Sven Petter Naess

Der Norweger Sven Petter Næss ist sicherlich einer der aktuell spannendsten skandinavischen Autoren. Seit 2019 schreibt er bereits in seiner Heimat erfolgreich Kriminalromane. Nach „Glut“, dem ersten Band seiner Reihe rund um den Osloer Kripoermittler Harinder Singh, erscheint nun im Aufbau Taschenbuchverlag die Fortsetzung „Furcht“. Krimi-Couch-Redakteur Thomas Gisbertz sprach mit dem Autor über das Besondere seiner Reihe, die Arbeit an seinem Roman und die Bedeutung seines Erfolges.

Hauptsächlich versuche ich, Rätsel zu basteln, die die Leserschaft in Atem halten, und Charaktere zu erschaffen, mit denen man gerne Zeit verbringt und sich identifizieren kann, ob gut oder böse.

Krimi-Couch:
Herr Næss, in Deutschland erscheint aktuell mit „Furcht“ (OT: Skjebnesteinen) der zweite Band Ihrer Reihe um den Olsoer Kommissar Harinder Singh und seine Kollegin Rachel Hauge. Was ist in Ihren Augen das Besondere der Reihe?

Sven Petter Naess:
Schwer zu sagen. Hauptsächlich versuche ich, Rätsel zu basteln, die die Leserschaft in Atem halten, und Charaktere zu erschaffen, mit denen man gerne Zeit verbringt und sich identifizieren kann, ob gut oder böse. Ich hatte viel Spaß beim Schreiben von Furcht, und es finden sich darin einige meiner – wenn Sie mich fragen – bislang besten Figuren. Einen Teil der Geschichte in Edinburgh spielen zu lassen, war eine bewusste Entscheidung, um nicht zu sehr in den Tropen des „Nordic Noir” verhaftet zu bleiben. Und Harinder Singhs Hintergrund ist ein Novum für die skandinavische Krimiliteratur. Mein Stiefvater stammt aus Indien, daher war es mir ein persönliches Anliegen, auch anderen Stimmen Raum zu geben.

Krimi-Couch:
Wenn man eine Krimireihe konzeptioniert, wird man sich viele Gedanken über die Wahl der Protagonisten machen. Was war Ihnen bei der Gestaltung von Harinder Singh und Rachel Hauge besonders wichtig?

Sven Petter Naess:
Die Hauptfiguren müssen einfach gelingen, sie tragen die Reihe. Sie dürfen einen beim Lesen nicht kalt lassen. Harinder und Rachel sind sehr verschieden, sie ist definitiv deutlich regelkonformer als er. Solche Unterschiede rufen Konflikte hervor, und Konflikte braucht man für gute Geschichten. Trotzdem sind Freundschaft und Vertrauen zwischen ihnen stark ausgeprägt. Am wichtigsten war mir aber, dass sie auf Augenhöhe agieren. Es ist eine andere Art von Beziehung als die zwischen z.B. Holmes und Watson. Rachel fallen Dinge auf, die Harinder nicht auffallen, und umgekehrt. Beide könnten jeweils auch im Alleingang der Star des Buchs sein.

Krimi-Couch:
Der Roman ist aus vielerlei Sicht ungewöhnlich, komplex und vielschichtig. So lassen Sie unter anderem Ihre beiden Protagonisten in verschiedenen Ländern ermitteln, der Plot ist voller spannenden Twists und unglaublich ereignisreich. Auch verbinden Sie Elemente des englischen Kriminalromans mit dem des skandinavischen. Wie kamen Sie auf die Idee zum Roman und wie müssen wir uns die Arbeit daran vorstellen?

