Steve Cavanagh
Autor Steve Cavanagh wuchs in Belfast auf und zog mit 18 Jahren nach Dublin, wo er Jura studierte. In seiner Heimat machte sich Steve Cavanagh als erfolgreicher Bürgerrechtsanwalt einen Namen und war in zahlreiche prominente Fälle involviert. Inzwischen konzentriert er sich auf seine Arbeit als Autor. In Deutschland hat sich Steve Cavanagh mit seiner erfolgreichen Thrillerreihe um den faszinierenden Strafverteidiger Eddie Flynn einen Namen gemacht.
Krimi-Couch-Redakteur Thomas Gisbertz sprach mit dem britischen Bestsellerautor über seinen Erfolg in Deutschland, die Idee zu seiner Romanreihe und das Besondere seiner Hauptfigur Eddie Flynn.
"Es gibt viele Fälle in meinen Büchern (...), die so oder so ähnlich abgelaufen sind und gesellschaftliche Missstände offenlegen."
Krimi-Couch:
Mister Cavanagh, die ersten beiden Bände ihrer Reihe um den Strafverteidiger Eddie Flynn erschienen bereits 2015/2016 in Deutschland bei Blanvalet. Der Goldmann Verlag veröffentlichte dann Anfang 2022 den vierten Band „Thirteen“, der sofort die Bestsellerlisten stürmte und Sie mit Ihrer Reihe in Deutschland bekannt machte. Wie überrascht sind Sie von diesem plötzlichen Erfolg?
Steve Cavanagh:
Sehr! Thirteen stand fast ein ganzes Jahr lang auf der Bestseller-Liste. Mit dem Buch hatte ich meinen internationalen Durchbruch, aber ich hätte mir nie träumen lassen, wie sehr es durch die Decke gehen würde. Thirteen stellte einen Wendepunkt innerhalb der Serie dar, und es war das erste Buch, bei dessen Schreibprozess ich das Gefühl hatte, zu wissen was ich tue. Ich hatte keine drei unveröffentlichten Manuskripte in irgendeiner Schublade rumfliegen; mein erster Roman, Zu wenig Zeit zum Sterben, war veröffentlicht worden, also war ich in der Schreibkunst nach wie vor recht unbedarft. Thirteen war so ein Ausreißer, weil es aus der Sichtweise von zwei verschiedenen Erzählern geschrieben ist und es daher eines gewissen grundlegenden Skill-Levels bedurfte, um dem gerecht zu werden. Meine ersten 3 Bücher sehe ich als Ausbildungsromane an (wobei Liar, das dritte, den „Goldenen Dolch“ der Crime Writer’s Association gewinnen konnte), da habe ich einfach nur versucht, einen guten Text zu produzieren. Vielleicht hätte ich darüber nachdenken sollen, nicht nur einen guten Text zu schreiben, sondern einen, den Leute auch lesen wollen. Der Untertitel „Der Serienkiller sitzt nicht auf der Anklagebank, sondern in der Jury“ [im englischen Original („the serial killer isn’t on trial, he’s on the jury“) – Anm. d. Ü.], der das Cover ziert, war meine Idee gewesen, und die hat wohl genug Menschen neugierig gemacht, sodass sie das Buch spontan mitnahmen. Deutsche Leser gehören zu den anspruchsvollsten und leidenschaftlichsten Lesern der Welt, besonders was Krimiliteratur angeht, von daher hat es mich sehr überrascht, gefreut und geehrt, dass Thirteen sich hierzulande so gut verkauft hat – und es noch tut. Außerdem habe ich dem Goldmann Verlag zu danken, der so viel dazu beigetragen hat, dass das Buch hier ein solcher Erfolg werden konnte.
Krimi-Couch:
Sie haben in Ihrer Heimat viele Jahre erfolgreich als Anwalt für Bürgerrecht gearbeitet. Wie kamen Sie auf die Idee, einen Thriller über einen Strafverteidiger zu schreiben?
