Nury Vittachi
»In Deutschland würden Sie nie ein noch schlagendes Froschherz essen«
04.2007 Aber in Asien. Davon und wie Fengshui die Welt verändern wird, erzählte der in Hong Kong lebende Autor und Journalist Nury Vittachi im Gespräch mit Thomas Kürten und Lars Schafft. Und: Er ist fest davon überzeugt, dass eine Milliarde Menschen dauerhaft schlechten Sex hat.
Krimi-Couch: Mr. Vittachi, wie gefällt Ihnen Deutschland?
Nury Vittachi: Oh, ich war hier schon mehrere Male, auch als Kind schon. Ich kam hierhin aus spirituellen Gründen. Meine Eltern haben mich zu einer spirituellen Gruppe mitgenommen, die sich in einem alten Haus in der Nähe von Wolfsburg getroffen hat. Nachdem ich Thomas (Wörtche, Herausgeber der metro-Reihe; Anm. d. Red.), bin ich natürlich noch oftmals hierher gekommen, um meine Bücher zu vermarkten. Deutschland ist ein wirklich cooler Ort, nicht wahr?
Krimi-Couch: Sprechen Sie auch ein wenig Deutsch?
Nury Vittachi: Nein, leider nicht ein Wort. Ich lerne Chinesisch und das verlangt meinem Hirn schon dermaßen viel ab, dass andere Sprachen da keinen Platz mehr haben. Zuerst lernt man, Chinesisch zu hören, danach zu sprechen. Und erst dann zu schreiben. Drei verschiedene Stufen und für jede braucht man ungefähr zehn Jahre. Mittlerweile sind die Chinesen vorsichtig bei mir und tuscheln »Oh, der da kann uns verstehen«. Sprechen ist sehr gefährlich: Ein falsches Wort kann schon einen großen Streit auslösen.
Krimi-Couch: War es schwierig, mit dem Unionsverlag einen deutschsprachigen Verlag zu finden?
Nury Vittachi: Nein, ich bin sehr glücklich mit ihm [lacht]. Ich hatte das Glück, schon zuvor im Ausland verlegt zu werden. Als ich meinen ersten Bestseller in Hong Kong landete, war das eine ziemliche Überraschung für mich und ich dachte »Hey, ich bin die Nummer Eins – wieso bin ich nicht reich?«. Und dann wurde mir klar: Du schreibst deine Geschichte einmal und verkaufst sie dann in jedes erdenkliche Land. Du schreibst also einmal und wirst dafür zehn mal bezahlt.
Krimi-Couch: In welcher Sprache schreiben Sie Ihre Bücher?
Nury Vittachi: In Englisch, in einem vereinfachten für C.F. Wong. Das wird überall in Asien gesprochen. Sehr nützlich, sehr schnell zu lernen und praktisch. Meine andere Figur, Jo McQuinnie, spricht die Sprache der Teenager. Und die scheint auf der ganzen Welt die selbe zu sein. In manchen Ausgaben meiner Romane denken die Leser, das Mädchen ist englisch, in den amerikanischen denken sie, das Mädchen ist amerikanisch, in den australischen – da haben sie noch ein paar Wörter hinzugefügt, denken sie, Jo wäre in Sydney geboren. Es scheint so, als ob Teenager alle eine gemeinsame Sprache sprechen.
Krimi-Couch: Wie haben Sie in diese Teenager-Sprache hineingefunden?
Nury Vittachi: Meine Frau ist glücklicherweise Lehrerin und ich gehe gerne in die Schulen. Ich war in ungefähr fünfzig oder sechzig Schulen, um den Kindern Geschichtenerzählen beizubringen. Ich verbringe viel Zeit mit Kindern. In Asien sind auch über 20 Bücher für Kinder und Jugendliche auf dem Markt, die ich unter dem Pseudonym »Mr. Jam« geschrieben habe. Sam Jam. Das bedeutet »die dritte Bushaltestelle«. Eigentlich ein sehr gutes Pseudonym, da ich eins brauchte, was in jeder Sprache aussprechbar ist.
