Lars Kepler

Bücher als Wale

02.2011 »Lars Kepler will Stieg Larsson im Himmel Hallo sagen« – das schwedische Autorenduo Alexander und Alexandra Ahndoril klärt uns über die Bedeutung ihres Pseudonyms auf und verrät Details aus dem noch 2011 erscheinenden Nachfolger von Der Hypnotiseur.

Krimi-Couch: Alexandra und Alexander Ahndoril, herzlich willkommen auf der Krimi-Couch. Kommen wir gleich zu unserer ersten Frage: Wieso haben Sie Lars Kepler als ihr Pseudonym ausgewählt?

Alexander: Wir sind jetzt 18 Jahre verheiratet und schreiben auch unter unseren eigenen Namen. Wir haben schon öfters versucht, etwas gemeinsam zu schreiben, aber es endete immer in großen Streitigkeiten.

Alexandra: Also mussten wir jenseits von Alexander und Alexandra einen neuen Autoren erfinden. Dann kam irgendwann der Name Lars Kepler auf. Ich glaube, du bist auf den Namen Kepler gekommen, Alexander? Angelehnt an den Astronomen Johannes Kepler.

Alexander: Ja, das war ein Gedanke, den ich hatte. Kepler war ja fast so etwas wie ein Detektiv, als er die Beobachtungen des Dänischen Wissenschaftlers Tycho Brahe weiterführte.

Alexandra: Schließlich hat er das Problem der Planetenbewegung ja gelöst. Er war also ein wirklich guter Detektiv. [lacht] Der Vorname Lars ist eine Hommage an Stieg Larsson. Er hat uns wirklich inspiriert und das ganze Genre in Schweden belebt. Sein Prinzip einer großen und komplexen Geschichte ist ein Ideal, das auch Lars Kepler verfolgt.

Alexander: Vorher gab es ein simples Schema: Es gab erst ein Verbrechen und dann die Aufklärung durch die Polizei. Stieg Larsson hat alles vergrößert und verfeinert.

Alexandra: Außerdem sind wir auch Schriftsteller. Es ist so tragisch, dass er starb, bevor sein Buch veröffentlicht wurde. Lars Kepler will also Stieg Larsson im Himmel hallo sagen.

Krimi-Couch: Eine sehr schöne Idee. Es ist bemerkenswert, dass Stieg Larsson der meistverkaufte Autor der Welt ist. Sie haben eben von der Komplexität in Larssons Werk geschwärmt. Ihr Roman ist auch sehr komplex und – etwas, was sofort ins Auge sticht – fast komplett im Präsens geschrieben. Wieso? Es ist doch gerade für einen Krimi sehr ungewöhnlich?

Alexandra: Wir haben uns stark vom Film und seinem besonderen Tempo inspirieren lassen.

Alexander: Die Herausforderung war, dieses spezielle Tempo und die Anregungen von Filmen in geschriebenes Wort umzusetzen.

Alexandra: Wir halten das Präsens für eine Art cineastische Sprache. Es geschieht in dem Moment, in dem man es sieht. Das ist das es, was wir mit unserem Buch transportieren wollen: das Gefühl, dass man selbst mitten in der Handlung ist und alle Personen direkt anschaut.

Alexander: Das ist unser Versuch, das Genre ebenfalls zu erneuern und das simple Verbrechen-Aufklärung-Schema hinter uns zu lassen. Es soll – ein bisschen wie ein Thriller – in dem Moment geschehen, in dem man es liest.

Alexandra: Es soll auch so etwas wie eine Triebfeder sein. Man kann sich unsichtbar in der Szenerie bewegen, von Raum zu Raum gehen, während die Handlung geschieht.

Alexander: Wenn man herkömmliche Krimis liest, ist man gewissermaßen sicher, da alles ja bereits passiert ist. Es ist aufregender, mittendrin zu sein. Man weiß nicht einmal, ob die Hauptfiguren überleben.

Krimi-Couch: Ich weiß von einer kleinen und daher wohl kaum repräsentativen Umfrage, dass viele Leser mit dem Präsens als Erzählform so ihre Probleme haben. Das ist aber nicht das einzige Risiko, das Sie eingehen. Das andere ist: Ihre Handlung ist komplex. Es beginnt mit einem Verbrechen, dass auf einen Serienmörder hindeutet. Dann entwickelt sich hinter dieser Geschichte eine weitere. War diese Vielschichtigkeit von Anfang an geplant, oder hat sie sich innerhalb des Schreibprozesses entwickelt?

Alexandra: Ein wenig von beidem. Das ist unser Debütroman und wir waren mit dem Genre nicht richtig vertraut. Aber sollte sich um einen Hypnotiseur drehen und um Vergangenheit, die nicht wirklich Vergangenheit ist. Vergangenheit, in die man eintauchen muss und die nur scheibchenweise ans Licht kommt. Ich denke, wir wollten eine Geschichte schreiben, die voller Wendepunkte steckt. Der Leser sollte nicht wissen, was sich hinter der nächsten Tür erwartet.

