Jussi Adler-Olsen

»Wussten Sie, dass ich in einer psychiatrischen Klinik gelebt habe?«

09.2010 Jochen König sprach mit dem dänischen Shooting-Star über sein Sonderdezernat Q, merkwürdige Freunde und warum die Deutschen die lustigsten Menschen der Welt sind.

Krimi-Couch: Sie haben eine erstaunliche Biografie, Sie haben Medizin, Film, Soziologie und politische Geschichte studiert. Beste Voraussetzungen, um Kriminalromane zu schreiben?

Jussi Adler-Olsen: Die beste Voraussetzung? Nun ja, natürlich ist es zumindest eine gute Voraussetzung, viel über verschiedene Themen zu wissen. Außerdem hilft es, zu studieren. Ich bin daran gewöhnt, mich ständig weiterzubilden. Jedes Buch ist wie ein neues Studium, und deshalb macht mir Schreiben so viel Spaß; ein neues Thema aufzugreifen und sehr tief in die Materie einzutauchen. Das ist sehr wichtig für mich. Mir ebenfalls wichtig ist, jeden Fall im Sonderdezernat Q mit politischen und geschichtlichen Aspekten zu verweben. Also ja, ich bin sehr froh über meine Studien. Ich muss aber auch sagen, dass ich nicht alle Studien auch beendet habe. Ich habe nicht promoviert.

Krimi-Couch: Sagt man wirklich Sonderdezernat Q im Dänischen und Englischen? Es ist gleichzeitig ein deutscher Ausdruck.

Jussi Adler-Olsen: Ich warte noch auf die Übersetzung in andere Sprachen. Meiner Meinung nach ein sehr schöner Begriff.

Krimi-Couch: Wie spricht man Carl Mørk eigentlich aus? Mork oder Mörk?

Jussi Adler-Olsen: Man sagt Mörk. Es heißt im Dänischen soviel wie »dark« - dunkel. Und er ist ziemlich dunkel in vielerlei Hinsicht. Der Name Mørk bezieht sich auf einen Patienten, den ich kannte, als ich sechs Jahre alt war. Ein Geistesgestörter. Wussten Sie, dass ich in einer psychiatrischen Klinik gelebt habe? Viele meiner Freunde waren zutiefst psychisch krank. Ich hatte Mörder und jede Form von Geisteskrankheit um mich. Mørk war ein guter Freund von mir. Er hatte mehrere Menschen umgebracht, nette kleine Morde. Aber nachdem 1956 in Dänemark Psychopharmaka auf den Markt kamen, war er relativ sanft. Er schenkte mir ein graues Kätzchen. Für einen sechsjährigen Jungen war er gleich zwei Personen auf einmal. Die sehr Beängstigende hatte seine Frau und seinen Sohn ermordet. Die Freundliche gab uns täglich Essen aus der Kantine und schenkte mir ein Kätzchen. Das war also Mørk.

Krimi-Couch: Duale Charaktere findet man häufiger in ihren Büchern. In Schändung ist es vor allem die Figur der Kimmie, eine nett anmutende Person, die anderseits eine teuflische Ader hat.

Jussi Adler-Olsen: Ich habe schon in sehr jungen Jahren viel über die Dualität des Menschen gelernt. Natürlich habe ich keine Sympathie für Mörder, aber ich verstehe, wie es sich manchmal abspielt. Wie es in Köpfen Klick macht. Außerdem fühle ich mich zu Personen hingezogen, die ein bisschen skurril und seltsam sind. Viele meiner Freunde sind ziemlich seltsam.

Krimi-Couch: Ich möchte etwas in der Zeit zurück gehen. Bevor Sie die Krimis über das Sonderdezernat Q geschrieben haben, haben sie Bücher geschrieben, die in Deutschland nicht veröffentlicht wurden. Können Sie uns ein paar Worte darüber sagen?

Jussi Adler-Olsen: Ich kann ihnen sagen, dass dtv die Rechte an diesen politischen Thrillern hält. Ich bin also sehr zuversichtlich, dass Sie sie schon bald zu Gesicht bekommen. Vielleicht schon sehr bald. Bücher mit sechs- oder siebenhundert Seiten zu übersetzen und zu verlegen ist sehr kostspielig und sehr riskant. Das Glück hatte ich in Deutschland nicht. In viele andere Sprachen wurden sie allerdings übersetzt, und das sehr erfolgreich.

Krimi-Couch: Nach dem riesigen Erfolg von Erbarmen ist es schön, dass auch ihre frühen Bücher endlich auf Deutsch erscheinen.

