»Heimatromane – auf meine Art«
02.2004 Die deutsche Autorin Monika Geier über den Ärger, in die Regionalkrimikiste gesteckt zu werden, die Bedeutung der Küche des örtlichen Italieners und ihren neuen Roman »Stein sei ewig«.
Krimi-Couch: Frau Geier, müssen Sie sich auch – so wie eine Randfigur Ihres brandneuen Romans »Stein sei ewig« – an der Heizung festketten lassen, damit Sie wirklich arbeiten und Ihre Bücher rechtzeitig fertig werden?
Monika Geier: Ja. Ich arbeite in einem Atelier, das ungefähr so aussieht wie das, das ich im Buch beschreibe, und meine Kollegen (fast alle bildende Künstler) ketten mich täglich morgens an der Heizung fest und machen mich nachmittags wieder ab. Oder auch nicht, dann muss ich übers Handy meinen Mann zu Hilfe rufen. Das ist aber sehr aufwändig und peinlich, deswegen versuche ich mich mit allen Kollegen gut zu halten …
Ganz viel in dem Buch ist authentisch. Deswegen hat es auch soviel Spaß gemacht, das zu schreiben. Oder sagen wir mal, deswegen war es so interessant. Weil sich das Regionale nicht an den Straßennamen festmacht, sondern an den Leuten. Da gehts dann nämlich erst ans Eingemachte, da gibts dann auch Reaktionen, die über oh, toll, schau mal, da ist der Humbergturm beschrieben! hinausgehen.
»Es hat mich immer geärgert,
dass meine Bücher in diese
Regionalkrimikiste
gesteckt worden sind.«
Wobei ich diesen voyeuristischen Blick eigentlich gar nicht so mag, es ist mir nur so geraten, weil es mich immer geärgert hat, dass meine Bücher in diese Regionalkrimikiste gesteckt worden sind. Ich schreibe eingentlich keine Regionalkrimis, meine Bücher spielen nur in der Pfalz, weil ich zufällig hier wohne und weil das Leben, das sich direkt vor der Nase abspielt, das interessanteste ist. Aber da es nun immer und immer wieder geheißen hat: Heimatroman! habe ich halt einen geschreiben, einen Heimatroman. Auf meine Art.
Krimi-Couch: Mit der »Regionalkrimikiste« muß wohl fast jeder deutsche Autor leben. Für den Leser ist aber auch der Unterschied zu den beiden vorangegangenen Büchern spürbar, die eher ein Pfälzer Flair versprühten. Haben Sie bewusst versucht, aus diesem Image rauszukommen, indem Sie diesmal über eine Künstlergruppe geschrieben haben, die genauso gut irgendwo anders angesiedelt sein könnte?
Monika Geier: Eigentlich dachte ich, es wäre umgekehrt und ich hätte jetzt gerade das Regionale betont – finde ich aber echt gut, dass Sie es so sehen. Das bedeutet nämlich, dass ich es geschafft hab, die Anspielungen, von denen es einige gibt, so zu verstecken, dass ein Außenstehender nicht ständig denkt: hä?
Tatsächlich mag ich es gar nicht, wenn einer über meine Bücher sagt, es wären Regionalkrimis. Das ist ein ganz komisches Phänomen, wie ich finde, so: der Psychopath in der realen Nachbarschaft. Die gibts in der Wirklichkeit natürlich, und das ist auch gruselig.
Wenn's einer schafft, das darzustellen, ist das echt toll, aber das Problem, wenn man Namen nennt, ist, dass man nicht so bissig und biestig sein kann, wie es vielleicht angebracht wäre. Man kann zum Beispiel, wenn man seinen Stammitaliener im Buch auftauchen lässt, nicht schreiben, dass man bei dem nie in die Küche gucken würde und dass es schon lebende Schnecken am Salat gegeben hat und man trotzdem gerne hingeht – das fände der Wirt sicher trotz des Lobs nicht lustig, und man würde womöglich die freien Essen einbüßen (manchmal spürt man es direkt: hier sind wir Zeuge einer funktionierenden Geschäftsbeziehung geworden).
