Christian Piskulla

07.2020 Krimi-Couch-Chefredakteuer Andreas Kurth hat Christian Piskulla im Interview Fragen zum neuen Thriller "Das Stahlwerk" gestellt.

Es war mir wichtig, dem Leser ein möglichst authentisches Bild des Arbeitermilieus und der Lebensumstände im Jahre 1942 zu vermitteln. Denn erst durch dieses Bild trägt sich auch die Geschichte des Buches.

Krimi-Couch:
Christian Piskulla, Sie haben mal als Brenner und Kranfahrer in einem großen Stahlwerk gearbeitet. Wieviel von den eigenen Erfahrungen des Autors steckt in diesem Roman?

Christian Piskulla:
Als Kind bin ich direkt neben den Stahlwerken der Peine-Salzgitter AG aufgewachsen. Nachts hörte man die schweren Güterzüge, konnte das leuchten des Abstiches am Himmel sehen. Die vier riesigen Schornsteine waren so etwas wie das Wahrzeichen Salzgitters. Schon mein Großvater väterlicherseits und mein Vater arbeiteten in diesem Stahlwerk. Nahezu die gesamte Nachbarschaft hatte irgend etwas mit dem Stahlwerk zu tun.

Als ich dann als junger Mann vor 35 Jahren dort anfing, war es wie eine Zeitreise. Einige Außenbereiche und auch Hallen sahen tatsächlich noch aus wie in Kriegszeiten. Es war dunkel, dreckig, unheimlich. Die im Buch beschriebene Kellerwelt existiert tatsächlich. Die „Hütten-Malocher“ waren seinerzeit ein Menschenschlag für sich. Rauh, grob, aber auch herzlich. Eine Männerwelt, geprägt von harter Arbeit und langen, schweren Schichten. Ich habe versucht, die Atmosphäre des Stahlwerkes und der Menschen darin möglichst authentisch in den Roman einzubauen.

Krimi-Couch:
Im Buch spürt der Leser ihre Faszination für den Ort der Handlung. Träumen Sie davon, dass dieses Buch mal verfilmt wird?

Christian Piskulla:
Ich denke jeder Autor träumt davon, seine Geschichten einmal auf der großen Leinwand zu sehen. Das Stahlwerk würde sich auch perfekt für eine mehrteilige Fernsehserie eignen. Mit dem Hörbuch, das ja schon fast ein Hörspiel ist, bin ich zumindest dem „Kopfkino“ schon einen Schritt nähergekommen.

Krimi-Couch:
Vorbild für die Figur des Jarek Kruppa war ihr eigener Großvater. Was hat er Ihnen alles über seine Zeit als Zwangsarbeiter erzählt?

Christian Piskulla:
Als jüngstes von vier Kinder habe ich leider keinen meiner Großväter je selbst kennengelernt. Sie starben beide vor meiner Geburt. Ihre Kriegserlebnisse wurden mir von meinen Eltern übermittelt. Mein Großvater mütterlicherseits war Pole, er wurde von den Nazis in ein Hüttenwerk nach Stettin verschleppt, dort arbeitete er als Zwangsarbeiter mehrere Jahre am Hochofen. Meine Großmutter blieb mit zwei kleinen Kindern allein zurück, sie musste sich und die Kinder während der deutschen Besatzung selbst versorgen.

Nach der Befreiung Stettins durch die Rote Armee war mein Großvater nicht mehr derselbe. Er berichtete von schrecklichen Ereignissen. Einige seiner Leidensgenossen wählten den Freitod, stürzten sich am Hochofen in Pfannen flüssigen Metalls. Er selbst hatte nach der Gefangenschaft große Schwierigkeiten, sich wieder in das normale Leben einzugliedern. Die Jahre in Haft prägten ihn Zeitlebens.

Krimi-Couch:
Neben den widrigen Lebensumständen der Zwangsarbeiter, aber auch der deutschen Arbeiter, geht es in dem Roman auch um Korruption in den Führungskreisen des Werks, aber auch unter niedrigen Chargen. Woher stammen ihre Informationen darüber?

Christian Piskulla:
Mein Großvater väterlicherseits wurde 1937 „dienstverpflichtet.“ Die Familie Piskulla wurde aufgefordert, von Beuthen in Oberschlesien nach Salzgitter zu umzuziehen. Mein Großvater wurde hier beim Aufbau der „Reichswerke Hermann Göring“ eingesetzt (nach dem Krieg die Stahlwerke Peine Salzgitter AG). Während des Krieges erlebte er, ebenso wie andere einfache Hütten- und Stahlarbeiter, wie Korruption und Schiebereien an der Tagesordnung waren. Dabei galt, wie so oft: die Kleinen fängt man, die Großen lässt man laufen.

Mein Vater, Jahrgang 1931, hat vieles davon miterlebt. Im hohen Alter von 89 Jahren hat er seine Erinnerungen an die Kriegszeit in einem Buch niedergeschrieben: Eine Kindheit im zweiten Weltkrieg in Salzgitter. Mein Vater und seine Kriegserinnerungen waren für mich bei den Recherchen zu „Das Stahlwerk“ eine wertvolle Hilfe.

Krimi-Couch:
Was war ihnen beim Schreiben wichtiger, eine Kriminalgeschichte zu erzählen, oder die Milieustudie in diesem besonderen Mikrokosmos?

Christian Piskulla:
Um die Kriminalgeschichte in „Das Stahlwerk“ zu verstehen, muss man wissen, unter welchem enormen Druck die Menschen - und hier besonders das Arbeitermilieu - während der Nazizeit gelebt haben. Das System der Essensmarken beispielsweise war ein perfektes, perfides Mittel, um die Bevölkerung zu kontrollieren und zu unterdrücken. Es war mir wichtig, dem Leser ein möglichst authentisches Bild des Arbeitermilieus und der Lebensumstände im Jahre 1942 zu vermitteln. Denn erst durch dieses Bild trägt sich auch die Geschichte des Buches.

Krimi-Couch:
Wie kommt man zu dem Entschluss, nach etlichen Sachbüchern einen Kriminalroman zu schreiben?

Christian Piskulla:
Vor 35 Jahren wurde mir bewusst, dass die dunkle Kulisse eines Stahlwerkes sich perfekt für einen stimmungsvollen Kriminalroman eignet. Seit dieser Zeit habe ich die Idee mit mir herumgetragen, von Zeit zu Zeit an der Story und vor allem an den Charakteren gefeilt. Letztes Jahr war es dann soweit, dass ich das Buch nahezu fertig im Kopf hatte. Um Platz für neue Projekte zu bekommen, musste „Das Stahlwerk“ einfach raus aus meinem Kopf.

Krimi-Couch:
Eigentlich ist die Handlung abgeschlossen. Aber könnte es nicht noch eine Fortsetzung für den Kriminal-Ermittler Jarek Kruppa geben?

Christian Piskulla:
Das hängt von vielen Faktoren ab. Momentan kann ich noch nicht abschätzen, wie das Buch vom breiten Publikum aufgenommen wird. Als Self-Publisher mitten in der Corona-Zeit ein Buch und ein Hörbuch auf den Markt zu bringen, ist finanziell nicht ganz unriskant. Aber prinzipiell steht dem nichts entgegen.

Das Interview führte Andreas Kurth im Juli 2020.
Foto: © Anja Nothdurft

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