Jussi Adler-Olsen: Das erste Buch spielt in den letzten Monaten des zweiten Weltkrieges. Zwei englische Piloten stürzen hinter den deutschen Linien ab. Sie versuchen in einem Zug zu entkommen, der von der Ostfront kommt und verrückt gewordene SS-Offiziere transportiert.

Mein Vater ist Psychiater; ich habe ihn oft gefragt, wo Psychopharmaka herkommen, und er konnte es mir nie genau sagen. Wir wussten, dass sie aus Deutschland kamen, vielleicht zur Zeit des zweiten Weltkrieges. Aber sie waren nicht Teil der Experimente in den Konzentrationslagern, es war einfach zu kostspielig. Ich habe 1955 in einer psychiatrischen Anstalt gelebt, und die Leute dort waren vollkommen verrückt. Nackte, schreiende Menschen. Äußerst interessant für einen jungen Kerl. Ein Jahr später, 1956, war ich dann in einer anderen Klinik, und dort waren die Patienten plötzlich sehr ruhig …

Das war also die Einführung von Psychopharmaka in Dänemark. Diese Geschichte hat mich immer interessiert. Also habe ich die Geschichte erfunden, nach der diese Medikamente benutzt wurden, um SS-Offiziere diensttauglich zu halten. Es war eine Schande für einen Offizier, geistesgestört zurück zu kommen. Also versuchte man, sie mit Medikamenten so zu behandeln, dass sie zurück an die Front geschickt werden zu konnten, um anständig zu sterben.

Und nun hat man diese zwei englischen Piloten auf diesem Lazarett-Zug nach Freiburg im Breisgau, natürlich Simulanten. Und hier ist der Kern meiner Bücher. Es sind keine wirklichen Kriminalromane, sondern Thriller. Sie kennen den Unterschied? In einem Krimi dreht sich alles um ein Verbrechen und den Versuch, es aufzuklären. Ein Thriller beschäftigt sich sehr oft damit, ein Verbrechen zu verhindern. Es kann natürlich ein Verbrechen, einen Mord zum Beispiel, beinhalten, aber eben nicht nur das. Und hier haben wir das Thriller-Element in The Alphabet House, in dem nur einer der Piloten Deutsch versteht. Dieser merkt plötzlich, dass es neben ihnen noch weitere Simulanten gibt. Mein Ziel war es, die Spannung so zu gestalten, dass einer der Piloten und die Leser alles über den Hergang der Geschichte wissen, der andere Pilot als eigentlicher Held der Geschichte nichts. Das ist das Thriller-Element, Spannung à la Hitchcock. Das mag ich gerne, so wie es mir gefällt den Blickwinkel in jedem Kapitel zu verändern.

Krimi-Couch: Einige Leser ihres ersten Buches der Dezernat-Q-Reihe, Erbarmen, lobten die spannenden Passagen rund um Merete Lynggaard, hatten aber Probleme mit Carl und Assad. Was sagen Sie diesen Lesern?

Jussi Adler-Olsen: In jedem Buch der Reihe brauchen wir erstmal einen Fall. In Erbarmen ist ist eben die Frau im Käfig, Merete Lynggaard. Daneben brauchen wir noch die Geschichte rund um die Ermittler und ihre Helfer. In dem ersten Buch einer Serie muss man dem Leser also eine eigene Welt vorstellen, und das braucht einige Zeit. Natürlich kann man sich nicht über mich ärger, wenn ich 300 Seiten für dieses verwende und nur 100 für die Geschichte um Merete Lynggaard. Andere Leser wollen es nämlich genau andersherum. Sie wollen mehr von Carl wissen und weniger von der Frau im Käfig. Es hält sich also die Waage.

Ich glaube eine der Grundlagen für den Erfolg ist eine gute Mischung zwischen den Fällen an sich und dem, was sich um sie herum abspielt.

Krimi-Couch: Ihre Ermittler arbeiten durchaus erfolgreich, stecken aber voller anarchistischem Humor und rebellischem Denken. Ist das ein Relikt aus der Zeit, in der Sie, Herr Adler-Olsen, sich mit den Marx Brothers beschäftigt haben?

Jussi Adler-Olsen: Könnte durchaus sein. Vielleicht aber auch Sancho Pansa und Don QuijoteLaurel und Hardy. Es gibt viele große, komödiantische Paare in Filmen. Aber natürlich, mir gefällt Slapstick. Es ist mir wichtig, die Phantasie der Leser anzuregen, wie eine Situation aussehen könnte. Ich beschreibe Situationen nicht sehr detailliert, überlasse vieles der Vorstellungskraft des Lesers. Wenn es ihm daran mangelt, wird er meine Bücher natürlich nicht mögen. Meiner Meinung nach sind die meisten Leser aber phantasievoller, als viele Autoren glauben. Ich will den Leser einfach mehr miteinbeziehen. Außerdem ist es eine Frage des Humors. Wenn man mit Slapstick wie bei den Marx Brothers nichts anfangen kann, sollte man wohl andere Bücher lesen. Ich glaube, man muss sich an diese Form des Humors einfach gewöhnen.