Alexander: Auch wenn es zwei Handlungsstränge gibt, so sind sie doch verbunden. Die erste Geschichte ist quasi eine Tür, die in die Zweite führt. Das ist eine Triebfeder, die die Geschichte am Laufen hält.

Alexandra: Zusätzlich dreht sich Der Hypnotiseur sehr um Familien und ihre Bindungen. Die Verbrechen stehen mit diesen verborgenen Bindungen, die gut oder schlecht sein können, in Zusammenhang. Wir wollten eine ausladende, vielschichtige Geschichte schreiben.

Alexander: Schließlich ist es kein Drehbuch. Romane können sich diese Komplexität erlauben.

Krimi-Couch: Zum Beispiel der große Rückblick auf Eriks Vergangenheit, stolze 140 Seiten, die ausnahmsweise in der Vergangenheitsform geschrieben sind. Ich mag es, wenn nicht nur das geboten wird, was man ohnehin erwartet. Es ist eine Art lockende Aufgabe für die Leser.

Alexander: So ein tiefer Einblick in die Vergangenheit ist für Leser schon eine Herausforderung.

Alexandra: Man muss wirklich in die Vergangenheit eintauchen.

Krimi-Couch: Ich habe viele Kommentare zu Ihrem Buch gelesen. Ich weiß nicht, wie es in Schweden aussieht, aber in Deutschland scheint das Buch stark zu polarisieren. Die einen lieben es, den anderen gefällt es gar nicht. Ist die Resonanz in Schweden ähnlich?

Alexandra: Das kann ich nicht genau sagen. Aber es ist ein extremes Buch und beschreibt fürchterliche Dinge. Ich denke, es muss am Nervenkostüm der Leser rütteln. Ich finde es gut, dass die meisten Leser leidenschaftlich mit dem Buch umgehen.

Alexander: Den meisten Lesern gefällt der aufregende Stil, anderen mag er ein wenig zu heftig sein.

Krimi-Couch: Eine Frage jenseits vom Hypnotiseur: Welche Bücher haben Sie unter Ihren richtigen Namen geschrieben?

Alexandra: Ich habe historische Romane geschrieben. Unter anderem über Tycho Brahe. Daher kommt wohl auch die Verbindung zu Johannes Kepler. Außerdem arbeite ich seit vielen Jahren als Kritikerin. Alexander schreibt auch seit vielen, vielen Jahren.

Alexander: Ich habe neun Romane und mehr als 20 Theaterstücke geschrieben. Hauptsächlich zeitgenössische Literatur. Ich habe aber auch einen Roman über Ingmar Bergmann geschrieben., einen weiteren über Hans Blix.

Alexandra: Alles eher literarische Romane. Der Hypnotiseur ist also etwas ganz neues für uns. Ein Grund mehr, mit Lars Kepler einen ganz neuen Schriftsteller zu erfinden. Er mag diesen Stil. Wir natürlich auch, aber so ist es viel einfacher, die verschiedenen Stimmen auseinander zu halten.

Krimi-Couch: Haben Sie denn alles gemeinsam geschrieben? Oder haben sie verschiedene Parts in dem Buch übernommen?

Alexandra: Wir haben es komplett gemeinsam geschrieben.

Alexander: Wir können keinen Satz aus dem Buch nehmen und sagen: Den habe ich geschrieben. Wenn wir arbeiten, sitzen wir für etwa 20 Minuten nebeneinander an zwei Computern und dann wechseln wir. Ich schreibe ihren Text weiter und sie meinen. Wir machen das so vierzigmal am Tag.

Alexandra: Ich denke, dass ein lebendiger Text mehrere Schichten braucht. Ich glaube, unsere Arbeitsweise, das abwechselnde Schreiben, macht es komplexer, um noch einmal auf dieses Wort zurück zu kommen. [lacht]

Krimi-Couch: Zurück zu Der Hypnotiseur. Das Buch hat nicht nur einen Protagonisten, sondern gleich drei oder vier. Einer von ihnen ist Kommissar Joona Linna. Dies Figur ist ungewöhnlich für einen Skandinavischen Krimi: Er ist eine freundliche, aufgeschlossene Person ohne traumatische Vergangenheit. Haben sie diese Figur geschaffen, um sich von anderen Skandinavischen Krimis abzugrenzen?

Alexandra: Joona Linna soll die Hauptfigur der ganzen Serie werden. Daher wollten wir nicht, dass er in jeder Beziehung die Hauptrolle einnimmt. Wenn sein Kind entführt worden wäre, hätte sich die gesamte Handlung auf ihn konzentriert. Das wäre unrealistisch. Er kommt also gewissermaßen von außerhalb. Wir haben uns von der Geschichte des Propheten Jona aus der Bibel inspirieren lassen, der ins Meer geworfen und von einem Wal verschluckt wurde. Für uns sind unsere Bücher die Wale, die Joona jedes mal aufs Neue fressen und wieder ausspucken.

Alexander: Wir haben Joona erschaffen, weil wir einen sicheren Charakter gebraucht haben, eine nette, furchtlose Figur. Denn wir schreiben über etwas, was uns selbst Angst macht. Der Leser wird im zweiten Band mehr über Joona erfahren. Wir wollen seine Geschichte innerhalb der Serie von acht Büchern langsam aufbauen.

