Roger Smith

»Eine toxische Gesellschaft!«

05.2010 Wolfgang Franßen sprach mit Roger Smith über seinen neuen Thriller Blutiges Erwachen, seine Heimat Südafrika und warum seine drastische Schilderung alltäglicher Gewalt mit der Realität trotzdem nicht mithalten kann.

Krimi-Couch: Roger Smith, willkommen auf Krimi-Couch.de. Als sie in Deutschland aus ihrem Buch gelesen haben, haben sie einen Unterschied zu anderen Ländern bemerkt?

Roger Smith: Ehrlich gesagt habe ich meine Erfahrungen bisher nur in Südafrika gesammelt. Und hier gibt es eigentlich keine Lesungen. Wenn ich hier ein Buch vermarkte, dann eher in Gesprächen und Interviews, weniger durch Vortragen. Es ist interaktiver. Das ist wohl der größte Unterschied.

Krimi-Couch: In Deutschland werden momentan viele Krimisautoren aus Südafrika veröffentlicht: Malla Nunn, Tracy Gilpin, Deon Meyer, Andrew Brown und nicht zuletzt sie selbst. Was sind die Unterschiede zwischen südafrikanischen und britischen oder amerikanischen Thrillern?

Roger Smith: Ich bin kein Experte in südafrikanischer Kriminalliteratur, die Frage könnte jemand wie sie vielleicht besser beantworten. Ich habe mir vorgenommen, keine südafrikanischen Autoren zu lesen. Wir decken natürlich relativ ähnliche Themen ab. Zu wissen, was andere über diese Themen schreiben, würde mich hemmen. Generell lese ich sehr viele Krimis, vor allem aus Amerika, aber auch aus Europa. Nur eben keine aus Südafrika

Ich glaube, die Situation hier ist noch immer durch die Apartheid geprägt. Auch wenn sie nun schon 15 Jahre zurück liegt, hat sie dennoch noch gewissen Einfluss auf die Gesellschaft. Zum anderen ist die Kriminalität hier so enorm hoch, dass man schon fast von einer Epidemie sprechen könnte. Auf der anderen Seite wird das Thema oftmals schlicht ignoriert. Diese speziellen Umstände haben großen Einfluss auf mich und auf meine Arbeit.

Krimi-Couch: Roxy Palmer, ein ehemalige Modell, und Disco de Lilly, ein junger Krimineller, leiden unter ihrer Schönheit. Ist es ein Fluch, schöner zu sein, weil andere diese Schönheit zerstören wollen?

Roger Smith: Interessant, dass sie gerade diese Frage stellen. Für mich geht es in diesem Buch besonders um diese zwei Charaktere, die beinahe zwei Seiten einer Person bilden. Es gibt dieses Spiegelbild zwischen Roxy und Disco. Sie stammen beide aus schwierigen Verhältnissen, auch wenn sie in Amerika aufwuchs und er in den Cape Flats. Dank ihrer Schönheit konnten sie sozial aufsteigen. Für Disco ist es mit Sicherheit dennoch ein Fluch. Seit seiner Kindheit wird er quasi zum Objekt degradiert und als er ins Gefängnis kommt, zeigt sich die schreckliche Seite seiner Schönheit. Er wird vergewaltigt und zur »Frau« eines Mithäftlings. Die Tattoos auf seinem Körper sind wie Brandzeichen, die ihn für den Rest seines Lebens als Eigentum eines anderen Mannes kennzeichnen. Also ja, ihre Schönheit wird ihnen durchaus zum Verhängnis.

Krimi-Couch: Ihr Stil ist geprägt durch schnelle Wechsel, kurze Kapitel und scharfe Dialoge. Ein permanentes Gehetze! In ihrem ersten Buch war es ein gestrandeter Amerikaner, nun das amerikanische Ex-Modell: Sind diese Figuren eine Hommage an Hollywood, oder kann man es nur als Ausländer schaffen, in Kapstadt sein Glück zu machen?