Deshalb bin ich auch so froh, zu sehen, was gerade in Deutschland geschieht. Ich habe plötzlich bemerkt, wie fantastisch der Humor von euch Deutschen ist. Normalerweise halten wir Skandinavier euch für etwas steif, immerzu Herr Professor hier, Frau Doktor da. Das ständige Siezen von Personen, die man eigentlich sehr gut kennt. Dieses Gebaren ist nicht gerade humorvoll. Aber wenn ihr von dieser offiziellen Haltung auch nur einen halben Meter abweicht, habt ihr die lustigsten Menschen der Welt. Ihr seid wie die Holländer oder die Dänen, könnt in unbeschreibliches Gelächter ausbrechen. Mir ist aufgefallen, dass in diesen Situationen mein Humor dem Deutschen sehr ähnlich ist.

Krimi-Couch: Eine der schönsten Ideen in ihrem ersten Buch ist eine Familienaufstellung durch Playmobil-Figuren. Großartig! Ist so etwas wirklich Teil einer Psychotherapie oder haben sie sich das ausgedacht?

Jussi Adler-Olsen: Es ist nur eine gute Idee. Als ich jung war habe ich tausende von Menschen getroffen, die irgendetwas sammelten. An der Universität hatte ich meine eigenen Geschäfte, normalerweise Comic-Buchläden. Es war ein riesiger Erfolg. Ich war sehr glücklich, auf diese Weise Geld zu verdienen, während ich studierte. Damals habe ich bemerkt, dass viele Leute Typen wie Morten Holland mögen, die mit ganzem Herzen etwas zu sammeln. Viele Sammler arbeiten an ihrer ganz eigenen Sammlung. Es ist nur ein Weg, zu beschreiben, dass Morten sich nicht davor scheut, zu zeigen, wer er ist. Daher sammelt er ungewöhnlichen Krams.

Krimi-Couch: In ihrem zweiten Buch werden etliche Hintergrundinformationen rund um Carl und Assad angerissen. Werden diese Geschichten in zukünftigen Bänden weiter verfolgt werden?

Jussi Adler-Olsen: Die beiden ersten Geschichten kenne ich sehr gut. Natürlich kann ich sie unterschiedlich arrangieren, neue Details hinzu fügen. Aber sie bilden das Grundgerüst meiner Geschichten. Wer sind Carl und Assad? Was haben sie früher gemacht, und welche Konsequenzen werden sich daraus ergeben? Ich habe viele Buchreihen gelesen, wo ein Buch dem anderen gleicht. Ich mag zum Beispiel Sjöwall und Wahlöö. Sie entwickeln ihre Charaktere zwar, aber sehr vorsichtig. Ich würde gerne in jedem weiteren Buch der Sonderdezernat Q Reihe einen anderen Schreibstil wählen. Daher ist die Entwicklung der Figuren natürlich etwas ungewöhnlich. Ich freue mich sehr darauf, die einzelnen Geschichten auszubreiten. Mein Problem ist, dass ich für die Geschichte von Assad vielleicht neun Bände brauche, für die von Carl vielleicht elf. Es ist schwierig, die Handlungsstränge schlussendlich zusammen zu führen. Ich weiß noch nicht, wie viele Bände ich dafür benötige, einige Jahre werden es aber werden.

Krimi-Couch: Das kann man nur hoffen. In Dänemark wurde kürzlich der dritte Band heraus gegeben, den Vierten haben sie bereits fertig. Können sie uns etwas darüber verraten, was in diesen Büchern geschieht?

Jussi Adler-Olsen: Der dritte Band heißt Flaschenpost aus P. So eine Flasche kann so viele Geheimnisse enthalten. Es kann so viel Schrecken und Angst vermitteln. Normalerweise enthält eine Flaschenpost eine nette Nachricht. Hallo ich bin Steve aus Australien …

Meine Flaschenpost enthält ein Rätsel, das gelöst werden muss. Es ist eine Geschichte über Entführung und Mord. Es wird klar, dass die Verbrechen immer noch stattfinden. Eine Person entführt spezielle Opfer aus kleinen Sekten, und die Mitglieder können nicht darüber reden. Die böse Hauptfigur hat einen schlauen Weg gefunden, reich zu werden und gleichzeitig Rache nehmen für etwas, was ihm als Sohn eines gewalttätigen Priesters widerfahren ist. Das ist eine der Geschichten, um die sich weitere drehen. Weiterhin gibt es wilde Verfolgungsjagden. Das Buch ist actiongeladener als die zwei vorherigen. Natürlich gibt es auch wieder starke Frauen, die sich nichts gefallen lassen. Aber es ist sehr schwierig, genau zu erklären, worum es sich dreht, dafür ist es zu kompliziert.

