Karin Slaughter
Millionenauflage und doch so faul?!
11.2008 Dreizehn Millionen Bücher hat sie verkauft. Damit gehört sie zu den weltweit erfolgreichsten Thriller-Autorinnen. Lars Schafft sprach mit Karin Slaughter auf der Buchmesse in Frankfurt über ihren neuesten Roman Verstummt und Gewalt in ihren Büchern.
Krimi-Couch: Karin, schön Sie zu treffen!
Karin Slaughter: Ganz meinerseits.
Krimi-Couch: Möchten Sie sich vielleicht selbst Ihren deutschen Lesern vorstellen?
Karin Slaughter: Gerne! Ich bin Karin Slaughter und dies ist mein neues Buch, auf Englisch heißt es Triptych, was soviel bedeutet wie ein Kunstwerk, das aus drei verschiedenen Teilen. Auch die Geschichte ist in drei Teilen erzählt, die zu einem langen Krimi zusammengeführt werden, was meine Fans hoffentlich mögen werden.
Krimi-Couch: Was sagen Sie zum deutschen Titel Verstummt?
Karin Slaughter: Er gefällt mir! Er bedeutet »unberührbar«, oder? Irgendetwas in dieser Richtung?
Krimi-Couch: Eigentlich, wenn man nicht mehr sprechen kann.
Karin Slaughter: Ja, richtig. Das Cover ist auch toll, es sticht heraus. Blanvalet ist einer der besten Verlage in Deutschland und ich bin sehr glücklich darüber, was sie aus dem Buch gemacht haben.
Krimi-Couch: Sie haben kürzlich den Verlag gewechselt.
Karin Slaughter: Das habe ich. Ursprünglich war ich bei Rowohlt, aber mein erster, wundervoller Lektor hat sich eine neue Tätigkeit gesucht. Und der darauf auch. Und der vom Taschenbuch ebenfalls. Vielleicht wäre es dann auch für mich an der Zeit, etwas anderes zu machen, habe ich mir überlegt.
Krimi-Couch: »Etwas anderes zu machen« passt auch gut zu Ihrem neuen Roman. Sie schreiben zwar noch an der Grant-County-Reihe …
Karin Slaughter: Ja, an der schreibe ich bestimmt weiter. Viele hatten gedacht, dass jetzt damit Schluss sei. Aber es gibt noch zwei weitere Bücher dieser Serie, die Blanvalet herausbringen wird. Darin passieren einige wirklich schockierende Dinge. Und zur Zeit schreibe ich schon wieder am nächsten Teil.
Krimi-Couch: Was war der Grund dafür, dass Sie mit Verstummt die Grant-County-Reihe verlassen?
Karin Slaughter: Ich lebe in Atlanta, Georgia. Es gefällt mir sehr gut dort. Atlanta ist eine sehr große, kosmopolitische Stadt. Sie wurde während des Bürgerkriegs in Amerika zerstört, wie auch viele deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg. Die Architektur der Stadt ist daher sehr neu, sie wurde wieder aufgebaut. Unser Wahrzeichen ist der Phönix – Sie wissen, der aus der Asche. Ich wollte über die Stadt schreiben, die mir so gefällt und als die Autorin, die ich nun mal bin, habe ich dort ein richtig brutales Verbrechen angesiedelt. Verstummt beginnt mit dem Mord an einer Prostituierten. Das ist etwas, was Sie in der Grant-County-Reihe nicht vorfinden werden. Klar, es gibt in Grant County auch Prostituierte, aber darüber schreibe ich nicht …Atlanta ist eine sehr gewalttätige Stadt, es gibt da viele Bandenkämpfe, Schießereien, Drogen, Vergewaltigungen. Verbrechen passen da schon gut hin.
Krimi-Couch: Apropos Gewalt: Manche Kritiker in Deutschland sagen »Karin Slaughter – der Name ist Programm«.
Karin Slaughter: Ja [lacht]. Das ist er wirklich. Aber ich heiße tatsächlich so. Und auf den Buchumschlägen sind auch keine Kätzchen drauf – die Leser wissen schon, was sie darin erwartet.
Krimi-Couch: Was ist denn das Faszinierende daran, so explizit über Gewalt zu schreiben?
Karin Slaughter: Gewalt interessiert die Menschen nun mal, insbesondere Frauen. Als ich aufwuchs, lasen meine Mutter und meine Großmutter ein Magazin namens True Crime über all diese schrecklichen Verbrechen. Sie schämten sich dafür, aber sie lasen es jede Woche. Es gibt immer mehr Fernseh-Shows und Bücher von Frauen, wo es um Gewalt geht. Auch in Deutschland gibt es einige großartige Krimis im TV, in denen Frauen ganz vorne stehen. Mittlerweile ist es so, dass wir Frauen zugeben können, dass wir an Gewalt interessiert sind.
Krimi-Couch: Sind Ihre Bücher eine Art »Gender-Writing«, also schreiben Sie für ein bestimmtes Geschlecht?
Karin Slaughter: Nein, so sehe ich das eigentlich nicht. Frauen können sich eigentlich mehr Gewalt erlauben. Wenn ich an die Autoren denke, die ich gerne lese – Jeffery Deaver, Michael Connelly – die scheuen sich zwar auch nicht gerade davor, über Gewalt zu schreiben. Es ist aber überraschender, wenn Frauen das tun. Mo Hayder, eine meiner Lieblingsautorinnen, Denise Mina, Tess Gerritsen – bei denen weiß ich immer, was mich in ihren Büchern erwartet. Die schrecken davor nicht zurück. Das gefällt mir.
»Wir Krimiautoren sind sehr entspannte Menschen.«
Krimi-Couch: Wie stehen Sie persönlich zum Thema Gewalt? Sie sind doch ein sehr netter Mensch …
Karin Slaughter: [lacht] So weit Sie das bisher sagen können …
Krimi-Couch: So weit ich das sagen kann, natürlich. Aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dass diese Gewalttaten, über die Sie schreiben, tatsächlich in Ihrem Kopf sind.
Karin Slaughter: Sie haben bestimmt schon einige Krimiautoren getroffen, wir sind sehr entspannte Menschen, im Gegensatz zum Beispiel zu Romanzen-Autoren. Diese Ideen über Gewalt zu Papier zu bringen, ist sehr läuternd. Gewalt interessiert mich, schon immer. Glücklicherweise wurde ich selbst noch nie Opfer einer Gewalttat, ich möchte auch jetzt niemanden dazu ermutigen, das zu ändern. Man will immer über das schreiben, was einen selbst auch interessiert. Insofern war das eine ganz natürliche Sache.
Krimi-Couch: Wie sind Sie zum Thriller-Schreiben gekommen?
Karin Slaughter: Ich komme aus dem Süden der Vereinigten Staaten und habe mich immer für Geschichte interessiert. Es glauben nicht viele, dass wir Amerikaner uns für Geschichte interessieren, da wir einen Hang dazu haben, sie zu wiederholen. Als jemand aus dem Süden hat mich besonders der amerikanische Bürgerkrieg interessiert und ganz zu Anfang habe ich auch historische Romane geschrieben. Die aber niemand veröffentlichen wollte [lacht]. Das war wohl auch besser so. Meine Agentin fragte mich dann: »Du liest gerne Thriller. Warum schreibst Du nicht selbst welche? Wenn es gut klappt, zeige sie mir ruhig. Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm.« Daraus wurde dann mein erstes Buch Belladonna.
Krimi-Couch: So einfach ist es also, Bestseller-Autorin zu werden?
Karin Slaughter: Das sieht nur so aus. Ich habe das Glück, sehr gute Verlage gefunden zu haben. Meine Bücher wurden in achtundzwanzig Sprachen übersetzt, ich treffe jetzt viele Menschen hier auf der Frankfurt Buchmesse. Ich bin mir meines Glücks schon sehr bewusst, meine Verlage glauben an mich und ich habe sehr treue Leser.
Krimi-Couch: Sie haben insgesamt dreizehn Millionen Titel verkauft.
Karin Slaughter: Ja, richtig. Nicht ich selbst natürlich, meine Verlage [lacht]. Das ist eine gewaltige Zahl, oder?
»Auf Bestsellerlisten bezogen, bin ich hier in Europa wohl erfolgreicher.«
Krimi-Couch: Auf jeden Fall. Sind Sie eigentlich in Europa erfolgreicher als in den Staaten?
Karin Slaughter: Das hält sich ziemlich die Waage. Auf Bestsellerlisten bezogen, bin ich hier in Europa wohl erfolgreicher, aber in Amerika bin ich gewöhnlicherweise in den Top-Ten, was natürlich auch nicht schlecht ist.
Krimi-Couch: Verstummt war eine Art Experiment: drei verschiedene Figuren, drei verschiedene Perspektiven – mögen Sie davon eine vielleicht mehr als die andere?
Karin Slaughter: Das hängt davon ab, über wen ich gerade schreibe. Bestimmt Michael Ormewood, über den der erste Teil geht. Aber Will Trent im späteren Teil des Buches hat mir so gefallen, dass ich über ihn ein weiteres Buch geschrieben habe, Fractured. Das kommt in ein paar Jahren in Deutschland heraus. Im nächsten Jahr kommt erstmal ein neuer Teil von Grant-County. Über Will zu schreiben, an seiner Persönlichkeit zu arbeiten, hat mir großen Spaß gemacht. Es gibt so viele Rätsel um ihn, die konnte ich gar nicht alle in Verstummt unterbringen. Deswegen habe ich ein weiteres Buch geschrieben, was meinen Fans hoffentlich gefallen wird.
Krimi-Couch: Wie sieht es aus, wenn Sie schreiben? Haben Sie dafür einen genauen Terminplan?
Karin Slaughter: Ich wünschte, ich hätte einen! Ich bin sehr faul. Ich reise viel und wenn ich schreiben möchte, fahre ich in die Berge im Norden Georgias. Das ist am Rand der Appalachen, wo der »Pfad der Tränen« für die Cherokee-Indianer begann. Es ist da sehr ruhig und ich schreibe dort von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends.
Krimi-Couch: Die Ideen dafür sprudeln praktisch aus Ihnen heraus?
Karin Slaughter: Ja, genau. Wenn ich reise oder wie jetzt auf der Messe bin, denke ich immer an meine Geschichten, mache mir Notizen. Wenn ich mich dann ans Schreiben setze, führt mein Kopf ein Diktat mit mir durch, wohin sich die Geschichte entwickeln wird. Mir gefällt es, meine Leser zu schocken. Verstummt hat viele überraschende Wendungen, die die Leser hoffentlich atemlos machen.
Krimi-Couch: Das hört sich jetzt aber nicht so an, als seien Sie faul.
Karin Slaughter: Doch, ich fühle mich faul. Mein Vater wuchs auf einer Farm auf und er hat es schon als Faulheit angesehen, fernzusehen oder zu lesen. Das habe ich immer im Hinterkopf.
Krimi-Couch: Denken Sie die ganze Zeit an Ideen für Krimis oder müssen Sie sich auch mal davon entspannen?
»Wie viele Sorten Brot Sie hier allein zum Frühstück haben! Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Brot gegessen.«
Karin Slaughter: Nein, mir macht das Schreiben eine Riesenfreude. Auch die Lesereisen wie nächste Woche durch Deutschland. Dann erinnere ich mich immer an die Vorteile, die ich als international erfolgreiche Autorin habe. Ich sehe wunderschöne Städte wie Berlin, Köln, München, die herrliche Architektur, treffe neue Leute. Menschen und andere Kulturen kennenzulernen ist für mich ein Geschenk. Zum Beispiel wie viele Sorten Brot Sie hier allein zum Frühstück haben! Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Brot gegessen. Das sind für mich wunderbare Möglichkeiten, ich liebe es, zu schreiben. Wenn ich an einem Flughafen oder einem Bahnhof für ein paar Stunden steckenbleibe, denke ich mir: Das ist mein Job. Autorin zu sein ist der beste auf der ganzen Welt
Krimi-Couch: Mögen Sie auch die Lesungen hier in Deutschland?
Karin Slaughter: Die mag ich. Zum Glück ist die Sprecherin des Hörbuchs dabei, die die deutsche Übersetzung lesen wird. Ich werde meine Leser also nicht zu sehr langweilen, weil ich auf Englisch lese. Auch so etwas ist eine tolle Möglichkeit, neue Menschen zu treffen. Und mir gefällt es, ihre Reaktionen zu beobachten, wenn sie das Buch vorgelesen bekommen.
Krimi-Couch: Sind deutsche Leser anders als amerikanische?
Karin Slaughter: Thriller-Leser sind auf der ganzen Welt gleich. Ich war gerade in Australien und Singapur, nächstes Jahr geht es nach Dubai. Jeder mag eine gute Geschichte und ein gutes Buch. Das beste, was mir passieren kann, ist wirklich meine Leser und Leserinnen zu treffen und mich mit Ihnen zu unterhalten. In Amerika erscheinen jedes Jahr 250.000 Bücher, das ist schon eine ganze Menge, aber kaum welche davon sind übersetzte. Deswegen gefällt es mir so, in andere Länder zu reisen und Autoren zu entdecken, von denen ich noch nie gehört habe.
Krimi-Couch: Haben Sie bestimmte Lieblinge?
Karin Slaughter: Ich wusste, dass Sie das fragen würden. Da ich gerade aus Neuseeland komme: Janet Frame hat mir wirklich gut gefallen. Und ich hatte eine tolle Zeit mit der Autorin von Angélique – was für eine wunderbare Frau und was für eine wunderbare Geschichte, wie sie für ihre Rechte und ihre Bücher kämpfte! Leute wie sie zu treffen, ist für mich sehr inspirierend.
Krimi-Couch: Also gefällt Ihnen nicht nur das Schreiben, sondern genau so auch das Lesen.
Karin Slaughter: Oh ja, ganz bestimmt.
Krimi-Couch: Kommen Sie durch das Lesen anderer Bücher auch auf Ideen?
Karin Slaughter: Hoffentlich nicht! Das ist doch illegal. [lacht] Manchmal kommt es aber vor, dass ich ein Buch wie Mo Hayders Ritualmord lese und mir wünsche, auch so eines zu schreiben, dass die Leser dermaßen bewegt. Ein anderes von ihr ist Pig Island – kein so guter Titel – [dt. Die Sekte, Anm. d. Red.], aber das hat mich noch lange nach dem Lesen beschäftigt. Das erinnert mich an Flannery O'Connor, den ich als Kind gelesen hatte. Ich möchte solche Geschichten schreiben; die, die Leser wirklich berühren.
Krimi-Couch: Karin, herzlichen Dank! Es war mir ein Vergnügen.
Karin Slaughter: Danke!
Das Interview führte Lars Schafft am 17.10.2008 auf der Frankfurter Buchmesse. Für die Übersetzung ist ebenfalls Lars Schafft verantwortlich.
Neue Kommentare