Roger Smith: Kapstadt ist momentan wohl die kosmopolitischste Stadt in Afrika. Eine unglaubliche Vielfalt von Menschen strömt hierhin. Auch wenn sich die Charaktere in ihnen unterscheiden, so gehören meine zwei ersten Bücher thematisch zusammen. Mein drittes Buch, das nächstes Jahr veröffentlicht werden wird, ist völlig unterschiedlich. Aber die ersten beiden gehören für mich zusammen. Kernpunkte meines ersten Buches werden im zweiten wieder aufgegriffen und abgeschlossen.

Ich mag es aus verschiedenen Gründen, ausländische Charaktere in meine Geschichten einzubauen. Zum einen erlaubt es einem einen gewissen Abstand. Mit ausnahmslos südafrikanischen Figuren wäre es schwer zu vermitteln, was die hiesige Kultur besonders und einzigartig macht. Diese amerikanischen Charaktere haben eine ganz andere Wahrnehmung, was ich sehr hilfreich finde. Nicht nur in stilistischer Hinsicht, sondern auch für mich ganz persönlich, um mein Land aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Krimi-Couch: Ihre Lebensgefährtin stammt aus den Cape Flats. Sie haben also einen direkten Bezug zu den Menschen und ihren Schicksalen dort. Inspiration oder Dokumentation? Können sie da eine Grenze ziehen?

Roger Smith: Ich schreibe keine Sachbücher. Es ist offensichtlich, dass meine Bücher rein fiktional sind. Aber das Wesentliche in meinen Büchern ist leider nicht irreal, im Gegenteil, es ist absolute Realität.

Ich werde häufig von Leuten aus aller Welt gefragt, ob es wirklich so brutal sei. Oder ob ich die Gewalt nur einsetzen würde, um die Spannung zu steigern, um so mehr Bücher zu verkaufen. Die Reaktion von Lesern hier aus Südafrika ist ganz anders. Besonders die Menschen der Cape Flats sind der Meinung, dass ich zum ersten mal ihre Welt ehrlich und realistisch schildere. Einige meinen sogar, dass meine Darstellung der Gewalt immer noch leicht untertrieben sei. Ein beängstigender Gedanke.

Aber ja, meine Verlobte ist aus den Cape Flats. Als ich sie kennen lernte, lebte ich schon ein paar Jahre in Kapstadt und kannte auch die Bedingungen dort. Ich bin dort gewesen, habe sogar eine Dokumentation über die Cape Flats gedreht. Ich war aber mit der Gesellschaft dort nie wirklich vertraut. Als ich sie kennen lernte, habe ich viel über ihr Leben und das System gelernt, das dort die Gesellschaft vergiftet. Ich habe durch sie einen besonderen Einblick bekommen. Das hat meine Wahrnehmung von Kapstadt völlig verändert.

Ich bin mir sehr bewusst, dass es neben den Postkarten-Landschaften, zum Beispiel dem Tafelberg oder den Stränden, noch die zwei Drittel der Bevölkerung gibt, die in den Cape Flats leben. In einer Welt, die ich gerne die Kehrseite der Postkarte nenne. Eine Welt, in der alle drei Tage ein Kind ermordet wird. Eine Welt, in der mehr Vergewaltigungen als irgendwo sonst in Südafrika verübt werden. Die Kindesmissbrauch-Rate ist womöglich die höchste weltweit. Eine toxische Gesellschaft! Natürlich war das alles Inspiration für mich, die sich auch in diesen beiden Büchern wiederfindet.

