Claudio M. Mancini
»Frauen machen heute in der Mafia Karriere und sind in vielen Fällen die wahren Hardliner der Cosa Nostra.«
05.2012 Claudio Mancini schreibt über die italienische Mafia. Und obwohl es sich bei seinen Romanen und Figuren um Fiktion handelt, haben doch alle fundiert recherchierte, lebendige Vorbilder. Allerdings gibt Mancini zum Thema Mafia zu Bedenken: »Wenn man es so schreibt, wie es ist, glaubt es keiner mehr.«
Krimi-Couch: Guten Tag Herr Mancini, bevor wir über Ihren aktuellen Mafia-Roman La Nera sprechen, stellen Sie sich unseren Usern doch bitte einmal vor.
Claudio Mancini: 1945 in Verbania geboren, habe mich als studierter Wirtschaftspsychologe in den USA selbständig gemacht und in San Francisco mit Filialen in der Schweiz, Italien, Deutschland und Frankreich eine internationale Unternehmensberatung gegründet. Ende der 90er Jahre habe ich meine Unternehmen verkauft und schreibe seither Romane und Satiren.
Krimi-Couch: In Ihrem aktuellen Roman La Nera geht es auch um die Macht der weiblichen Paten. Dabei denkt man ja zunächst, dass Frauen innerhalb der Mafia vor allem dazu da sind, Nachfahren – und zwar männliche – in die Welt zu setzen und sich um deren Erziehung zu kümmern. Welche realen Vorbilder haben Sie für die Figur der Sophia herangezogen?
Claudio Mancini: Das Leben von Giuseppina Sansone hat mich besonders fasziniert. Ihr Mann wanderte 1991 ins Zuchthaus von Palermo. Sie nahm von ihm während der Haft Anweisungen entgegen und führte dessen Geschäfte mit äußerster Brutalität. Sansone galt in Palermo als Dame von Welt, residierte in einer luxuriösen Villa und trug nur Designer-Kleider. Es gab kein gesellschaftliches Ereignis, zu dem sie nicht eingeladen wurde. Die Polizei konnte 1997 beweisen, dass sie eine der brutalsten Vertreterin der Mafia war. Sie befehligte mehr als 30 Killer. Unzählige Morde gehen auf ihr Konto. Natürlich habe ich die Figur Sansone für meine Romanzwecke abgewandelt.
Krimi-Couch: Wie realistisch ist es, dass eine aus ärmlichen Verhältnissen stammende, wenngleich bildschöne Frau einen Mafiaboss heiratet? Hätte eine echte Sophia überhaupt eine Chance, an den Sohn eines Mafiabosses heranzukommen?
Claudio Mancini: Selbstredend hätte eine Sophia diese Chance. Es kommt immer auf die Lebensumstände, die bestehenden Voraussetzungen und die Konstellationen innerhalb der Clans an. Nichtsdestoweniger bleibt Sophia eine Romanfigur.
Krimi-Couch: Der erste Teil von La Nera spielt in einer Zeit, in der Salvatore »Totò« Riina das Sagen hatte. Damals waren offen ausgetragene Konflikte zwischen verfeindeten Familien an der Tagesordnung. Hat sich dies geändert und wenn ja, wo sehen Sie hierfür die Gründe?
»Das Klischee, die Welt der Frauen beschränke sich auf Kinder und Küche, ist längst widerlegt. Sie töten und lassen töten, erpressen Schutzgelder, handeln mit Drogen und verwalten enorme Vermögen.«
Claudio Mancini: Es hat sich seit Totò Riina insofern viel verändert, als dass Mafia-Frauen heute in die Geschäfte ihrer Männer weitgehend eingeweiht sind. Frauen machen heute in der Mafia Karriere und sind in vielen Fällen die wahren Hardliner der Cosa Nostra. Sie füllen die Lücken, die geschnappte Gangsterbosse in der Welt des organisierten Verbrechens hinterlassen. Frauen steigen auf in der »Ehrenwerten Gesellschaft«, sie arbeiten als Bosse im Rauschgifthandel, verwalten kühl und kompetent Milliardensummen aus Drogen- und Waffengeschäften. Das Klischee, die Welt der Frauen beschränke sich auf Kinder und Küche, ist längst widerlegt. Sie töten und lassen töten, erpressen Schutzgelder, handeln mit Drogen und verwalten enorme Vermögen.
Und dennoch, Frauen der Mafiosi sind mit folgenschweren Erwartungen konfrontiert: Einerseits bewerkstelligen sie die Erziehung der Kinder im mafiosen Geist, andererseits sind sie auch für den Ruf der Familie verantwortlich. Dies erzeugt enormen Druck auf die Frauen, da sie damit als Erfüllungsgehilfin und Wegbereiterin für die Karriere ihrer Männer herhalten müssen. Sie haben vor allem nach außen hin den Schein der »guten«, ihrem Mann treu ergebenen Ehefrau und Mutter »seiner« Kinder, zu wahren, auch wenn dieser sie nicht selten mit anderen Frauen betrügt.
Krimi-Couch: Spätestens nach der Verhaftung von Bernardo Provenzano im Jahr 2006, der ja zuvor Jahrzehnte lang untergetaucht war, scheint die Mafia ein wenig an Einfluss verloren zu haben. Immer wieder liest man seitdem über Festnahmen führender Mafioso, was den Ermittlern in Ihrem Buch nicht gelingen will bzw. kann, da sie immer wieder durch »Einflüsse von oben« behindert werden. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in Hinblick auf den »politischen Einfluss«?