Krimi-Couch: Was haben Sie zuerst geschrieben? Kinderbücher oder die Detektivromane?
Nury Vittachi: Eigentlich sind auch die Detektivromane für Kinder, eine der Hauptfiguren ist schließlich ein Teenager. Und es ist nicht allzu viel Sex darin [lacht]. So werden die Romane auch von Lehrern in den Schulen vorgestellt. In England haben sie in meinem neuen Roman aber einen Mord herausgestrichen. Comedy und Crime sollten nicht zu sehr vermischt werden, meinten sie. Viele der Leser dort seien weiblich und mein Buch hätte zudem zu viel Grausamkeiten gegenüber Tieren enthalten. Es gibt da eine Szene, wo noch schlagende Froschherzen serviert werden. Ein englischer Verleger hat mich daraufhin angerufen und gesagt, dass ich diese Mahlzeit herausstreichen müsse. Zu abscheulich wäre das.
Krimi-Couch: Was sagen Sie dazu, wenn ausländische Verleger an Ihren Werken herumdoktern?
Nury Vittachi: Das ist in Ordnung. Ich respektiere deren Meinung, da es wirklich überraschend ist, wie Dinge in verschiedenen Kulturen unterschiedlich interpretiert werden können. Man kann da enorme Fehler begehen, weswegen ich denen gerne vertraue.
Krimi-Couch: Gibt es für Jo McQuinnie ein reales Vorbild?
Nury Vittachi: Ja, in der Tat. Ich habe viel Zeit mit den Schülern meiner Frau verbracht, sie interviewt, um ihre Einstellungen zu verstehen. Es war ziemlich schwierig, sich mit den Kindern zu unterhalten. Hier ist das wahrscheinlich auch nicht einfach, als erwachsener Mann zu verstehen, wie achtzehn, neunzehn Jahre alte Mädchen ticken. Die springen so schnell von einer Sache zur anderen, von Rockstars zu bekannten Sängern und direkt zu Klamotten, wollen die Welt retten, Tiere schützen, Vegetarier sein usw. Es ist echt hart, mit ihnen ein Gespräch zu führen.
Krimi-Couch: Und für den Fengshui-Detektiv?
Nury Vittachi: In Asien wurde ein Comic über ihn gemacht. Der Fengshui-Detektiv war darin ein fetter Mann mit westlicher Kleidung. Ich sagte: »Oh nein. Er muss klein und dünn sein, keine Haare haben und asiatische Kleidung tragen«. Und dabei ist mir eingefallen: Ich habe mich damit soeben selbst beschrieben. Da ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass meine Geschichten von mir selbst und meinem Versuch, mit den westlichen Kulturen in Dialog zu treten, handeln. Darum geht’s in meinen Geschichten. Das ist meine Lebensaufgabe, die verschiedenen Kulturen zusammen zu führen.
Nury Vittachi weicht nun etwas vom Thema ab, aber die folgende Anekdote wollen wir Ihnen wirklich nicht vorenthalten.
Nury Vittachi: Auf meiner Hochzeitsreise nach Indien wollte ich zwei Flaschen Alkohol mit durch den Zoll nehmen. Eine für mich, eine für meine Frau. »Die da vorne«, sagte ich dem Zollbeamten – »Die weiße Frau? Nein, nein. Mit der sind Sie nicht verheiratet.« – »Doch, ich kann mich daran erinnern. Ich habe sie erst letzte Woche geheiratet.« Er glaubte mir einfach nicht. Erst als ich meine Heiratsurkunde herausholte, ließ er uns durch. Wir haben später drei chinesische Kinder adoptiert und ich warte auf den Tag, mit meiner Familie wieder nach Indien zu fahren und den gleichen Zollbeamten zu treffen wie er sagt: »Ah ja. Sie sind mit ihr verheiratet und ich nehme an, dass sind Ihre Kinder?« Wird nicht einfach, das zu erklären …
Krimi-Couch: Wenn man sich ihren Lebenslauf anschaut, müssen Sie von sehr vielen Kulturen beeinflusst sein. Wie diese miteinander funktionieren können, ist auch ein Kernpunkt ihrer Bücher, oder?
