Marcus Starck

»Die Kleinen kriegen es erst in die Hand, wenn sie alt genug sind, um in einer Kneipe einen Schnaps selbst zu bestellen.«

10.2003 Krimi-Debütant Marcus Starck über seinen Erstling »SexDotCom«, die Bedrohungen im Vorfeld und sein Leben in Australien.

Krimi-Couch: Herr Starck, im Vorfeld der Veröfentlichung von »SexDotCom« gab es Attacken auf die Website Ihres Verlages und auch Sie selbst sollen direkt bedroht worden sein. Nun schreibt Ihr Verleger Frank Nowatzki im Vorwort, dass es sich bei SexDotCom lediglich um »Crime Fiction« handele. Viel warme Luft um nichts? Klären Sie uns doch bitte auf: Was an »SexDotCom« ist Fiktion, was beruht auf realen Begebenheiten?

Marcus Starck: Die von Ihnen erwähnten Ähnlichkeiten sind rein zufällig und selbstverständlich ungewollt. »SexDotCom« soll kein Schlüsselroman sein. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass mich meine Erfahrungen beim Schreiben nicht beeinflusst haben. Ich denke, jeder Autor lässt einen Teil von sich in seine Texte einfließen. Stephen King zum Beispiel schreibt in seinem Buch »Das Leben und das Schreiben«, dass er in jedem seiner Bücher in irgendeiner Form wieder zu finden sei. Wer genau hinsieht wird auch mich sicherlich in der einen oder anderen Form in »SexDotCom« finden.

Krimi-Couch: Dafür, dass man genau hinschauen müsste, um Ähnlichkeiten zu finden, fühlten sich aber manche Leute ziemlich auf den Schlips getreten. Oder muss man das Zuschicken von Post mit weißem Pulver als üblen Scherz auffassen, hinter dem nichts besonderes steckt?

Obszöne Anrufe,
weißes Pulver,
wüste Drohungen

Marcus Starck: Um ganz ehrlich zu sein, wir konnten über diese Scherze weniger lachen. Ich habe allerdings bis heute keine Ahnung, wer wirklich dahinter steckt. Erst bekamen wir obszöne Anrufe und wurden aufs Übelste beschimpft. Eine Geheimnummer löste dieses Problem. Dann allerdings kamen Briefe mit weißem Pulver und wüsten Drohungen. Außerdem wurde unser Haus nachts mit faulen Eiern beworfen und mit Graffiti verziert. Nachdem es nicht aufhörte, wollten wir unsere Kinder nicht länger diesem Druck aussetzen und haben ein neues Haus gekauft. Seit wir diese Adresse vertraulich behandeln, ist Ruhe.

Wie gesagt, ich habe nicht die blasseste Ahnung wer hinter der ganzen Chose steht. Ich kann mir jedoch auch Niemanden vorstellen, der soweit gehen würde, um die Veröffentlichung des Buches zu verhindern.

Nachdem man mich nicht mehr gefunden hatte, verlagerten sich die Versuche, das Buch zu stoppen, auf Literaturagentur und Verlag. Auch hier Briefe mit weißem Pulver, E-Mail-Bomben und DoS-Attacken (Denial of Service; so können Websites blockiert werden, Anm. d. Red.). Als das auch nichts half, hat man versucht, das Vorbestellsystem bei Amazon zu manipulieren.

Ich lebe mit meiner Süßen und unseren sechsKurzen jetzt im Paradies, bin jedoch froh, dass keiner weiß wo genau. Keine fünf Minuten zum Strand, der Yachthafen mit all den Cafés und Pubs um die Ecke. Wir sind jeden Tag im Durchschnitt mit acht Stunden Sonnenschein gesegnet, im Sommer um die dreißig Grad im Winter zwanzig. Ich habe den schönsten Beruf der Welt, sehe direkt vor meinem Schreibtischfenster den Indischen Ozean und kann jeden Abend die schönsten Sonnenuntergänge bewundern. Ich sehe, wenn die Fischerboote einlaufen und kann Fisch, Hummer und andere Meeresfrüchte frisch direkt vom Boot kaufen. Keine 50 km im Swan Valley Weinbauern mit den feinsten Tropfen und mein Traum von einer eigenen Weinfarm in Margaret River wird sich auch bald erfüllen.

Krimi-Couch: Ganz offensichtlich erkennen sich dann alte Weggefährten aber dann doch deutlicher wieder als Außenstehende annehmen können, wenn Sie deswegen sogar umziehen mussten? Am brenzligen Thema Wirtschaftskriminalität / Insidergeschäfte in der New Economy kann es doch mittlerweile nicht mehr liegen, da ist ja in jeglicher Hinsicht die Luft heraus und »SexDotCom« im Grunde zwei Jahre zu spät.

Marcus Starck: Im Prinzip kommen drei Gruppen in Frage, wobei ich keiner diese kindischen und zum teil kriminellen Aktionen wirklich zutraue:

  1. die Kleininvestoren, die durch solche Mantelspekulationen um ihr Geld gebracht wurden.
  2. die Fundsmanager, die irgendwelche Enthüllungen befürchteten.
  3. das Unternehmen selbst.

Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, wer wirklich soweit gehen würde etwa einem Literaturagenten in Frankreich oder meinem Verleger in Berlin Briefe mit Mehl zu schicken, denn das Buch ist definitiv kein Schlüsselroman. Insofern spielt das Timing der Veröffentlichung keine große Rolle. Ich wollte nur einen spannenden Thriller schreiben, der in diesem Milieu spielt und die Themen Sex, Börse, Gier, Geld und brutale Bikiemethoden miteinander verbindet. Was die »alten Weggefährten« betrifft, halten die sich derzeit recht bedeckt.

Krimi-Couch: Sie kennen sich im Milieu »Cybersex« als Ex-Manager von AdultShop.com vermutlich bestens aus. Was hat den Ausschlag gegeben, diesem Milieu, von dem Sie selbst aufgrund Ihres Jobs profitiert haben, mit einem Thriller wie »SexDotCom« den Spiegel vorzuhalten?

Marcus Starck: Sie meinen nach dem Motto: Vom Abzocker zum Aufklärer? Wohl eher vom Manager zum Schriftsteller. Immerhin liegen meine Wurzeln im Journalismus. Wenn ich es mir recht überlege bin ich, ohne es wirklich zu merken, die Karriereleiter immer höher gefallen. Na ja, ich habe meine Karriere schon forciert und ich müsste lügen, wenn ich behaupte, dass mir das Ganze trotz harter Arbeit keinen Spaß gemacht hätte. Ich war immer sehr erfolgreich mit dem was ich auf die Beine gestellt habe, aber irgendwann wollte ich einfach mehr Zeit mit meiner Familie verbringen und habe frei nach dem Motto »back to the roots« wieder angefangen zu schreiben.

»die Karriereleiter
immer höher gefallen«

Um Ihre Frage zu beantworten: Ich wollte unbedingt einen Roman schreiben, der in diesem Milieu spielt und musste deshalb Erfahrungen bei einem Unternehmen dieser Branche sammeln. Klingt gut, nicht wahr? Spaß beiseite, ich muss ehrlicherweise gestehen, dass ich sowohl Malcolm Day – er war es, der mich damals eingestellt hat – als auch die ganze Erotikgeschichte am Anfang faszinierend fand. Immerhin sollte das Unternehmen Mainstream, sauber, cheeky, usw. ausgerichtet werden. Allerdings kam ich recht schnell dahinter, was sich in dieser Branche wirklich hinter den Kulissen abspielt und das war alles andere als Mainstream, sauber und cheeky. Außerdem ist das Thema unglaublich spannend und ich musste daher einfach einen Thriller darüber schreiben.

Krimi-Couch: Die Parallelen zu Andreas Berger, dem Protagonisten aus SexDotCom, sind kaum zu übersehen. Auch er will im Grunde kürzer treten, raus aus dem Karrierekarrussel und nimmt sich schließlich doch der Aufgabe DotCom-Unternehmen an, welches er auch ganz sauber ausrichten möchte ...

Marcus Starck: Ist mir gar nicht aufgefallen ...

Krimi-Couch: Gibt es noch mehr Ähnlichkeiten Andreas Berger – Marcus Starck?

Marcus Starck: Ich denke nicht. Er ist ledig und kümmert sich zumindest am Anfang nicht um seine Beziehung. Ich bin verheiratet, habe sechs Kinder und die Familie ist mir heilig. Andreas macht zwar beim Bodypainting eifrig mit, sieht aber in Las Vegas, bei der von Brad organisierten Orgie, bloß zu und ich . …lassen wir das.

Krimi-Couch: Wie kamen nun die Biker ins Spiel? Reine Phantasie des Autors oder gab es auch dafür einen realen Anlass?

Marcus Starck: Hier in Westaustralien gibt es starke Bikieverbände. Die »Gypsy Jokers« und die »Coffin Cheaters«.

Krimi-Couch: …was noch kein Grund ist, Mitglieder solcher Gruppen als Dauersadisten in einem Thriller zu verewigen ...

Marcus Starck: Vor gut drei Jahren haben die Bikies den ehemaligen Comissioner und einen seiner Freunde mit einer Autobombe in die Luft gesprengt, weil es angeblich vorher bei einer Schießerei einen toten Bikie gegeben hatte. Die Bikies haben die Schuld für den toten Bikie-Bruder dem Comissioner gegeben.

Außerdem gab es am Vatertag 1984 in Sydney auf einem Flohmarkt eine brutale Schießerei zwischen zwei rivalisierenden Bikiegruppen den Comancheros und den Bandidos. Die beiden Banden kämpften bis zum bitteren Ende mit Schrotflinten, Macheten, Baseballschlägern und Messern. Als alles vorbei war, waren sieben Menschen tot, darunter die vierzehnjährige Leanne Walters, die nur ein Besucher auf dem Flohmarkt war und mit den Bikies nichts zu tun hatte.

