James Ellroy
»Ich bin kein Krimiautor mehr.«
02.2011 James Ellroy spricht mit Jochen König über sein Werk und lässt dabei tief blicken. Der Kultautor, dessen Blut will fließen kürzlich als Taschenbuch erschien, über sein jüngstes Werk, seine Abneigung gegen Rock 'n Roll und Fußball, sowie darüber, warum er an der Gegenwart kein Interesse mehr hat.
Krimi-Couch: Herzlichen Glückwunsch, Mr. Ellroy, Ihr Buch Blut will fließen ist Volltreffer auf der Krimi-Couch. Verdientermaßen. Im Vergleich zu ihren jüngeren Werken sind ihre ersten Bücher allerdings eher linear aufgebaut. Die neueren sind deutlich komplexer. Sie beschränken sich nicht mehr auf nur auf einen Blickwinkel und rücken mehrere Charaktere in den Mittelpunkt. Einer, der in allen ihrer jüngsten Bücher vorkommt ist der Gründer des FBI J. Edgar Hoover. Ist er Ihr persönliches Symbol für alles, was in den letzten Jahr in Amerika falsch gelaufen ist?
James Ellroy: Das nicht. Hoover war einfach eine Figur, die ich mir zu eigen machen konnte, besonders wegen seiner verdrängten Homosexualität. Er war von Ordnung besessen und führte Akten über die verschiedensten Menschen. Ich glaube nicht, dass in Amerika etwas schief läuft. Es hat mit wachsenden Problemen zu kämpfen, aber es Amerika geht es wunderbar. Hoover war einfach der perfekte Kontrast für meine Helden. Eine bedeutende historische Person, die einige schlimme Sachen gemacht hat.
Krimi-Couch: Sie arbeiten mit historischen Figuren. Ist das nicht problematisch? Fürchten Sie keine Zivilklagen?
James Ellroy: Sie sind alle schon lange tot und ihre Erben haben keine Rechtsansprüche. Es ist also vollkommen sicher.
Krimi-Couch: Die Charaktere in ihren Büchern hadern ständig mit den Folgen ihres Handels. Aber die letzte Konsequenz haben sie nie im Blick. Sie machen ihre Pläne für den Moment aber überschauen die Folgen ihres Tuns nicht.
James Ellroy: Das Ende ist immer Veränderung. Es ist immer ein schmerzhafter, manchmal auch erlösender Schritt in die Transzendenz. Üblicherweise für eine Frau. Gewöhnlich läuft die Geschichte schief und etwas geht fürchterlich daneben. Es sind also passable Personen, die im Hier und Heute leben, träumen und planen. Oft haben sie große Schuld auf sich geladen und verspüren diesen speziellen Wunsch, bessere Menschen zu sein.
Krimi-Couch: Sie beschreiben starke Frauen. Und oft drehen sich die Gedanken der Jungs, die diese fürchterlichen Verbrechen begehen, um eben diese Frauen. Wollen Sie den Frauen imponieren? Suchen Sie ihre Bestätigung eher bei den Frauen oder in den Gewalttaten?
James Ellroy: Die Frauen zeigen den Männern oft die Torheit in ihrem grausamen Verhalten. Somit ändern sie die Männer, ohne dass letztere es in diesem Moment mitbekommen. In Blut will fließen haben mehrere Charaktere ein ungewöhnlich ausgeprägtes Selbstbewusstsein, Dwight Holly oder Wayne Tedrow Junior. Don Crutchfield wird zunehmend radikalisiert. Er ist viel jünger als die anderen Männer und muss schließlich seine Lektion lernen.
Krimi-Couch: Wie steht es mit Don Crutchfield?
James Ellroy: Erstmal ist er eine reale Person. Er ist ein sehr berühmter Privatdetektiv in Los Angeles mit einer großzügigen Abfindung. Er ist in Wirklichkeit älter als in meinen Buch, und ich habe ihm meine »pervert, peeper, prowler, pantie-sniffing past« gegeben – meine perverse, voyeuristische Herumtreiber-Vergangenheit. Ich habe uns beide vereint.
Krimi-Couch: Ihre Bücher spielen in der Vergangenheit. Ist ihnen die Gegenwart nicht interessant genug? Themen gäbe es doch genug: Lügen, politische Fehler, das Beschneiden von Grundrechten durch den »Patriot Act« …
James Ellroy: Lassen uns hier für einen Moment anhalten. Ich sehe das mit dem »Patriot Act« anders. Ich bin sehr konservativ! Ich werde mit ihnen nicht über Politik streiten und ich werde mich zu nichts äußern, was nach 1972 geschehen ist. Ich habe meine Kultur sorgsam isoliert und lebe nur in den Jahren Ž68 bis Ž72. An der Gegenwart habe ich kein Interesse.
Krimi-Couch: Lassen sie uns über ein älteres Buch von Ihnen reden: Stiller Schrecken. Es sticht etwas aus ihrem Werk heraus. Wie war die Resonanz über die Jahre?
James Ellroy: Das ist genau das meiner Bücher, das ich am wenigsten mag. Ich habe an Serienmördern kein Interesse mehr. Ich denke, das Buch ist eine brauchbare Nachbildung der Psyche eines Serienkillers. Darüber hinaus kann man es getrost verwerfen.