Krimi-Couch: Die Protagonisten der Bestseller sind Trinker, sie haben Probleme mit Frauen oder Kindern oder stecken in Identitätskrisen. In ihren Thrillern ist keiner gänzlich frei von Schuld. Die Menschen in Kapstadt können sich die Probleme der Mittelschicht gar nicht leisten. Sie werden nicht ordentlich verurteilt, sondern sterben nach ihren eigenen Gesetzen. Ist Billy Afrika ein Held? Vielleicht Disco? Auch Piper ist eine faszinierende Figur. Was reizt sie mehr, die Dunkelheit ihrer Charaktere oder ihre Schwäche?

Roger Smith: Das sind ja einige Fragen auf einmal.[lacht] Aus meiner Sicht hat das Justizsystem hier in Südafrika versagt. Es ist korrupt, unterbesetzt, es gibt nicht genügend ehrliche Polizisten, und die Polizei wird schlecht bezahlt. Das ganze System ist zusammengebrochen. Es wäre einfältig zu erwarten, dass man sein Recht auf regulärem Weg bekommt. Meine Bücher schildern eine unmoralische Welt, in der die Menschen eher unkonventionell für ihre Taten bestraft werden. Die Vergeltung ereilt sie eher auf eine komische Art und Weise; wenn sie Böses tun, erleiden sie die Konsequenzen, aber eben nicht im herkömmlichen Sinn. Die Vergeltung kommt eher aus eigenen Reihen und eben nicht durch die Polizei, die erst untersucht, dann einsperrt und vor ein Gericht stellt. Es ist vollkommen anders. Und wie ich eben schon sagte, es ist zwar komplett fiktional, aber durchaus Abbild dessen, was tagtäglich geschieht.

Ich glaube, dass von allen meiner Figuren Billy Afrika einem Helden am nächsten kommt. Obwohl er eine sehr widersprüchliche Person ist und extrem gewalttätig werden kann, kann man es ihm nicht wirklich übel nehmen. Auf seine Art versucht er, Gutes zu tun, die Familie seines toten Partners zu beschützen. Er hat sich als Söldner verdingt, um ihr Geld zu schicken. Auch wenn sich später heraus stellt, dass dieses Geld einen schlechten Einfluss auf ihr Leben hat. Er würde alles tun, um sie zu schützen. Man kann seine Methoden in Frage stellen, aber nicht seine Motive.

Leute wie Piper gibt es wirklich. Sie sind Produkt dieser speziellen, extrem brutalen Welt, wie sie in den Cape Flats existiert. Piper wurde schon früh mit Gewalt und Missbrauch in der Familie konfrontiert. Als junger Mann erlebte er den Strafvollzug, ein extrem brutales Leben in Gefängnissen, die von Gangs regiert werden. Innerhalb der Gefängnisse konnte er Macht erlangen, wie es ihm in Freiheit nie möglich gewesen wäre. Er wurde während der Apartheid verurteilt, als er als dunkelhäutiger Mensch in einer weißen Welt nichts wert war. Im Gefängnis bemerkt er, dass er sozial aufsteigen kann, einfach indem er brutaler und härter als die anderen ist. Daher will er auch nicht entlassen werden.

Und das ist in der Tat wahr. Ich habe Leute getroffen, die mir genau diese Geschichte erzählt haben; die nicht entlassen werden wollten, weil es für sie außerhalb des Gefängnisses kein Leben gab. Jedes mal wenn die Möglichkeit bestand, auf Bewährung entlassen zu werden, begingen diese Menschen im Gefängnis ein Verbrechen, um inhaftiert zu bleiben.

Piper ist wirklich eine Mischung von Menschen, die ich kennen gelernt habe, und mit denen ich gesprochen habe. Es steht stellvertretend für diesen Typ Mensch, wie er in den Cape Flats wirklich vorkommt. Jeder Leser von dort, wird die Figur sofort wieder erkennen. Sie halten ihn nicht für einen extremen Charakter, sie alle kennen jemanden wie ihn, sei es innerhalb der Familie oder in der Nachbarschaft. Sie alle kennen »Pipers«.

