Karin Slaughter
10.2019 Almut Oetjen im Gespräch mit Karin Slaughter über ihr neues Buch "Die letzte Witwe".
Ich liebe meinen Staat, ich liebe Atlanta, und fühle mich wie eine Botschafterin dieser Region.
Krimi-Couch:
Rechte Gewalt, ein heißes Thema dieser Tage in Europa und den USA, spielt eine herausragende Rolle in Ihrem neuen Roman, „Die letzte Witwe“. Sie haben offensichtlich einige Recherchen über Vertreter weißer Vorherrschaft und verschiedene Formen von Faschismus durchgeführt. Haben Sie zur Vorbereitung auf Ihren Roman viele Bücher gelesen? Können Sie unseren Lesern etwas über den Einfluss aktueller Ereignisse auf ihre Story sagen?
Karin Slaughter:
Ich habe eine Tonne Material für dieses Buch recherchiert, hauptsächlich über Kulte und Vertreter weißer Vorherrschaft. Die Verbrechen, über die ich in „Die letzte Witwe“ schreibe, sind in den Nachrichten - jeden einzelnen Tag. Insbesondere im Augenblick. Da gibt es keine politische Seite. Es heißt; wir gegen sie. Weiße Vorherrschaft ist falsch. Es gibt keine Iteration in der modernen Gesellschaft, wo das rassistische Dogma in irgendeiner Weise in Einklang gebracht werden sollte mit politischen oder religiösen Institutionen, und es ist sehr, sehr gefährlich für Individuen innerhalb dieser Institutionen, mit der Sprache zu spielen. Man kann es nicht mit beiden Parteien halten. Wenn wir über die inländischen Terrorakte durch Vertreter weißer Vorherrschaft nicht als wirklich grauenhafte Akte sprechen, wie können wir dann anfangen, die zugrunde liegende Ursache zu verstehen und hoffentlich eines Tages verhindern, dass Anschläge in derart großen Zahlen passieren? Es geht allein darum, die Realitäten dieser „Aufsehen erregenden“ Verbrechen und die Gesichter dahinter zu zeigen.
Krimi-Couch:
Hin und wieder scheinen Atlanta und Georgia organische Figuren in ihrem Geschichten-Erzählen zu sein. Wie sehen Sie sich selbst bei der Verwendung dieser Locations?
Karin Slaughter:
Irgendwann einmal schreibe ich vielleicht eine Short Story, die außerhalb von Georgia spielt, aber alle Geschichten sind organisch mit dem Ort verbunden – selbst Bradburys Mars hatte ein kleines bisschen von Waukegan. Ich liebe meinen Staat, ich liebe Atlanta, und fühle mich wie eine Botschafterin dieser Region. Es gibt viele Missverständnisse über den Süden, die meiner Ansicht nach korrigiert gehören. Und auf einer sehr realen Ebene verärgert es mich sehr, wenn Leute von außerhalb einfliegen, ein paar Tage hier verbringen und denken, sie können wie Insider über die Stadt reden. Es klingt niemals, jemals echt.
Krimi-Couch:
Soweit ich mich an Ihre anderen Romane aus dieser Serie erinnere, ist Sara Linton immer eine funktionierende Gerichtsmedizinerin gewesen, die sich streng an die Vorschriften hält. In „Die letzte Witwe“ findet sie sich jedoch in einer vollkommen anderen Situation wieder. Sie muss mit Ungewissheiten umgehen, gefährlichen Kriminellen, Mördern und einem Vergewaltiger, und sie muss neue Situationen und Verhalten antizipieren. Sie entwickeln eine ganz neue Seite an ihr. Wie haben sie es bewerkstelligt, Sara in dieser neuen Rolle zu sehen?
Karin Slaughter:
Als ich mit meiner Arbeit an diesem Buch begann, wusste ich, ich wollte, dass diese Story Will und Sara in die denkbar schrecklichste und verletzlichste Situation bringt. Ich habe soviel Zeit damit verbracht, sie zusammenzubringen, dass ich dachte, es wäre interessant zu sehen, was mit ihnen geschieht, wenn sie zwangsweise getrennt werden. Das war die Saat, und daraus entwickelte sich der Rest.
Krimi-Couch:
Mir gefallen Will und Sara als Paar, besonders ihre komplizierte und vielseitige Beziehung. Würden Sie gerne einen Roman über sie schreiben, wo sie im Zentrum der Narration stehen und die Verbrechensuntersuchung nachrangig ist?