Man muss in kleinen Dingen harmlos bleiben, und in den großen dann eben auch. Wenn sich der Leser ausrechnen kann, wo der Mörder wohnt, muss eben der Mörder selbst unwirklich sein. Daher die vielen Serienmörder, Kranken und Psychopathen in den Regionalkrimis. Ein Verbrechen als etwas, das sich aus der Gesellschaft heraus entwickelt, etwas, das ein nicht pathologisierter Nachbar begeht, einer wie du und ich, der die gleichen Ziele hat und nur einen anderen Weg wählte, sowas kommt im Regionalkrimi so gut wie nie vor. Dabei ist das das eigentlich Interessante.
Dafür finden es viele Leute aus mir überhaupt nicht ersichtlichen Gründen wahnsinnig lustig, wenn bekannte Orte auftauchen. Das hab ich mal im Theater beobachtet: Ein Boulevardstück, ganz komisch, aber die von den Schauspielern erarbeiteten Pointen waren längst nicht solche Kracher wie die beiläufig hingeworfenen: »Und da saß er dann im Cafe Central am Stiftsplatz und ich ...« Das waren richtige Brüller. Dieses Phänomen möchte ich nicht bedienen.
Krimi-Couch: Sie aind also weiterhin – wie Ihrer Biografie zu entmehmen ist – hauptberuflich Diplom-Ingenieurin für Architektur und freie Künstlerin. Träumen Sie davon, einmal von der Schriftstellerei leben zu können?
Monika Geier: Ich lebe von der Schriftstellerei.
Krimi-Couch: Gratuliere. Das behaupten nur wenige deutsche Autoren nach ihren ersten Krimis.
Monika Geier: Naja, es bleibt mir nix anderes übrig, da ich ja auch noch ein Kind habe. Mehr Zeit hab ich einfach nicht. Und einen Beruf mit festen Bürozeiten könnte ich organisatorisch gar nicht bewältigen.
Krimi-Couch: Wie kamen Sie überhaupt zum Schreiben? Und wieso Krimi?
Monika Geier: Wie kam der Metzger zum Schlachten? – Ich schreibe schon immer und ich kann sonst nichts. (Außer Wandern.)
Krimi-Couch: Wie lief das mit der Verlagssuche und dem Überarbeiten der ersten Versionen?
Monika Geier: Argument war der erste Verlag, den ich angeschrieben hatte. Und ich habe eine wunderbare Lektorin, Ulrike Wand, die mit mir zusammen die erste Version überarbeitet hat, das war sehr nett. Wir hatten viel Zeit, haben viel herumprobiert, aber auch sehr konzentriert gearbeitet. Trotzdem habe ich vorher in meinem ganzen Leben noch nie so viel getrunken.
Krimi-Couch: Viele Autoren behaupten, dass der zweite Krimi der schlechteste war und erst der dritte wieder an die Qualität des ersten anknüpfen konnte (u.a. wegen Zeitdruck beim zweiten). Die krimi-couch hat Ihre drei Krimis auch in dieser Reihenfolge beurteilt. Wie sehen Sie das selbst?
Monika Geier: Ich mag meinen zweiten Krimi sehr gern, der ist mein persönlicher Liebling. Den zu schreiben hat am meisten Spaß gemacht. Ich habe »Neapel sehen« erlebt wie ein langes Queen-Konzert in einem heißen Sommer. Es ist ein geiles Buch. Es ist gewachsen und nicht geplant. Lesen Sie es nochmal. Sie werden es auch sehen.
Krimi-Couch: Wie ist es, in einem kleinen Verlag wie Argument/ariadne zu erscheinen? Kein Neid auf Berndorf (Grafit) oder Hammesfahr (Rowohlt)?
»Neid auf Berndorf oder Hammesfahr
verspüre ich nicht im Geringsten.«
Monika Geier: Ich bin gern bei Argument. Das sind ganz tolle Frauen, und ich bin stolz, dass sie meine Bücher verlegen. Es hat auch viele Vorteile, bei einem kleinen Verlag zu sein, und in jedem Fall ist es netter, wenn man es mit Menschen zu tun hat, die mit Idealismus und persönlichem Engagement arbeiten. Mit denen man sich im Notfall auch mal richtig prügeln kann. Das ist ein Stück Lebensqualität, das nicht zu unterschätzen ist, so wie gute Nachbarn oder eine wohlproportionierte Wohnung. Neid auf Berndorf oder Hammesfahr verspüre ich nicht im Geringsten.