Krimi-Couch: Der Weg von Kap der Finsternis zu Blutiges Erwachen ist wie eine Reise in die Dunkelheit. Man spürt, das alles schief gehen wird. In ihrem ersten Thriller spielte das Überleben noch eine wichtige Rolle. Im zweiten Buch scheint das Drama unüberwindbar: Drogen, Mord, Erpressung, Vergewaltigung und Verzweiflung. Eine wunderbare Bühne für einen Missionar, die Menschen zum Glauben zu führen. Selbst Dante Alighieri leistet sich in seiner Göttlichen Komödie Hoffnung. Wie steht es um Roger Smith? Will er uns belehren, genauer hin zu schauen, das System zu reformieren?

Roger Smith: Eine sehr interessante und genaue Sichtweise. Das erste Buch war für mich gewissermaßen der erste Schritt, diese düsteren Themen zu erforschen. Außerdem spielt Kap der Finsternis etwas außerhalb der Cape Flats, im etwas privilegierteren Kapstadt. Für das zweite Buch wollte ich dann wirklich in die Kultur dort eintauchen und ein Buch schreiben, das meine Sicht dieses Ortes widerspiegelt. Demnach ist es düsterer, sehr viel tragischer.

Wenn man aus einem Land kommt, das so sehr unter Gewalt leidet, hat man eine gewisse moralische Verantwortung. Das ist mir immer bewusst, wenn ich über Südafrika schreibe. Wir sind hier eben nicht in Skandinavien, wo mehr Menschen beim Lesen von Krimis umkommen, als durch reale Verbrechen.

Ich lebe in einem Land, in der die Gewalt so exzessiv ist, dass man kaum mit den Statistiken hinterherkommt. Die Grauzone von Gewalttaten ist immens. Diese ausufernde Gewalt beeinflusst unsere Gesellschaft überall. Ich spüre hier in Südafrika die starke Tendenz zur Verdrängung.

Verständlicherweise wollen die Leute eher über den optimistischeren Kram reden; wie erfolgreich Südafrika nach Ende der Apartheid ist, was übrigens unzweifelhaft stimmt. Aber wenn man alles Negative und alle dunklen Facetten lediglich ignoriert, wird sich niemals etwas ändern.

Man kann es mit der Ära der Apartheid vergleichen. Auch damals war es für viele Menschen leichter, das Problem zu ignorieren, zu sagen, ach, so schlimm ist es eigentlich nicht. Natürlich war es schlimm! Nur weil sich die Menschen hier gegenseitig ermahnt haben, weil die Welt Südafrika ermahnt hat, weil sich Menschen in diesem Land stark gemacht haben, wurde die Apartheid überwunden.

Tragischerweise leidet vor allem die arme Unterschicht unter der Gewalt, was es simpel macht, das Thema einfach vom Tisch zu wischen. Verbrechen, die es in die Medien schaffen, richten sich oftmals gegen die Privilegierteren. Daraus resultiert der falsche Eindruck, die Oberschicht würde zum Opfer der Unterprivilegierten. Die Leute, die tagtäglich in den Cape Flats oder den Townships unter der Gewalt leiden, sind die Armen. In erster Linie sind sie es, die vergewaltigt, ermordet oder ausgeraubt werden, und nicht die Menschen in den besseren Gegenden des Landes. Ich will mit diesem Buch den Leuten diese Wirklichkeit vor Augen führen. Es gibt in beiden Büchern gewöhnliche Menschen, die versuchen, ihr Leben zu leben und ihre Familie durch zu bringen. Sie versuchen diesem Gift aus dem Weg zu gehen, schaffen es aber oft nicht. Eine tragische Situation, die leider wirklich real ist.

Krimi-Couch: Auf die Apartheid folgte eine neue Art der Diskriminierung. Plötzlich sind sogar Schattierungen der Hautfarbe wichtig. Ist dies spezifisch in Südafrika ein Problem, oder ein Globales, wie es in allen Megacities, zum Beispiel Mexico City oder Mumbai, vorkommt?

