Robert Wilson
Ohne Schmerz kein Weiterkommen
04.2009No pain, no gain – so fasst der britische Autor zusammen, was seine Figuren aus seiner Javier-Falcón-Reihe durchmachen müssen. Was das mit Fröschen, Skorpionen und der russischen Mafia zu tun hat, verriet er uns im Interview.
Krimi-Couch: Hallo Robert Wilson, schön Sie zu treffen. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen für unser Interview für Krimi-Couch.de! Wir sprechen heute über Ihren neuen Roman, The Ignorance of Blood, auf Deutsch Andalusisches Requiem, den vierten in der Javier-Falcón-Reihe.
Robert Wilson: Richtig, und vermutlich auch den letzten [lacht]
Krimi-Couch: Dazu kommen wir sicherlich später. Es geht darin um Drogen, Prostitution, Kidnapping, einen Mord mit einer Kettensäge, die russische Mafia – das ist schon starker Tobak, oder?
Robert Wilson: Das ist aber in diesem Fall auch notwendig, eine starke Kraft zu haben. Eine, die man eigentlich nicht sieht, wie die russische Mafia. Sie ist vor allem keine sichtbare Macht, in dem Sinne, dass sie operiert, ohne dass man sie sehen könnte. Aber sie ist auf jeden Fall da. Ich wollte den Punkt erreichen, dass der Leser mit ihr in Kontakt gerät und spürt, mit ihr konfrontiert zu sein.
Ich wollte jedoch keinen detaillierten, grausigen Horror beschreiben. Die hässlichen Stücke habe ich auf eine besondere Art geschrieben. Zum Beispiel, als die kubanische Bildhauerin entdeckt wird. Ich zeige Ihnen nur die Dinge aus der Sicht von Javier Falcón und Cristina Ferrera, einer jungen Kommissarin. So, wie sie diesen Schrecken erleben, wie er etwas aus ihnen herauszieht, nicht das, was geschehen ist. Hinterher, ein paar Szenen später, beschreibe ich die Szene aus der Sicht der Ermordeten, allerdings nicht das, was wirklich mit der Kettensäge gemacht worden ist. Ab da übernimmt dann die Vorstellungskraft des Lesers, sie fügt die einzelnen Teile zusammen. In diesem Fall ist die Vorstellungskraft des Lesers besser als meine, was ein starkes Gefühl des Schreckens erzeugt.
Mir gefällt es eigentlich nicht, dass Krimileser aus dem grauenvollen Tod eines Menschen einen »Thrill« bekommen Sie sollen sich vielmehr unbehaglich fühlen. Das, was passiert ist, ist nun mal wirklich nichts Schönes.
Krimi-Couch: Ich finde, eine der schockierendsten Szenen ist, als der gekidnappte Darío mit seiner Mutter am Telefon spricht, wenn es in die Richtung Kinder und Gewalt geht. Können Sie sich vorstellen, dass es Leser gibt, die an dieser Stelle aufhören und sagen »Ich kann das einfach nicht weiterlesen!«?
Robert Wilson: Das Interessante an der Stelle ist, dass es sich dabei um ein Telefonat handelt, in dem es nicht die Düsternis der Realität gibt. Dadurch hat der Leser die Möglichkeit, sich selbst zu fragen: Passiert das wirklich oder nicht? Das ist so ähnlich, wie wenn man in einen Horrorfilm geht. Den schaut man sich mit etwas Abstand an, muss nicht wirklich in die Gewalt eintauchen. In diesem Fall spiele ich die Szene sehr, sehr vorsichtig. Ich bin mir bewusst, worum es da geht. Und auch mir fällt es nicht leicht, darüber zu schreiben. Deswegen spiele ich das so vorsichtig wie ich kann.
Krimi-Couch: Das erste Buch aus der Falcón-Reihe, Der Blinde von Sevilla, war in der Handlung sehr geschlossen, auch das zweite. Das vierte fängt nun direkt da an, wo das dritte aufgehört hat. Für mich machte es fast den Eindruck, dass es sich dabei um ein Buch handelt, dass Sie in zwei aufgeteilt haben?
Ja, die beiden gehören schon zusammen: Die Lücken zum Ende des dritten werden im vierten gefüllt.
Robert Wilson: Ja, das stimmt zu einem gewissen Grad. Wenn man sich die vier Bücher anschaut, würde ich sagen, dass die ersten beiden auch zusammengehören, Der Blinde von Sevilla und Die Toten von Santa Clara. Das erste handelt von Javier Falcóns Demontage, das zweite von seiner Wiederherstellung, seiner Rehabilitation. Das dritte und vierte zeigen Falcón als einen neuen Protagonisten, als einen intuitiveren, als einen, der mit seiner Truppe sehr behutsam umgeht und mit Menschen viel besser umgehen kann.
