Jorge Zepeda Patterson
05.2020 Andreas Kurth im Gespräch mit Jorge Zepeda Patterson , Autor von "Die Korrupten". Jorge Zepeda Patterson befindet sich zurzeit unter Quarantäne in Arles, Frankreich, nachdem seine Lesungen in Deutschland aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden mussten.
"Die Korrupten versucht nicht, explizit eine bestimmte politische Botschaft zu vermitteln, sondern einen Blick darauf zu ermöglichen, was in Mexiko zum Alltag gehört."
Krimi-Couch:
Señor Patterson, wie schon in ihrem Buch um Milena ist Korruption das zentrale Thema ihres Romans über „Die Blauen“. Sie sagen, das Thema entspringe ihrer Erfahrung als Journalist. Ist Korruption denn das zentrale Charakteristikum der mexikanischen Politik?
Jorge Zepeda Patterson:
Tatsächlich ist das mittlerweile der Fall. Viele Politiker und Geschäftsleute stehen mit der Mafia in Verbindung und haben öffentliche Gelder veruntreut. Die Größenordnung dieses skandalösen Betrugs hat Mexico in Empörung versetzt. Präsident Andrés Manuel López Obrador hat 2018 die Wahl gewonnen, indem er sich ebendiese Meinung auf die Fahne geschrieben hat. Ob sich dadurch irgendetwas ändern wird, bleibt abzuwarten.
Krimi-Couch:
“Le Monde” bezeichnet Die Korrupten als großes politisches Buch. Haben Sie das Stilmittel des Thrillers gewählt, um eine politische Botschaft zu verpacken?
Jorge Zepeda Patterson:
Die Korrupten versucht nicht, explizit eine bestimmte politische Botschaft zu vermitteln, sondern einen Blick darauf zu ermöglichen, was in Mexiko zum Alltag gehört. Es beschreibt aus der Insider-Perspektive, welche Werte und Gebräuche auf dem Nährboden von Machtverhältnissen entstehen, die ausschließlich einer privilegierten Elite dienen.
Krimi-Couch:
Sie sind Journalist, haben aber auch selbst Zeitungen gegründet und geleitet. Den Verleger Rosendo Franco zeichnen sie als - vorsichtig ausgedrückt - ambivalente Figur. Sind Verleger und Verlagseigentümer Teil des Systems der Korruption, oder spielen diese nur manchmal mit dem Feuer?
Jorge Zepeda Patterson:
Das Verhältnis der Medien zur Macht ist äußerst ambivalent und nicht immer souverän. Einerseits versuchen sie, ihre Stellung auf dem Markt und im öffentlichen Meinungsraum durch professionelles Auftreten zu wahren und zu rechtfertigen. Andererseits aber wollen sie sich mit den Machthabern gut stellen, was sie in den schlimmsten Fällen zu Mittätern werden lässt. Rosendo Franco, der Verleger in meinem Roman, ist ein deutliches Beispiel für diese Ambiguität.
Krimi-Couch:
Tomás Arizmendi ist als Kolumnist der Auslöser einer - oder mehrerer - politischer Krisen. Wie viel Jorge Zepeda Patterson steckt in dieser Figur?
Jorge Zepeda Patterson:
Ich war 20 Jahre lang sowohl Kolumnist als auch Herausgeber journalistischer Veröffentlichungen in Mexico und Guadalajara. Ich würde nicht behaupten, dass Tomás Arizmendi, der Journalist in meinem Roman, ein genaues Abbild des Autors darstellen soll, aber es stimmt: viele Momente und Wendungen der Handlung sind mit meinen persönlichen und beruflichen Erfahrungen unterfüttert, die ich während dieser Zeit, auch im engeren Kontakt mit hohen Tieren, gesammelt habe.
Krimi-Couch:
Der Roman legt nahe, dass Journalisten in Mexiko, wie Polizisten und andere Berufe auch, ziemlich gefährlich leben. Sind Sie selbst auch schon bedroht worden? Leben Sie mit Leibwächtern und Security-Personal?
Jorge Zepeda Patterson:
Vor ein paar Jahren – zu der Zeit war ich Chef einer Zeitung in Guadalajara – erhielt ich eine Todesdrohung. Für ein paar Tage habe ich mir Bodyguards angelacht, aber das geriet zu sehr mit meinem privaten wie beruflichen Leben in Konflikt, also bin ich dann doch lieber das Risiko eingegangen. Allerdings war in Mexico in den letzten Jahren die Anzahl getöteter Journalisten für ein Land, das sich nicht im Kriegszustand befindet, am höchsten - das sollte man auch nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Krimi-Couch:
Jaime Lemus spielt in dem Roman eine zuweilen zweideutige Rolle. Ist er der faule Apfel im Quartett der Blauen?
Jorge Zepeda Patterson:
Jaime ist eine faszinierende Figur. Sich selbst betrachtet er nicht als den faulen Apfel unter den vier Hauptfiguren. Vielmehr glaubt er, von ihnen der einzige zu sein, der realistisch und praktisch veranlagt ist im Gegensatz zu seinen Freunden, die er für zu idealistisch und damit angreifbar hält. Jaime ist der Meinung, dass für die direkte Auseinandersetzung mit dem furchteinflößenden Feind, dem sie gegenüberstehen, ähnlich drastische Mittel ergriffen werden müssen, wie die Gegenseite sie anwendet – auch wenn er den anderen mit dieser Ansicht Angst macht.
Krimi-Couch:
Wann wird das deutsche Publikum den ersten und den dritten Teil der Trilogie zu lesen bekommen? Und wann dürfen wir die Verfilmung erwarten?
Jorge Zepeda Patterson:
Die Korrupten und Milena oder der schönste Oberschenkelknochen der Welt sind die ersten zwei Bände der Trilogie, die beide in Deutschland bei Elster & Salis erschienen sind. Ich hoffe sehr, dass die Verkaufszahlen auch zur Veröffentlichung des dritten Romans um “Los Azules” führen werden: Los Usurpadores. Netflix hat die Serienrechte für alle drei Bücher erworben. Gerade werden die Drehbücher für die erste Staffel verfasst, basierend auf den Motiven von Die Korrupten.
Das Interview führte Andreas Kurth im Mai 2020.
Übersetzt aus dem Englischen von Yannic Niehr.
Foto: © Blanca Charolet
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