Roger Smith: In jeder Kultur gibt es Diskriminierung, sei es das Kastensystem in Indien oder die wirtschaftliche Diskriminierung, wie sie in Europa vorkommt. Keine Kultur ist gänzlich frei davon. Dennoch bin ich mir bewusst, dass wir hier in Südafrika von der Idee der Ethnizität besonders besessen sind. Ein direktes Erbe der Apartheid.

In Südafrika herrscht das, was ich gerne »calibration of color« – Einteilung der Farbe nenne. Die Leute achten auf die geringsten Nuancen und Unterschiede der Hautfarbe. Das ist immer noch tief in der Kultur verwurzelt. Jeder, der das bestreitet, lügt! Es existiert vielleicht nicht mehr in den Gesetzbüchern, aber es ist immer noch Teil der Kultur. Es gibt hier, zum Beispiel in Kapstadt, die gemischt-rassige Gesellschaft, über die ich besonders in meinem zweiten Buch schreibe. Es gibt Rassismus in jeder erdenklichen Form. Menschen machen es sich zu einfach, wenn sie Südafrika sprichwörtlich in schwarz und weiß teilen. Sie übersehen, dass es weit komplizierter ist. Farbige gegen Schwarze, Schwarze gegen Farbige und Weiße...es ist verwirrend.

Ich hoffe, dass meine Bücher dies zumindest widerspiegeln und Aufmerksamkeit auf diese komplexe Situation lenken. Wir in Südafrika sind also nicht die einzigen mit diesem Problem, aber es ist vielleicht intensiver in der Gesellschaft verwurzelt.

Krimi-Couch: Billy, Afrika, Burn, Piper, Disco, Roxy, Disaster Zombie: Alles außergewöhnlich anschauliche Namen. Versuchen sie, Distanz zur Wirklichkeit zu halten, indem sie ihren Charakteren Namen geben, wie sie auch auf Theaterbühnen vorkommen könnten? Um erst darüber schreiben zu können, was sie tagtäglich erleben?

Roger Smith: Gut, Roxy ist ein amerikanischer Name. Aber auch die anderen Namen sind für Südafrika nicht untypisch. Ich mag einprägsame Namen und ich mag es, mir für meine Figuren Namen auszudenken, die gut zu ihnen passen. Aber ich glaube nicht, dass ich mich von diesen Leuten distanziere. Wenn ich sie kreiere, werden sie in meinem Kopf lebendig, ich bin geradezu besessen von ihnen. Für mich sind sie vollkommen real, und sie bemächtigen sich im Gegenzug meiner Wirklichkeit. Ich brauche also keinen Abstand, um ihnen Leben einzuhauchen. Im Gegenteil, ich kontaktiere sie geradezu. Sie erzählen mir eher, was ich schreiben soll, und was sie denken, als dass ich sie beobachte. In gewissem Maße bemächtigen sie sich mir geradezu. Es können düstere Orte sein, ich die ich mich hinab begeben muss, während ich an meinen Büchern schreibe. Das ist nicht immer leicht, wenn man über Umstände schreibt, die so brutal und häufig sehr tragisch sind. Dieser Prozess führt mich in Abgründe.

Krimi-Couch: Für die Opfer gibt es in den Cape Flats keine Gerechtigkeit. Blutiges Erwachen erinnert mich ein wenig an James Ellroy oder David Peace, mehr noch an Cormac McCarthy. Sind religiöse Begriffe wichtig für sie?