Nury Vittachi: In Deutschland würden Sie nie ein noch schlagendes Froschherz essen. In Asien geht das. Nur wenn Ost und West miteinander arbeiten, finden wir eine Lösung und die Verbrechen werden gelöst. Eine eigentlich simple Botschaft. Wir müssen einander nicht in allen Belangen verstehen, aber wir müssen miteinander klar kommen.
Krimi-Couch: Wo fühlen Sie sich eigentlich zuhause?
Nury Vittachi: Das ist eine gute Frage. Wo? Ich habe schon als kleines Kind Sri Lanka verlassen müssen und bin seitdem durch die ganze Welt gereist. Als ich nach England kam, war ich das einzige braune Gesicht. Als ich nach China kam das gleiche. Es ist mein Schicksal, Weltbürger zu sein, der einen besonderen Job zu erledigen hat.
Krimi-Couch: Zurück zu ihren Büchern: Sie schreiben Kurzgeschichten und Romane. Was liegt Ihnen eher?
Nury Vittachi: Ich schreibe sogar noch kürzere Geschichten, eine Seite lang. Davon ist ein Band in Peking erschienen. Ich versuche meine Geschichten so kurz wie möglich zu halten. Meinen Schülern gebe ich die Aufgabe, eine Geschichte mit maximal hundert Wörtern Länge zu schreiben. Das ist eine gute Übung. Einen Krimi mit nur hundert Wörtern hinzubekommen ist ein ziemlicher Spaß.
Krimi-Couch: Die Fengshui-Detektiv-Geschichten erinnern da ein wenig an Sherlock Holmes. Steckt da Absicht dahinter?
Nury Vittachi: Ja, genau. Meine erste heißt »Scarlet in a Study«, ein kleiner Wink an alle Sherlock-Holmes-Fans. In den aktuellen Kriminalromanen ist zuviel Verbrechen drin, sie bestehen nur noch aus Gewalt. Das ist langweilig! Es geht nicht mehr um Menschen, es geht um DNA. Ich finde die Beziehungen zwischen den Menschen, ihre Harmonie, viel interessanter.
Krimi-Couch: Besteht nicht die Gefahr, dass Leser ihre Krimis dann etwas altmodisch finden?
Nury Vittachi: Jeder jemals geschriebener Krimi hat den gleichen Plot, es gibt nur einen: In eine friedliche Welt bricht das Chaos ein und der Held treibt es wieder heraus. Das ist er, immer der gleiche. Das einzige, was sich ändert ist, wie er das Chaos beseitigt. Bei Patricia Cornwell geschieht das wissenschaftlich, mit DNA-Analysen. Bei mir ist es das Wissen des Fengshui-Detektivs über Harmonie und wie Menschen miteinander klar kommen.
Die Welt ändert sich, wird sich vielleicht mehr Richtung Fengshui entwickeln. Die Menschen fühlen wieder mehr. Die Welt wird durch die immer wichtiger werdenden Frauen ein sanfterer, spiritueller Ort werden. Die George-Bush-Ära, aggressive männliche Staatsoberhäupter – das stirbt aus. Es gibt immer mehr weibliche Regierungschefs, wie hier in Deutschland. Und auch Amerika wird bald eines haben. Das ist ein großer Umbruch, der sich gerade abspielt. Und Fengshui wird ein Teil davon sein.
Ich versuche auf jeden Fall, asiatische Kriminalromane zu schreiben. Es reicht dabei nicht aus, nur Namen und Orte zu vertauschen. Auch das Ende muss ein anderes sein. Eines meiner vielen Bücher, die ich noch schreiben möchte, handelt von einem Mörder, auf den der Leser nie kommen wird. Weil er aus einem anderen Buch stammt. Das wird den Leser richtig herausfordern.