Sven Petter Naess:

Zunächst einmal vielen Dank! Ich möchte, dass sich meine Stories so organisch wie möglich entwickeln, deshalb plane ich nicht allzu viel, bevor ich anfange zu schreiben. Ich weiß, in welche Richtung es gehen soll, habe eine Art Grundgerüst, aber dann muss ich den Charakteren die Zügel in die Hand geben. So z.B., wenn es Harinder nach Edinburgh verschlägt: Was tut er dort? Mit wem unterhält er sich? Wie reagiert er? Bei den Szenen mit Rachel in Oslo verhält es sich ähnlich. Und dann schickt man noch eine Figur wie James Riddle mit ins Rennen und schaut zu, was passiert. Meines Erachtens ist das eine viel dynamischere Form des Storytellings. 

Ich bin ein großer Fan britischer Krimis, quasi damit aufgewachsen, also habe ich mir schon früh vorgenommen, einen Teil meiner Plots außerhalb Norwegens anzusiedeln. Letztendlich fiel die Wahl auf Edinburgh, eine Stadt, mit der ich sehr vertraut bin. Es wird aber sicher nicht bei diesem einen „Ausflug” bleiben.

Krimi-Couch:
Eine Figur, um die es im Roman geht, verschwindet am Ende und taucht im aktuellen fünften Band (OT: Løvinnen), der in Norwegen bereits erschienen ist, wieder auf. Hatten Sie diese Entscheidung bereits vor den Arbeiten an „Furcht“ getroffen oder spürten Sie während des Schreibens, dass die Geschichte dieser Figur noch nicht zu Ende erzählt ist?

Sven Petter Naess:
Nein, die Entscheidung hatte ich nicht im Vorfeld getroffen. Mir waren verschiedene Enden vorgeschwebt. Bei diesem ist es geblieben, weil es mir am interessantesten schien. Alle Geheimnisse waren gelüftet, stellte sich also nur noch die Frage, was tun bezüglich dieser einen Figur. Und je näher ich dem Ende kam, desto mehr wurde mir klar, dass ich das ausführlicher ergründen wollte. Eigentlich hatte ich vor, den dritten Teil genau dort ansetzen zu lassen, wo dieser aufhört, aber das hätte nicht ganz zur Story gepasst und zu sehr abgelenkt. So hat es ein paar Bücher gedauert, bis ich mich diesem Handlungsfaden wieder annehmen konnte. Aber ich denke, Løvinnen ist ein spannender Roman geworden und war die Wartezeit wert.

Krimi-Couch:
„Furcht“ gewann 2020 den renommierten Riverton-Preis, den vor Ihnen bekannte norwegische Autoren wie Jo Nesbø oder Karin Fossum erhalten hatten. Was war damals Ihr erster Gedanke?

Sven Petter Naess:
Ich war einfach nur überrascht! Und habe mich natürlich sehr gefreut. Ich habe nicht so schnell damit gerechnet, vor allem angesichts der anderen Nominierten in jenem Jahr.

Krimi-Couch:
Was hat sich seitdem für Sie verändert?

Sven Petter Naess:
Eine solche Auszeichnung öffnet Türen, keine Frage. Mein erstes Buch hat ein gewisses Echo ausgelöst und sich gut verkauft, aber der Riverton-Preis hat mir geholfen, ein noch viel breiteres Publikum erreichen zu können – sowohl in Norwegen als auch international.

Krimi-Couch:
Viele Deutsche lieben die düstere skandinavische Krimiliteratur. Welche Autorinnen und Autoren mögen Sie am meisten?

Sven Petter Naess:
Was ihre nachhaltige Wirkung angeht, haben sicherlich große Namen wie Henning Mankell, Sjöwall/Wahlöö und Gunnar Staalesen als Wegbereiter fungiert und auch mich inspiriert. In der zeitgenössischen skandinavischen Kriminalliteratur kommt man natürlich nur schwerlich an Jo Nesbø vorbei. Aber es gibt noch so viele weitere, die Anerkennung verdienen. Zu den vielversprechendsten Nachwuchstalenten zählen für mich Anders de la Motte, Heine Bakkeid, Agnes Lovise Matre und Ingar Johnsrud. Die Liste ließe sich aber noch lange fortführen …

Das Interview führte Thomas Gisbertz im Juli 2024.
Foto: © Tine Poppe
Übersetzung: Yannic Niehr

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