Karin Slaughter:
Ich versuche tatsächlich, Sara und Will zusammen mit der Untersuchung ins Zentrum der Story zu rücken. In „Blutige Fesseln“ muss Sara damit umgehen, dass Angie immer noch zu Wills Leben gehört. In „Die letzte Witwe“ muss Will Saras Familie für sich gewinnen, insbesondere ihre Mutter. Die zwei Charaktere haben sich beide stark ihrer Arbeit verschrieben, und ihr Privatleben passt sich ihrer Arbeit an. Zwangsläufig konnte ich mir also keine Story über Will und Sara vorstellen, in der es nicht um irgendeine Form von Verbrechen geht, aber ich stelle mir diese Serie wirklich als ihre Story vor, nicht als die Storys der Verbrechen, die sie bearbeiten.
"Ich bin wirklich glücklich, in dieser Zeit zu leben, wo es so viele Möglichkeiten gibt, sich mit Lesern zu verbinden."
Krimi-Couch:
Als Autorin von Serien, deren Figuren sich über die Zeit verändern und entwickeln, stehen Sie vor dem Problem, Ihren neuen Lesern Informationen über diese Figuren zu geben, die den treuen Lesern bereits wohlbekannt sind. Stellt diese Aufgabe Sie vor eine Herausforderung?
Karin Slaughter:
Wenn ich ein Buch über Will Trent und Sara Linton schreibe, habe ich eine Kurzschrift zu beiden Figuren, weil ich sie schon so lange kenne, und von daher ist es für mich nicht schwierig, mir ihre Vergangenheit zurückzurufen. Eigentlich trifft sogar das Gegenteil zu. Die Herausforderung besteht eher darin, etwas Neues zu finden, das ich über sie in glaubwürdiger Weise sagen kann (zum Beispiel kann Will nicht plötzlich verraten, dass er die ganze Zeit über Bürgerkriegsszenen nachspielt).
Krimi-Couch:
Wie wichtig sind Social Media für Sie, hinsichtlich der Erreichbarkeit als Autorin sowie als Quelle für Recherchen?
Karin Slaughter:
Social Media sind ein wichtiges Werkzeug, das ich verwende, um mit den Lesern weltweit Kontakt zu halten. Meine Bücher werden derzeit in 120 Ländern publiziert, was bedeutet, dass es einige Länder gibt, die ich niemals werde besuchen können, und einige Leser, denen ich nie von Angesicht zu Angesicht begegnen werde. Es ist also wichtig, dass wir online interagieren können. Ich bin wirklich glücklich, in dieser Zeit zu leben, wo es so viele Möglichkeiten gibt, sich mit Lesern zu verbinden.
Krimi-Couch:
Auf dem Buchrücken der deutschsprachigen Ausgabe informiert der Verlag die Leser, dass Sie eine Non Profit Organisation gegründet haben, die „Save the Libraries“ heißt. Welche Geschichte steckt dahinter? Wie wichtig sind öffentliche Bibliotheken für Sie?
Karin Slaughter:
Bis heute haben wir den Bibliotheken mehr als 300.000 Dollar gegeben, worauf ich sehr stolz bin. Die meisten Bibliothekssysteme werden teils vom Staat und teils von den Kommunen, denen sie dienen, finanziert, es gibt also riesige Landstriche, die nur schlechte oder gar keine Bibliotheksdienste haben. Wir versuchen Systeme zu lokalisieren, bei denen ein Bedarf existiert, und wir geben ihnen Zuschüsse für Dinge wie Leseprogramme für Kinder oder Gründungskapital für Fundraising-Veranstaltungen, um die Kommune dazu zu bringen, in das System zu investieren. Für viele Kinder in ländlichen Räumen Amerikas ist die Bibliothek nicht nur ein Ort, ein gutes Buch zu finden. Internetdienste sind in diesen Kommunen sehr teuer, so dass der mitunter einzige Ort, an dem ein Kind online gehen kann, die Bibliothek ist. Desgleichen, wenn ihre Eltern eine Arbeitsstelle suchen oder an ihrem Lebenslauf arbeiten – sie benötigen einen Computer mit Internetzugang, um einen Job zu finden. Das Hauptziel von Save the Libraries ist es, diesen Systemen zu helfen, sich selbst zu helfen.
Das Interview führte Almut Oetjen im Oktober 2019.
Übersetzt aus dem Englischen von Almut Oetjen.
Foto: © Alison Rosa
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