Krimi-Couch: Haben Sie das Konzept für das dritte und vierte Buch in einem erstellt? Wussten Sie schon während des Schreibens des dritten Teils, was im vierten passieren wird?
Robert Wilson: Ich wusste schon, dass es einige unbeantwortete Fragen zum Terroranschlag im dritten Buch geben wird. Ich hatte daran gedacht, ein paar dieser unbeantworteten Fragen im vierten Buch wieder hervorzuholen. Ich wusste aber auch, dass ich eine ganz neue, Ausrichtung benötigte, die der Handlung einen starken Motor verleiht. Deswegen habe ich die russische Mafia eingeführt, die hauptsächlich den Motor antreibt, weit mehr als der Terroranschlag.
Krimi-Couch: Ich habe in einem englischen Blog von Declan Burke gelesen, dass Ihr viertes Buch, Andalusisches Requiem, alles sei – nur nicht unterhaltsam. Und ich muss zugeben: Er hat recht. Es ist Nervenkitzel, verstörend, aber sicherlich kein Spaß zu lesen. Was haben Sie genau erreichen wollen?
Robert Wilson: Vermutlich bin ich im Unterhaltungsgeschäft. Ich hoffe aber, dass ich die Menschen zum Nachdenken anregen kann. Literatur macht manchmal den Eindruck, dass sie das nicht könnte. Die Menschen machen sich halt nicht viele Gedanken, wie so etwas zustande kommt. Die Menschen wollen aber, dass etwas passiert, die Öffentlichkeit braucht das. Es ist insofern unterhaltsam, dass etwas passiert, dass es einen Motor für die Handlung gibt. Und am Ende steht die Genugtuung. Worüber wir uns jetzt gerade wahrscheinlich streiten: Was ist Unterhaltung für Sie?
Krimi-Couch: Das ist die große Frage. Zumindest handelt es sich aber nicht um entspannende Unterhaltung. Ich kann mich nicht einfach hinsetzen, Ihren Roman lesen und mich dabei entspannen, ich spüre Nervenkitzel.
Robert Wilson: Das ist gut! Ich würde nämlich sagen, dass Nervenkitzel Unterhaltung ist. Was Sie wahrscheinlich meinen, ist, dass es für Sie zu unbehaglich ist, um sich gänzlich unterhalten zu fühlen? Ist das ein Teil des Problems?
Krimi-Couch: Das ist wahr. Ich würde aber sogar sagen, dass ich mich sehr bedrückt fühlte, nachdem ich Ihr Buch beendet hatte. Ich war nicht guter Dinge, lassen Sie es mich so sagen.
Robert Wilson: Aber Javier kommt doch gut aus der Geschichte heraus, als Ganzes. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber es gibt Dinge, die sich zum Richtigen – und Guten! – wenden. Zwangsläufig muss es in einem Buch wie diesen aber auch Elemente des Verlusts geben. Verlust führt aber auch zu einer gewissen Würde. Das hält sich die Waage. Ich glaube sogar, dass man sich am Ende des Buches besser fühlt, als vorher. Hoffe ich zumindest. Es beunruhigt mich ein bisschen, dass Sie so niedergeschlagen waren. [schmunzelt]
Krimi-Couch: Es geht schon wieder, kein Problem. Aber um ehrlich zu sein: Mit diesem Ende hatte ich nicht gerechnet.
Robert Wilson: Wirklich?
Krimi-Couch: Hatten Sie vielleicht mehrere unterschiedliche Enden im Kopf und haben sich schließlich für dieses entschieden?
Robert Wilson: Nein, ich glaube nicht. Ich gehöre nicht zu den Schriftstellern, die schon ein Ende vor dem Anfang haben. Ich habe eine Richtung und wenn ich zwei Drittel in diese Richtung gegangen bin, überlege ich mir: Soweit bin ich gekommen, dass ist meine Richtung, das sind die interessanten Bestandteile – wie kann ich sie zum Scheinen bringen, wie kann ich sie hervorbringen zu einem konsequenten, starken Ende?
Die ganze Zeit während dieses Weges, mache ich mir meine Gedanken. Dieses Buch dreht sich vor allem um Javier Falcón, die ganze Serie dreht sich um Falcón. Wie er am Anfang oder vor Der Blinde von Sevilla war und wie er nun am Ende von Andalusisches Requiem ist. Er ist ein veränderter Mann, er kann wieder Dinge tun, an die er am Anfang von Der Blinde von Sevilla nie gedacht hatte.
