Elisabeth Herrmann

07.2019 Andreas Kurth im Interview mit Elisabeth Herrmann.

Wann immer es möglich ist, will ich an die Schauplätze meiner Handlungen.

Krimi-Couch:
Elisabeth Hermann, “Schatten der Toten” ist bereits der dritte Roman um Judith Kepler. Für die Protagonistin vielleicht der schwerste Fall - für die Autorin auch?

Elisabeth Herrmann:
Ja – denn es war ja auch ein Abschied von einer Figur, die mich zehn Jahre lang begleitet hat. Ich weiß noch, wie ich nach Sassnitz und Malmö gefahren bin, um für „Zeugin der Toten“, den ersten Teil der Trilogie, zu recherchieren. Die DDR-Vergangenheit war überall noch zu spüren und zu sehen. Heute, wo so vieles verschwunden ist, kommt mir Judiths Geschichte vor wie eine Zeitreise. Sie hat so viel erlebt, und musste so vieles verarbeiten, und dann wollte ich natürlich, dass sie am Ende der Geschichte ihren Frieden machen kann. Es war eine große Herausforderung, die mich in den letzten vier Jahren bei der Arbeit für Teil 2 und 3 ziemlich beschäftigt hat. Und der Abschied von ihr fiel schwer, sehr schwer.

Krimi-Couch:
Es gibt ja mittlerweile Ermittler aller Art in Spannungsromanen, bis hin zu Gefängnis-Ärztinnen und Polizei-Seelsorgern. Wie ist die Idee entstanden, ausgerechnet eine Tatortreinigerin in den Mittelpunkt zu stellen?

Elisabeth Herrmann:
Zu Beginn meiner Recherche war dieser Beruf völlig unbekannt. Auch die NDR-Serie „Der Tatortreiniger“ kam erst viel später. Ich war als Journalistin einmal an einem Tatort, der ziemlich schockierend war. Dort habe ich zum ersten Mal diese Berufsbezeichnung gehört. Als ich erfahren habe, wie schwierig es ist, ein death scene cleaner zu sein – vom Umgang mit Chemikalien bis zur seelischen Belastung - war für mich klar, dass ich eine Hauptfigur will, die genau das kann.

Krimi-Couch:
Kepler ist eine selbstbewusste, junge Frau, die sich von niemandem die Butter vom Brot nehmen lässt. Ist sie Ihnen beim Schreiben der drei Romane ans Herz gewachsen? Und wie viel von Elisabeth Hermann steckt in Judith Kepler?

Elisabeth Herrmann:
Judith Kepler zu beobachten und zu begleiten, wie sie von einer verletzen, Menschen-scheuen Frau zu einer offensiven Kämpferin wird, dabeizusein, wie sie ihr Herz entdeckt und spürt, dass es mehr im Leben geben muss als Arbeit, Wein und eine Schallplatte, das war eine einzigartige Erfahrung. Natürlich steckt etwas von mir in ihr. Aber ich weiß nicht, ob ich so mutig wäre wie sie. Vielleicht … vielleicht macht man sich seine Hauptfiguren ein bisschen so, wie man gerne wäre?

Krimi-Couch:
Wie war denn die Recherche-Reise nach Odessa? Oder kann man sich das Wissen über die lokalen Verhältnisse komplett anlesen?

Elisabeth Herrmann:
Theoretisch geht das, aber ich glaube, die Leser spüren, ob man dagewesen ist oder nicht. Den „Seamens Club“ im Handelshafen gibt es noch nicht mal bei Google. Und wie der Leuchtturmwärter heißt, und dass er bei Sturm manchmal tagelang draußen ausharren muss, auch nicht. Man findet das Hotel Londonskaya in Reiseführern, aber hört man dann auch das Parkett knarren? Riecht man die Winterluft, das Meer, die Holzkohle? Spürt man die beklemmende Enge und Finsternis der Katakomben? Wann immer es möglich ist, will ich an die Schauplätze meiner Handlungen. Das habe ich vor langer Zeit für meinen allerersten Krimi, „Das Kindermädchen“, schon so gemacht, und werde es auch weiterhin tun. Und wenn ich es eines Tages nicht mehr kann, bleibt immer noch die Erinnerung.

Krimi-Couch:
Die losen Fäden werden am Ende des Romans so ziemlich alle verknüpft. Ist Judith Keplers Weg jetzt für die Leser zu Ende, bleibt es bei einer Trilogie? Oder werden wir irgendwann wieder etwas über sie lesen?

Elisabeth Herrmann:
Es bleibt dabei.

Krimi-Couch:
War diese “Toten-Reihe” eigentlich von Beginn an als Mehrteiler geplant?

Elisabeth Hermann:
Ja. Tatsächlich wusste ich, dass der Sassnitz-Teil von „Zeugin der Toten“ noch ein paar offene Baustellen hat. Und ich fand den Gedanken reizvoll, dass ihr Vater die Schiesserei dort überlebt hat. Aber es gingen sieben Jahre ins Land, bevor ich die Geschichte weitererzählen konnte. Das lag daran, dass ich den Verlag gewechselt habe.

Krimi-Couch:
Eine Frage noch zum großen Rahmen der Handlung. Stasi, DDR, BND-Gegenspionage - ist das Feld inzwischen abgegrast, 30 Jahre nach dem Mauerfall? Oder kann man als Autorin immer noch Honig daraus saugen?

Elisabeth Herrmann:
Aber natürlich sind noch längst nicht alle Geschichten erzählt. Unsere Vergangenheit wird uns noch lange beschäftigen, und es ist die Aufgabe von uns Geschichtenerzählern, neue Aspekte zu finden. Die Frage ist, ob die Zeit im Moment dafür eine gute ist - oder ob man noch einmal zehn Jahre warten sollte. Unsere Neugier aneinander, Ost an West und West an Ost, ist zur Zeit etwas eingeschlafen und getrübt durch gegenseitige Ressentiments. Ich bedaure das sehr, aber ich nehme darauf natürlich keine Rücksicht, denn ich schreibe, was aus meiner Sicht aufzuschreiben gilt. Der Zeitgeist ist in dieser Hinsicht gegen mich. So what.

Krimi-Couch:
Was schreibt Elisabeth Hermann aktuell - und wann werden wir es lesen?

Elisabeth Herrmann:
Zur Zeit schreibe ich an einem neuen Fall für den Berliner Anwalt Vernau. Er wird im Frühjahr 2020 erscheinen.

Das Interview führte Andreas Kurth im Juli 2019.
Foto: © Dominik Butzmann

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