Steve Cavanagh:
Es fing an mit der Hauptfigur. Und mit einer Erkenntnis. Ich befand mich mitten in einem laufenden Prozess und nahm einen Zeugen ins Kreuzverhör. Der Zeuge log, und ich ließ mir eine recht subtile Möglichkeit einfallen, ihn dazu zu bringen, das vor der Jury zu offenbaren. Auf gewisse Weise habe ich ihn ausgetrickst. In diesem Moment wurde mir klar, dass gute Anwälte und Trickbetrüger viele Fähigkeiten und Techniken gemeinsam haben: Ablenkung, Irreführung, Manipulation, Überredung. Daraus schloss ich, dass ein Anwalt, der mal ein Trickbetrüger gewesen ist, eine spannende Figur abgeben würde. Etwas später traf ich dann den Entschluss, über einen Mann namens Eddie Flynn zu schreiben, und daraus wurde mein erster Roman, Zu wenig Zeit zum sterben.
Krimi-Couch:
Sie leben mit Ihrer Familie in Nordirland, Ihre Eddie-Flynn-Reihe spielt aber in New York. Die Romane einiger bekannter britischer Autoren wie John Connolly und Lee Child spielen ebenfalls in den USA. Welche Idee steckt dahinter und warum haben Sie sich für diesen Handlungsort entschieden?
Steve Cavanagh:
Das war eine sehr bewusste Entscheidung. Ich muss jedoch korrigieren: Connolly ist Ire, nicht Brite. Ich selbst habe die doppelte Staatsbürgerschaft, auch wenn ich mich dieser Tage meist als Ire identifiziere – ich bin stolz, Europäer zu sein. Tatsächlich bin ich mittlerweile mit John und Lee befreundet, was dieses Geschäft erfreulicherweise oft so mit sich bringt. Vor meiner ersten Veröffentlichung waren beide meine zeitgenössischen Helden und Vorbilder, ich habe sie immer sehr bewundert. Ihretwegen spielen die „Eddie Flynn“-Bücher in den USA, denn beide waren zwar selbst keine Amerikaner, konnten diesen Stil aber sehr gut einfangen. Das zeigte mir, dass das überzeugend möglich war. Ich wollte meine Romane dort ansetzen, weil amerikanische Krimiliteratur meine erste Liebe war. In meiner Jugend habe ich Thomas Harris gelesen, und das hat diese Liebe entzündet. Auch die Serien, mit denen ich aufgewachsen bin, spielten alle in den USA: Polizeirevier Hill Street, Miami Vice, Cagney & Lacey, Starsky & Hutch usw. Würde ich selbst Krimis schreiben, wollte ich, dass sie temporeich, cool und dramatisch werden – daher bot sich New York als Spielort an.
Krimi-Couch:
Eddie Flynn ist ein cleverer Anwalt, der durch seine Vergangenheit als Gauner und Schwindler auch gute Verbindungen zur Unterwelt hat. Wie kamen Sie auf diesen Charakter und was mögen Sie an Ihrer Figur besonders?
Steve Cavanagh:
Eddie ist stark beeinflusst von meiner Liebe zu den klassischen Merkmalen von Krimifiguren wie Lew Archer, Philip Marlowe, Charlie Parker usw.: Leute, die für andere einstehen. In einem von Ross McDonalds „Lew Archer“-Romanen gibt es den tollen Satz: „Wenn ich ein Weinen in der Nacht höre, gehe ich nachsehen, was los ist.” Diesen Charakteren haftet ein Element der Selbstaufopferung an, sie kämpfen für den kleinen Mann, für die Unschuldigen, die Verwundbaren, und zahlen dafür oft einen hohen persönlichen Preis. Trotzdem tun sie es, weil es das richtige ist. Eddies Motivation musste ich erst herausfinden: Warum opfert er sein Familienleben, seine Sicherheit, nur um einem Fremden in Not zu helfen. Und mir wurde klar dass Eddie in seiner Vergangenheit erfolgreich einen Mann verteidigt hatte, der eigentlich schuldig gewesen ist und anschließend frei herumlief und jemandem ernsthaften Schaden zufügte. Eddie fühlte sich verantwortlich und schleppt diese Schuld mit sich herum. Jetzt wird er nur noch für Mandanten tätig, die sicher unschuldig sind, und wird sich selbst für diese Person auch in Gefahr begeben. Eddie befindet sich auf einem Pfad der Läuterung – er versucht verzweifelt, seine eigenen Fehler wiedergutzumachen, koste es ihn, was es wolle. Er wird als Anwalt und als ehemaliger Trickbetrüger alle Register ziehen, um die Waagschalen der Gerechtigkeit etwas auszubalancieren.