Krimi-Couch: Laufen schon Planungen über weitere Romane?
Monika Geier: Klar, aber wie der nächste aussieht, weiß ich noch nicht, das beginnt sich erst zu entwickeln.
Krimi-Couch: Steckt im Kopf der Autorin bereits ein Konzept, wie das Leben von Bettina Boll weiter verläuft?
Monika Geier: Sie wird ihre Kinder behalten, ihren Beruf auch, und auch in Zukunft ein kompliziertes Liebesleben haben.
Krimi-Couch: Wird man von Ihnen auch einmal etwas anderes lesen als Kriminalromane?
Monika Geier: Da bin ich ganz offen. Ich mache, was kommt. Aber Krimis werde ich immer lieben, denn ich mag Rätsel.
Krimi-Couch: Und welche Bücher liest eine Kriminalautorin selber? Welche Autoren bevorzugt sie?
Monika Geier: Ich lese natürlich selber auch Krimis, im Moment gerade Die Fakultät von Pablo De Santis. Dann mag ich Theaterstücke, nicht haufenweise, mehr so welche, die ich immer und immer wieder lese, ganz klassische: den Faust, den Sommernachtstraum. In Bezug auf Klassiker muss ich zugeben, dass ich auch die Schauerromane aus dem neunzehnten Jahrhundert mag, »Das Phantom der Oper«, »Der Glöckner von Notre Dame«, »Die Sturmhöhe«, etc. Das sind ja im Prinzip auch Wegbereiter (und großartige!) des heutigen Krimis.
Gerade mal letztens habe ich »Die Burg von Otranto« gelesen, von Walpole, aber das ist, glaube ich, nur was für Literaturhistoriker, die einen Aufsatz über unverständlichen Kitsch verfassen müssen.
»Ich lese fast
ununterbrochen
Giftlisten«
Was ich fast ununterbrochen lese, mehr als so eine Art Mantra, sind Giftlisten, speziell Pflanzengifte. Außerdem habe ich auch immer neben dem Roman noch ein populärwissenschaftliches Buch, im Moment gerade »Fermats letzter Satz« von Simon Singh.
Als »Serien« stehen bei mir die Krimis von Martha Grimes und Elizabeth George und vor allem Minette Walters, außerdem Henning Mankell und Andrea Camilleri. Bei den Krimiklassikern entdecke ich gerade Chandler neu, den fand ich früher sterbenslangweilig, weil die Helden so pathetisch sind, noch dazu mit einem Hang ins Sentimentale. Inzwischen bin ich aber so weit, dass ich einen saftigen Machismo richtig genießen kann, stellenweise finde ich das jetzt wirklich komisch, und natürlich ist Chandlers Stil atemberaubend. Aber die Allerbeste ist und bleibt für mich Agatha Christie, die war ganz einfach ein Krimigenie.
Wenn ich einen zeitgenössischen Krimi empfehlen sollte, würde ich sagen: lesen Sie auf jeden Fall die Eva-Wylie-Serie von Liza Cody, die ist spitze. Eine bullige Catcherin schlägt sich durch die Londoner Halbwelt, nicht für die Gerechtigkeit, sondern für Bier und Hundefutter und ihre Schwester, die sie nach Strich und Faden ausnützt. Die Heldin ist herrlich. Man sieht immer das Ungemach auf sie zukommen, man denkt, och nein, jetzt knack doch nicht ausgerechnet dieses Auto, in dem mit Sicherheit das Drogengeld/die Leiche versteckt ist, und zack, macht sie es, und dann kommt es, wie es kommen muss. Die arme Eva kriegt ziemlich oft eins aufs Dach, aber sie kann auch austeilen und hat ihre lichten Momente, und ab und zu schnappt sie sich schon ein Stück Glück. Das ganze Konzept ist großartig und mutig und einfach gut.
Krimi-Couch: Vielen Dank für das aufschlußreiche Interview.
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