Krimi-Couch: Eine Fortsetzung ist also bereits in Planung?

Alexandra: Für uns ist es toll, als Lars Kepler zu schreiben. Es ist wie ein kreativer Rausch, in dieses Krimigenre einzutauchen.

Alexander: Wir reden ständig über ihn. Ob wir nun einkaufen, kochen oder das Auto waschen.

Alexandra: Oder im Flugzeug sitzen. Wir können immer über ihn reden und wir wollen nicht, dass das aufhört. Vielleicht werden es aber nicht acht Bände, sondern neun.

Krimi-Couch: Interessant. Jussi Adler-Olsen zum Beispiel plant ähnlich seine Bücher, die er mit den verschiedenen Protagonisten schreiben will. Andere Autoren schreiben einfach drauflos und schauen, was sich entwickelt.

Alexandra: Wir werden aber völlig verschiedene Geschichten für jedes einzelne Buch entwickeln. Man muss also den ersten Band nicht gelegen haben, um den zweiten zu verstehen. Man muss die Bücher also nicht in der richtigen Reihenfolge lesen. Wenn man es aber tut, dann wird man mehr und mehr über Joona Linna erfahren. Für uns ist diese ausladende Geschichte über Joona eine echte Herausforderung.

Krimi-Couch: Werden wir auch den Hypnotiseur Erik Maria Bark in den nächsten Bänden wiederfinden?

Alexandra: Wahrscheinlich nicht.

Krimi-Couch: Vielleicht wollen Sie schon etwas über die Handlung des nächsten Bandes verraten, der in Deutschland voraussichtlich im Oktober erscheinen wird?

Alexandra: Es wird Der Paganini Fluch heißen und thematisiert zwei bemerkenswerte Aspekte des menschlichen Daseins.

Alexander: Es handelt von der musisch-kreativen Seite des Menschen. Jede Person trägt eine Menge Musik in sich. Auch wenn man kein besonders guter Sänger ist, kann man sich doch an tausende von Liedern erinnern. Eine wunderbare Seite des Menschen. Auf der anderen Seite benutzt die Menschheit ihre Kreativität auch dazu, Waffen zu erschaffen, mit der sie sich selbst vernichten kann. Wir haben doch keine Feinde im klassischen Sinn, keine Tiere, vor denen man sich fürchten müsste. Das ist ebenfalls sehr außergewöhnlich.

Alexandra: In unserem nächsten Band werden diese zwei Aspekte in einer Person vereint sein, die gleichzeitig mit Musik und mit Waffen handelt. Es gibt einen Verführer, der dich mit dem, was du dir am sehnlichsten wünscht, verführt. Aber wenn du verlierst, musst du das teuer bezahlen. Es ist ein Vertrag, den man besser nicht unterschreiben sollte. Die Figur ähnelt dem Hypnotiseur. Sie ist gleichzeitig stark und schwach. Sie glaubt, einen Fehler begangen zu haben, aber vielleicht liegen die Dinge ganz anders. Der Hypnotiseur ist ein schauriges Buch, das nächste wird temporeicher, mit mehr Action.

Krimi-Couch: Ich habe gelesen, Jonna Linna soll eine Kollegin an seine Seite bekommen.

Alexandra: Ja, das stimmt. Sie arbeitet bei der Sicherheitspolizei, ist Boxerin, sieht aber aus wie eine kleine Prinzessin. Außerdem wird es noch eine neue weibliche Figur geben, Penelope, eine Friedensaktivistin. Uns wurde schon von vielen Leuten gesagt, dass sie diese Figur wirklich mögen. Allerdings bekommt sie mächtige Probleme. Wie gesagt, es ist gut, mit zwei Leuten an einer Geschichte zu schreiben. Vielleicht haben wir deshalb so viele unterschiedliche Charaktere.

Alexander: Bei so einer komplexen Geschichte braucht man vielleicht sogar zwei Personen, um alles beieinander zu halten. Jeden morgen sitzen wir am Frühstückstisch beisammen und arbeiten mit Klebezetteln. Jeder Zettel hat sein eigenes Thema und wir machen mit ihnen eine Linie. Wir überlegen, was geschähe, wenn man dieses eine Thema da herausnähme und dort wieder einsetzen würde.

Alexandra: Und trotzdem. Wenn man anfängt, zu schreiben, und die Figuren lebendig werden, dann kommen dir Sachen in den Sinn, die du nicht »auf dem Zettel« hattest. Das ist auch sehr interessant.

Alexander: Dann müssen wir zurück zum Küchentisch und alles umarrangieren. Jemand, der eigentlich sterben sollte, entkommt, weil wir ihn zu sehr mögen. Dafür stirbt dann ein anderer. Man muss seinen Figuren zuhören und kann nicht alles planen.

Krimi-Couch: Dann warten wir gespannt auf Ihr nächstes Buch. Herr und Frau Ahndoril, herzlichen Dank für das Gespräch.

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