Krimi-Couch: Ein Zurück zu Ihren älteren, etwas stringenteren Krimis wird es wohl nicht geben. Einen Lloyd Hopkins, Hauptfigur ihrer ersten Trilogie, werden wir von Ihnen nicht mehr lesen.
James Ellroy: Lloyd Hopkins wird nicht mehr wiederkommen. Ich werde keine zeitgenössischen Bücher mehr schreiben. Ich werde niemals wieder einen kurzen Roman schreiben. Niemals wieder! Das L.A.-Quartett – Die schwarze Dahlie, Blutschatten, Stadt der Teufel und White Jazz- markiert für mich einen Wendepunkt. Von da an habe ich ausschließlich große, historische Romane geschrieben. Die Underworld-USA-Trilogie – Eine amerikanischer Thriller, Ein amerikanischer Albtraum und Blut will fließen – war ein Werk von bemerkenswerter Tiefe und Form. Im Moment widme ich der autobiografischen Geschichte: The Hilliker Curse, die dieses Jahr erscheint und sich um meine Beziehung zu Frauen dreht. Danach wird es wieder ein Quartett geben. Größer in Form, Umfang und Bedeutung als alles, was ich jemals geschrieben habe. Ich bin kein Krimiautor mehr. Seit Jahren bin ich nun Autor von historischen Romanen.
Krimi-Couch: Richtig. Und mit Ihrem neuen Buch The Hilliker Curse machen sie wieder einen Schritt weg vom Krimigenre. Können Sie uns etwas mehr über dieses Buch verraten? Sie sagten, es handelt von Ihnen und den Frauen. Geht es wieder in die Richtung von Die Rothaarige?
James Ellroy: Es ist ein Nebentrieb von Die Rothaarige. Ein autobiografischer Aufsatz, in dem ich von dem Phänomen »Frau« in meinem Leben erzähle – ein kurzes Buch.
Krimi-Couch: Sie haben acht Jahre gebraucht, um Blut will fließen zu schreiben. Warum?
James Ellroy: Ich hatte persönliche Probleme, habe mich scheiden lassen. Ich habe eine Frau getroffen, die die Joan in diesem Buch wurde. Ich habe eine Frau getroffen, die die Karen in meinem Buch wurde. Ich habe viel Zeit mit dem Schreiben von Filmen und TV-Shows verbracht und dadurch mein Auskommen gehabt. Das Buch habe ich sehr langsam zusammengesetzt. So eine lange Phase zwischen zwei Büchern wird es aber in Zukunft nicht mehr geben.
Krimi-Couch: Ist es so, dass die weiblichen Figuren in Ihren Büchern fortschrittlicher denken, während den Männern der konservativere Part zukommt?
James Ellroy: So ist es überhaupt nicht. Frauen verkörpern die Veränderung, während die Männer versuchen an ihnen ihre Schuld abzubüßen. Im Amerika zwischen 1968 und 1972 herrschte eine symbiotische Beziehung zwischen den Linken und den Konservativen. Die Linken brauchten das Geld der Konservativen. Diese wiederum brauchten von den Linken Informationen. Das beschreibe ich. Und gelegentlich verlieben sich ein Mann und eine Frau.
Krimi-Couch: Eins der Wörter, die in Blut will fließen am häufigsten vorkommt, ist »Hass«. Dabei war 1967/68 doch die Zeit der Liebe. Man denke an die Flowerpower-Bewegung. Ein gewollter Gegensatz?
James Ellroy: Ich schreibe über reaktionäre politische Funktionäre. Da gibt es kein Rock 'n Roll. Ich mag ihn nicht, und in meinem Buch gibt es keinen Raum für ihn. Es ist ein Buch aus der Perspektive von Menschen, die kein Rock 'n Roll mögen. Es ist, als ob sie mich Fragen, warum ich keinen Fußball mag. Ich mag ihn einfach nicht.
Krimi-Couch: Es ist aber bekannt, dass Musik für Sie eine wichtige Rolle spielt. Sie mögen Beethoven und Bruckner. Sie hören aber keine Musik, während Sie schreiben?
James Ellroy: Das stimmt. Ich schreibe in absoluter Stille.
Krimi-Couch: Eine Frage zu Anton Bruckner. Welchen Interpreten seiner Werke schätzen sie am meisten? Günter Wand?
James Ellroy: Ich habe viel von Günter Wand und Bruckner gehört. Mein Favorit ist aber Eugen Jochum mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Ich habe zuhause mehrere Aufnahmen, die er mit den Berliner Philharmonikern aufgenommen hat.
Krimi-Couch: Den letzten Auftritt Ihrer Lesereise durch Deutschland haben sie in Berlin. Haben Sie die Zeit, sich Berlin etwas näher anzuschauen.
James Ellroy: Es ist eine Station auf meiner Tour, und ich würde mir die Stadt gerne genauer anschauen. Ich würde gerne die Berliner Philharmoniker hören, aber ich habe keine Zeit. Das Leben geht weiter.
Krimi-Couch: Mr. Ellroy, wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Interview führte Jochen König im Februar 2011.
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