Krimi-Couch:
Sie haben selber lange Zeit erfolgreich als Anwalt gearbeitet. Wenn Sie sich mit Eddie Flynn vergleichen: Wo haben Sie Gemeinsamkeiten, wo gibt es Unterschiede?
Steve Cavanagh:
Eddie schaut besser aus und hat volleres Haar als ich. Er ist ein bisschen jünger, aber wir teilen den starken Gerechtigkeitssinn. Wir nutzen auch ähnliche Verhörtechniken. Er ist aber tapferer als ich, und schlauer. Wir beide lieben Pfannkuchen und Kaffee.
Krimi-Couch:
Inwieweit ist die Darstellung der Arbeit von Eddie Flynn in Ihren Romanen fiktiv und wo entspricht sie durchaus der Realität?
Steve Cavanagh:
Sie wären überrascht, wie viel der Realität entspricht. Meine erste Verantwortung vor dem Leser ist natürlich, zu unterhalten. Ich möchte ein Buch schreiben, das man gar nicht mehr zu lesen aufhören kann – voller Tempo, Spannung, Cleverness, Humor und Herzklopfen. Aber ich finde, wenn ich das schon mache, darf die Leserschaft währenddessen auch gerne etwas über das Justizsystem lernen. In dem Fall zu Beginn von Thirteen geht es z.B. um eine Afroamerikanerin, die für den Besitz von „Drogenutensilien“ verhaftet worden war – in diesem Fall ein Strohhalm. Das habe ich eingebaut, weil das NYPD zu dieser Zeit häufig junge Afroamerikaner*innen aus jedem noch so kleinlichen Grund belangten, manche eben auch für das Mitführen von Trinkhalmen, da diese ja auch zum Koksten benutzt werden könnten. Es gibt viele Fälle in meinen Büchern (auch wenn ich nicht an allen persönlich beteiligt war), die so oder so ähnlich abgelaufen sind und gesellschaftliche Missstände offenlegen. In meinem nächsten Roman Seven Days geht es um die Todesstrafe in den USA von heute, und dass sie häufig persönlich motiviert ist, nicht politisch. Das wird vermutlich mein realistischster Roman, und deshalb wohl auch mein furchterregendster.
Krimi-Couch:
Ihre Reihe ist weltweit erfolgreich und zahlreiche Thrillerautoren sind voll des Lobes über Sie. Ist eventuell auch eine Verfilmung der Reihe geplant?
Steve Cavanagh:
Dazu kann ich momentan leider nichts sagen. Aber ich fände eine Verfilmung toll.
Krimi-Couch:
In Großbritannien wird im August Ihr Standalone-Thriller „Kill For Me Kill For You“ veröffentlicht. Wird dieser auch in Deutschland erscheinen?
Steve Cavanagh:
Ganz bestimmt. Das ist meine Hommage an Alfred Hitchcock, und alles was ich über Wendungen und Suspense weiß, habe ich darin einfließen lasse. Ich hoffe sehr, dass es Ihnen zusagen wird.
Das Interview führte Thomas Gisbertz im April 2023.
Übersetzt von Yannic Niehr.
Foto: © Kelly M Photography.
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