Krimi-Couch: Ihre beiden anderen Protagonisten, Consuelo Jiménez und Esteban Calderón, haben sich auch verändert.
Robert Wilson: Absolut.
Krimi-Couch: Geht es dabei um eine Karthasis im Sinne Aristoteles, was sie erfahren?
Robert Wilson: Ich glaube, darum geht es doch im Kriminalroman. Ich betrachte ihn gerne wie eine Shakespear’sche Tragödie, oder eine griechische, ganz wie Sie mögen. Es gibt darin ohne Schmerz kein Weiterkommen. Alle drei mussten leiden, sind aber auf der anderen Seite als bessere Menschen herausgekommen. Besonders Calderón ist in dieser Hinsicht ein interessanter Fall: Er war sehr selbstsicher, hatte alles im Griff, ein absoluter Profi. Er war ein sehr junger, mächtiger Staatsanwalt, der nun einen enormen Wandel durchlebt und mit allen seiner Dämonen konfrontiert wird.
Ursprünglich spielte er eine viel größere Rolle im Buch, ich habe aber vier, fünf Szenen herausgeschnitten, da sie das Voranschreiten der Handlung gestört hätten. Aber ich hatte tatsächlich vier, fünf Szenen umfassend ausgeschrieben, in denen er die Therapiesitzungen mit Alicia Aguado, der blinden Psychiaterin, macht. Als diese die Handlung behinderten, habe ich sie herausgenommen und am Ende zusammengefasst. Er spielte eine viel größere Rolle und bekam darin viel mehr mit von dem, warum er endete, wie er es nun tut.
Krimi-Couch: Kommen wir zurück zum Bösen in ihrem Buch. Es gibt da einen besonderen, russischen Ausdruck: Diebe mit einem Ehrenkodex. Wie sind Sie darauf gekommen?
Robert Wilson: Vory v zakone ist der russische Ausdruck, der in den Gulags entstand. Es gab da ein ganz eigenes kriminelles System und dieser Ausdruck beschreibt den einzigen Weg, wie die Menschen dort überleben konnten. Einmal aus dem Gulag heraus, haben sie diesen Kodex beibehalten. Andererseits: Die russische Mafia heute hat sich von diesem Gedanken ziemlich entfernt, vergleichbar mit der sizilianischen Mafia. Ich glaube nicht, dass es heutzutage noch diesen Ehrenkodex gibt. Es geht vielmehr um wirtschaftliche, unternehmerische Interessen als um einen Ehrenkodex.
Krimi-Couch: Wo bekommen Sie diese Informationen her?
Robert Wilson: Ich lese Bücher! Man geht sicherlich nicht hin, und unterhält sich mit diesen Leuten. Wenn man mit diesen Leuten zu tun hat – das ist es dann, du bist erledigt. Sie mischen dein Leben auf. Sie können deine Freunde sein, es ist aber immer so so wie mit dem Skorpion und dem Frosch. Der Skorpion fragt: Kannst du mich über den Fluss bringen? Der Frosch sagt: Nein, du wirst mich stechen. Der sagt: Warum sollte ich, wenn ich dich steche, bringe ich uns beide um. Der Frosch: Okay, ich bringe dich herüber. Auf der Hälfte des Weges sticht der Skorpion den Frosch und der fragt: Warum hast du das gemacht? Wir werden jetzt beide sterben – Sorry, das liegt in meiner Natur.
Krimi-Couch: Als ich im englischen Netz Ihr Buch recherchierte, machte ich den Fehler und suchte nach »The Innocence of Blood«, der Unschuld des Blutes, anstatt nach The Ignorance of Blood, also der Unwissenheit des Blutes. Eigentlich eine Freud’sche Fehlleistung, Ihr Buch handelt ja auch irgendwie von Unschuld, oder nicht?
Robert Wilson: Ja, es haben mich schon einige Leute auf Unschuld in meinem Buch angesprochen. Es war ein sehr wichtiger Lebensabschnitt für Falcón, als er dieses Trauma wegen verlorener Unschuld hatte. Er litt sehr darunter, als er entdeckte, wie ihn sein Vater als kleiner Junge im Alter von sechs Jahren für den Tod seiner Mutter verantwortlich gemacht hatte; das war traumatisch für ihn. Er wird dann zu einer Art Magnet für verletzliche Menschen, wie es auch im richtigen Leben ganz plötzlich vorkommen kann. Wie in Die Toten von Santa Clara mit dem kleinen Jungen, für den er ähnliche Gefühle entwickelt wie hier für Darío, Consuelos Sohn. Er ist da als Beschützer der Verletzlichen, da er selbst so gelitten hat.
