Andreas Pflüger
Autor Andreas Pflüger ist ein wahres Multitalent. Zu seinen Werken zählen Theaterstücke, Hörspiele und auch Dokumentarfilme. Mittlerweile konzentriert sich der Wahl-Berliner aber auf seine Romane, für die er unter anderem mit dem Deutschen Krimipreis 2018 ausgezeichnet wurde. Nach dem Spionagethriller „Operation Rubikon“, seiner preisgekrönten Bestseller-Trilogie um die blinde Elitepolizistin Jenny Aaron und dem (Nach-)Kriegsroman „Ritchie Girl“ legt Andreas Pflüger nun seinen sechsten Roman „Wie Sterben geht“ vor. Krimi-Couch-Redakteur Thomas Gisbertz sprach mit dem Autor über dessen Arbeit, die Aktualität seines Romans und Pflügers einzigartigen Schreibstil.
"Ich sah die Möglichkeit, literarisch die Fundamente von Putins Regime freizulegen, denn die sind aus der Sowjetzeit."
Krimi-Couch:
Herr Pflüger, als Sie im Februar 2022 mitten in den Recherchearbeiten zu Ihrem aktuellen Roman zu Zeiten des Kalten Krieges steckten, überfiel Russland die Ukraine. Auf einmal war das Thema Ihres Buches wieder hochaktuell. Was war Ihr erster Gedanke?
Andreas Pflüger:
Schock. Aber nicht wegen des Romans, an den habe ich zuerst gar nicht gedacht. Ich habe mit den Menschen in der Ukraine mitgefühlt, das hat tagelang mein Denken bestimmt. Erst danach wurde mir bewusst, wie erschreckend aktuell mein Buch werden würde. Anfangs habe ich damit gehadert und ernsthaft erwogen, die Arbeit daran abzubrechen, weil ich mir die Frage gestellt habe, ob ein Thriller das aushalten kann. Aber nach einiger Zeit wurde ich ganz ruhig und entschlossen. Ich sah die Möglichkeit, literarisch die Fundamente von Putins Regime freizulegen, denn die sind aus der Sowjetzeit.
Krimi-Couch:
Hat der russische Angriffskrieg Ihr Schreiben in irgendeiner Form beeinflusst?
Andreas Pflüger:
Definitiv. Ich habe in den Moskau-Kapiteln gezielt Orte erzählt, an denen die so glühend beschworene russisch-ukrainische Freundschaft gefeiert wird. Etwa das Hotel Ukraina, den ukrainischen Ausstellungspavillon auf dem WDNCh-Gelände oder auch die Metrostation Kiewskaja. Ich wollte damit die Verlogenheit der putin’schen Propaganda deutlich machen. Auch die sowjetischen Desinformationskampagnen des KGB haben einen breiteren Raum bekommen, als das ohne den Ukraine-Krieg der Fall gewesen wäre. Die russischen Troll-Fabriken von heute haben ihr dreckiges Handwerk von ihren Vorgängern in der Lubjanka, den Meistern des Kalten Kriegs, gelernt.
Krimi-Couch:
„Wie Sterben geht“ ist ein intensiver, zeitgeschichtlich präziser Agententhriller, der den Leser mitnimmt in die frühen 1980er-Jahre, als sich der Konflikt zwischen West und Ost immer stärker zuspitzte. Wie bereitet man sich auf einen derart komplexen Roman vor?
Andreas Pflüger:
Wie immer: unendlich viel lesen, Dokumentarfilme schauen, Recherchekontakte spielen lassen. Es war mir zum Beispiel gelungen, einen ehemaligen Stasi-Mann ausfindig zu machen, der zu der Zeit, in der mein Roman spielt, für die HVA in Moskau stationiert war. Auch die Begegnung mit Eberhard Fätkenheuer, der als US-Agent 1986 auf der Glienicker Brücke ausgetauscht worden war, brachte mich weiter. Außerdem durfte ich das BND-Gelände in Pullach besuchen, als erster Schriftsteller überhaupt, das war ein Segen. Ansonsten gehört Phantasie zur Arbeitsplatzbeschreibung eines Autors. Hilfreich war auf jeden Fall, dass ich 1993 drei Wochen in Omsk war, auf Einladung des dortigen Theaters. Da habe ich die russische Seele kennengelernt. Und bei Minus 55 Grad bitter gefroren.
Krimi-Couch:
Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität scheinen von Seite zu Seite mehr zu verwischen. Wie verhindern Sie, dass der Roman inhaltlich überfrachtet erscheint und dadurch der Fokus zu wenig auf der Handlung und den Figuren liegt?
Andreas Pflüger:
Ich weiß von vorneherein, dass nur ein Bruchteil der Recherche es in den Roman schafft, und das ist gut, denn nichts wäre schlimmer, als die Leser so mit Informationen vollzustopfen, dass sie in die innere Emigration gehen. Das ist Handwerk. Ich spüre einfach, wann es genug ist, dosiere das sehr fein und achte darauf, dass Wissen ganz elegant in den Text einfließt, oft, ohne dass der Leser es überhaupt bemerkt. Ich war viele Jahre lang Drehbuchautor, ehe ich mich ganz aufs Romaneschreiben verlegt habe. Da lernt man, Menschen nicht zu langweilen.