Krimi-Couch: Ihre Romane hatten bisher immer unterschiedliche Schauplätze. Können Sie sich den Fengshui-Detektiv in Europa vorstellen?
Nury Vittachi: Ich beende gerade den Nachfolger von Shanghai-Dinner, ich habe ihn oben in meinem Zimmer, muss nur noch das letzte Kapitel schreiben. Darin wird sein schlimmster Alptraum wahr: Er muss nach Europa fliegen. Er hasst die westlichen Menschen. Das einzige, was er über den Westen weiß, hat er aus Kino-Filmen. Er denkt, dass im Westen Polizeiautos Unfälle bauen, brennen – jeder Film hat diese Szenen. Er denkt, dass im Westen auf jedem Zug zwei kämpfende Menschen stehen – jeder Film hat diese Szenen. Er denkt, dass alle Frauen sehr groß und sehr schön sind, enge Kleidung tragen und mit einem Arm schießen – jeder Film hat diese Szenen. Er kennt die westliche Welt nur aus dem Fernsehen.
Und das ist auch ein bisschen meine persönliche Erfahrung. Auch ich kannte Europa nur aus dem Film. Ich habe überall, überall, jeden Tag, Verbrechen erwartet. Als ich durch die Straßen Londons gelangen bin, habe ich wirklich erwartet, dass die Autos durch die Geschäftsschaufenster krachen. Diese Meinung müssen sehr, sehr viele Asiaten haben, wenn sie hierher kommen – »Wo sind die Pistolen?«
Davon handelt mein neuer Roman und ich denke, es gibt kaum Bücher, die das Verhältnis von Asiaten zu Europäern genau schildern. Asiaten kennen europäische Frauen nur als äußerst willige – aus den Filmen halt. Das macht es für Europäerinnen nicht gerade einfach, wenn sie nach Asien kommen …
Auch dass Autos immer mit quitschenden Reifen losfahren. Das geht auf Asphalt, aber auf Sand oder Felsen? Das ist unmöglich, oder?
Krimi-Couch: In Shanghai-Dinner gibt es mehrere solcher Szenen, sehr actionreich. Haben Sie es auf eine Verfilmung angelegt?
Nury Vittachi: Nein, nicht wirklich. Aber insbesondere der zweite Teil des Buches spielt in einer sehr kurzen Zeitspanne. Ich bin durch Shanghai mit einer Stoppuhr gelaufen, gerannt. Die Leute müssen mich für verrückt gehalten haben, wenn ich auf meine Stoppuhr drückte und »Renn los!« rief. Als Ausländer wird man in Shanghai ganz anders betrachtet, insbesondere wenn man verrückte Dinge wie diese macht. Die Polizei kommt dann sehr schnell und beobachtet einen …
Krimi-Couch: Mr. Vittachi, eine letzte Frage: Spielt Fengshui in ihrem Alltag eine Rolle?
Nury Vittachi: Ja, ganz sicher. Jede Kultur hat eine Art von Fengshui, auch Deutschland. Nur unter anderem Namen. Jing-Jang, Yoga, das steht alles in Verbindung zu Fengshui und kommt überall mehr und mehr in Mode. Ich möchte, dass meine Bücher eine Art Bedienungsanleitung sind und dass die Leser nach der Lektüre zwei, drei Sachen in ihrer Wohnung oder in ihrem Büro ändern.
Das ist ganz witzig: Auf diesen ganzen Literatur-Festivals stellt man mir praktisch keine Frage nach meinen Büchern sondern nur nach Fengshui. Wie man sein Bett hinstellen sollen etc. Im chinesischen Fengshui schläft man mit dem Kopf in Richtung Norden, um guten Sex zu haben. Im indischen Fengshui macht man das nie. Die Füße müssen da nach Norden. Das bedeutet: Eine Milliarde Menschen hat schlechten Sex! Ich habe mir die Geburtsstatistiken der beiden Länder angeschaut und Indien ist weit vorne. Die Chinesen müssen also den schlechten Sex haben.
Das Interview führten Thomas Kürten und Lars Schafft im April 2007.
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