschaubarem – ich sage das jetzt mal in aller Vorsicht und in Anführungszeichen »übervölkertem« – Krimimarkt da überhaupt noch jemand hinschaut.

Krimi-Couch: Aber Sie drücken schon sich selbst die Daumen.

Gisbert Haefs: Natürlich, man hofft immer.

Krimi-Couch: Wie nah stehen Sie dieser Figur Matzbach?

Gisbert Haefs: Die Frage hat sich immer schon gestellt. Matzbach hat ein paar Eigenschaften, die ich auch habe, hat einige, die ich gerne hätte und hat aber auch sehr viele, von denen ich froh bin, sie nicht zu haben. Da ist natürlich ein bisschen was vom Autor mit drin, aber doch sehr viel weniger als die Hälfte.

Krimi-Couch: Diese Matzbach-Romane leben ja nicht nur von der Figur, sondern vor allem auch von der Sprache, die diese Figur spricht, in der Sie erzählen. Macht Ihnen das eigentlich noch mehr Spaß, als einen Kriminalfall zu erzählen?

Gisbert Haefs: Ja und nein. Am meisten Spaß macht mir die Kombination, das war von Anfang an so. Als ich mit den Krimis anfing, 1981, gab es relativ wenige deutsche Krimiautoren, das fing damals erst an. Es gab natürlich die Klassiker, den sogenannten Sozio-Krimi der späten 60er und 70er Jahre.

Krimi-Couch: Das war die Zeit, oder?

Gisbert Haefs: Ja, und ansonsten gab es nichts. Ich habe zwar schon immer gerne Krimis gelesen, aber immer nach Witz gesucht, oder nach etwas, das zur bloßen Handlung dazu kommt, und dachte damals: »Esprit« ist aus gutem Grund im Deutschen ein Fremdwort, man könnte es ja doch mal etwas anders anlegen als bisher – also auch für Leute, die Spaß an Sprache, die Spaß an Witz, die Spaß an Ironie haben. Und eigentlich ist die Kombination dieser Art eine schwarze Boulevardkomödie mit einem Krimigerüst, die, die mich immer interessiert hat.

Krimi-Couch: Da müssen Sie mir jetzt ein bisschen weiterhelfen, denn ich bin Jahrgang '78 und konnte den noch gar nicht lesen, als der auf den Markt kam.

Gisbert Haefs: Vermutlich, es sei denn, sie wären mit drei Jahren schon flüssig gewesen.

Gisbert Haefs: Vermutlich, es sei denn, sie wären mit drei Jahren schon flüssig gewesen.

Gisbert Haefs: Ja.

Krimi-Couch: Hat Sie da auch die Übersetzungen aus dem Englischen – beispielsweise des Holmes – beeinflusst?

Gisbert Haefs: Eigentlich nicht, was mich beeinflusst hat, waren eher Sachen, die ich vorher oder zwischendurch gelesen habe. Mit den Sherlock-Holmes-Übersetzungen habe ich erst 1983 oder '84 angefangen, da waren die ersten drei Matzbäche schon draußen und der vierte im Prinzip fertig – ich hatte Holmes vorher schon gelesen, aber mit den Übersetzungen hatte das gar nichts zu tun. Was mich damals sehr viel mehr angestupst hat, waren die Krimis von Edmund Crispin – inzwischen hier bei uns auch schon wieder weitestgehend vergessen – die kamen in den 80er Jahren noch mal alle bei …

Krimi-Couch: DuMont war das glaube ich, oder? Die Klassiker-Reihe.

Gisbert Haefs: In den 80ern hatte Goldmann ja noch die klassischen »Roten Krimis« und dann noch zwei Extra-Reihen. Die eine nannte sich »Action-Krimi« und die andere »Lit-Krimi« und einige der Crispins erschienen damals in der Lit-Reihe. Die habe ich mit Vergnügen gelesen, da waren noch ein paar andere Autoren, bei denen zu der Handlung noch etwas dazu kam – bizarre Handlungen, schräge Charaktere – das hat mich damals eigentlich viel mehr angestupst. Nicht in dem Sinne es zu kopieren, aber mal zu gucken, ob man das nicht auch auf deutsch machen könnte.

Krimi-Couch: Eine gute Überleitung zur jetzigen Krimiszene. Das Stichwort »übervölkert« hatten wir gerade schon. Und »Lit-Krimi«. Würden Sie sich auch eher in die Schiene stecken lassen, als »literarischer Kriminalroman«?

Gisbert Haefs: Ach, ich weiß nicht. Es steht mir nicht zu, mich irgendwo reinzustecken. Die Definitionshoheit liegt bei anderen.

Krimi-Couch: Und die allgemeine Szene? Man spricht in Deutschland jetzt immer wieder vom Regio-Krimi und keiner weiß genau was es ist, aber es hat einen negativen Klang. Sie sind ja eigentlich schon ein Veteran im deutschsprachigen Krimi – wie sehen Sie das, was sich da tut?