Krimi-Couch:
Ihre Protagonistin Nina Winter ist eine recht junge Frau, die zwar einen starken Charakter besitzt, aber für die ihr zugedachte Aufgabe nur bedingt vorbereitet ist. Nina ist eigentlich das Gegenteil von Anja Gabriel, der Frau, deren „Biografie“ sie in Moskau annimmt. Im Laufe der Handlung macht Nina aber eine große Entwicklung mit. Was ist aus Ihrer Sicht die besondere Stärke dieser Figur?
Andreas Pflüger:
Das ist für mich die eigentliche Geschichte: Nina wird auf dieses Himmelfahrtskommando nach Moskau geschickt und erhält einen Decknamen, Anja Gabriel. Um sich selbst Mut zu machen, denkt sie sich eine Legende für Anja aus, die in ihrer Vorstellung mutig, gerissen, gefährlich ist. Und dann erleben wir, wie sie nach und nach zu dieser Frau wird. Weil Nina, ohne es zu ahnen, im Grunde schon immer so war. Man ist, was man ist. Ein Kernmotiv in allen meinen Romanen. Am Ende sagt Nina cool: »In Moskau haben sich zwei Armeen gegenübergestanden – der KGB und ich.« Sie lacht dabei. Aber es ist ihr Ernst. Und wenn Sie mich nach Ninas größter Stärke fragen: Sie kann lieben, ist ein mitfühlender Mensch, erkennt den Wert von wahrer Freundschaft. Überhaupt ist Freundschaft das größte Romanthema, das es gibt. Darum geht es in allen meinen Büchern.
Krimi-Couch:
Nina ist Langstreckenläuferin und trainiert selbst in Moskau täglich. Sie scheint diese Routine zu brauchen, um Härte gegen sich selber zu zeigen, aber auch als Ausdruck von Stärke und Überlegenheit.
Andreas Pflüger:
Sie ist zu Beginn des Romans ein unglücklicher Mensch, was mit vielen Dingen zu tun hat, vor allem auch mit ihrer Kindheit und der gestörten Beziehung zu ihrem Vater. Sie ist einsam, hat niemanden, mit dem sie ihre Verlorenheit teilen kann. Das Laufen ist für sie unterschwellig eine Form der Kasteiung. Aber auch Ausdruck einer Sehnsucht nach Anerkennung. Nina ist extrem ehrgeizig, darum nimmt sie diese Moskau-Mission an, obwohl sie gewahr ist, dass sie ihr das Leben kosten kann. Das Laufen gibt ihr Sicherheit, die Gewissheit, darin besser zu sein als andere. Und am Ende wird ihr diese physische Fähigkeit das Leben retten.
Krimi-Couch:
Sie schreiben einen harten Agententhriller. Gewalt, Brutalität und Tod sind folgerichtig Elemente Ihres Romans. Dennoch wird man beim Lesen das Gefühl nicht los, dass Sie letztendlich ein Romantiker sind, der auch will, dass am Ende das Gute siegt.
Andreas Pflüger:
Alle meine Thriller sind bretthart. Darum brauchen sie auch Gefühl – und Humor. Meine Frau bestreitet hartnäckig, dass ich ein Romantiker bin. Aber ich muss mit meiner Frau nicht in allem einer Meinung sein.
Krimi-Couch:
Der Roman zieht seine besondere Stärke auch aus seiner unglaublichen sprachlichen Wucht, die bei Thrillerautoren doch eher selten ist. Selbst Actionszenen wirken bei Ihnen mitunter virtuos und leicht. Ihre Worte spiegeln die Gefühle der Protagonisten sehr differenziert und mit einer oftmals wundervollen poetischen Ausdruckskraft wider. Hinzu kommt Ihr Gedicht zu Beginn des Romans. Haben Sie nie daran gedacht, einmal einen Lyrikband zu veröffentlichen?
Andreas Pflüger:
Über andere Thrillerautoren kann ich nicht profund befinden, weil ich so gut wie keine Thriller lese. Ich schreibe meine Bücher so, wie ein Roman nach meiner Vorstellung sein sollte. Meines Wissens steht nirgends geschrieben, dass eine literarische Sprache, gar Poesie sich bei einem Thriller verbieten. Ich bin, was ich bin; das habe ich mit meiner Romanheldin Nina gemein. In einem früheren Interview habe ich sogar einmal bestritten, überhaupt Thriller zu schreiben, und gesagt: »Ich schreibe Romane, in denen Menschen zu Schaden kommen.« Es freut mich, dass Sie das Gedicht ansprechen, das ist mir wichtig. Seit Jenny Aaron ist jedem meiner Romane ein Gedicht von mir vorangestellt. Ob ich als Lyriker etwas tauge, müssen andere beurteilen. Und nein: Ich schließe nicht aus, einmal einen Lyrikband zur Welt zu bringen.
Das Interview führte Thomas Gisbertz im Oktober 2023.
Foto: © Stefan Klüter
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