Diese Geschichte um das Milperra Massaker hat mich fasziniert und ich bin bei meinen Recherchen zu »SexDotCom« mit dieser durchaus interessanten Subkultur in Berührung gekommen. Mein Kontakt zu Bikies ist über einen Freund von mir entstanden, der in den Hügeln von Perth lebt. Er ist mit einigen »Coffin Cheaters« befreundet. Er hatte die Jungs sogar zum Babysitten angeheuert. Die Bikies sind eigentlich ganz witzig. Andererseits möchte ich nicht auf deren schwarzer Liste stehen …Ich glaube die halten sich erst gar nicht mit Mehl und faulen Eiern auf.

Krimi-Couch: Wo wir das Thema Gewalt gerade angeschnitten haben – »SexDotCom« spricht da eine deutliche Sprache. Folter-, Sadomaso-, Snuffmovie-Szenen sind recht deutlich beschrieben. Dazu lesen wir noch ziemlich detailliert, was zwei Journalisten bei Ihrer Recherche auf einer Teensex-Seite im Netz zu sehen bekommen. Würden Sie als Familienvater Ihren Kindern »SexDotCom« als Lektüre nahelegen?

Marcus Starck: Meine 20-Jährige war eine »Probeleserin«, meinem 17-Jährigen hat es auch ganz gut gefallen. Die Kleinen kriegen es selbstverständlich erst in die Hand, wenn sie alt genug sind, um in einer Kneipe einen Schnaps selbst zu bestellen. Daddy hat nämlich einen Börsenthriller mit Bikiehintergrund geschrieben und kein Kinderbuch.

Thema zu heiß,
Buch zu brutal,
passt nicht ins Programm

Krimi-Couch: Nicht nur durch die Thematik, sondern auch durch den Stil hebt sich SexDotCom vom Mainstream-Bereich der Krimierscheinungen dieses Jahres deutlich ab. Wie schwierig war es, trotz des an sich lukrativen Themas Sex & Crime mit dieser Kaltblütigkeit, Brutalität und dem nicht sonderlich aufgeklärten Frauenbild in »SexDotCom« einen Verlag zu finden?

Marcus Starck: Die Verlagssuche hat sich für mich wegen der räumlichen Distanz am Anfang als etwas kompliziert erwiesen. Ich habe daher einen Literaturagenten beauftragt das Manuskript zu vermitteln. Er hat es allen in Frage kommenden Verlagen angeboten, aber nur Absagen kassiert. Das Thema sei zu heiß, das Buch stellenweise zu brutal und passe nicht so ganz ins Programm.

Ein Freund hat mir dann eine deutsche Ausgabe von Garry Dishers Gier geschickt. Das war irgendwie wie Eulen nach Athen zu tragen. Einen ins Deutsche übersetzten Australier nach Australien schicken. Im selben Verlag kam Buddy Giovinazzos Poesie der Hölle heraus. Als ich die beiden Bücher gelesen hatte, wollte ich unbedingt beim Pulp Master im Maas Verlag verlegt werden. Ich habe dann den Verlag angerufen. War ein lustiges Gespräch. Dann schickte ich das Manuskript. Danach ging alles ganz schnell. Das Ergebnis liegt jetzt bei Ihnen auf dem Tisch.

Krimi-Couch: Rein formell erfüllen Sie alle Kriterien für den »Glauser«, die vielleicht bedeutendste Auszeichnung für einen deutschsprachigen Krimi. Verfolgen Sie die »Szene« hierzulande? Welche Ambitionen hegt der Krimi-Autor Marcus Starck?

Marcus Starck: Ich bin Mitglied im »Syndikat« und verfolge über die Mailingliste des Verbands, soweit das überhaupt möglich ist, das Geschehen in Deutschland am Rande mit. Ich bin ganz Schriftsteller und bleibe vorerst dabei. Das Schreiben macht einfach zu viel Spaß. Mein Verleger Frank Nowatzki und meine Lektorin Angelika Müller sind einfach genial und wirklich eine große Hilfe.

Derzeit arbeite ich an einem Buch mit dem Arbeitstitel »419«. Vielleicht sind Ihnen die Betrügereien der nigerianischen Mafia ein Begriff. Meist werden hier Provisionen in zweistelliger Millionenhöhe versprochen, wenn man dabei behilflich ist, illegale Gelder aus Nigeria zu transferieren. Der Geschädigte wird nach und nach mit getürkten Gebühren und angeblichen Bestechungsgeldern abgezockt bis er aufgibt.

Das Buch handelt von einem nicht ganz sauberen deutschen Geschäftsmann, der in die Mühlen der nigerianischen Mafia gerät. Mehr wird hier allerdings noch nicht verraten. In jedem Fall ist »419« ein weiterer Titel für den Pulp Master!

Krimi-Couch: Dafür wünschen wir Ihnen natürlich wie für »SexDotCom« viel Erfolg. Herr Starck, herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Lars Schafft im Oktober 2003.

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

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