Krimi-Couch: Ich bin über einen Satz gestolpert, ich glaube, als Falcón sich mit Consuelo unterhält und er sagt: »Du vertraust nichtmals mehr den Guten«. Gibt es überhaupt Gute in ihrem Buch?
Robert Wilson: Ja, doch. Es gibt schon die guten Typen.
Krimi-Couch: Ganz schwarz und weiß?
Robert Wilson: Nein, nicht schwarz und weiß. Das ist ein Teil des Problems. Den Satz sagt Consuelo, nachdem sie mit einem Polizisten gesprochen hatte. Keine Frage, dass der ein Guter ist. Seine Absicht ist, ihr zu helfen, ihren Sohn wiederzubekommen. Aber durch das, was bis dahin passiert ist, wird es ihr unmöglich, ihm zu vertrauen. Wenn Sie ihm vertraute, würde sie ihr Kind in Gefahr bringen.
Das ist tatsächlich ein sehr wichtiger Aspekt des Buches. Was ich versuche, ist den Leser dazu zu bringen, die Guten zu erkennen, sich in sie hineinzuversetzen und zu bemerken, wie er sich ändert. Nehmen wir zum Beispiel Marisa, die kubanische Bildhauerin. Sie ist anfänglich keine besonders attraktive Figur, man mag sie nicht sonderlich, auch Javier Falcón mag sie nicht unbedingt. Schritt für Schritt, je mehr man ihre Umstände kennt, je mehr man sich in sie hineinversetzt, sieht was sie durchmacht, und den schieren Horror ihrer Situation wirklich versteht, merkt der Leser – hoffe ich -, wie sich seine Sicht verändert.
Krimi-Couch: Mir ist ein weiterer Satz von Consuelo hängen geblieben. Der, in dem sie sagt, dass sie nie wieder an die Costa del Sol fahren wird, weil sie jetzt weiß, woher das ganze Geld kommt. Nicht gerade gute Werbung dafür, oder?
Robert Wilson: Nein, das ist keine gute Werbung. Ich fahre recht oft an die Algarve oder die Costa del Sol und jedes Mal frage mich, was dort so sehr im Leben fehlt. Was führt dazu, dass ich dort nicht bleiben möchte? Manche Leute sagen: Es ist da seelenlos, es geht nur ums Geld. Es fehlt die Seele. Und du denkst: Ja, das ist interessant. Die Leute sagen das wirklich. Nur: Warum wird etwas seelenlos? Ich glaube, dass ist keine schlechte Antwort auf die Frage. Diese Orte sind auf Schrecken gebaut.
Krimi-Couch: Ist die Welt, wie Sie sie beschreiben, wirklich so schlecht?
Robert Wilson: Ja, manche Teile sind ganz bestimmt so schlecht. Ich weiß nicht ob Sie schon – ich habe aber Menschen getroffen, die mit der russischen Mafia zu tun hatten. Ukrainer, die mit der russischen Mafia zu tun hatten und nach Portugal verschleppt worden sind. Und – das ist wirklich nicht schön …
Krimi-Couch: Wie sieht es mit Sevilla als Schauplatz aus? Ich habe den Eindruck einer Hass-Liebe zwischen Ihnen und der Stadt?
Robert Wilson: Warum meinen Sie, dass ich die Stadt hassen sollte?
Krimi-Couch: Wenn ich mir so einige Sätze und Passagen über die Stadt anschaue, beschreiben Sie sie als riesigen Moloch, es ist immer zu heiß ...
Ja, das ist sehr wichtig. Zu bestimmten Zeiten, von Juni bis September ist es tatsächlich so.
Robert Wilson: Stimmt, ich war letztes Jahr im Herbst dort.
Krimi-Couch: Und Sie haben gelitten, oder?
Robert Wilson: Ja, das habe ich.
Sie haben im Deutschen ein wunderbares Wort dafür, den »Kessel«. Das birgt viel dramatisches Potenzial. Wenn man sich in dieser eingeschlossenen Stadt befindet, dazu einen die Hitze weiter umschließt und jeder Ausblick führt nur nach innen – Sevilla ist komplett flach, es gibt keinen Hügel. Man lebt in den Straßen, alle Häuser schauen auf Innenhöfe. Das ist ein Ort, wo der Blick nur nach innen gerichtet ist, introvertiert in gewissem Sinne. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum die Leute dort so offen, so extrovertiert sind. Weil sie dagegen ankämpfen. Wir wollen einen Ausblick haben, wollen weit hinausschauen, weil das uns ein Gefühl der Entspannung verleiht. Der Sevillano hingegen möchte Ausgelassenheit, Leben, Lärm und Lebendigkeit.