Der vierte Band heißt Journal Nr. 64 und handelt von spezifischen Ereignissen, die sich in Dänemark zwischen 1921 und 1961 abgespielt haben. 40 Jahre, in denen Frauen und Mädchen, die vielleicht etwa zu freilebig und sexuell ausschweifend waren, deportiert wurden. Sie wurden nach Sprogø gebracht, eine Insel zwischen Seeland und Fünen. Dort wurden sie ohne Verurteilung interniert, ohne dass sie wussten, wie lange sie dort verbleiben mussten. Einige der Frauen verbrachten dort ihr gesamtes Leben. Ein unmenschliches Verbrechen! Die Hauptfigur ist eins dieser Mädchen, für die der einzige Weg herunter von der Insel in einer Sterilisation besteht. Während dieser Zeit wurden 8000 Frauen, waren sie nun Prostituierte oder einfach promisk, zwangssterilisiert. Nur weil sie für ihre Gesellschaft keinen Nutzen hatten. Das ist wahrer Horror! Die Handlung dreht sich also um dieses Mädchen, das ihre Rache plant.

Ich habe diese Geschichte geschrieben, weil man in Dänemark immer öfter hört: Bandidos und Hells Angels – packt sie alle auf eine Insel. Oder alle Ausländer. Und wir haben das früher schon einmal gemacht. Es ist also auch Kritik an unserer Gesellschaft.

Krimi-Couch: Bemerkenswert an ihrer Buchreihe ist, dass immer wieder deutlich wird, wie die Vergangenheit die Gegenwart und Zukunft beeinflusst. Das ist Ihr ganz eigener Stil.

Jussi Adler-Olsen: Ich bin froh, dass Sie das ansprechen. Obwohl es nicht sehr viele bemerken, ist es eines meiner Hauptanliegen. Sie haben mich eben nach meinen ersten drei Thrillern gefragt. Der zweite handelt von dem schlimmen Flugzeugabsturz 1992 in Bijlmermee, einem Vorort von Amsterdam. Damals stürzte ein Flugzeug aus Israel in ein Hochhaus, eine riesige Katastrophe, die nie wirklich untersucht wurde. Ich wollte einen richtigen Thriller über das schreiben, was damals dort geschehen ist. Dieses Buch wurde in Holland einige Monate vor dem 11. September 2001 veröffentlicht.

Das Vorbild für meine Hauptfigur war in der Tat Osama bin Laden, von dem ich 1995 ein Foto gesehen habe. Nach 9/11 habe ich dann Washington Dekret geschrieben, eine sehr politische Geschichte über einen amerikanischen Präsidentschaftsanwärter, der zweimal seine Frau durch Angriffe verliert. In seinem Amt versucht er, alle Waffen aus der Gesellschaft zu verbannen. Dieser ehrenwerte Mann wird in den zwei Monaten zwischen seiner Wahl und seiner Amtseinführung vollkommen verrückt. Ein sehr interessanter Gedanke, aus dem man eine chaotische Geschichte entwickeln kann. Damit kommentiere ich natürlich auch die Vergangenheit. Ich hoffe, ich finde weiterhin die Zeit für diese Art von Geschichten, während ich an der Sonderdezernat Q Reihe arbeite.

Krimi-Couch: In den nächsten Monaten befinden Sie sich auf Lesereise in Deutschland.

Jussi Adler-Olsen: Ja, ich freue mich schon darauf. In Deutschland ist das so verdammt professionell. Alle sind so gut vorbereitet, daran bin ich hier in Dänemark gar nicht gewöhnt. Hier werde ich öfter von Leuten interviewt, die kein einziges Wort von mir gelesen haben. Wunderbar.

Krimi-Couch: Ist es schwer für sie, mit ihrem zweiten Band auf Lesereise zu gehen, wo sie gerade den vierten beendet haben?

Jussi Adler-Olsen: Mein größtes Problem ist, dass ich so schnell vergesse. Manchmal wissen die Journalisten mehr als ich, das ist natürlich ziemlich peinlich. Aber es ist ein schönes Gefühl. Ich bin sehr stolz auf meine Bücher und die momentane Aufmerksamkeit.

Das Interview führte Jochen König im September 2010 per Telefon. Übertragen ins Deutsche von Lutz Vogelsang.

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