Alex Michaelides

06.2019 Carola Krauße im Interview mit Alex Michaelides, dem Autor von "Die stumme Patientin".

Zu entdecken, dass man in einem Buch in jemandes Gedankenwelt eintauchen kann, hat mich als Schriftsteller verändert.

Krimi-Couch:
Sie haben erfolgreich Drehbücher geschrieben. Was hat Sie veranlasst, sich an einen Thriller zu wagen?

Alex Michaelides:
Um ehrlich zu sein: so sehr ich Filme auch liebe, Drehbuch-Schreiben ist eine Erfahrung, an der man wirklich verzweifeln kann. An der Produktion eines Films sind so viele Leute beteiligt, dass es oftmals ein heilloses Chaos ist. Und meiner Erfahrung nach geht dabei alles schief, was nur schiefgehen kann. Alle Beteiligten können noch so sehr einen guten Film machen wollen, manchmal zerbricht ein Drehbuch einfach während des Produktionsprozesses an Problemen, für die niemand etwas kann: im letzten Moment entfällt ein Drehort, ein Regisseur überlegt sich etwas anders oder ein Schauspieler ist nicht mehr verfügbar – und plötzlich muss man innerhalb von 5 Minuten eine Szene oder Sequenz umschreiben, an der man zuvor 5 Jahre lang gearbeitet hat. Diese Arbeit mit eigenen Augen auseinanderfallen zu sehen, kann einem das Herz brechen. Und das ist mir immer wieder passiert. Ich war schon fast so weit, das Schreiben ganz aufzugeben.

Stattdessen, quasi als letzten Versuch, habe ich mich an den Roman gesetzt, den ich schon mein ganzes Leben lang schreiben wollte, aber immer vor mir hergeschoben habe. Es war sozusagen eine Verzweiflungstat. Als Kind war ich großer Fan von Hitchcock und Agatha Christie, und ich wollte einfach etwas schreiben, was einen in das Gefühl versetzt, das ich damals beim Lesen und Schauen dieser Thriller hatte.

Krimi-Couch:
Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Verfassen eines Drehbuches und eines Romans? Was muss man beachten, damit beide ein Erfolg werden können?

Alex Michaelides:
Ein Freund von mir ist Filmkritiker, und ich finde, er hat es ganz gut auf den Punkt gebracht: ein Roman erweitert, ein Film schrumpft zusammen. In einem Film muss man die Story am Laufen halten, und es gibt einen permanenten Vorwärtsdrall.

In einem Roman wird auch mal innegehalten, in jemandes Gedankenwelt geschaut und ein Tag mit dieser Figur verbracht, während er oder sie einkaufen oder spazieren geht oder was auch immer. Zu entdecken, dass man in einem Buch in jemandes Gedankenwelt eintauchen kann, hat mich als Schriftsteller verändert: seitdem halte ich mich eher für einen Romanautor statt einen Dramatiker.

Ein sicheres Erfolgsrezept für ein Drehbuch oder einen Roman kenne ich nicht. Aber was meine eigenen Arbeiten verändert hat, war eine Bewegung hin zu mehr Tiefgang und Authentizität. Auf der Filmschule wird einem beigebracht, ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Aber ich habe festgestellt: je allgemeiner und simpler deine Texte sind, desto weniger Leute interessieren sich dafür. Nur wenn man sich auf das konzentriert, was einen selber fasziniert, kann man das auf ein Publikum übertragen. Es ist paradox, aber wahr. Und nur dadurch, dass ich dieses Buch für mich selbst geschrieben habe – im festen Glauben, dass es nie jemand anders lesen würde – war es mir plötzlich möglich, andere damit zu erreichen. „Sei authentisch“ lautet wohl mein Ratschlag.

Krimi-Couch:
Die Filmrechte an „Die stumme Patientin“ sind bereits vergeben. Werden Sie Einfluss auf die Verfilmung haben, und wenn ja, wie viel Mitspracherecht wird ihnen eingeräumt?

Alex Michaelides:
Wie gesagt, dieses Buch war für mich der Versuch, die Filmwelt hinter mir zu lassen. Mir ist also durchaus nicht die Irionie entgangen, als die Produzenten, bei denen ich mich zuvor jahrelang erfolglos um Termine bemüht habe, mir plötzlich die Tür einrannten und sich gegenseitig überboten, um einen Deal mit mir auszuhandeln.

Am Ende wählte ich Plan B: Brad Pitts Produktionsfirma, die meiner Meinung nach die besten Filme in Hollywood macht. Ich werde an der Produktion beteiligt sein, und man hat mich auch gebeten, das Drehbuch zu schreiben. Aber was das Schreiben angeht, ist mein Ego nicht mehr allzu groß (man sollte sich nie zu starr an etwas klammern), deshalb ist es für mich absolut in Ordnung, wenn das Buch auseinandergenommen und für ein anderes Medium wieder neu zusammengesetzt wird. Ich freue mich sogar darauf und werde bestimmt eine Menge lernen! 

Krimi-Couch:
Wie sind Sie auf die Idee zu der Geschichte gekommen? Hat ihre Arbeit als Psychotherapeut Sie dazu inspiriert?

Alex Michaelides:
Eigentlich gab es für die Geschichte zwei Inspirationen. Die erste war der griechische Mythos um Alkestis, insbesondere das Theaterstück von Euripides. Ich habe es mit 13 entdeckt und es hatte großen Einfluss auf mich. Es geht um eine Frau, die ihr Leben opfert, um ihren Ehemann zu retten. Am Ende des Stückes wird sie ins Leben zurückgeholt und mit ihm wiedervereint. Sie weigert sich aber, zu sprechen. Das Stück wird nicht oft gespielt, denn es ist schwierig. Viele wissen mit Alkestis‘ Schweigen nichts anzufangen. Ist sie froh, ihren Mann wiederzusehen? Ist sie wütend, dass er sie für ihn hat sterben lassen? Diese Verweigerung einer Auflösung und dieses Bild einer stummen Frau, das hat mich jahrelang verfolgt, warum auch immer. Ich habe einige Anläufe probiert, der Geschichte ein Update in Form eines Kurzfilms oder eines Theaterstückes zu verpassen, aber es einfach nicht richtig hinbekommen.

Zwischenzeitlich hatte ich schon an mehreren Orten Psychotherapie studiert (ohne je einen Abschluss zu machen) und ein paar Jahre in einer geschlossenen Psychiatrie für Jugendliche gearbeitet. Als dann einmal die Idee da war, die Geschichte um Alkestis in einer solchen Einrichtung anzusiedeln, mit einer stummen Protagonistin und einem Psychotherapeuten statt eines Ermittlers als Hauptfigur, fügte sich in meinem Kopf urplötzlich alles zusammen. Das war die Geburtsstunde von „Die stumme Patientin“.

Das Interview führte Carola Krauße im Juni 2019.
Foto: © Andrew Hayes-Watkins

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