Krimi-Couch: Meinen Sie, dass insbesondere das dritte und das vierte Buch Sevilla als Schauplatz brauchten? Es geht ja schon sehr um globalisierte Kriminalität, die wahrscheinlich überall sich hätte so abspielen können?
Robert Wilson: Ich verwende Sevilla vor allem deswegen als Schauplatz, weil es so viele starke Bilder hervorruft: von Schönheit, von Fröhlichkeit, von Menschen, die eine tolle Zeit haben. Das sind alles sehr starke Bilder, die fast jeder auf der ganzen Welt kennt. Aber das ist alles nur ein Bild. Kratzt man an der Oberfläche, sieht man die Realität. Und die Realität, das ist der Verfall der Gesellschaft, Verbrechen und diese Sachen. Das ist eine sehr kraftvolle Thematik, schon bei Shakespeare, aber auch im Kriminalroman. Man sieht aus wie der nette Herr von nebenan, in Wirklichkeit ist man ein Mörder.
Krimi-Couch: Ich habe mich lange gefragt, zu welchem Genre Ihre Bücher gehören. Sind es Polizeiromane, Thriller, Spionagegeschichten? Oder ist das Ihnen eigentlich egal?
Robert Wilson: Ich kategorisiere nicht. Ich schreibe Bücher, nicht in einem bestimmten Genre, benutze nur Kriminalität. Ich bemerke da bei mir keine Grenzen. Manche nennen sie literarische Kriminalromane, andere Police Procedurals – darum kümmere ich mich nicht. Hauptsache, sie lesen sie.
Krimi-Couch: Im Nachwort bedanken Sie sich ganz besonders bei Ihrer Frau. Der letzte Satz hörte sich aber so für mich an, dass das Schreiben selbst für Sie richtig harte Arbeit, erschöpfende Arbeit ist. Stimmt das?
Robert Wilson: Das ist es. Ich verbringe viel Zeit, gute acht Stunden täglich am Schreibtisch und schreibe mit einem Stift auf Papier, ich verwende keinen Computer. Ich verfasse handschriftlich, lese die Wörter immer und immer wieder und streiche vieles heraus. Und dann, nach sechs Monaten, fange ich an, das Geschriebene in den Computer zu übertragen, überarbeite es damit von Neuem. Die Arbeit ist in stetem Fluss, für Monate, Monate und Monate. Dabei immer das Gefühl, das sie noch nicht beendet, noch nicht fertig, noch nicht korrekt ist. Allein das ist schon eine erschöpfende Art, zu leben.
Krimi-Couch: In diesem Buch gibt es jetzt eine Passage, in der Falcón sich in London befindet. Ist das ein kleiner Ausblick darauf, was nach der Reihe kommen wird?
Robert Wilson: Obwohl ich auf Englisch schreibe, denke ich kulturell die ganze Zeit auf Spanisch. Ich musste also sehr aufpassen, wie ich Englisch gebrauche. Plötzlich fand ich mich dann in einer Situation wieder, in der ich englische Figuren verwenden konnte. Das war eine wunderbare Befreiung von all den Schwierigkeiten, die ich als englischer Schriftsteller in Spanien habe. Ich dachte dann: Rob, das ist entspannend. Vielleicht sollte ich einen ganzes Buch so schreiben? [schmunzelt]
Krimi-Couch: Vielleicht? Oder werden Sie?
Robert Wilson: Wahrscheinlich werde ich mein nächstes Buch, zumindest einen Teil davon, in London ansiedeln. Es wird wahrscheinlich wieder ein internationaler Thriller, aber ich spiele mit dem Gedanken, einen britischen Protagonisten zu haben.
Krimi-Couch: Nachdem wir jetzt so viel über Verbrechen und Ernsthaftes geredet haben, frage ich mich: Worüber kann Robert Wilson lachen?
Robert Wilson: Ich lache die ganze Zeit! Wirklich, mir geht es prächtig. Sie meinen vielleicht, weil meine Bücher – meine Bücher, die sind zwar heftig, sollen sie auch sein. Aber mir geht es gut. Ich krieche mit Sicherheit nicht herum und denke, dass wir alle bald sterben werden. [schmunzelt].
Krimi-Couch: Robert, herzlichen Dank!
Das Interview führte Lars Schafft im April 2009.
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