Gisbert Haefs: Möglicherweise habe ich ja den Regio-Krimi angestoßen, kann sein – Matzbach spielte schließlich von Anfang an hier in Bonn und Umgebung. Ich habe das allerdings nie als Regional-Roman im weitesten Sinne gesehen, weil – mon dieu! – ein Buch muss irgendwo spielen. Die frühen Romane von Grass spielen alle in Danzig, ist das deshalb Danziger-Roman? Die Krimis von Chandler spielen in Los Angeles und Umgebung, ist das L.A.-Regionalkrimi? Es ist eine schräge, deutsche Optik davon auszugehen, dass ein Krimi zwangsläufig in Berlin, Hamburg oder München spielen müsse und alles andere ist dann eben »Regio«. Autoren schreiben am besten über die Regionen, in denen sie sich auskennen.

Krimi-Couch: Sie haben Matzbach aber auch schon im dritten Roman weit weg von Bonn, nämlich nach Frankreich geschickt.

Gisbert Haefs: Ja, zwischendurch reist er mal gerne, aber die Geschichten fangen immer in Bonn an. Im vierten reist er dann in den Westerwald, das ist ja auch weit entfernt und exotisch, und zwischendurch ist er mal im Bergischen Land und reist mal nach Wien. Er ist hier ja nicht angekettet, aber hier gehen die Geschichten immer los.

Krimi-Couch: Und jetzt im Neuen – das ist ja auch ein schönes Wortspiel – Finaler Rettungskuss – greifen Sie ja auch aktuelle Themen auf, die andere Autoren wohl lieber umgehen. »Afghanistan-Veteranen« ist ein Stichwort, was hat dazu den Ausschlag gegeben?

Gisbert Haefs: Erstens hatte ich ja bei den Matzbächen immer einen mehr oder minder aktuellen Bezug – im zweiten ging es um die Verschandlung von Städten, zwischendurch war dann auch mal ein ganz normaler Whodunit dabei, bei dem es keine Rolle spielte, ob er 1984 oder 1944 spielte – aber normalerweise ist Matzbach immer am Punkt, zu dem Zeitpunkt, an dem der Roman zu spielen beginnt, insofern ist das hier also nichts Neues. Matzbachs Nabel habe ich 1993/94 geschrieben, da ging es um den ehemaligen Regierungsbunker und den Umzug nach Berlin. Dass sich in letzter Zeit niemand um Afghanistan und Leute, die von dort zurückkehren gekümmert hat – naja, es gibt viele Themen, um die sich niemand kümmert und es gibt ja niemanden, der einen zu etwas zwingen könnte.

Krimi-Couch: Wenn man diese klassische Whodunit-Figur Matzbach hat: Action gehört trotzdem bei Ihnen immer irgendwie dazu, oder sehe ich das falsch?

Gisbert Haefs: Ja natürlich, denn man möchte sich ja nicht beim Schreiben schon langweilen. Wenn ich mich beim Schreiben langweilte, würde ich wohl auch die prospektiven Leser langweilen, und das will ich nicht, das ist nicht meine Aufgabe.

Krimi-Couch: Was liest Gisbert Haefs, wenn er sich nicht langweilen möchte?

Gisbert Haefs: Alles mögliche durcheinander. Im Moment lese ich einen alten James Lee Burke und parallel dazu ein Buch mit dem schönen Titel Imperium und Empirie über die Wissensbeschaffung im spanischen Reich im 17. und 18. Jahrhundert, also das Anlegen von Datenbanken zur damaligen Zeit, Geographie und Informationen über Amerika zum Beispiel.

Krimi-Couch: Es geht also wieder ganz weit auseinander.

Gisbert Haefs: Ja, ich sagte ja bereits, möglichst disparat, damit der Kopf beweglich bleibt.

Krimi-Couch: Und bleibt der Kopf noch so weit beweglich, dass wir noch einiges von Matzbach erwarten dürfen?

Gisbert Haefs: Ich hoffe schon. Aber das hängt natürlich jetzt davon ab, ob sich irgendjemand für die Bücher interessiert. Wenn wir im Laufe der nächsten sechs Monate feststellen, es verkaufen sich von den einzelnen Titeln gerade mal 400 Stück, werden der gute Ralf Kramp und ich uns sicherlich bei einem Kaffee darüber unterhalten, wie wir die Veranstaltung möglichst schmerzlos beenden.

Krimi-Couch: Ich wünsche Ihnen dennoch sehr viel Glück damit.

Gisbert Haefs: Ja, ich danke Ihnen herzlich.

Krimi-Couch: Und wir werden das auch groß auf der Krimi-Couch präsentieren und ich würde mich freuen, wenn Sie da weitermachen.

Gisbert Haefs: Wunderbar. Ich verspreche mein Bestes zu geben, aber es hängt wie gesagt nicht nur von mir ab.

Krimi-Couch: Herr Haefs, herzlichen Dank für das Interview.

Das Interview führte Lars Schafft telefonisch im September 2012.

Neue Kommentare

Loading

Neu im Forum

Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren