Eliot Pattison

»Eine reine, unwiderstehliche Schönheit«

11.2004 Der amerikanische Autor Eliot Pattison im Gespräch mit der Krimi-Couch über Tibet und seine dort angesiedelte Shan-Reihe

Krimi-Couch: Mr. Pattison, in Deutschland ist nicht viel über sie bekannt. Können sie sich bitte ihrem deutschen Publikum kurz vorstellen? Was haben sie vor ihrer Karriere als Autor gemacht und wie haben sie mit der Schriftstellerein angefangen?

Eliot Pattison: Zu Beginn meiner Studienzeit habe ich mich besonders auf das Studium der Literatur, Anthropologie und östlicher Religionen konzentriert. Mit dem Abschluss meiner Ausbildungszeit habe ich einen juristischen Abschluss erworben, mit dem ich bei Firmen tätig wurde, die ich fortan im Bereich internationaler Investments vertrat. Durch diese Arbeit und mein mir eigenes Fernweh habe ich bis ich Mittdreißiger war das Leben auf sechs Kontinenten kennen lernen können. Obwohl ich mit dem Verfassen von Buchrezensionen und Essays bereits zu Schulzeiten begonnen habe, hat dann meine Autorenlaufbahn begonnen mit dem Verfassen von politischen Kommentaren und juristischen Artikeln in Fachzeitschriften, danach folgten Bücher zu juristischen und wirtschaftlichen Themen.

Krimi-Couch: Wieso haben sie sich dann dazu entschlossen, ihre Kritik an der chinesischen Kulturevolution in Tibet durch Kriminalromane und nicht durch Sachbücher zum Ausdruck zu bringen?

Eliot Pattison: Nach vier Sachbüchern habe ich mich einfach reif gefühlt, ein neues Genre in Angriff zu nehmen. Meine persönliche Herausforderung war dabei, mich an einen Roman heran zu wagen und dabei weiterhin mein lebenslanges Interesse am Fernen Osten zu verfolgen und dabei noch einen Weg zu finden, meine zunehmend scharfe Kriitk zum politischen Geschehen in Zentralasien zum Ausdruck zu bringen. Die Shan Reihe wurde zur perfekten Antwort. Viele Leser haben mich seitdem in meiner Meinung bestärkt, dass ich durch das Medium Roman ein weit faszinierenderes Bild vom Tibet und den Tibetern wiedergeben kann, als ich es mit einem Sachbuch je gekonnt hätte.

Krimi-Couch: Wie sind sie zum ersten mal mit der Tibetischen Geschichte in Berührung gekommen und wo liegen die Gründe für ihr Interesse an Tibet und Buddhismus?

»Durch meine Bücher
möchte ich die Leser einladen,
die Schönheit Tibets zu teilen.«

Eliot Pattison: Für mich ist der Tibet extrem facettenreich und er wirkt eine vielschichtige Anziehungskraft auf mich aus. Ich sehe eine reine, unwiderstehliche Schönheit in der Geschichte Tibets und der Tibeter und durch meine Bücher möchte ich die Leser einladen, diese Schönheit zu teilen. Andererseits gewähren das Beispiel Tibet einzigartige Lehrstunden über den Konflikt zwischen wirtschaftlichem Fortschritt und kultureller Integrität, zwischen Totalitarismus und Spiritualität, was vom Rest der Welt einfach besser verstanden werden muss. Meinen ersten Eindruck davon erhielt ich zu Universitätszeiten, als ich Buddhismus und Tibetologie studierte, aber nichts hat mein persönliches Interesse an der Sache fester verankert als der Tag an dem ich vor vielen Jahren in einem Tibetischen Tempel saß und den Mönchen zusah, die hingabevoll ihre religiösen Riten ausübten, als plötzlich zwanzig Chinesische Polizisten mit Schlagstöcken durch die Reihen rannten.

Krimi-Couch: Klingt als ob sie sich früher zu Studienzwecken oft im Tibet aufgehalten haben. Wie oft waren sie denn im Tibet seit sie mit der Arbeit am ersten Shan-Roman »Der fremde Tibeter« angefangen haben, um Nachforschungen für ihre Bücher anzustellen? Oder ist es inzwischen ein Problem für sie, ein Chinesisches Visum zu erhalten?

Eliot Pattison: Am häufigsten bin ich nach China, Tibet und Zentralasien während der 80er und 90er Jahre gereist. Obwohl ich seit der Veröffentlichung von »Der fremde Tibeter« keine Probleme hatte, meine Reisedokumente zu bekommen, bin ich extrem vorsichtig mit Reisen in diese Region heutzutage. Meine Bücher waren Ziel der Zensoren in China und meine Einstellung gegenüber der Chinesischen Regierung sind allgemein bekannt. Diese Regierung bestraft bekanntermaßen seit langer Zeit schon Chinesen und Tibeter, von denen sie vermutet, dass sie Peking kritisch gesinnte, westliche Autoren unterstützen. Es gibt zahlreiche Beispiele von Tibetern und Chinesen, die verhaftet wurden nachdem sie mit solchen Autoren geredet hatten. Ich könnte es nicht aushalten, eine solche Verhaftung auf dem Gewissen zu haben, deshalb bin ich heute sehr zurückhaltend diesbezüglich.

Krimi-Couch: In »Der fremde Tibeter« schreiben sie detailliert über die Bedingungen in Lao Gai Arbeitslagern; ebenso regen sie die Phantasie ihrer Leser mit Beschreibungen versteckter Klöster und Schreine an. Woher leitet sich ihr Wissen über solche Orte ab, haben sie solche Orte selber gesehen oder wurde ihnen davon berichtet?

Eliot Pattison: Lao Gai Arbeitslager habe ich aus der Entfernung gesehen – westliche Besucher sind in solchen Lagern nicht erwünscht. Ich habe mit einer Reihe von ehemaligen Lagerinsassen selber geredet und außerdem eine Reihe vorzüglicher Berichte ehemaliger Gefangener gelesen, die von aus China geflohenen Ex-Lao-Gai-Insassen geschrieben wurden. In Bezug auf den zweiten Teil ihrer Frage: in Tibet gibt es eine Jahrhunderte alte Tradition versteckter Schreine. Einige wurden gebaut, um Gottheiten zu beschützen und anschließend versiegelt, andere lediglich geheim gehalten aber zugänglich für eifrige Pilger. Und versteckte Klöster gab es viele in den frühen Jahren der Chinesischen Besatzung, die jedoch erbarmungslos gesucht und anschließend zerstört wurden. Falls es heute noch solche Orte geben sollte, dann wird gewiss niemand davon reden, denn diese Klöster würden postwendend seitens der Regierung das gleiche Schicksal ereilen.

 

Krimi-Couch: Warum ist Shan eigentlich ein Chinese und kein Tibeter?

Eliot Pattison: Mit einem Chinesen in der Rolle des Protagonisten kann ich Tibet dem Leser viel effektiver vermitteln – Shan kennt ein paar Sachen über Tibet, benötigt aber immer noch in vielen Situationen Hilfe und Erklärungen von den Tibetern. Zusammen mit Shan lernt so auch der Leser, ohne dass das dem Fluss der Handlung einen Abbruch tut. Für mich als Erzähler gibt Shan als Hauptcharakter außerdem zahlreiche Gelegenheiten, Elemente Chinesischer Kultur und Philosophie, für die ich großen Respekt hege, mit der Handlung zu verflechten.

Krimi-Couch: In den Romanen beschreiben sie unterschiedliche Arten der Ermittlungsarbeit: Chinesen, die sich eine politisch konforme Theorie zurechtlegen und dann nach passenden Beweisen suchen; Tibetische Mönche, die nach einer reinen Wahrheit suchen, die viele spirituelle Elemente enthält. In »Der verlorene Sohn von Tibet« verkörpert CIA Agent Corbett die Amerikanischen / westlichen Ermittlungsmethoden, die Suche nach Fakten und Beweisen. Wo hat eigentlich Shan diese westliche Art der Recherche gelernt?

Eliot Pattison: Bevor Shan in das Arbeitslager kam, war er ein Chef-Ermittler in einem hohen Staatsministerium in Peking, ähnlich wie Captain Yao in »Der verlorene Sohn von Tibet«. Seine bis dahin erfolgreiche Karriere als Ermittler eröffnete ihm mannigfaltige Möglichkeiten, westliche Ermittlungstechniken kennen zu lernen. In China werden solche Methoden nicht etwa komplett ignoriert; man unterwirft sie lediglich manchmal politischen Absichten.

 

Krimi-Couch: Shan ist Fremder im eigenen Land, bewegt sich zwischen den Kulturen und ist um ihr Verständnis bemüht. Offiziell ist er aus der Gefangenschaft entkommen und muss befürchten, jederzeit verhaftet und zurück ins Lao Gai gebracht werden zu können. Nach »Der verlorene Sohn von Tibet« – wo er dem chinesischen Oberst Tan ein zweites mal hilft – wird sein Status für mein Ermessen ein wenig zweifelhaft. Wann erhält Shan seine offiziellen Entlassungspapiere und wie kann sich dieser Charakter in den nachfolgenden Romanen weiter entwickeln?

Eliot Pattison: Shan ist offiziell nicht existent, hat keine offizielle Meldebescheinigung, keine offiziellen Entlassungspapiere, und es gibt keine Möglichkeit für die Regierung, ihn zu verfolgen oder zu kontrollieren (solange man ihn nicht verhaftet). An seinem gegenwärtigen Lebenspunkt findet er das ganz in Ordnung, besonders wegen seiner Verbindung zu so vielen »illegalen« Tibetern. Seine Beziehung zu Oberst Tan entwickelt sich zu einer widerwilligen, distanzierten Freundschaft. Die beiden Männer haben mehr gemein, als sie gegenseitig zugeben mögen. Diese Beziehung wird Einfluss haben auf Shans weitere Entwicklung, ebenso wie die Beziehung zu seinem Sohn.

Krimi-Couch: Das bedeutet, wir können wohl erwarten Oberst Tan und Shans Sohn Tiger Ko, der nun ein Häftling ist, wieder zu treffen. Ich vermute, das bedeutet dass ihr Held in der Gegend von Lhadrung bleiben wird und nicht mehr so ausgedehnte Reisen durch den Tibet unternimmt wie noch in Das Auge von Tibet und Das tibetische Orakel zusammen mit den Mönchen Lokesh und Gendun. Diese beiden sind Shans Lehrmeister. Inwieweit haben sie ihre eigenen Lehrer inspiriert, als sie diese beiden Charaktere entwickelt haben und falls Shan sich entscheidet, in Lhadrung zu bleiben, werden sich die Wege der drei trennen?

Eliot Pattison: Shan wird nicht unbedingt in Lhadrung bleiben, aber Tan sein eigener Sohn werden fortan wichtige Rollen in seinen Leben spielen, unabhängig wohin er sich bewegt. Tan hat seinen Sohn unter seiner Aufsicht und es wird interessant sein, hier die weiteren Entwicklungen zu beobachten. Viele meiner Leser haben angeregt, dass Shan in den Westen reisen soll oder sogar auswandern nach New York, aber für mich ist Shans asiatische Heimat ein wichtiger Teil seiner selbst und wenn ich ihn nun in den Westen versetzen wollte, würde ich riskieren ihn irgendwo zwischen der zunehmenden Anzahl fiktiver Schnüffler im fremden Land zu verlieren. Besuche im Westen will ich damit aber nicht ausschließen, hat Shan ja auch in Der verlorene Sohn von Tibet gemacht.

Lokesh und Gendun vereinigen in sich Eigenschaften vieler Lehrer, auch einiger die mich lehrten, aber in besonderem Maße stehen sie für die friedliche, selbstlose Weisheit zahlreicher buddhistischer Lehrmeister, die mir entweder persönlich oder durch ihre Schriften begegnet sind. Shan und Lokesh sind eng verbunden und Lokesh wird nicht zu weit von seiner Seite weichen. Gendun hingegen ist eher verwurzelt in seiner Einsiedelei in den Bergen.

 

Krimi-Couch: Immer wieder spielen in ihren Romanen Amerikaner – meist als Angestellte international tätiger Firmen – eine wichtige Nebenrolle. Wie ist, da auch sie für solche Firmen gearbeitet haben, ihre heutige Sicht bezüglich ausländischer Investoren in China und Tibet?

Eliot Pattison: Dadurch dass westliche Firmen auf dem chinesischen Markt expandieren, werfen sie auch ein wichtiges Licht auf die Praktiken der chinesischen Politik. Andererseits spreche ich mich vehement gegen jegliche Projekte der Rohstoffgewinnung im traditionsverwurzelten Tibet aus. Die Tibeter leiden darunter mehr als dass sie Nutzen aus diesen Projekten ziehen könnten.

Krimi-Couch: Abschließend, wie schätzen sie selbst ihr Werk im Vergleich zu anderen amerikanischen Kriminalautoren ein, wo sehen sie die Hauptunterschiede und welche Bücher ihrer Kollegen haben sie mit besonderer Begeisterung gelesen?

Eliot Pattison: Ich wehre mich sehr dagegen, in den sehr schematisch geprägten Schreibstil so vieler amerikanischer Krimiautoren zu verfallen. Buchhändler haben in der Tat oftmals das Problem meine Bücher einer bestimmten Kategorie zuzuordnen. Bei einigen stehe ich unter den allgemeinen Romanen, bei anderen unter Kriminalromanen, unter Spannungsliteratur oder aber sogar bei den »spirituellen Romanen«. Jemand hat meine Bücher auch schon mal »buddhistische Polizeiromane« genannt. Die Bücher anderer Autoren, die mir gefallen, sind meist von großem Umfang, sie eignen sich um den Leser auf gewisse Weise in eine andere Welt zu entführen. Ich bin ein großer Fan von Martin Cruz Smith und ich fühlte mich sehr geschmeichelt, dass meine Romane schon mit Gorki Park verglichen wurden. Ebenso mag ich historische Kriminalromane wie z.B. die Bücher von Ellis Peters, Lindsey Davis und Steven Saylor.

Krimi-Couch: Mr. Pattison, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte und übersetzte ins Deutsche Thomas Kürten.

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