Roger Smith: Das ist interessant. Mir gefallen McCarthys Bücher. Ein außergewöhnlicher Schriftsteller! Ich habe mich in meinen Büchern nie bewusst auf ihn bezogen. Ich denke, mein Kosmos ist weit beschränkter als seiner. Seine Werke sind beinahe alttestamentarisch; die Auffassung von »Blut und Rache«, »Auge um Auge – Zahn um Zahn« ist häufig in seine Bücher eingeflochten. Diese Idee ist in der südafrikanischen Gesellschaft nicht ungewöhnlich und wahrscheinlich schimmert sie auch in meinem Buch durch. Wie ich eben schon bemerkt habe, gibt es keine Form von herkömmlicher Gerechtigkeit. Wenn abgerechnet wird, dann oftmals auf unerwartete Art und Weise. Aber dennoch zufriedenstellend.

In Kap der Finsternis war es zum Beispiel der symbolische Tod von Inspector Barnard, den ich sehr befriedigend fand. Mit Menschen wie Barnard hatte ich vorher schon Erfahrungen gemacht. Ich bin in einer afrikanisch-calvinistisch dominierten Gesellschaft aufgewachsen. Als ich mit 17 meinen Wehrdienst ableistete, traf ich auf viele »Barnards«, die enorme Macht hatten. In meinen Zwanzigern wurde ein Bürgerrechtler, der in Johannesburg gegenüber von mir wohnte, von einem Einsatzkommando umgebracht. Mitten auf der Straße getötet von den »Barnards« dieser Welt. Es war für mich also eine Art Rache, diese Figur zu entwerfen und sie einen symbolischen Tod sterben zu lassen.

In gewisser Weise versuche ich, so zu schreiben, dass die Leser ein versöhnliches Ende finden. In Blutiges Erwachen ist es die unvermeidliche Konfrontation zwischen Piper und Billy Afrika. Es muss einfach sein. Auch wenn ich es versucht hätte, hätte ich diesen Höhepunkt nicht anders schreiben können. Sie mussten sich treffen. Wenn man also nach einfacher, regulärer Gerechtigkeit sucht, wird man sie in meinen Büchern nicht finden.

Krimi-Couch: In der Phase des demokratischen Aufbruchs nach Ende der Apartheid bezeichnete Erzbischof Desmond Tutu Südafrika als »Rainbow Nation«, Regenbogenland. Davon existiert nicht mehr viel. Hoffen sie, dass die »Rainbow Nation« wieder aufersteht?

Roger Smith: Diese Zeit wird nie mehr wieder kommen. Die »Rainbow-Nation« hing mit einer ganz speziellen Zeit zusammen, viel mehr noch mit einer ganz bestimmten Person – Nelson Mandela. Es war eine wunderbare Zeit für Südafrika, und für mich waren es einige der schönsten Jahre meines Lebens. Ich konnte hautnah miterleben, wie diese Märchengeschichte ihren Lauf nahm. Alle Südafrikaner haben geglaubt, das Ende der Apartheid würde mit enormer Gewalt einhergehen. Aber nichts dergleichen passierte. Dieser Mann, Nelson Mandela, kam aus dem Gefängnis, krempelte das ganze Land um und führte uns durch eine relativ friedliche Wahl. Er war und ist ein ganz außergewöhnlicher Mensch, aber als Präsident war er auch ein ganz außergewöhnlicher Staatsmann.

Diese Idee von Südafrika als ein Regenbogenland existierte von den frühen bis zu den späten Neunzigern. Aber das ist schon lange Vergangenheit, wir leben in völlig anderen Zeiten. Es gibt kein zurück mehr. Südafrika hat sich verändert. Es hat seine Naivität verloren und ist zynisch geworden. Die Mandela-Ära war meines Erachtens durch so etwas wie grundlegenden Anstand geprägt, durch ein moralisches Fundament. Es herrschten nicht Gier und Selbstsucht, sondern ein generelles Interesse an allen Bürgern. Mittlerweile interessiert sich jeder nur für seine eigenen Nöte und Bedürfnisse. Diese Zeit wird wohl nicht mehr wiederkommen.

Das Interview führte Wolfgang Franßen im Mai 2010 per Telefon. Übertragen ins Deutsche von Lutz Vogelsang.

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