Claudio Mancini: Wohl kaum. Das Gegenteil ist richtig! Die Mafia ist stärker denn je und vernetzt bis in die höchsten politischen Ämter. Daran ändern auch einige Verhaftungen nichts, die einerseits als Alibi für »politische Erfolge« dienen, andererseits den Weg für »neues Blut« freimachen. Auch wenn Antimafia-Initiativen wie Addiopizzo, Libera Terra oder Libero Futuro sich sehr engagieren, letztendlich sind sie wirkungslos. Natürlich gibt es die sogenannten Pentiti. Doch wer glaubt, er könne sich mit Verrat die »Freiheit« erkaufen, wird sein restliches Dasein mit Angst verbringen. Der italienische Generalstaatsanwalt Scarpinato hat es einmal so formuliert: »Die Mafia gleicht einer Hydra. Könnte man sie ausrotten, wäre Italien innerhalb kürzester Zeit bankrott.« Immerhin beträgt der Jahresumsatz der Mafia geschätzte 150 Milliarden Euro.
Krimi-Couch: Eines der Haupteinnahmefelder der Familie Saviani ist der Organhandel. Es scheint unvorstellbar, dass dies in einem derart großen Stile möglich ist. Inwieweit gibt es hier einen Bezug zur Realität bzw. wie kamen Sie auf diese Idee?
Claudio Mancini: Ich kam auf diese Idee, weil der Organhandel weitgehend tabuisiert ist. Nirgends stößt man auf größere Widerstände, Blockadehaltungen und Verschwiegenheit als genau auf diesem Gebiet. Im Rahmen meiner umfangreichen Recherchen in Italien und Deutschland stieß ich auf geradezu atemberaubende Fakten, die mich geradezu animierten, tiefer zu bohren. Die Schließung und Beschlagnahmung eines großen und außerordentlich modernen Klinikums in der Region Bologna hat mich auf die Spur gebracht. Mehr möchte ich dazu hier nicht sagen.
Krimi-Couch: Als Autor von Romanen über die Mafia dürften Sie vermutlich ein recht »ruhiges Leben« führen. Was empfinden Sie, wenn Sie an die Situation von Autoren wie Roberto Saviano denken, die um ihr Leben fürchten müssen, weil sie in ihren Büchern »wahre Namen« nennen?
Claudio Mancini: Wie ich bereits erwähnte, ich bin kein Journalist. Im Gegensatz zu meinem Kollegen Roberto Saviano, der investigativen Journalismus betreibt und meiner Ansicht nach mit seinem Leben ziemlich leichtsinnig umgeht. Zufällig kenne ich dessen traurige Lebensumstände ziemlich gut. Ich bin weder sensationsgeil, noch verspüre ich Lust, mit schwer bewaffneten Leibwächtern mein Haus zu verlassen. Vielmehr möchte ich unterhaltsame, spannende Geschichten mit dem Nebeneffekt schreiben, Leser für das Thema zu interessieren und zu sensibilisieren.
Krimi-Couch: Welche – vor allem persönliche – Quellen nutzen Sie für Ihre Romane bei der Hintergrundrecherche?
Claudio Mancini: Alles, was der fundierten Recherchen dient. Es beginnt bei guten Freunden in Italien, persönliche und sehr intime Kontakte aus meiner Jugendzeit – vorwiegend in Sizilien, darüber hinaus verarbeite ich Informationen von Staatsanwälten, Leiter der Anti-Mafia-Behörden, Richter, aber auch Presse, TV und Internet.
Krimi-Couch: Wenn man sich mit dem Thema Mafia eingehender beschäftigen möchte, welche drei Bücher wären hierfür besonders geeignet?
Claudio Mancini: Meines Erachtens gibt Clare Longrigg, die für The Times und The Independent gearbeitet und jahrelang im Mafia-Milieu recherchiert hat, mit ihrem Buch Die Patinnen (erschienen bei Goldmann) die besten und authentischsten Einblicke in die »Ehrenwerte Gesellschaft«. Auch ihre Geschichte von Bernardo Provenzano Der Pate der Paten (erschienen bei Herbig) zeichnet ein vorzügliches und gut verständliches Bild der Cosa Nostra. Herausragend geschrieben ist das Buch von Andrea Camillieri M wie Mafia (erschienen bei rororo), der mit den romantisierten Klischees über die Mafia aufräumt und sehr gute Einblicke ins Innenleben dieser Organisation gewährt. Roberto Saviano scheint mir zu sehr auf Effekthascherei und Sensationen aus zu sein, wenngleich auch er realistisch und teilweise sehr drastisch erzählt. Insbesondere sein Buch Gomorrha (erschienen bei dtv) feiert mit Recht einen großen Erfolg.
Krimi-Couch: Eine letzte Frage: Haben Sie bereits einen neuen Roman in Vorbereitung oder anders gefragt, was dürfen wir in Zukunft von Ihnen erwarten? Vielleicht auch einmal ein Sachbuch zum Thema oder wäre das denn doch zu heikel?
Claudio Mancini: Auf ein Sachbuch werden Sie vergeblich warten. Die Gründe habe ich ja schon genannt. Jetzt arbeite ich an einem neuen Werk mit dem Arbeitstitel »Il Bastardo«, ein Roman, der sich um die Entsorgung von Giftmüll dreht.
Krimi-Couch: Herr Mancini, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Interview führte Jörg Kijanski im Juni 2012 im italienischen Restaurant »Campi im Funkhaus« in Köln. Leider ist dieses mittlerweile geschlossen.
Neue Kommentare